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Die Mühldorfer Kriminalbeamten arbeiteten auf Hochtouren. Zwischen Asanger, Leo und Hans war ein regelrechter Konkurrenzkampf entbrannt. Jeder war bemüht, als erster Ergebnisse zu liefern, was nicht einfach war, denn jeder Ermittlungsansatz endete in einer Sackgasse. Werner und Stumpf hatten für diese Art Arbeit nichts übrig und hielten sich heraus.

Krohmer war enttäuscht, als auch nach Wochen noch keine Ergebnisse präsentiert wurden. Er drängelte und wies seine Leute an, den Fall so schnell wie möglich zu lösen. Vor allem, nachdem auch Staatsanwalt Eberwein Opfer eines Diebstahls wurde. Eberwein und seine Familie hatten erst vor wenigen Jahren einen alten Bauernhof erworben und ihn mühsam und aufwändig restauriert. Auf dem Grundstück befand sich eine kleine Kapelle, die ebenfalls wieder in neuem Glanz erstrahlte. Eberwein war auf die Kapelle besonders stolz und reagierte sehr ungehalten, als sie rüde aufgebrochen wurde.

„Am helllichten Tag wurden drei alte Statuen entwendet,“ schrie er Krohmer an. „Können Sie sich vorstellen, wie sehr sich meine Frau jetzt fürchtet?“

„Handelt es sich um wertvolle Figuren?“

„Meines Wissens nach stellen sie keinen großen Wert dar. Das ist es ja, was mich besonders ärgert. Wer hat Interesse daran? Es ist Maria mit dem Kinde, Petrus und die Heilige Barbara.“

„Haben Sie Fotos von den Figuren?“

„Ja. Ich maile sie Ihnen zu. Ich bitte Sie, diese Ganoven endlich dingfest zu machen.“

Als Krohmer die Fotos der Figuren bekam, mailte er sie sofort an einen Kunstsachverständigen weiter, der sich bereiterklärt hatte, der Polizei zu helfen.

„Das ist normale Volkskunst,“ lautete die Expertise. „Die Barbara stellt einen Wert von circa 100 € dar, die beiden anderen jeweils die Hälfte.“

Krohmer war erstaunt. Das wären gerade mal 200 €.

„Wie alt sind die Figuren?“

„Schwer zu sagen, schließlich habe ich nur Fotos, auf die ich meine Einschätzung abgeben kann. Alle drei sind mindestens 100 Jahre alt, die Barbara dürfte die älteste sein.“

„So alt? Und dann dieser geringe Schätzwert?“

„Leider ja. Die Figuren sind in einem erbärmlichen Zustand. Sehen Sie sie genauer an, dann werden sie feststellen, dass nicht nur Stellen abgeschlagen sind. Es fehlen Finger, die Maria hat sogar nur eine Hand. Die Figuren wurden nicht pfleglich behandelt und stellen trotz ihres hohen Alters keinen größeren Wert dar.“

Bei genauerer Betrachtung sah Krohmer, was der Mann meinte. Ja, die Figuren sahen wirklich schlecht aus. Aber warum wurden sie dann gestohlen?

Mit dieser Information eröffnete Krohmer die tägliche Besprechung. Alle wussten bereits, dass der Staatsanwalt bestohlen wurde.

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich der Handel mit diesen Figuren lohnen kann,“ sagte Krohmer. „Die Figuren von Eberwein sind lediglich 200 € wert. Für wieviel kann man die verhökern? Höchstens für die Hälfte.“

„Es sei denn, sie werden ins Ausland verkauft. Sammler zahlen für die Stücke weit mehr, als sie wert sind. Es wird seit Jahren immer mehr Mode, solch alte Schnitzkunst zu besitzen,“ sagte Stumpf. „Amerikaner, Japaner und Chinesen würden vielleicht sehr viel Geld für diese Holzfiguren ausgeben.“

„Das glaube ich nie und nimmer,“ sagte Leo. „Die sind doch auch nicht blind und haben ihrerseits Gutachter, die den eigentlichen Wert richtig beziffern. Ich glaube nicht, dass es nur um die Figuren geht.“

Es folgte eine heftige Diskussion, die darin endete, dass niemand an den Handel mit den Figuren glaubte. Es musste um mehr gehen.

„Gehen wir davon aus, dass dem so ist. Wie gelangen die Figuren zu den Kunden?“

„Persönlicher Kontakt wäre eine Möglichkeit,“ sagte Stumpf.

„Oder die Figuren werden wie auch immer verschickt. Wir sind alle Möglichkeiten durchgegangen und haben beinahe jeden Einzelnen überprüft, der Waren ins Ausland verkauft.“

„Und? Haben Sie irgendjemand im Visier?“

„Nein.“

„Wenn wir den Vertriebsweg haben, kommen wir so vielleicht auf die Bande. Die werden doch nicht so dumm sein, und die Stücke per Post schicken?“, sagte Krohmer, der die Frage nicht ernst gemeint hatte.

„Warum eigentlich nicht?“, sagte Leo.

„Per Post? Vergiss es!“, lachte Asanger. „Du glaubst wirklich, dass die vielen Figuren einfach so per Post versandt werden? Wie naiv bist du eigentlich?“

„Leck mich…“ sagte Leo verächtlich.

„Ich darf doch sehr bitten,“ unterbrach Krohmer. „Suchen Sie nach dem Vertriebsweg und finden Sie die Diebe, damit das endlich ein Ende hat. Ich könnte wetten, dass morgen die Zeitungen mit Berichten voll sind.“

Krohmer sollte Recht behalten. Am nächsten Tag war nicht nur ein größerer Bericht im Regionalteil der Tageszeitung, sondern sogar im Bayernteil. Krohmer stöhnte auf. Das war sicher auf Eberweins Mist gewachsen. Warum konnte der Mann nicht einfach seinen Mund halten? Sobald eine Kamera oder ein Mikrofon in seiner Nähe war, zog ihn das förmlich an. Jetzt lag es auf der Hand, dass besorgte Bürger den ganzen Tag über anriefen.

Auch die Familie Kurowski war sauer über die viel zu großen Zeitungsartikel.

„Jetzt wird es nicht mehr ganz so leicht werden, die Figuren zu klauen,“ sagte Gerhard zu seinen Neffen. „Ihr müsst höllisch aufpassen. Vielleicht ist es an der Zeit, die Gegend zu wechseln.“

„Mach dir nicht ins Hemd, Onkel Gerhard, uns erwischt schon keiner. Bis die Besitzer Wind von dem Diebstahl bekommen, sind wir längst über alle Berge. Wir haben eine heiße Spur und sind hier noch lange nicht fertig. Die Gegend ist eine Goldgrube. Gestern war unser Glückstag. Wir haben viele schöne Stücke gefunden. Die musst du dir unbedingt ansehen.“

„Das mach ich. Sobald ich meinen Kaffee ausgetrunken habe, fahren wir los.“

Gerhard Kurowski sah die Menge an Figuren, die achtlos übereinandergeworfen wurden.

„Habe ich euch nicht gesagt, dass ihr mit den Stücken pfleglicher umgehen sollt?“, sagte er wütend.

„Ist doch eh altes Zeug. Eine Macke mehr oder weniger macht doch nichts aus,“ sagte Kevin. Er und sein Bruder sahen gelangweilt zu, wie ihr Onkel ein Stück nach dem anderen begutachtete. Gerhard ließ sich extra viel Zeit damit, denn seine Neffen waren nicht mit großer Geduld gesegnet.

„Wir ziehen schon mal los, du brauchst uns nicht. Sperr die Scheune zu, wenn du gehst,“ sagte Torsten. Kevin sprang auf und war sofort dabei. Hier herumzusitzen war viel zu langweilig für ihn. Er brauchte Action und frische Luft.

Darauf hatte Gerhard gewartet. Zwei der Figuren waren Reliquienfiguren. Als seine Neffen weg waren, rief er Arsai an.

„Ich habe gefunden, wonach Sie suchen.“

„Wie viele?“

„Zwei.“

„Sehr gut. Wo treffen wir uns?“

„Ich komme zu Ihnen.“

„Nein. Ich fahre zu Ihnen. Kennen Sie das Wasserschloss in Töging?“

„Das finde ich.“

„Um 13.00 Uhr bin ich dort.“

Gerhard Kurowski packte die beiden Figuren in seinen Wagen. Woher wusste Arsai, dass er sich hier in der Gegend aufhielt? Arsai war ihm unheimlich. Wenn er mit ihm weiter zusammenarbeiten wollte, musste er ein ernstes Wort mit ihm sprechen. Gerhard warf noch einen Blick auf den Stapel Heiligenfiguren. Das durfte nicht mehr geschehen, dass seine Neffen mit den Figuren so umgingen. In Zukunft würde er abends hier auf sie warten und darauf achten, dass damit vorsichtiger umgegangen wurde. Dabei könnte er die Figuren auch sofort inspizieren.

Gerhard wartete am Wasserschloss Töging auf seinen Geschäftspartner. Was er wohl für die beiden Figuren bezahlte? Sie hatten nicht über einen Betrag gesprochen. Endlich fuhr ein unscheinbarer Kombi auf ihn zu. Arsai und sein Fahrer stiegen aus. Wo war diese Protzkarre vom letzten Mal?

„Guten Tag, Herr Kurowski. Haben Sie die Ware dabei?“

„Selbstverständlich.“ Gerhard öffnete die Klappe seines Kombis, der sehr viel älter und schmutziger war als der seines Geschäftspartners.

Arsai nahm eine Figur nach der anderen vorsichtig in die Hände und drehte sie in alle Richtungen.

„Sehr schöne Figuren, ich bin zufrieden. Wie vereinbart, ist das die Hälfte des Geldes,“ sagte Arsai. Er nickte Iwan zu, der Gerhard einen dicken Umschlag übergab. „Gebrauchte, kleine Scheine. Ich hoffe, das ist Ihnen recht so?“

„Sicher.“ Gerhard zählte sofort nach, was Arsai missfiel. Dieser Kurowski war ein Prolet, wie er im Buche stand.

„Passt,“ sagte Gerhard hocherfreut. Er hatte die beiden Holzfiguren auf vielleicht jeweils 100 € geschätzt. Im Umschlag waren 400 €. Das würde bedeuten, dass der Typ dieselbe Summe nochmals bezahlte. Gerhard lächelte. Das war weit mehr, als er erwartet hatte. Arsai war wirklich sehr versessen auf diese Reliquienfiguren.

„Bitte warten Sie einen Moment,“ sagte Arsai höflich und ging mit seinem Fahrer zum Wagen. Gerhard konnte nicht sehen, was die beiden dort machten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich ein Mann wie Arsai für solch stümperhafte und in seinen Augen wertlose Kunst interessierte. Er und sein dubioser Freund hatten ganz sicher eine Sauerei damit vor.

Schweren Herzens nahm Arsai das Innenleben der beiden Figuren heraus, die aus Haaren, Stoffen und Papierfetzen bestand. Wie gerne hätte er vor allem bei dieser Figur alles so belassen, wie es war. Aber es ging nicht anders, er musste das tun. Dann ging er wieder zu Kurowski.

„Wenn beide Figuren mit Blei versehen wurden, sehen wir uns wieder. Ich werde die Reliquien wieder in die Figur geben und Ihnen dann die Adressen mitteilen. Wann denken Sie, dass die Figuren fertig sind?“

Gerhard glaubte Arsai kein Wort, ging aber darauf ein.

„Morgen früh.“

„Treffen wir uns um 9.00 Uhr wieder hier?“

„Wenn Sie wollen, gerne. Vergessen Sie die Restzahlung nicht.“

„Ich halte immer mein Wort.“

Gerhard sah den beiden Männern hinterher. Dass Arsai mit den Figuren eine Sauerei vorhatte, lag auf der Hand. Eine Bleiverkleidung nur für dieses wertlose, uralte Innenleben? Nie und nimmer! Aber was hatte er tatsächlich vor? Morgen konnte er sich persönlich davon überzeugen.

Pünktlich um neun Uhr des nächsten Tages trafen sich die Männer erneut. Kevin hatte noch am späten Abend ganze Arbeit geleistet und fünf Figuren mit Blei ausgekleidet, zwei davon gehörten Arsai.

Nach einer kurzen Begrüßung übergab Gerhard beide Figuren an Arsai, der daraufhin mit Iwan zum Wagen ging. Dort gaben sie das, was sie gestern aus den Figuren genommen hatten, wieder hinein. Das, was zu viel war, ließen sie beiseite.

„Eine Schande ist das,“ fluchte Arsai. Was hatte er für eine Wahl? Er musste diesen Proleten ruhigstellen, damit er die geplante Ware ohne lästige Rückfragen riskieren konnte. Auf den Fußsockel klebte Iwan ein schmales Siegel.

„Mach das Siegel fest. Kurowski soll es nicht leicht ablösen können.“ Arsai wusste, dass sich dieser Trottel vom Inhalt überzeugen würde. Er an seiner Stelle würde es auch so machen. Iwan nickte nur. Die beiden Männer gingen wieder zu Kurowski, der ungeduldig wartete.

„Vielen Dank für Ihre Geduld. Die größere Figur geht an diese Adresse, und die kleinere an diese. Ich hoffe, Sie können meine Schrift lesen.“

„Kein Problem. Die Pakete gehen ins Ausland?“

„Nach Großbritannien und Amerika. Ich hoffe, das ist kein Problem?“

Gerhard war erschrocken. Bisher gingen die Pakete nur ins benachbarte Ausland. Großbritannien und Amerika waren ziemlich große Brocken. Er hatte keine Erfahrung damit, inwieweit die Pakete durchleuchtet und geprüft wurden. Ihm war jedoch bekannt, dass gerade diese beiden Länder sehr genau kontrollierten. Sollte er vielleicht doch ablehnen? Warum sollte er? Das Risiko war gering, was sollte schon passieren. Wenn alles schieflief, würde der Zoll die Pakete konfiszieren, mehr nicht. Auf ihn und seine Neffen käme man nie im Leben. Schließlich entschied er sich für das Geld und nickte.

„Nein, das ist kein Problem. Sie können sich auf mich verlassen. Bitten Sie darum, dass die Empfänger den Eingang des Paketes melden. Nur so können wir sicher sein, dass alles glattlief.“

„Das werde ich tun. Vielen Dank, Herr Kurowski. Hier ist die vereinbarte Restzahlung.“

Wieder sah Gerhard sofort in den Umschlag. Darin waren fünfhundert Euro.

„Das sind hundert Euro zu viel.“

„Das weiß ich. Sie kennen mich noch nicht, Herr Kurowski. Wenn ich mit einer Arbeit zufrieden bin, kann ich sehr großzügig sein. Die Bleiverkleidung war perfekt, ich habe sehr viele Reliquien unterbringen können. Ich darf mich bei Ihnen verabschieden. Es ist eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen.“ Arsai verzichtete auf irgendwelche Anweisungen oder Mahnungen. Wenn Kurowski die Figuren öffnen sollte, würde er es spätestens dann erfahren, wenn er mit den Empfängern der beiden Pakete Kontakt aufnahm.

Die beiden waren weg. Endlich. Seine Neugier war riesig, aber noch musste er sich zurückhalten. Er traute Arsai nicht, der Mann hatte ihm sicher eine Falle gestellt. Er musste vorsichtig vorgehen, um seinen neuen Geschäftspartner nicht zu verärgern. Gerhard fuhr zu seiner Pension. Nachdem er die Tür verschlossen und Handschuhe übergezogen hatte, machte er sich daran, das Siegel an einer Stelle zu entfernen. Er musste vorsichtig vorgehen und durfte keine Spuren hinterlassen. Mit einem scharfen Messer löste er Stück für Stück ab, was winzig kleine Kratzer hinterließ, was Gerhard nicht für schlimm erachtete. Man brauchte eine Lupe, um die Kratzer zu bemerken. Das Siegel hatte er endlich abbekommen. Er drehte den Fußsockel ab und zog das Innere heraus. Das waren tatsächlich nur wertlose Reliquien, sonst nichts. Auch in der zweiten Figur. Arsai hatte also die Wahrheit gesagt. Er an dessen Stelle hätte viel Wertvolleres darin verstaut. Aber gut – das war nicht sein Problem. Er verschloss die Figuren, brachte die Siegel mit Flüssigkleber wieder an und verpackte beide Figuren sorgfältig. Dann machte er sich auf den Weg, beides zu versenden.

Was machte er mit den Zollinhaltserklärungen für Arsais Pakete? Im kleinen Frühstücksraum der Pension saß noch ein Gast bei einer Tasse Kaffee. Gerhard setzte sich zu ihm und die beiden kamen ins Gespräch. Er merkte gleich, dass der Mann sehr leichtgläubig und unsicher war.

„Ich habe zwei Zollinhaltserklärungen, die ich für zwei Freunde ausfüllen müsste. Leider habe ich gestern meine Brille verloren. Hoffentlich finde ich jemand, der mir behilflich damit ist.“

„Geben Sie her, das mache ich gerne.“

Gerhard brauchte dem Mann nur zu diktieren.

Für die Auslandspakete wählte er die Post in Pfarrkirchen und Simbach am Inn, bei beiden Postämtern war er noch nicht gewesen. Die drei anderen verschickte er aus Hebertsfelden, Eggenfelden und Massing. Auch hier fand er ältere Menschen, die ihm bereitwillig beim Ausfüllen der Paketaufkleber behilflich waren.

Patrick Lynch wurden diese Informationen sofort zugespielt. Er reagierte sofort, als er die kleinen Aufkleber auf beiden Auslandspaketen erkannte. Umgehend lief er zu Barnes.

„Zwei Pakete sind aus Deutschland unterwegs. Eins geht nach Großbritannien, eins nach Amerika. Die Pakete wurden in Pfarrkirchen und in Simbach aufgegeben.“

„Wo zum Teufel sind diese Orte? Ich habe noch nie davon gehört.“

„In Süddeutschland, in Bayern. Genauer gesagt in Niederbayern.“

„Sie fahren nach Deutschland und überzeugen sich vom Inhalt beider Pakete.“

„Ich?“

„Sie sprechen doch Deutsch?“

„Ja, aber…“

„Perfekt. Ich habe Kontakte zum deutschen Zoll und werde den Versand der Pakete aufhalten. Ihr Flug geht in zwei Stunden, beeilen Sie sich.“

Patrick Lynch war stinksauer. Er mochte keine Außendienstarbeiten, deshalb hatte er sich für den Innendienst anwerben lassen. Warum bestand Barnes darauf, dass er die Arbeit übernahm? Sollte das so eine Art Anerkennung und Belohnung sein? Darauf konnte er gerne verzichten. Wütend nahm er seine Aktentasche und fuhr mit dem Taxi zum Flughafen Heathrow.

Der Flug nach München war holprig. Patrick war übel. Er mochte keine Flugreisen und hasste seinen Chef regelrecht für diese Aufgabe. Wo war der Zoll in München? Wie liefen die Paketlieferungen ab? Seine Abreise aus London ging so schnell vonstatten, dass er sich vorher nicht mehr informieren konnte. Und hier im Flugzeug durfte er das Internet nicht nutzen. Shit!

In München angekommen, las er zu seiner Überraschung seinen Namen auf einem Schild, das ein Mann hochhielt.

„Ich bin Patrick Lynch.“

„Bitte folgen Sie mir.“

„Auf keinen Fall. Erst möchte ich wissen, wer Sie sind und was Sie von mir wollen.“

„Entschuldigen Sie. Mein Name ist Krummwinkler, ich bin im Auftrag von Mr Barnes hier. Es geht um zwei Pakete, für deren Inhalt Sie sich interessieren.“

„Sie haben die Pakete?“

„Ja.“

„Wo?“

„Wie Sie sehen, habe ich sie nicht bei mir. Sie sind in meinem Wagen. Bitte folgen Sie mir.“

Patrick hasste diese Geheimhaltungsscheiße, von der er auch in Kinofilmen angewidert war. Warum hatte er sich damals nur von Barnes anheuern lassen?

Er folgte Krummwinkler und war auf der Hut. Warum hatte er sich auf diesen Blödsinn eingelassen? Er war noch nie ein mutiger, risikofreudiger Mensch gewesen. Er wollte seine Ruhe haben und fühlte sich hinter seinem Schreibtisch sehr wohl. Patrick war erschrocken, als Krummwinkler in ein Parkhaus ging. Hier lauerte überall Gefahr. War das eine Falle? Dann blieb Krummwinkler vor einem dunklen Wagen stehen und öffnete die Heckklappe. In der Hand hielt er ein Messer. Patrick erschrak und trat einen Schritt zurück.

„Sie gehören nicht zu den Mutigsten, wenn ich das bemerken darf,“ lachte Krummwinkler, der eine völlig andere Vorstellung von Mitarbeitern des Britischen Geheimdienstes hatte. Der sehr schlanke, unscheinbare und in seinen Augen viel zu junge Mann vor ihm passte irgendwie nicht. Außerdem war dieser Lynch misstrauisch und hatte viel zu viel Angst. „Nur die Ruhe! Das Messer ist für Sie. Sie wollen doch die Pakete öffnen? Ich nehme an, dass es Ihnen nicht erlaubt war, im Flugzeug ein Messer mitzuführen?“

Patrick nickte nur und nahm das Messer. Dann zog er Handschuhe an, die er aus seiner Tasche zog.

Beide Pakete waren völlig unscheinbar und hatten augenscheinlich nichts miteinander zu tun. Die Verpackung war selbstgebastelt, sogar das Paketklebeband war nicht identisch. Auch die Schriften auf den Paketen glichen sich nicht. Alles sah so aus, als würden diese Pakete nichts gemein haben; bis auf den kleinen, gelben Sticker neben dem Adressaufkleber, auf dem eine Eule abgebildet war. Vorsichtig öffnete Patrick das Paket und wickelte den Inhalt aus. Zum Vorschein kam eine alte, geschnitzte Holzfigur.

„Sieh an, die Heilige Barbara,“ sagte Patrick.

„Wertvoll?“

„Keine Ahnung. Ich denke nicht, dass es um die Figur geht.“ Patrick untersuchte die Figur genau. Das Siegel gefiel ihm nicht. Er bemerkte die Kante am Fußteil der Figur und war für einen Moment versucht, daran zu drehen, unterließ es aber. Zuerst musste er das Siegel vorsichtig entfernen. Krummwinkler stöhnte auf. Das, was der Brite machte, dauerte ihm viel zu Lange. Einen Gang weiter liefen Passanten, die aber keine Notiz von ihnen nahmen. Wenn sich der Typ nicht endlich beeilte, würden sie hier noch auffliegen. Endlich war das Siegel entfernt und Patrick öffnete die Figur.

„Die Figur ist hohl?“

„Eine Reliquienfigur,“ sagte Patrick überrascht, als er den Inhalt vorsichtig herauszog. Haare und winzige Stoffteile legte er fein säuberlich auf das nächste Paket. Er hatte zwar schon von Reliquienfiguren gehört, aber noch nie eine echte gesehen. Das Stück war authentisch und sicher weit über 100 Jahre alt.

Patrick legte die Figur zur Seite. Dann öffnete er das zweite Paket. Auch hier kam eine Reliquienfigur zum Vorschein und wieder musste er das Siegel entfernen, was ebenfalls eine gefühlte Ewigkeit dauerte. Krummwinkler stöhnte auf. Der Brite war viel zu genau und ließ sich viel zu viel Zeit. In der ersten Figur war nur altes Zeug verstaut, dasselbe in der zweiten.

„Der ganze Aufwand nur wegen diesen alten Figuren und deren wertlosem Inhalt?“ Krummwinkler war enttäuscht. „Ich hatte mir mehr versprochen. Was soll der Scheiß?“

Patrick erwiderte nichts darauf, sondern besah sich beide Figuren genauer.

„Der Hohlraum wurde mit Blei ausgekleidet. Warum der Aufwand? Wegen den Reliquien?“

„Keine Ahnung. Die Sache stinkt.“

Patrick dachte ähnlich. Was sollte das? Warum machte sich jemand solche Mühe? Von beiden Figuren machte er jede Menge Fotos.

„Wir müssen die Siegel wieder so anbringen, dass niemand etwas bemerkt.“

„Das ist das kleinste Problem, das krieg ich hin.“

„Sehr gut. Danach können die Pakete zugemacht und dem Postweg zugeführt werden.“

„Das war alles?“ Krummwinkler schüttelte den Kopf. Er verstand den ganzen Aufwand nicht. „Seien Sie mir nicht böse Mr. Lynch, aber ich denke, dass die Kosten Ihres Fluges den Wert dieser Pakete bei Weitem übersteigt.“

„Ich weiß. Ich verstehe auch nicht, was das soll. Noch nicht. Ich nehme an, dass Sie die Pakete mit diesem Aufkleber im Auge behalten?“

„Sie können versichert sein, dass ich das weiterleite.“

„Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

Krummwinkler sah dem Briten hinterher. Da die Anfrage des Kollegen Barnes offiziell lief, blieb ihm nichts Anderes übrig, als einen entsprechenden Bericht zu verfassen. Ob die Informationen allerdings ausreichten, um Pakete mit diesem Aufkleber im Auge zu behalten, war fraglich. Hier ging es nicht um Schmuggel im eigentlichen Sinne. Wenn es um Drogen, Geld, Edelsteine oder sonst etwas Wertvolles ginge, wäre das kein Problem. Aber der Aufwand wegen der ollen Figuren und deren wertlosem Inhalt? Nein, das rechtfertigte nicht die Kontrolle Tausender Pakete. Sie hatten jetzt schon Personalmangel und er konnte dafür keinen Kollegen entbehren. Der Bericht darüber musste ausreichen, damit waren die Briten hoffentlich zufrieden. Er packte die Figuren wieder ein und wusste jetzt schon, dass er in den nächsten beiden Stunden damit beschäftigt sein würde.

Patrick nahm den nächsten Flug nach London, der kein bisschen besser war als der vorherige. Sofort nach seiner Rückkehr erstattete er Barnes Bericht, nachdem er sich mit einem Gutachter besprochen hatte. Der hatte bestätigt, dass diese Reliquienfiguren zwar begehrt waren, aber keinen hohen Wert darstellten. Er schätzte beide Figuren anhand der Fotos auf jeweils maximal circa 100 Pfund.

Barnes hörte überrascht zu und besah sich alle Fotos. Auch er hatte mit etwas ganz anderem gerechnet.

„Dann ist das Sache der deutschen Behörden und für uns erledigt. Trotz allem: Gute Arbeit, Lynch!“

„Eine Frage habe ich noch: Warum haben Sie mich nach Deutschland geschickt? Warum der Aufwand? Diese Pakete fallen nicht in unseren Zuständigkeitsbereich, das ist Sache der Deutschen.“

„Wollen Sie die Wahrheit hören?“

„Sicher.“

„Man will uns den Etat kürzen, da wir in den letzten Monaten keine Erfolge nachweisen konnten. Die Deutschen sind durch uns auf den Schmuggel aufmerksam geworden und schulden uns nicht nur Dank, sondern auch Anerkennung. Die ist es, die wir brauchen. Wir können uns keine Etatkürzungen leisten, wir müssen sowieso schon an allen Ecken sparen.“

Barnes war enttäuscht. Ja, das war ein Erfolg gewesen, wenn auch ein kleiner. Hätte es sich um Diamanten, Rauschgift oder Ähnliches gehandelt, hätte er weit bessere Karten gehabt. Aber alte Reliquienfiguren? Er nahm seine Jacke und ging wie jeden Abend in den Club. Was sollte er auch sonst tun? Vor über zehn Jahren hatte ihn seine Frau verlassen. Er hasste die einsamen Abende zuhause und zog es vor, im Club zu Abend zu essen, ein Porter zu trinken und eine gute Zigarre zu rauchen. Mit Glück fand sich ein interessantes Gespräch mit einem der anderen Clubmitglieder, denen es ähnlich ging wie ihm.

Dass Krummwinkler lediglich einen Bericht verfasste, nachdem er die Pakete wiederhergestellt und dem Postweg zugeführt hatte, ahnten weder Patrick Lynch noch Oliver Barnes. Dieser Bericht ging an Krummwinklers Vorgesetzten, der dem weiter keine Beachtung schenkte, nachdem er eine Kopie davon nach England schickte.

Die Jagd nach dem Serum

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