Читать книгу GIERSCHLUND - Irene Dorfner - Страница 7
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Оглавление„Unfall mit Todesfolge“, war die knappe Auskunft des vierundfünfzigjährigen Hans Hiebler, als er auflegte.
„Was hat die Mordkommission damit zu tun?“, maulte Viktoria Untermaier, die die Vertretung der erkrankten Tatjana Struck immer noch innehatte. Aber nicht mehr lange, und die Kollegin kam zurück, was Viktorias Zeit im bayerischen Mühldorf am Inn endlich beendete.
„Anweisung vom Chef. Offenbar zweifeln die Kollegen vor Ort an der Unfalltheorie, die Spurensicherung ist unterwegs“, fügte Hans an, dem der Grund des Einsatzes gleichgültig war. Das war allemal besser als diese stumpfsinnige Büroarbeit, zu der sie der Chef verdonnert hatte. Das Wetter war viel zu schön, um die Zeit im Büro zu verbringen.
Der zweiundfünfzigjährige Leo Schwartz sprang sofort auf. Er dachte ähnlich wie Hans, dem er sich sofort anschloss, um nicht mit Viktoria fahren zu müssen. Noch immer mied er so gut es ging den direkten Kontakt mit ihr, auch wenn er sich bemühte, höflich und freundlich zu ihr zu sein. Viktoria und er waren bis zu ihrem Weggang nach Berlin, wo sie einen vermeintlich besseren Job angetreten hatte, ein Paar gewesen. Dann war sie auf einmal wieder aufgetaucht, um die Vertretung der Kollegin Struck zu übernehmen, was ihm überhaupt nicht schmeckte. Leo hatte lange gebraucht, um über sie hinwegzukommen – und dann stand sie plötzlich wieder vor ihm. Ja, sie hatten sich auch auf Anweisung des Chefs und der der Kollegen zusammengerauft, was Viktoria sehr viel besser umsetzen konnte als er. Zum Glück dauerte es nicht mehr lange und Tatjana Struck war wieder einsatzbereit.
„Na gut, dann fahren wir“, maulte Viktoria immer noch, der die Hitze der letzten Tage sehr zusetzte. Sie war für eine derart lange Vertretung klamottentechnisch nicht ausgerüstet, weshalb sie seit Wochen immer wieder dieselben T-Shirts trug, bei denen es sich nicht lohnte, dass sie sie bügelte, obwohl sie in ihrem Pensionszimmer diesbezüglich sehr gut ausgestattet war. In regelmäßigen Abständen hatte sie beantragt, die Vertretung abzubrechen und wieder nach Berlin gehen zu dürfen, aber das wurde nicht genehmigt. Sie wusste nicht, dass der Mühldorfer Polizeichef Rudolf Krohmer seine Finger im Spiel hatte und das verhinderte. Er hätte sich erneut um eine Vertretung kümmern müssen, was für die kurze Zeit sehr schwierig geworden wäre. Eine unzufriedene Vertretung war für Krohmer allemal besser als gar keine.
Dem zweiundvierzigjährigen Werner Grössert schien die Hitze nichts auszumachen. Er trug wie immer einen Anzug und eine farblich abgestimmte Krawatte; alles vom Feinsten. Werner sah eher aus wie ein Model als ein Kriminalbeamter. Viktoria rümpfte die Nase, denn optisch passten sie und Werner, zu dem sie in den Wagen stieg, überhaupt nicht zusammen.
„Warum schwitzt du nicht? Manchmal denke ich, du kommst von einem anderen Stern.“
„Keine Ahnung. Vielleicht die Gene“, lachte Werner, der sich um Witterungsverhältnisse noch nie Gedanken gemacht hatte. Er konnte das sowieso nicht beeinflussen, warum sollte er sich dann darüber aufregen oder auslassen?
Die Fahrt nach Burgkirchen ging an Teising, Altötting und Kastl vorbei. Alles Orte, die Viktoria bekannt waren. Nicht mehr lange, und sie war wieder zurück in Berlin, wo sie sich nicht willkommen fühlte. Die neuen Kollegen und Nachbarn waren höflich und freundlich – mehr aber auch nicht. Warum war sie nur so dumm gewesen und hatte ihre Heimat für einen Job aufgegeben? Je länger sie hier war, desto wohler fühlte sie sich, was auch an dem freundlicheren Umgang mit Leo lag, mit dem sie sich immer besser verstand, auch wenn sie seine vorsichtige Art spürte. Trotzdem wollte sie weg, je eher, desto besser. Sie befürchtete, sich zu sehr an die alte Heimat zu gewöhnen.
Die Kriminalbeamten sahen den Tatort schon von Weitem. Nicht nur das große Polizeiaufgebot war auffällig, sondern auch die riesige Menschentraube, die sich darum gebildet hatte. Die Fahrzeuge der Neugierigen parkten links und rechts am Fahrbahnrand, was nicht erlaubt war. Hans bahnte sich den Weg durch die Menschenmenge, die darüber nicht erfreut war. Niemand wollte seinen Platz räumen. Endlich konnte Hans seinen Wagen abstellen, was von vielen meckernd kommentiert wurde, denn dadurch verloren einige die gute Sichtposition.
Werner fand keinen Parkplatz.
„Lass mich das machen“, sagte Viktoria und stieg aus. Sie ging auf einen Wagen zu, der sich eben mit Mühe in eine enge Lücke gequetscht hatte.
„Sie wissen, dass Sie hier nicht parken dürfen?“
„Das geht dich einen Scheißdreck an“, raunte der Fahrer sie an, der sich aufgrund seines hohen Alters kaum auf den Beinen halten konnte.
Viktoria stellte sich ihm in den Weg und zückte ihren Dienstausweis. Der Mann blieb erschrocken stehen.
„Kriminalpolizei?“
„Fahren Sie freiwillig weg oder wollen Sie das volle Programm?“
Der Mann drehte sich um und setzte sich in seinen Wagen. Nachdem er umständlich ausgeparkt hatte, fuhr er weg.
„Die Lücke ist frei“, sagte sie zu Werner, der amüsiert zugesehen und zugehört hatte. „Ich gehe zum Tatort. Sei so gut und kümmere du dich um das Chaos hier.“
Werner rief zwei Uniformierte zu sich.
„Die Fahrzeuge müssen weg. Sie beide werden mich dabei unterstützen.“
„Ist das Ihr Ernst? Was glauben Sie, was dann los ist? Die Leute interessieren sich für das, was passiert ist, das kann man doch verstehen. Vor allem, weil hier sonst quasi nie etwas los ist. Ich weiß, wovon ich spreche, ich wohne selbst in Burgkirchen.“
„Ich habe kein Verständnis für Gaffer, die sich am Unglück anderer erfreuen und unsere Arbeit erschweren. Sie machen die Fahrer dieser Fahrzeuge ausfindig und fordern sie auf, umgehend wegzufahren.“
„Und wenn die sich weigern?“
„Dann rufen Sie den Abschleppwagen.“
Werner ging zu den Gaffern.
„Was für ein arroganter Arsch“, sagte der Polizist zu seinem Kollegen.
„Das habe ich gehört“, rief Werner, ohne sich umzudrehen.
Friedrich Fuchs, Leiter der Spurensicherung, war vor den Kriminalbeamten eingetroffen. Er gab am Tatort den Ton an und kümmerte sich persönlich darum, dass das Absperrband korrekt und vor allem weit genug angebracht wurde. Dabei ging es nicht nur um den Toten und das Mofa, sondern auch um den Feldweg, der jetzt nicht mehr betreten werden durfte. Die Schaulustigen, die von Fuchs, seinen Mitarbeitern und uniformierten Polizisten zurückgedrängt wurden, mussten von den Feldern aus rechts und links des Feldwegs zusehen. Pöbelnde Gaffer wies Fuchs harsch zurecht, seine Mitarbeiter machten es ihm gleich. Es dauerte nicht lange, und alle hatten einen Heidenrespekt vor der Spurensicherung, die in ihren Schutzanzügen beeindruckend aussahen. Fuchs kümmerte sich darum, dass Tücher um die Leiche gehängt wurden, womit dem Toten ein Mindestmaß an Respekt entgegengebracht werden konnte. Das wurde zwar mit Murren von den Umstehenden quittiert, aber man hatte im Grunde genommen Verständnis dafür.
Fuchs und seine Mitarbeiter konnten sich endlich an die Arbeit machen.
Die Kriminalbeamten waren zwar später angekommen, aber für Fuchs waren sie trotzdem zu früh vor Ort. Er brauchte Ruhe bei seiner Arbeit und wie so oft gab er erst Informationen raus, wenn er dazu bereit war. Und das konnte dauern.
Hans und Leo befragten derweil die Schaulustigen, von denen niemand etwas gehört oder gesehen hatte. Dem Einzelnen wäre es vielleicht peinlich gewesen, zugeben zu müssen, dass er hier nur der Neugier wegen stand. Aber in der Gruppe war jeder stark, da es jedem gleich ging.
Viktoria befragte den Mann, der den Toten gefunden hatte. Karl Eberhardt war immer noch käsebleich. Der fünfundsechzigjährige Rentner streichelte seinen Hund, der fortwährend an der Leine zerrte und weitergehen wollte. Der braune Labrador war noch recht jung. Er verstand nicht, warum sein Herrchen seit nunmehr einer Stunde nicht weiterging, wie er es sonst immer tat.
„Sie haben den Toten gefunden?“
„Eigentlich hat mein Bertl die Leiche gefunden, ich habe lediglich die Polizei informiert. Wer rechnet denn bei einem harmlosen Spaziergang mit einer Leiche? Ich hätte gerne darauf verzichtet, das können Sie mir glauben. Ich wollte einfach nur mit meinem Hund spazieren gehen, mehr nicht. Da vorn lass ich ihn immer von der Leine. Er tobt über Wiesen und Felder. Das mag der Bauer nicht, aber das ist mir egal.“
„Sie kennen den Landwirt?“
„Ja. Sein Name ist Hofberger, Michael Hofberger. Der Mann mag keine Hunde und vertreibt alle, aber bei mir beißt er auf Granit. Seine Drohungen und Beschimpfungen sind mir völlig egal. Die Gassi-Runden über die Felder und Wiesen sind herrlich. Hier kann mein Bertl herumtoben, so viel er will. Meinem Vierbeiner möchte ich die Freiheit geben, ohne Leine herumzutoben und die Welt zu erkunden, was hier geradezu ideal ist. Der Bauer konnte mit seiner schroffen Art viele erschrecken und hat sie vertrieben, mein Bertl und ich sind quasi allein unterwegs.“
Viktoria konnte den Mann verstehen, auch wenn sie es nicht gutheißen durfte. Das hier war offensichtlich Privatgrund, Spaziergänger und vor allem Hundebesitzer mussten sich an die Anweisungen des Eigentümers halten. Aber deshalb war sie nicht hier.
„Ihr Hund hat die Leiche im Maisfeld gefunden. Wie muss ich mir das genau vorstellen?“
„Der Bertl hat gebellt wie verrückt. Ich dachte an einen Hasen oder vielleicht sogar an ein Rehkitz. Ich habe ihn gerufen, aber er kam nicht. Also bin ich hinterher. Dann sah ich die Leiche. Ich habe gleich gesehen, dass der tot ist. Der Anblick war schrecklich, den werde ich in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen.“
„Haben Sie etwas angefasst?“
„Nein, das habe ich dem Polizisten bereits gesagt. Ich rief umgehend die 110 an und seitdem bin ich hier. Kann ich bitte gehen? Sie sehen ja, dass mein Bertl nicht der Geduldigste ist. Dafür, dass wir schon so lange hier sind, hält er sich wirklich prima. Nicht wahr, Bertl? Du bist ein ganz ein Braver!“
„Wir haben Ihre Personalien?“
„Selbstverständlich.“
„Dann dürfen Sie gehen. Vielen Dank.“
Viktoria hob das Absperrband und schlüpfte darunter durch. Sie sah sich um, was von Fuchs beobachtet und mit einem strafenden Blick quittiert wurde. Das war Viktoria gleichgültig. Sie besah sich alles sehr genau. Der Kollege, der die Kriminalpolizei informiert hatte, hatte richtig gehandelt. Auf dem Feldweg sah man deutlich Spuren eines Unfalls. Aber das Opfer und das Mofa passten nicht dazu, dafür lag beides zu weit entfernt. Außerdem konnte Viktoria die Schleifspuren mit bloßem Auge erkennen.
„Was haben Sie, Kollege Fuchs?“
„Ich bin noch nicht so weit! Warum müssen Sie mich immer bedrängen?“
„Weil ich sonst noch Stunden warten muss, und darauf habe ich keine Lust. Raus mit der Sprache: Was haben Sie?“ Viktoria und Fuchs konnten sich noch nie richtig leiden, dafür waren die beiden zu unterschiedlich.
Fuchs war sauer. Die anderen Kriminalbeamten konnte er abwimmeln, aber mit der aktuellen Leiterin der Mordkommission durfte er nicht so umgehen. Auch wenn er die Kollegin Untermaier nicht besonders mochte, was auch auf die Kollegin Struck zutraf, die ähnlich penetrant war, musste er Auskunft geben.
„Zunächst weise ich darauf hin, dass meine Angaben nur vorläufig sein können, da ich noch nicht die Möglichkeit hatte, genauere Untersuchungen vorzunehmen, dafür war die Zeit zu kurz.“
„Das ist mir klar. Was ist hier passiert, Fuchs? So, wie ich das sehe, wurde das Opfer angefahren. Danach wurden Opfer und Mofa in das Maisfeld geschleift.“
„Richtig. Meines Erachtens muss das Opfer frontal angefahren worden sein. Die Geschwindigkeit des Unfallfahrzeuges dürfte nicht unerheblich gewesen sein. Bremsspuren sind quasi kaum vorhanden. Für mich sieht das nach Absicht aus.“
„Sie meinen, er wurde von vorn angefahren? Er fuhr nicht mit dem Mofa?“
„Ja. Das Opfer muss so gestanden haben.“ Fuchs demonstrierte auf dem Feldweg stehend, wie der junge Mann angefahren worden sein musste. Unter den Schaulustigen wurde es mucksmäuschenstill. Endlich geschah etwas, das niemand verpassen wollte.
„Sind Sie sicher, Kollege Fuchs? Wenn ich mir das Mofa so ansehe, habe ich meine Zweifel“, bemerkte Hans, der mit Leo und Werner hinzugestoßen war.
„Das Mofa sieht zwar schlimm aus, aber ich gehe nicht davon aus, dass es in den vermeintlichen Unfall involviert war. Sehen Sie, dass der Mofa-Ständer betätigt wurde?“
„Tatsächlich. Der Mofa-Ständer ist unten. Todeszeit?“
„Dafür muss das Opfer erst in die Pathologie.“
„Nur eine vage Vermutung, mehr brauche ich nicht. Ist er heute Morgen gestorben, gestern Abend oder um Mitternacht?“
„Wenn ich die warme Nacht und die Umstände des Fundortes berücksichtige, würde ich eine vorläufige Todeszeit um circa zwei oder drei Uhr ansetzen. Aber das ist nur eine erste Einschätzung und muss bestätigt werden. Verlangen Sie jetzt bitte keine näheren Details, die zum Tod geführt haben, mehr werde ich dazu nicht sagen.“
Leo machte eifrig Notizen.
„Hatte das Opfer Papiere bei sich?“
„Leider nicht.“
„Das Kennzeichen des Mofas?“
„Negativ. Das Schutzblech sieht nicht danach aus, als ob in letzter Zeit ein Kennzeichen angebracht gewesen wäre.“
Leo sah sich das Opfer zum ersten Mal an.
„So ein junger Mensch. Ich schätze das Alter auf etwa zwanzig.“
„Ja, so würde ich ihn auch einschätzen. Die genauere Beschreibung ersehen Sie selbst, dafür brauchen Sie mich nicht. Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden? Es gibt noch viel zu tun.“
Die Fahrzeuge der Schaulustigen fuhren eines nach dem anderen davon. Niemand wollte, dass sein Wagen abgeschleppt wurde, das ging dann doch zu weit. Außerdem ließ das Interesse nach, nachdem man die Leiche durch die vielen Tücher nicht mehr sehen konnte und auch die Kriminalpolizei Anstalten machte, wieder zu fahren. Es dauerte nicht lange, und es standen nur noch wenige hinter dem Absperrband.
„Wir geben ein Foto des Toten und eine Beschreibung in die Presse. Parallel müssen wir die Vermisstenmeldungen durchgehen“, sagte Viktoria, der die ganze Sache nicht gefiel. Warum wurde das Opfer frontal angefahren? War es wirklich Absicht, wie Fuchs vermutete? Es war mitten in der Nacht, vielleicht hatte der Fahrer den jungen Mann nicht gesehen. Aber warum hatte das Mofa kein Kennzeichen?
Ein Mann beobachtete alles mit einem Fernglas aus sicherer Entfernung. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Leiche und das Mofa so schnell gefunden wurden. Scheiß Köter!