Читать книгу Die Jagd nach dem Serum - Irene Dorfner - Страница 8

3.

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Die Brüder Kevin und Torsten Kurowski waren ein eingespieltes Team. Die 30- und 32-jährigen Kleinganoven klauten seit geraumer Zeit alles Heiligenfiguren, die ihnen in die Finger kamen. Torsten hatte im Frühjahr letzten Jahres in seiner Stammkneipe ein Gespräch mit angehört, das ihn aufhorchen ließ. Die Männer am Nebentisch unterhielten sich über Reliquienkreuze, ein Wort, das er bis dato noch nie gehört hatte. Als er verstand, dass es sich dabei um Kreuze handelte, in denen Andenken an Verstorbene aufbewahrt wurden, wurde er euphorisch. Die Idee war genial! Allerdings dachte er nicht an Kreuze, sondern an Figuren. Er zog los und klaute einige dieser für ihn wertlosen Figuren, die fast an jeder Ecke standen. Einige waren hohl, wenige beinhalteten irgendwelchen Kram. Bei anderen war es eine Kleinigkeit, darin einen Hohlkörper zu schaffen. Dazu brauchte es nur jemanden, der handwerkliches Geschick besaß.

Torstens Freund Dominik war ein Genie auf dem Gebiet der Chemie. Im Keller seiner Eltern stellte er Crystal Meth her, das Torsten weiterverkaufte, da Dominik im Verkauf eine Niete war. Das Geschäft lief gut und Torsten konnte sich mit den Einnahmen gut über Wasser halten und sich ab und zu etwas gönnen. Aber Dominik nervte in den letzten Wochen mit seinen ständigen Bitten wegen dem Verkauf zu Kunden, die weit entfernt wohnten, einige davon sogar im Ausland. Von beidem ließ Torsten bisher die Finger und verkaufte nur in einem kleinen Radius um seinen Wohnort. Wie stellte sich Dominik das vor? Torsten hatte kein Auto, somit war er auf Lieferdienste angewiesen. Sollte er die Drogen einfach per Post verschicken? Das würde rasch auffliegen. Und dann noch Lieferungen ins Ausland. Wie sollte das funktionieren? Die Kontrollen an Grenzen waren durch die Flüchtlingsströme verschärft worden, persönlich würde er die heiße Ware nicht schmuggeln wollen. Aber wie sonst würde er die Ware ohne Schwierigkeiten ins Ausland bringen können? Heiligenfiguren waren eine Möglichkeit, die für den Schmuggel geradezu ideal wären. Er spann den Gedanken weiter. Er wusste, dass einige Pakete durchleuchtet wurden. Könnte man das irgendwie umgehen? Torsten konnte in der Nacht kaum schlafen, denn wenn das funktionierte, war er ein gemachter Mann. Er selbst war kein Handwerker, aber sein Bruder Kevin. Der war nicht der Hellste, aber handwerklich sehr geschickt, darin machte ihm so schnell niemand etwas vor. Sollte er den einfachen Charakter wirklich ins Vertrauen ziehen? Warum nicht?

Am nächsten Tag unterbreitete Torsten seinem Bruder die Idee. Der hörte ruhig zu, was sonst nicht seine Art war.

„Ich glaube, dass das funktionieren könnte. Man müsste die Figuren auskleiden. Besorg mir ein paar Heiligenfiguren. Gib mir Geld, ich muss Material besorgen.“

„Was hast du vor?“

„Das erkläre ich später.“ Torsten gab seinem Bruder Geld. Wie immer war Kevin pleite. „Morgen Abend treffen wir uns wieder. Dann werden wir sehen.“

Torsten brauchte nur zuzulangen. Heiligenfiguren standen in Süddeutschland in jedem Haushalt und beinahe an jeder Ecke, er brauchte sich nur bedienen.

Kevin wartete ungeduldig auf seinen Bruder. Als er Torstens Figuren entgegennahm, machte er sich sofort an die Arbeit. Einige Figuren waren nicht hohl, das war aber kein größeres Problem. Mit einem Fräser hatte er Aussparungen geschaffen, die er nun alle mit Blei verkleidete.

„Blei?“

„Das Material ist ideal. Es hat einen niedrigen Schmelzpunkt, ist leicht verformbar und hält jeder Kontrolle stand. Außerdem ist es so dicht, dass kein Geruch durchdringt. Drogenspürhunde haben da keine Chance.“ Kevin grinste stolz. Er wusste, was sein Bruder über ihn dachte: Er war für ihn nicht clever genug. Damit hatte er nicht gerechnet, das konnte er ihm vom Gesicht ablesen.

„Ich bin wirklich beeindruckt. Woher hast du das Blei?“

„Ich habe meine Kontakte,“ grinste Kevin, der vorsorglich einen Schutzanzug trug. Blei war giftig und er war nicht scharf darauf, zu erkranken oder draufzugehen.

„Woher hast du es?“, wiederholte Torsten.

„Ich werde dir meine Quelle nicht nennen, ich habe mein Wort gegeben. Was willst du eigentlich von mir?“

„Ich möchte nicht, dass wir wegen einer Unachtsamkeit auffliegen.“

„Das werden wir nicht. Denkst du, ich habe meinen Namen und meine Adresse angegeben? Ich bin doch nicht blöd.“ Kevin arbeitete sauber und ordentlich, Torsten war auch diesbezüglich beeindruckt. Wann hatte er seinen Bruder zuletzt so arbeiten sehen? Er konnte sich nicht daran erinnern. Vier Figuren waren fertig ausgekleidet. „Hast du den Stoff dabei?“

„Klar.“ Torsten gab ihm das Tütchen mit Crystal Meth, von dem beide nichts nahmen. Sie hatten noch nie Drogen genommen, das hatten sie ihrer Mutter kurz vor ihrem Tod versprochen. Und daran hielten sie sich.

„Das geht problemlos rein. Hast du mehr?“

Drei weitere Tütchen verschwanden im Inneren der Figur. Torsten nahm die Figur und schüttete den Inhalt auf eine Waage.

„Da geht ordentlich was rein, das lohnt sich,“ freute er sich. Dasselbe machten sie auch mit den anderen Figuren. Unterschiedliche Mengen verschwanden im Inneren, wobei keine gering war. „Perfekt, das funktioniert! Jetzt müssen wir nur noch testen, ob das einer Durchleuchtung standhält.“

Der Onkel der beiden, Gerhard Kurowski, betrat den Keller.

„Was macht ihr da?“

Die Jungs erschraken. Onkel Gerhard war der einzige ihrer Verwandten, der immer zu ihnen hielt. Sie hatten Hochachtung vor dem Bruder ihrer verstorbenen Mutter, der es zu etwas gebracht hatte. Er kannte sich sehr gut mit Computern aus und arbeitete als IT-Spezialist. Kevin und Torsten waren sicher, dass ihr Onkel sehr gut verdiente, da er stets die neuesten Autos fuhr und immer Geld zu haben schien. Es kam nicht selten vor, dass er seiner Schwester Geld zusteckte. Nach deren Tod sah er immer wieder nach seinen Neffen und half auch ihnen finanziell aus.

Jetzt stand Onkel Gerhard vor ihnen und sah sie an. Wie sollten sie die Situation erklären? Sie zögerten. Dann entschieden sie, ihm die Wahrheit zu sagen. Gerhard war zunächst angewidert, aber dann schien er von der Idee begeistert.

„Du dealst mit diesem Teufelszeug? Wie lange schon?“

„Spielt das eine Rolle? Ich nehme nichts davon, auch Kevin nicht. Ich verdiene viel Kohle damit. Und mit dieser Idee könnten wir sehr viel mehr machen. Allerdings wissen wir nicht, ob das funktioniert.“

„Dann lasst es uns ausprobieren.“

„Du bist dabei?“

„Wir werden sehen. Vorher möchte ich testen, ob das Ganze funktioniert. Lasst etwas von dem Crystal Meth in der Figur.“

„Was hast du vor?“

„Ich möchte wissen, ob beim Durchleuchten des Paketes tatsächlich nichts gesehen wird und ob wirklich kein Geruch durchdringt. Denkt ihr, ich möchte im Gefängnis landen?“

„Das ist zu gefährlich, Onkel Gerhard. Wenn du auffliegst, haben dich die Bullen am Arsch.“

„Das lass mal meine Sorge sein.“

Gerhard Kurowski hatte Blut geleckt. Nachdem er nach vielen Jahren seinen gutbezahlten Job als IT-Spezialist quasi von heute auf morgen verloren hatte, brauchte er Geld. Sehr viel mehr, als ihm das Arbeitsamt zahlte. Das hier war eine Möglichkeit, sein Einkommen aufzubessern. Allerdings musste das ohne Risiko ablaufen. Er nahm eine der Figuren mit nach Hause und legte sie in ein Paket. Es war klar, dass er nicht den richtigen Absender angab. Nichts durfte auf ihn oder seine Neffen hindeuten. Dann gab er die Adresse eines Hotels in Prag an, zu Händen Herrn Müller. Sofort nach Aufgabe des Paketes fuhr er in dieses Hotel und wartete. Das Paket wurde am nächsten Tag ohne Probleme ausgeliefert. Das reichte Gerhard Kurowski noch nicht. Er fuhr mit dem Paket zum Zoll in Furth im Wald, das als Nächstes auf seinem Weg lag. Seine Geschichte musste plausibel klingen.

„Ich habe das Paket für einen Kollegen angenommen, der dies allerdings nicht wie vereinbart abgeholt hat. Da ich nicht weiß, was darin ist und ich mit dem Zoll oder der Polizei keine Schwierigkeiten bekommen möchte, bin ich hier. Ich habe das Paket im guten Glauben angenommen, ohne zu wissen, was es beinhaltet. Und dabei habe ich meinen guten Namen hergegeben. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, denn ich möchte in keine dunklen Machenschaften hineingezogen werden. Ich möchte das Paket nicht öffnen, schließlich gibt es ein Postgeheimnis. Verstehen Sie, in welchem Dilemma ich stecke?“

„Ja, ich verstehe Sie. Man sollte sich zweimal überlegen, für wen man Post annimmt. Was wollen Sie jetzt von mir?“

„Würden Sie das Paket für mich öffnen?“

„Ohne triftigen Grund darf ich das nicht. Auch für uns gilt das Postgeheimnis,“ sagte die Frau. Gerhard wusste das.

„Haben Sie die Möglichkeit, das Paket zu durchleuchten? Ich möchte lediglich sichergehen, dass ich nichts Verbotenes unterstützt habe.“

Die Frau zögerte. Für sie gab es keine Veranlassung, das Paket zu durchleuchten. Allerdings verstand sie auch die Bedenken des Mannes. Wenn doch nur alle so ehrlich wären! Sie sah sich um. Außer ihr war im Moment niemand hier.

„Geben Sie her,“ sagte sie und verschwand.

Die nun folgenden wenigen Minuten kamen Gerhard Kurowski wie eine Ewigkeit vor. Was würde jetzt passieren? Dann erschien die Frau wieder.

„So wie ich das sehe, ist eine geschnitzte Figur darin, die einen Stahlkörper oder ähnliches hat. Würde das Paket jetzt normal über unser Zollamt laufen, könnte es sein, dass wir uns den Inhalt genauer ansehen. Nichts an diesem Paket würde mich persönlich dazu veranlassen, dass ich es mir genauer anschaue.“

Die Frau sagte KÖNNTE, was bedeutet, dass nicht jedes Paket kontrolliert wurde.

„Mein Kollege sammelt alte Figuren, das ist richtig. Und wenn diese jetzt einen besonders hohen Wert hat?“

„Normalerweise nicht. Es gibt für Auslandslieferungen eine Freimenge, die mit diesen Figuren erfahrungsgemäß nicht überschritten wird. Denken Sie sich nichts dabei und bewahren Sie das Paket solange auf, bis sich Ihr Kollege bei Ihnen meldet.“

„Was passiert mit einem Paket, das im Inland versandt wird? Ich frage nur so aus Neugier.“

„Da gehen solche Pakete normalerweise ohne Prüfung durch. Auch innerhalb der EU wird nur stichpunktartig durchleuchtet. Sagen Sie das nicht weiter. Wir möchten den Schmuggel bei Paketen nicht fördern.“ Die Frau lachte und Gerhard stimmte in das Lachen ein. Die beiden plauderten noch über Belangloses, bis ein Mann den Raum betrat. Gerhard bedankte sich überschwänglich und verließ zufrieden das Zollamt.

Es war interessant zu wissen, dass Pakete, die innerhalb Deutschlands verschickt wurden, nicht geprüft werden. Es war zwar möglich, dass Pakete innerhalb der EU geprüft wurden, aber das schien nicht die Norm zu sein. Pakete, die außerhalb der EU verschickt wurden, waren ein Risiko. So, wie er die Frau verstanden hatte, nahm man sich nur verdächtige Pakete genauer vor. Das konnte man problemlos umgehen. Wenn man stümperhaft zusammengeschusterte Verpackungen verwendete und die Paketaufkleber mit der Handschrift eines alten Menschen beschriftet wurden, musste der Versand problemlos durchgehen. Das bekam er hin, das dürfte keine große Sache sein.

Stimmte Kevins Aussage, dass der Drogengeruch nicht durchdrang? Er konnte selbst nichts riechen, aber das bedeutete nichts. Auch der Frau am Zollamt war nichts dergleichen aufgefallen. Es juckte ihn in den Fingern, das auszuprobieren. Er erinnerte sich daran, dass es auf dem Besucherpark am Münchner Flughafen Drogenspürhunde gab. Ob die gerade jetzt dort waren? Er fuhr los und war in knapp zwei Stunden dort. Er kam gerade recht, als einer der Polizisten in Begleitung eines Hundes auf dem Gelände einen Vortrag hielt. Das Paket hatte er in der Tasche. Er atmete tief durch und ging auf die Gruppe zu. Was der Polizist zu sagen hatte, interessierte ihn nicht. Gerhard behielt immer nur den Hund im Auge. Der Vortrag war vorbei und er ging absichtlich dicht an dem Hund vorbei. Dieser sah für einen kurzen Moment in seine Richtung. Das war alles. Kevin hatte Recht gehabt. Der Drogengeruch drang tatsächlich nicht durch. Zufrieden fuhr er zu seinen Neffen, um ihnen die frohe Botschaft zu überbringen.

Die beiden Brüder warteten seit vorgestern unter Hochspannung auf ihren Onkel. Sie machten sich Sorgen.

„Denkst du, er ist aufgeflogen?“

„Nein, Onkel Gerhard ist clever. Wenn wir ihn mit an Bord haben, könnten wir ein Vermögen machen. Stell dir mal vor, wieviel wir verticken könnten? Dominik wird begeistert sein.“

Torsten hatte vorsorglich einige Figuren geklaut. Anfangs zog er allein los, bis sich Kevin anschloss. Rasch hatten sie eine beachtliche Menge Figuren, die sich nun alle im Keller befanden. Beide malten sich aus, welche Summen damit zu machen waren, wenn sie jede Einzelne mit Crystal Meth befüllen könnten. Torsten hatte die Hofeinfahrt ihres alten Hauses stets im Auge und wippte nervös mit dem rechten Bein, während Kevin kleine Tiere schnitzte.

Endlich fuhr Gerhards Wagen auf den Hof des alten, renovierungsbedürftigen Hauses, das die Brüder Kurowski von ihrer Mutter geerbt hatten. Ja, sie hätten das Haus renovieren können, aber sie waren viel zu faul dafür. Beiden war klar, dass sie in dem kleinen Kaff Sipplingen am Bodensee sowieso nicht bleiben würden.

„Was ist? Hat es funktioniert?“

„Und wie. Ich bin dabei. Von mir aus kann es losgehen. Die Frage ist, wo wir die Heiligenfiguren herbekommen?“

„Das ist das kleinste Problem,“ sagte Torsten, der euphorisch war. „Solche Figuren findest du doch an jeder Ecke. Wir können problemlos hunderte davon beschaffen. Sieh dir an, was wir in zwei Tagen geklaut haben.“ Torsten und Kevin präsentierten stolz ihre Ausbeute.

„Wir können auch andere Gegenstände verwenden; das mit dem Blei funktioniert überall.“

„Nein, wir sollten bei den Heiligen bleiben. Ich habe mich über die Figuren informiert. Viele davon sind schon hohl, das erspart uns viel Arbeit. Die Figuren, die leicht zu bearbeiten sind, werden wir ebenfalls verwenden. Alle anderen wandern in den Müll. Was denkt ihr?“

Kevin und Torsten stimmten zu.

„Was ist mit deiner Arbeit? Hast du überhaupt genug Zeit?“

Gerhard zögerte. Er hatte den beiden nichts von seiner Kündigung gesagt, das ging außer ihm niemandem etwas an.

„Das kriege ich hin. Hat dein Kontaktmann genug Crystal Meth für uns?“

„Wenn nicht, besorge ich andere Drogen, das ist das kleinste Problem,“ grinste Torsten, der genug Kontakte in der Szene hatte.

„Wie kommen wir an die Kunden?“

„Auch die bekomme ich von meinem Kontaktmann. Er hat allerdings nichts dagegen, wenn wir selbst Kunden finden.“

Gerhard dachte nach.

„Das kriege ich hin.“

„Wie willst du das anstellen? Du kannst nicht einfach eine Anzeige aufgeben. Die Bullen haben uns sofort am Arsch,“ sagte Kevin.

„Das muss man im Internet professionell aufziehen, lasst das mal meine Sorge sein.“

Die Kurowskis fühlten sich gut. Mit der Aussicht auf ein Rieseneinkommen blickten sie in eine verheißungsvolle Zukunft.

„Dann sind wir ab sofort Geschäftspartner. Ihr beiden kümmert euch um den Stoff und die Figuren, ich übernehme die Kundenakquise, die Verpackung und den Versand.“

Torsten und Kevin waren sofort einverstanden. Sie hatten beide nichts mit Schreibkram am Hut und wollten auch nichts damit zu tun haben. Sie kümmerten sich lieber um den Stoff und die Figuren.

Die drei feierten die ganze Nacht.

Dominik war begeistert, als Torsten ihm verkündete, groß ins Geschäft mit einzusteigen. Er gab ihm die Adresse eines Freundes, der Marihuana und Kokain vertrieb. Die Ware stand bereit. Jetzt galt es, die Figuren zu klauen, zu präparieren und diese zu verkaufen.

Gerhard machte sich umgehend an die Arbeit, eine entsprechende Internetseite zu erstellen. Er informierte sich darüber, welche Decknamen im Netz für die entsprechenden Drogen verwendet wurden und übernahm sie. Er musste die Internetseite so sicher machen, dass ihm die Polizei nicht auf die Spur kam, dafür brauchte er drei Tage. Er hatte es geschafft, sich in die Datenbank der Polizei zu haken. Dadurch konnte er sich über Kunden informieren und sich dadurch absichern. Erst nach eingehender Prüfung kam ein Deal zustande. Die Seite wurde gut angenommen und das Geschäft lief an. Dominik war glücklich über diesen Vertriebsweg und produzierte auf Hochtouren. Seine Eltern hatten es längst aufgegeben, sich um das zu kümmern, was ihr Sohn im Keller machte. Der Junge war in ihren Augen ein Genie und sie ließen ihn gewähren. Sie vertrauten ihm und dachten, dass er gut aufgehoben war, während sie ihren Jobs nachgingen.

Schon bei der zweiten geklauten Figur kam Kevin auf die Idee, an die Stelle ein Bonbon zu legen. Dies hatte er in einem Hollywood-Streifen aufgeschnappt und fand die Idee genial. Torsten konnte dem nichts abgewinnen, hatte aber nichts dagegen. Warum sollte er? Niemand würde von den Bonbons auf sie kommen, denn beide trugen bei der Arbeit Handschuhe und beide mochten keinen Süßkram. Er gönnte Kevin die Freude.

Die Figuren zu klauen war ein Kinderspiel. Keine Heiligenfigur war vor ihnen sicher. Wer dargestellt war, war ihnen gleichgültig. Sie waren beide Atheisten und hatten somit keine Skrupel, die Figuren zu klauen. Für sie war das Ware, die indirekt bares Geld brachte. Mehr nicht.

Der Versand der Pakete war sehr einfach. Jedes Paket wurde mit einem kleinen, gelben, fast unauffälligen Aufkleber versehen, die er in großen Mengen in einem Schreibwarengeschäft kaufte. Auf dem Aufkleber war eine kleine Eule abgebildet, wofür sich Gerhard aber nicht interessierte. Ihm ging es nur darum, das Paket zu kennzeichnen und es für die Kunden zu markieren. Gerhard wischte die Figuren sorgfältig ab und bastelte Pakete. Nichts sollte nach einem professionellen Versand aussehen. Auch nicht der Adressaufkleber. Die jeweiligen Absender waren gefälscht, das war das kleinste Problem und Gerhard ließ seiner Kreativität freien Lauf. Er beschrieb die Paketaufkleber nie selbst, daran hielt er sich eisern. Er bat Fremde, vorwiegend alte Menschen, ihm behilflich zu sein. Ausreden gab es hierfür genug. Entweder hatte er sich verletzt, was er überzeugend mit einer eingebundenen Hand demonstrierte. Oder er gab vor, seine Brille vergessen zu haben. Er diktierte Absender und Empfänger. Alte Menschen waren ja so gutgläubig! Damit er nicht auffiel, benutzte er immer andere Poststellen, wozu er oft weit fahren musste. Aber das machte ihm nichts aus, das war es wert. Immer wieder kam es vor, dass Pakete ins Ausland versandt wurden, was jedes Mal sehr viel Aufregung unter den Kurowskis verursachte. Aber alles lief ohne Probleme ab.

Das Geschäft lief über viele Monate gut, sogar sehr gut. Dass die Polizei auf die vielen Diebstähle aufmerksam wurde und die Zeitungen bereits darüber berichteten, interessierte die Kurowskis nicht. Kevin und Torsten waren nicht nur sehr geschickt in ihren Beutezügen, sondern auch im Präparieren der Figuren. Selbst in den kleinsten Figuren fanden sie noch eine Möglichkeit, einen Hohlraum zu schaffen und darin Drogen zu verstauen. Der Ausschuss war gering.

„Ich sage es nicht gerne, aber wir müssen die Gegend wechseln,“ sagte Torsten. „Kevin und ich haben uns heute ausführlich darüber unterhalten. Ich schlage vor, wir fahren nach Bayern. Dort gibt es noch sehr viel mehr Heiligenfiguren als hier.“

„Gute Idee, ich bin dabei.“

„Kannst du das mit deinem Job vereinbaren?“ Torsten war überrascht, dass sein Onkel sofort einwilligte. Er und Kevin hatten mit großem Widerstand und Protest gerechnet. Wenn sie die Gegend wechselten, konnte Onkel Gerhard nicht mehr zur Arbeit fahren.

„Schon vergessen? Ich arbeite hauptsächlich am Computer, und das kann ich überall tun. Macht euch darüber keine Sorgen, für mich ist das kein Problem. Was ist mit euch? Müsst ihr euch nicht regelmäßig beim Arbeitsamt melden?“

„Ich habe keine Lust mehr auf diese Termine. Außerdem haben wir das finanziell nicht mehr nötig“, maulte Kevin, der regelmäßig Probleme mit seinem Sachbearbeiter bekam. Entweder kam er zu spät, hatte nicht alle Unterlagen dabei oder diskutierte mit ihm über die Arbeitsangebote, die Kevin grundsätzlich ablehnte. Nahm er doch ein Vorstellungsgespräch wahr, benahm er sich dort so daneben, dass sich Arbeitgeber beim Amt über Kevin beschwerten.

„Das geht nicht,“ sagte Onkel Gerhard sofort. „Wenn ihr euch nicht regelmäßig meldet, fällt das auf. Das dürfen wir nicht riskieren.“

„Wie du meinst,“ maulte Torsten, der darauf zwar keine Lust hatte, aber seinem Onkel Recht gab. Die Geschäfte liefen gut, nichts durfte sie gefährden.

Die Kurowskis packten ihre wenigen Habseligkeiten und brachen auf.

Ihre Drogenlieferanten waren informiert. Sie vereinbarten eine wöchentliche Übergabe, die am Münchener Hauptbahnhof stattfinden sollte. Gerhard erklärte sich bereit, auch das zu übernehmen.

„Dir wird ein Schließfachschlüssel zugesteckt. Du brauchst die Ware nur zu holen,“ erklärte Dominik. „Die Bezahlung läuft weiter wie immer.“ Je weniger Kontakt zwischen den einzelnen Personen stattfanden, desto besser.

Gerhard hatte in Oberbayern für ihre Beutestücke unter falschem Namen eine alte Scheune gepachtet, die außerhalb Neuöttings lag und von wo aus man einen perfekten Blick auf die Umgebung hatte. Niemand würde in der heruntergekommenen Scheune ihr Geschäft vermuten. Sie mieteten sich ebenfalls unter falschem Namen in einer heruntergekommenen Pension in Mühldorf am Inn ein, wo man sie in Ruhe ließ und keine Fragen stellte. Die Wirtin wollte nicht einmal Ausweise sehen, als sie sich ins Gästebuch eintrugen. Ob das an den hundert Euro lag, die Gerhard ihr gab?

Kevin und Torsten klauten alles, was sie in die Finger bekamen, wobei ihnen die meisten Stücke sehr hässlich vorkamen. Hier in der Gegend kamen sie noch viel einfacher an Heiligenfiguren und hatten noch leichteres Spiel.

Alles klappte über viele Monate perfekt, fast zu perfekt. Die Polizei hatte den vermehrten Drogenhandel mitbekommen, aber nichts wies auf die Kurowskis hin. Natürlich mehrten sich die Diebstahl-Meldungen von Heiligenfiguren, aber die Polizei hatte nicht den kleinsten Hinweis auf die Diebe. Es wurde zwar mehrfach ein heller Lieferwagen erwähnt, aber mehr nicht. Von diesen Lieferwagen gab es tausende. Wie sollten sie da den Richtigen finden?

Vor drei Monaten wurde Gerhard Kurowski von einem Mann am Münchner Hauptbahnhof angesprochen, der ihm schon geraume Zeit gefolgt war. Er hatte den Schließfachschlüssel bereits in den Händen, wagte aber nicht, die Ware zu holen. Wer war der Mann? Gerhard setzte sich weit abseits auf eine Bank am Ende eines Gleises, auf dem in der nächsten Stunde kein Zug erwartet wurde. Dann kam der Mann in Begleitung eines Weiteren auf ihn zu und er setzte sich neben ihn. Der andere stand nur wenige Meter entfernt.

„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Achmed Arsai. Bitte sind Sie nachsichtig mit mir, was mein Deutsch anbelangt. Ich bin gebürtiger Iraner und lebe erst seit wenigen Jahren in Deutschland,“ sagte der Mann freundlich. Gerhard spürte sofort, dass das nicht stimmen konnte, denn der Akzent und der Name passten nicht zusammen. Er war auf der Hut und gespannt darauf, was Arsai von ihm wollte.

„Ich habe gehört, dass Sie alte Schnitzkunst mit interessantem Innenleben verkaufen?“

„Wenn es so wäre?“

„Ich bin an sehr alten Stücken interessiert. Sagt Ihnen der Begriff Reliquienkreuze etwas?“ Gerhard schüttelte den Kopf. Er war kein religiöser Mensch. Er konnte sich noch nicht einmal daran erinnern, wann er das letzte Mal in der Kirche gewesen war.

„Man hatte früher Reliquienkreuze gefertigt, um darin Andenken an Heilige aufzubewahren. Die Verehrung Heiliger ging so weit, dass man sogar winzig kleine Fragmente von Dingen aufbewahrte, die von Gegenständen des Heiligen berührt wurden, die wiederum auch nur berührt wurden.“

Gerhard sah auf die Uhr. Das, was Arsai von sich gab, interessierte ihn nicht die Bohne. Was gingen ihn Verehrungskulte von längst verstorbenen Heiligen an?

„Verstehen Sie mich nicht falsch Herr Arsai, aber wir verschwenden Zeit. Ich handele nicht mit Kreuzen, und schon gar nicht mit Reliquienkreuzen.“

„Bitte schenken Sie mir noch fünf Minuten Ihrer Zeit,“ sagte Arsai freundlich und Gerhard willigte ein. Warum nicht? Fünf Minuten waren schnell vorbei.

„Diese Reliquienkreuze waren eigentlich zur Erinnerung an Heilige gedacht. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde in dieser Form an Familienmitglieder, verdiente Bürger oder normale Geistliche gedacht. Zur Verdeutlichung zeige ich Ihnen ein solches Kreuz.“ Arsai zog ein Bündel aus seiner Tasche und wickelte ein Holzkreuz heraus. „Sehen Sie Herr Kurowski, das ist ein Reliquienkreuz.“ Arsai öffnete auf der Rückseite des Kreuzes ein Fach. „Das sind Haare des Verstorbenen, ein Stück Stoff vielleicht von seiner Kleidung, und das Stück Papier wurde vermutlich vom Verstorbenen beschrieben.“ Arsai behandelte das Kreuz wie einen Schatz.

„Warum sehen Sie nicht einfach nach?“, sagte Gerhard.

„Nein, das geht nicht. Diese Reliquien liegen seit ungefähr 1840 genau so in dem Fach und das soll so bleiben.“ Arsai war erschrocken über die rohe Art des Mannes, der offensichtlich nichts für antike Kunst und Brauchtum übrighatte. Normalerweise mochte er solche Menschen nicht.

„Sehr schön,“ sagte Gerhard und sah erneut auf die Uhr. Die fünf Minuten waren gleich um.

„Es gab damals nicht nur Reliquienkreuze, sondern auch Holzfiguren, die für denselben Zweck verwendet wurden. Ich suche nach solchen Holzfiguren.“

Jetzt verstand Gerhard Kurowski.

„Ich glaube, ich weiß, wovon Sie sprechen. Ich habe solche Figuren schon gesehen. Was wollen Sie damit machen?“

„Ich bin Sammler und habe viele Freunde, die ebenfalls Sammler sind. Wir zahlen sehr gut. Sind Sie an einer Zusammenarbeit interessiert?“

„Wenn ich Geld verdienen kann, bin ich immer dabei.“

„Dann schlage ich vor, wir fahren zu mir und dort besprechen wir alles Weitere. Hier ist nicht der richtige Ort dafür. Wenn Sie erlauben, fahren wir mit meinem Wagen?“

„Von mir aus.“

Die Ware lag sicher im Schließfach, die konnte er auch später noch holen. Gerhard folgte Arsai und seinem Begleiter. Er war beeindruckt, als er vor der imposanten Limousine stand, deren Scheiben dermaßen getönt waren, dass man nicht hineinsehen konnte. Der Begleiter, der bis jetzt kein einziges Wort von sich gab, setzte sich hinters Steuer und fuhr die Trennscheibe nach oben. Gerhard und Arsai saßen im Fond des Wagens.

Nach einer Stunde waren sie endlich angekommen. Arsai hatte Gerhard so geschickt abgelenkt, dass der nicht mehr wusste, wo sie eigentlich waren.

Der Wagen fuhr in eine Tiefgarage und von dort ging es mit dem Aufzug in die sechste Etage, wobei der Fahrer sie wieder begleitete. Gerhard Kurowski war beeindruckt von der pompösen Ausstattung der Wohnung, die einen gigantischen Blick über München erlaubte. Allerdings konnte man von hier aus nicht erkennen, wo sie sich befanden. Der Fahrer stand in der Ecke. Er hatte bis dato kein einziges Wort gesagt. Was sollte der Mist? Das alles nur wegen der Figuren? Er glaubte Arsai nicht.

„Bitte setzen Sie sich. Kaffee?“

Ohne auf eine Antwort zu warten, schenkte der Fahrer Kaffee aus der Thermoskanne ein, die zusammen mit einem riesigen Teller süßer Leckereien auf dem Tisch stand. Gerhard langte kräftig zu, lehnte sich zurück und wartete auf Arsais Erklärung.

„Ich kenne den wahren Hintergrund ihrer Kunstgeschäfte,“ sagte Arsai. „Ihre Neffen stehlen die Stücke, die sie dann präparieren und weiterveräußern. Ich muss Ihnen für die verschlüsselten Bilder und Angebotsecken im Internet meinen Respekt aussprechen, Sie verstehen Ihr Handwerk. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ihre Geschäfte sind mir völlig gleichgültig. Leben und leben lassen, das war schon immer mein Motto. Was mich interessiert: Wie werden die Stücke versandt?“

Gerhard war überrascht, wie gut Arsai informiert war. Sollte er ihm die Wahrheit sagen? Der Mann schien stinkreich zu sein und der stumme Typ in der Ecke war sehr furchteinflößend. Arsai gab sich bisher sehr freundlich, fast unterwürfig. Mit dieser Art kam man sicher nicht zu Geld. Er musste höllisch aufpassen und entschied sich für die Wahrheit.

„Die Figuren werden ganz normal per Post von verschiedenen Städten aus versendet. Dafür fahre ich gerne mehrere Stunden. Die Pakete werden mit einem geringen Wert angegeben und ich achte darauf, dass die Verpackung nicht perfekt aussieht. Die Absenderadressen sind erfunden. Die Paketaufkleber lasse ich nach einer Ausrede von alten Menschen beschriften. Ich schiebe eine Handverletzung oder einfach nur eine vergessene Brille vor. Ich habe sogar einige Postangestellte überreden können, die Paketaufkleber zu beschriften. Da die Absender alle erfunden sind, kennzeichne ich die Pakete mit einem kleinen, unscheinbaren Aufkleber. So weiß der Empfänger Bescheid, was in dem Paket drin ist. Wir sind noch nie aufgefallen und wurden auch nie kontrolliert,“ sagte Gerhard stolz. „Alle Pakete kamen immer ohne Probleme an.“

„Sehr clever. Kommen wir nun zum Geschäftlichen. Wenn Sie eine Figur mit Reliquien finden, werden Sie mir die verkaufen. Wie gesagt, zahle ich einen guten Preis. Ich schlage vor, dass Sie die dann in gewohnter Weise an die Adresse senden, die ich Ihnen gebe. Selbstverständlich werden auch diese Figuren von Ihrem Neffen mit Blei versehen. Sind Sie damit einverstanden?“

„Warum das Blei? Ich denke, Sie wollen die Reliquien in den Figuren belassen?“

Arsai antwortete nicht, er lächelte nur. Er hatte nicht die Absicht, Kurowski dahingehend zu informieren.

„Gut. Nehmen wir an, dass ich akzeptiere. So wie ich das verstehe, soll ich das ganze Risiko tragen? Ich besorge die Figuren und muss sie auch noch präparieren und versenden? Warum machen Sie das nicht selbst?“

„Weil ich Sie sehr gut dafür bezahle. Sind wir uns einig?“

„Bevor ich zustimme, möchte ich wissen, welche Sauerei Sie vorhaben. Ich glaube ihnen nicht, dass Sie Sammler von solchen Figuren sind. Was wollen Sie darin schmuggeln?“

„Ich versichere Ihnen, dass ich Sammler bin. Diese Reliquienfiguren sind sehr wertvoll. Bitte belassen Sie den jeweiligen Inhalt unter allen Umständen in den Figuren. Es wäre eine Katastrophe, wenn Sie da drangehen. Ich persönlich nehme die Reliquien heraus, sodass die Figuren mit Blei ausgekleidet werden können. Danach werde ich sie mit den wertvollsten Reliquien wieder befüllen. Sie haben damit keine Arbeit. Erst dann werden die Figuren von Ihnen verschickt. Die Adressen bekommen Sie zusammen mit der befüllten Reliquie.“

„Gut, wie Sie wollen. Die erste Hälfte des Geldes bekomme ich, wenn Sie die Reliquien herausgenommen haben. Die andere Hälfte ist fällig, wenn sie mir die Figur für den Versandweg übergeben.“

„Einverstanden.“

Arsai sah aus dem Fenster, wie der Wagen mit Kurowski davonfuhr. Der Mann hatte die Wahrheit gesagt, als er vom Versand sprach. Hätte er das nicht gemacht, hätte er ihn töten müssen. Niemand wagte es ungestraft, ihn anzulügen.

Kurowski war perfekt. Er besorgte ihm nicht nur die Reliquienfiguren, sondern übernahm auch noch den Transport. Einen perfekteren Geschäftspartner hätte er nicht finden können.

Arsai lehnte sich zurück und trank einen Kaffee. Dann kam sein treuer Freund Iwan zurück.

„Hast du Kurowski am Bahnhof abgeliefert?“

„Ja.“

„Hat er versucht, mit dir zu sprechen?“

„Ja. Aber ich bin nicht darauf eingegangen. Ich mag den Typen nicht. Warum diese Figuren?“

„Überleg doch, Iwan. Die Figuren sind perfekt. Du weißt, dass ich Reliquienfiguren liebe. Auf diese Weise kann ich mir die schönsten Stücke sichern. Die anderen kann ich ohne Risiko an meine Kunden ausliefern. Ich trage nicht das kleinste Risiko.“

„Wie du meinst. Trotzdem mag ich Kurowski nicht.“

„Ich auch nicht. Aber das spielt keine Rolle, mein Freund.“

Gerhard holte die Ware aus dem Schließfach, stieg in seinen Wagen und dachte darüber nach, was eben geschehen war. Ging es Arsai wirklich nur um Sammlerstücke? Er zweifelte daran. Der Mann hatte eine Sauerei vor und war nicht ehrlich zu ihm. Gut, er würde mit ihm ins Geschäft kommen. Sollte Arsai ihm eine Figur zum Versand übergeben, musste er sich diese genauer ansehen. Sollte er Kevin und Torsten davon erzählen? Nein. Die beiden waren dafür nicht clever genug. Sie hatten nicht einmal gemerkt, dass er sie mit der Bezahlung regelmäßig beschiss. Nein, die Zusammenarbeit mit Arsai lief nur zwischen ihnen beiden ab.

Der englische Geheimdienst verfolgte wie alle anderen Staaten auch die Handelstätigkeiten zwischen Deutschland und dem Ausland. Einem der englischen Kollegen waren die kleinen Aufkleber auf den Paketen aufgefallen, die immer an derselben Stelle angebracht wurden. Allerdings hatten die Absender und Adressaten nichts gemeinsam. Patrick Lynch sprach mit seinen Kollegen darüber, die sich jedoch nicht dafür interessierten.

„Das ist doch völlig verrückt, Patrick. Diese Pakete haben absolut nichts gemeinsam. Abgesehen von den völlig unterschiedlichen Absenderadressen gleichen sich die Handschriften nicht einmal annähernd. Das sind alte Leute, die ihren Verwandten Geschenke schicken, mehr nicht. Sieh dir schon allein die Verpackungen an. Die sind selbstgebastelt und stümperhaft gemacht. Niemand wird in solchen Paketen Wertvolles verschicken.“

„Seht ihr die kleinen Aufkleber nicht? Die sind identisch!“

„Vielleicht ist das nur eine Werbung der deutschen Post und hat mit den Absendern nichts zu tun. Das würde auch die Häufigkeit erklären.“ Auch andere Kollegen argumentierten ähnlich und winkten ab. Trotzdem blieb Lynch dabei und suchte gezielt nach diesen Aufklebern. Nach vier Wochen hatte er viele dieser Pakete sichten können, für seine Begriffe zu viele. Patricks Kollegen waren immer noch nicht überzeugt, deshalb ging er zu seinem Vorgesetzten Barnes.

„Sie haben eine sehr gute Beobachtungsgabe, Lynch. Auch deshalb wollte ich Sie in meinem Team haben,“ sagte Barnes begeistert. Ihm wäre diese Kleinigkeit der Aufkleber wahrscheinlich nie aufgefallen. „Konzentrieren wir uns auf diese Pakete. Melden Sie mir umgehend, wenn wieder eins aufgegeben wurde.“

„Sie wollen ein Paket abfangen?“

„Selbstverständlich. Überzeugen wir uns von dem Inhalt, dann wissen wir mehr.“

Von all dem hatte die Familie Kurowski keine Ahnung. Kevin und Torsten gingen weiter unbehelligt auf Diebestour, während Gerhard ein Paket aus dem bayerischen Cham nach Spanien verschickte, nachdem er eines aus Deggendorf und eines aus Straubing versandte. Auch heute hatte er ältere Damen gefunden, die ihm bereitwillig die Paketaufkleber beschriftet hatten, nachdem er ihnen seine vermeintlich lädierte Hand zeigte.

All das ahnte die Mühldorfer Kriminalpolizei nicht. Für sie ging es um einen umfangreichen Diebstahl von Volkskunst, mehr nicht. Täglich landeten immer mehr Anzeigen auf dem Tisch der Beamten, die kaum hinterherkamen. Die Befragungen der Geschädigten waren immer dieselben: Niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Ab und zu wurde ein heller Lieferwagen erwähnt, zu dem es aber keine näheren Angaben gab. Die Diebe gingen dreist vor und nahmen tatsächlich alles mit, was ihnen vor die Augen kam.

Die Jagd nach dem Serum

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