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„Diese Alte ist die Pest,“ schimpfte Hans auf dem Weg zu ihrem nächsten Ziel. „Was soll der Sohn machen? Wenn das mit dem Erbvertrag stimmt, muss er seine Mutter bis zu ihrem Tod im Haus behalten, versorgen und vor allem ertragen. Ich könnte das nicht, ich glaube, ich wäre längst ausgeflippt. Von morgens bis abends dieses Gezeter und Beschimpfungen. Dazu kommt noch, dass die Alte überall dafür sorgt, dass die eigene Familie im schlechten Licht steht, das ist doch der reinste Horror. Bevor ich so ein Leben führe, würde ich lieber auf den Hof und auf alles Geld der Welt verzichten, Pflichtbewusstsein hin oder her. Der reine Wahnsinn, wie ein Mensch allein einem das Leben so zur Hölle machen kann. Dabei ist der Hof nicht übel, sauber und ordentlich. Sepp Zirbner ist sehr fleißig und seine Einstellung der Hofführung ist sehr lobenswert. Klar ist das auf dem Hof sehr viel Arbeit, das kenne ich von meinen Eltern und von einigen Freunden, aber wenn man mit Freude an die Sache rangeht und das Umfeld stimmt, dann macht einem die Arbeit nicht ganz so viel aus. Außerdem stimmt auch das Einkommen, wenn man gewieft ist und gute Absatzkanäle hat. Und so, wie der Hof in Schuss ist, versteht der Zirbner was von seiner Arbeit. Ich muss den Hut vor ihm ziehen, denn diese Hofgröße bedeutete eine Riesenarbeit für so wenige Leute. Und jetzt fehlt durch den Tod der Frau eine Arbeitskraft. Trotz allem hat der Zirbner doch die Arschkarte Platin gezogen: Der Tod seiner Frau, die Verantwortung für Karl, die viele Arbeit und dann noch dieser Drachen von Mutter, die einem den ganzen Tag die Hölle heiß macht.“ Ihn schüttelte es bei dem Gedanken.

Auch Leo war geschockt von den Zuständen auf dem Zirbner-Hof und konnte für sich noch nicht einschätzen, wie er die einzelnen Familienmitglieder beurteilen sollte. Die alte Zirbnerin war eine Beißzange, das stand ohne Zweifel fest. Sepp Zirbner war von der Zeugin Schmied als gutmütig beschrieben worden, wozu auch das Verhältnis zu seinem Neffen Karl passen würde. Aber als er vorhin in die Wohnküche kam und mitbekam, wie derb Sepp Zirbner mit seiner Mutter umging und welches Gesicht er aufhatte, wurde das gutmütige Bild sehr angekratzt. Und Karl? Der bedauernswerte Junge hatte mit seinen 17 Jahren schon so viel Leid erlebt, was ihm sehr zu Herzen ging. Von der eigenen Mutter nicht nur verstoßen, sondern knapp davor, von ihr ins Heim gesteckt zu werden. Dann dieses unsägliche, lieblose Aufwachsen und Leben auf dem Hof, dazu die schwere Arbeit. Leo konnte verstehen, dass es dem Jungen die Sprache verschlagen hatte, obwohl er sich sicher war, dass er sprechen konnte. Er traute ihm die Tat am wenigsten zu, den anderen beiden schon.

„Träumst du? Ich habe gesagt, wir sind da.“

Sie standen vor einem hübschen Einfamilienhaus in Neuötting in der Trostberger Straße und klingelten. Auf dem Klingelschild stand Hauptmann/Petrovka. Eine junge, hübsche Frau öffnete.

„Sind Sie Ludmilla Petrovka?“

„Wer will das wissen?“

„Mein Name ist Leo Schwartz, Kriminalpolizei Mühldorf. Das ist mein Kollege Hiebler. Wir sind hier wegen einer Katharina Zirbner.“

„Ich bin Ludmilla Petrovka. Was ist mit Katharina? Ich habe schon versucht, sie zu erreichen, aber sie geht nicht an ihr Handy. Ist etwas passiert?“ Sie spürte sofort, dass etwas Schreckliches geschehen war, denn warum sonst sollte sich die Kriminalpolizei für Katharina interessieren? Und dazu noch die betroffenen Gesichter der beiden Männer! Ihr wurde übel.

„Milla, wer ist da?“, hörten sie eine männliche Stimme aus dem Haus.

„Die Polizei,“ rief sie zurück und bat die beiden mit einer Geste ins Haus. Sie gingen ins Wohnzimmer, in dem ein älterer Mann mit einer Decke über den Beinen im Ohrensessel saß und die beiden neugierig ansah.

„Das ist Konrad Hauptmann. Herr Schwartz und Herr Hiebler von der Kriminalpolizei, sie kommen wegen Katharina.“

„Setzen Sie sich bitte. Was ist mit dem Mädchen? Hat sie etwas angestellt?“

„Sie wurde gestern tot aufgefunden, sie wurde ermordet.“

Ludmilla war total geschockt, der alte Mann hielt ihre Hand.

„Entschuldigen Sie mich einen Moment,“ sagte Ludmilla bemüht gefasst und rannte nach draußen. Sie wollte allein sein und diese Nachricht verarbeiten. Es widersprach ihrer Erziehung, dass sie sich Fremden gegenüber gehen ließ und ihre Gefühle zeigte. Sie musste weinen und wollte allein sein. Diese schreckliche Nachricht musste sie begreifen und sacken lassen, dazu konnte sie keine Zuschauer gebrauchen. Katharina war tot! Hatte der große Polizist gesagt, sie wurde ermordet? Sie spritzte sich mehrmals kaltes Wasser ins Gesicht und legte Make-up auf. Sie brauchte noch einen Moment, bis sie wieder in der Lage war, zurückzugehen und mit den Polizisten zu sprechen. Sie musste unbedingt erfahren, was passiert war und wer ihrer Freundin das angetan hat.

Natürlich hatte der alte Mann die Blicke der beiden Beamten bemerkt, als Ludmilla vertraut neben ihm saß und er dann auch noch ihre Hand gehalten hatte. Er schmunzelte innerlich.

„Ich muss meine Ludmilla entschuldigen, sie kann mit Emotionen und Gefühlen vor anderen Menschen nicht umgehen und zieht sich lieber gerne für einen Moment zurück. Ich möchte inzwischen die Gelegenheit nutzen und die Situation hier gerne erklären, bevor Sie noch einen falschen Eindruck bekommen, der mir offen gestanden sehr schmeichelt. Ludmilla ist keineswegs meine Frau oder gar Geliebte. Ich habe sie ganz normal vor vier Jahren im Arbeitsamt kennengelernt, als ich auf der Suche nach einer Haushaltshilfe war. Wir saßen gemeinsam im Wartezimmer und kamen ins Gespräch. Sie hat erzählt, dass sie in Russland studiert hat und in ihrer Heimat keine Stelle als Lehrerin gefunden hat. Dann hörte sie vom goldenen Westen, nahm all ihren Mut zusammen und ging nach Deutschland. Während sie so offen und unbekümmert von sich erzählt hat, zog sie eine Brezel aus der Tasche und hat diese mit mir geteilt, einfach so, für sie war das selbstverständlich. Mich hat die Freundlichkeit, Offenheit und das warmherzige Wesen der Frau sofort beeindruckt. Was soll ich sagen? Ich habe diese hübsche, intelligente Frau sofort eingestellt. Und dieser Umstand ist für uns beide eine Bereicherung. Sie führt mir nicht nur den Haushalt, sondern leistet mir Gesellschaft und kümmert sich um mich, denn mein Gesundheitszustand wird immer schlechter – ich habe MS, also Multiple Sklerose. Ludmilla hilft mir wo sie nur kann. Sie beschwert sich nie und hat immer gute Laune. Sie sorgt dafür, dass ich rauskomme und am gesellschaftlichen Leben teilnehme. Seit einigen Monaten bin ich auf den Rollstuhl angewiesen, aber diese Tatsache wird von Ludmilla nicht bedauert, sondern sie macht einfach das Beste daraus und nimmt es hin. Sie hat mich sogar vor einem Jahr dazu überredet, ein behindertengerechtes Auto zu kaufen. Zuerst fand ich die Idee total verrückt, bis sie mir stolz ihren Führerschein präsentiert hat. Hat diese kleine Russin doch tatsächlich hinter meinem Rücken für mich den Führerschein gemacht! So etwas ist mir im ganzen Leben noch nicht passiert. Natürlich habe ich mich umgehend um das Fahrzeug gekümmert. Seitdem nimmt sie mich mit dem Rollstuhl überall mit, damit ich nicht depressiv werde und auf andere Gedanken komme. Wir sind längst über das Angestelltenverhältnis hinweg und inzwischen sind wir sehr gute Freunde. Meine undankbaren, raffgierigen Kinder, die sich seit dem Tod meiner Frau nur noch blicken lassen, wenn sie Geld brauchen, sind mir inzwischen fremd geworden. Und bevor Sie es von anderer Seite erfahren: ich habe Ludmilla als meine Erbin eingesetzt. Ich freue mich jetzt schon auf die dummen Gesichter meiner Kinder, wenn sie diese Nachricht von meinem Notar erfahren. Schade, dass ich das nicht miterleben kann. Ludmilla weiß nichts davon und darf es auch nicht erfahren, sie wäre nicht damit einverstanden. Für sie zählt die Familie sehr viel. Ein großer Teil ihres Einkommens geht regelmäßig an die Verwandtschaft nach Russland. Seitdem ich das weiß, mache ich Ludmilla ab und zu Geschenke, was mir sehr große Freude bereitet. Sie kann sich so sehr über Kleinigkeiten freuen, dass einem das Herz aufgeht. Mein Leben mit Ludmilla ist trotz meiner Krankheit so gut wie nie zuvor. Es tut mir in der Seele weh, dass sie unter dem Verlust ihrer Freundin zu leiden hat.“

Der Mann sprach ehrlich und offen. Trotz seines Schicksals hatte er ein sonniges Gemüt und einen Humor, den Leo sehr mochte. Endlich kam Ludmilla zurück. Sie hatte sich wieder beruhigt.

„Wer hat sie umgebracht?“, flüsterte sie.

„Das wissen wir noch nicht, deshalb sind wir hier.“

„Sie denken doch nicht, dass ich meine Freundin umgebracht habe? Sind Sie hier, weil Sie glauben, dass ich eine Mörderin bin?“ Ludmilla war entsetzt, aber Hauptmann beruhigte sie sofort.

„Die Polizisten wissen doch nicht, wer Katharina umgebracht hat. Und bis sie den Täter haben, ist jeder verdächtig, der mit ihr in Verbindung stand, so wie du und ich. Wir müssen mit der Polizei zusammenarbeiten, damit sie den Täter so schnell wie möglich festnehmen können.“

„Natürlich, du hast Recht. Entschuldigen Sie bitte. Stellen Sie Ihre Fragen.“

„Wann haben Sie Katharina Zirbner zum letzten Mal gesehen?“

„Das war vorletzte Woche. Wir waren gemeinsam im Kino und dann noch beim Essen. Danach haben wir noch eine Bar besucht, bis ich sie gegen 3.00 Uhr früh zuhause abgesetzt habe. Anfänglich hat sie sich fürchterlich über ihre Schwiegermutter aufgeregt, aber als sie sich ausgesprochen hatte, war sie gut gelaunt und wir hatten viel Spaß.“

„Hatte sie außer Ihnen andere Kontakte? Irgendwelche Freunde oder Landsleute.“

„Nein. Katharina war sehr schüchtern im Umgang mit Fremden. Vor allem mit dem bayrischen Dialekt hatte sie große Probleme und verstand anfangs kaum ein Wort. Sie hat sich Mühe gegeben, viel gelesen und gelernt. Sie hätte mehr Kontakt zu Einheimischen gebraucht, um das Gelernte auch anzuwenden. Aber durch die Arbeit auf dem Bauernhof war dazu nicht viel Zeit. Vor allem aber haben die Kastler sie abgelehnt, wollten nichts mit ihr zu tun haben. Sie hat mir erzählt, dass man über sie spricht und sich über sie und ihren Sepp lustig macht. Das ist so traurig und armselig. Katharina war ein sehr warmherziger, freundlicher und intelligenter Mensch. Wenn sie am Boden war und aufgeben wollte, hab ich sie immer wieder aufgebaut und dazu überredet, durchzuhalten und stark zu bleiben. Ich war mir sicher, dass sie es irgendwie schaffen würde, sich einzuleben und sich wohl und zuhause zu fühlen. Die alte Frau Zirbner lebt ja auch nicht ewig, das Problem erledigt sich irgendwann von selbst.“

„Entschuldigen Sie meine Ludmilla, aber sie sagt immer das, was sie denkt, und das hört sich manchmal nicht gerade freundlich und höflich an,“ hakte Konrad Hauptmann ein.

„War das unfreundlich? Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Katharina meinen Freunden vorstellen, damit sie sich schneller einlebt und nicht depressiv wird, aber sie hat abgelehnt, wollte lieber Zeit mit mir allein verbringen. Zu unseren russischen Landsleuten hatte sie keinen Kontakt, ich übrigens auch nicht. Ich weiß nicht, was das bringen soll. Nur weil man zufällig aus einem Land kommt, muss man sich nicht zwangsweise zusammenrotten; davon halte ich überhaupt nichts.“ Das war genau das, was Leo dachte. Hans und Leo waren entzückt von diesem Akzent, der in ihrem Deutsch mitklang.

„Wie war die Ehe der Zirbners?“

„Eigentlich ganz gut, obwohl ich die Art und Weise, wie die Ehe zustande kam, absolut ablehne. Ich halte nichts von diesen Partnervermittlungen, das käme für mich nie in Frage. Aber Katharina hat diesen Weg nun mal gewählt und ich musste das akzeptieren. Ab und zu konnte ich mir die eine oder andere Bemerkung darüber nicht verkneifen, das liegt an meinem großen Mundwerk. Jetzt tut mir das natürlich sehr leid – ich und meine große Klappe! Der Sepp ist ein netter Kerl, sie hätte es viel schlechter treffen können. Optisch passten die beiden nicht zusammen und auch sonst hatten sie nicht viel gemeinsam. Während Katharina sehr gerne in Konzerte und ins Kino ging, saß der Sepp lieber vor dem Fernseher oder hatte seine doofen Vereine. Aber jeder so, wie er will. Ich habe mich da rausgehalten. Heißt es nicht sogar, dass sich Gegensätze anziehen? Wie auch immer. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, dass die beiden sich sehr liebten. Aber die Schwiegermutter ist ein Monster, sie hat Katharina das Leben zur Hölle gemacht. Bei jeder Gelegenheit hat sie ihr direkt ins Gesicht gesagt, dass sie sie nicht mag. Sie mag Ausländer an sich sowieso nicht, und Russen gleich gar nicht, und mit ihrer Meinung hielt sie nicht hinter den Berg. Es kam sogar ab und zu vor, dass die Alte die Katharina geschlagen hat! Können Sie sich das vorstellen? Wenn die Katharina zu langsam arbeitete, oder nicht ordentlich genug war, oder auch nur, wenn der Alten einfach danach war, hat sie ihr eine gescheuert oder mit irgendetwas nach ihr geworfen. Der Sepp stand ihr zwar immer bei, aber gegen seine zänkische, brutale Mutter kommt der nicht an. Die Alte hat auf dem Hof das Zepter in der Hand. Ich selbst hatte schon einige Male das Vergnügen mit Frau Zirbner. Sie hat mich beleidigt und das habe ich mir natürlich nicht gefallen lassen. Wir haben so lange gestritten, bis einer der Zirbners zwischen uns ging. Ich hätte es darauf ankommen lassen und hätte auch nicht davor zurückgeschreckt, der Alten eine zu knallen, aber die anderen wollten nicht, dass es so weit kommt. Warum nicht? Es hätte ihr nicht geschadet. Daran können Sie den Charakter der Eheleute Zirbner erkennen: Obwohl die alte Frau Zirbner so böse war, hatten sie trotzdem Respekt vor ihr! Nicht zu glauben! Katharina hat mich gebeten, nicht mehr auf dem Hof zu erscheinen, da die Alte ihre Wut immer an ihr rausgelassen hat. Was ist denn das für ein fürchterliches Leben? Konrad und ich haben Katharina zugeredet, von dort zu verschwinden und neu anzufangen. Natürlich hätten wir ihr geholfen. Aber sie war sehr konservativ erzogen worden und wollte noch warten, ob sich nicht doch noch das Leben auf dem Hof grundlegend ändert. Sie hat gesagt, sie liebt ihren Sepp und möchte bei ihm bleiben. Trotz allem.“

„Kennen Sie Karl Zirbner?“

„Natürlich kenne ich den armen Kerl, der in seinem jungen Leben schon sehr viel Mist erleben musste und der von der eigenen Großmutter ebenfalls drangsaliert wird. Aber er spricht nicht. Ich bin mir aber sicher, dass er die Katharina sehr gemocht hat, zumindest mochte Katharina den Karl sehr gerne. Nachdem mich Katharina gebeten hat, nicht mehr auf den Hof zu kommen, haben wir uns immer an der Kreuzung zum Pestfriedhof getroffen. Das war weit genug vom Zirbner-Hof entfernt. Seitdem habe ich den Karl nicht mehr gesehen und Katharina hat wenig über ihn gesprochen. Erlauben Sie, dass ich jetzt auch eine Frage stelle? Wie wurde die Kathi getötet? Wurde sie vergewaltigt?“

„Nein. Sie wurde betäubt und dann mit einer Überdosis Insulin getötet. Sie hatte nicht leiden müssen, bekam von ihrem Tod überhaupt nichts mit,“ sagte Hans entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten. Diese Ludmilla war eine tolle Frau, so eine ehrliche, intelligente und hübsche Frau traf er nicht oft. Aber seine Lucrezia war ihm natürlich lieber.

„Insulin? Was erzählen Sie mir denn da. Was hatte Katharina mit Insulin zu tun?“ Sie musste abermals weinen, sprang auf und rannte wieder aus dem Zimmer.

„Sie müssen Milla entschuldigen, aber sie weint nie vor anderen, auch nicht vor mir. Sie hat so ihre kleine Macken und ich lasse sie so, wie sie ist, denn genau so möchte ich sie haben. Bis Ludmilla wieder hier ist, könnten Sie doch Ihre Fragen an mich stellen, sofern Sie welche haben.“

„Sie kannten Katharina?“

„Natürlich. Milla darf ihre Freunde jederzeit mitbringen. Je mehr los ist, desto besser. Ich freue mich über jede Abwechslung. Eine sehr hübsche und gut erzogene Frau. Ich habe leider nur wenig mit ihr gesprochen, sie war sehr schüchtern mir gegenüber. Auf diesem Bauernhof bin ich nie gewesen und kenne daher die Familie Zirbner nicht persönlich. Ich kenne sie nur aus den Erzählungen meiner Milla, die sich sehr über die alte Frau Zirbner geärgert hat. Sie kann sie sehr gut nachäffen und wir haben beide schon oft Tränen gelacht.“

Ludmilla kam zurück und setzte sich wieder zu Konrad Hauptmann.

„Wo waren Sie beide am letzten Freitag zwischen 13.00 Uhr und 16.00 Uhr?“

„Ich war mit Konrad beim Mittagessen. Danach hatte er einen Termin beim Physiotherapeuten. Die Adresse schreibe ich Ihnen gerne auf. Gegen 16.00 Uhr waren wir zuhause, haben zusammen Kaffee getrunken. Danach sind wir noch eine Runde um den Block. Es muss halb 6 gewesen sein, bis wir wieder zuhause waren.“

„Kann das irgendjemand bezeugen?“

Jetzt lachten beide. Das erste Mal, dass Ludmilla lachte.

„Die Frau Meister von gegenüber kann das sicher bezeugen. Die Frau mag mich nicht. Sie hält mich für eine Schlampe und erzählt das auch in der ganzen Nachbarschaft, die zum Glück nicht nur aus dummen Menschen besteht. Mit den meisten komme ich nämlich sehr gut aus. Frau Meister beobachtet jeden unserer Schritte. Sie steht immer mit dem Fernglas am Fenster und glaubt, dass wir sie nicht sehen. Am Freitag hat sie uns bestimmt auch beobachtet, wie an jedem anderen Tag auch,“ sagte Ludmilla.

„Meine Milla ist ein richtiges Miststück. Sie ärgert Frau Meister, wo sie nur kann. Sie läuft vor dem Haus besonders aufreizend und gibt mir ab und zu ein Küsschen, was ich mir natürlich gerne gefallen lasse. Sie zieht ihren Rock immer etwas höher und bückt sich übertrieben langsam, wogegen ich natürlich auch nichts habe. Sie reizt die gute Frau bis aufs Blut. Sie müssen wissen, dass sich Frau Meister nach dem Tod meiner Frau sehr um mich bemüht hat, was mir sehr unangenehm war, denn Frau Meister war mir noch nie sympathisch gewesen. Sie brachte mir Essen, kleine Aufmerksamkeiten und hat mich fast täglich zu irgendetwas eingeladen. Ständig stand Frau Meister vor meiner Tür oder lief mir irgendwo auch immer über den Weg. Das war sehr lästig. Eines Tages kam sie mit mehreren Reisekatalogen an und hat mich tatsächlich gefragt, ob ich sie auf eine Kreuzfahrt begleiten möchte, was ich natürlich sofort abgelehnt habe. Die spinnt doch völlig. Warum sollte ich mit einer Nachbarin in Urlaub fahren? Nachdem Ludmilla hier zuerst täglich gearbeitet und dann kurz darauf eingezogen ist, sind diese Aufmerksamkeiten natürlich ausgeblieben. Sie können sich vorstellen, dass ich darüber nicht unglücklich bin. Aber seitdem beobachtet Frau Meister uns auf Schritt und Tritt und wir ärgern die Gute, wo wir nur können. Es ist zwar menschlich nicht fair, aber es macht richtig Spaß.“ Konrad Hauptmann lachte wie ein kleiner Junge und man konnte sehen, wie gut ihm die Gesellschaft der jungen Frau tat. Ludmilla gab Hans einen Zettel mit der Adresse des Physiotherapeuten.

„Dann war es das fürs erste. Vielen Dank für Ihre Unterstützung und die offenen Worte.“

Schon beim Verlassen des Hauses sahen sie Frau Meister am Fenster mit einem Fernglas. Sie spähte zwischen den Gardinen auf das Hauptmann-Haus.

„Hat der Frau noch niemand gesagt, dass man sie sehr gut sehen kann? Die blamiert sich ja bis auf die Knochen.“ Leo war erschrocken über die Dreistigkeit der Nachbarin.

„Wenn du ihr das mitteilen willst, mach das. Ich für meinen Teil sage ihr kein Wort, soll sie sich doch blamieren. Was sieht sie auch den ganzen Tag aus dem Fenster und beobachtet ihre Nachbarn,“ sagte Hans trocken, der neugierige Menschen nicht leiden konnte.

Sie klingelten bei Frau Meister, denn wenn sie nun schon mal hier vor Ort waren, konnten sie sich das Alibi auch gleich bestätigen lassen. Wer weiß, vielleicht hatte die Frau etwas beobachtet, das für die Polizei wichtig war? Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ihnen geöffnet wurde. Vor ihnen stand eine biedere Frau Mitte 60, die früher bestimmt auch keine Schönheit gewesen war.

„Mein Name ist Leo Schwartz, Kriminalpolizei Mühldorf, das ist mein Kollege Hiebler. Dürfen wir reinkommen?“

„Du großer Gott,“ flüsterte sie erschrocken, „Kriminalpolizei? Natürlich, bitte kommen Sie herein.“

Sie führte die beiden in das düstere Wohnzimmer, das über und über mit Kissen und vor allem mit Puppen und Teddybären jeder Größe und Form vollgestopft war. Hans setzte sich auf die Couch und quetschte sich zwischen die vielen Dekorationsstücke. Leo zog es vor, lieber zu stehen.

„Wir kommen eben von Ihrem Nachbarn Herrn Hauptmann.“

„Ach ja? Wissen sie, ich kümmere mich nicht um meine Nachbarn. Es ist lange her, dass ich mit Konrad gesprochen habe, seit er seine junge Freundin hat. Geht es ihm gut? Hat seine Russin etwas verbrochen? Mir war ja sofort klar, dass das mit den beiden nicht lange gut gehen kann und dass sie diesen Mann irgendwann ausnimmt wie eine Weihnachtsgans; man kennt das ja aus dem Fernsehen. Nun sagen Sie schon, geht es Konrad gut? Nehmen Sie die Russin gleich mit?“

„Aber nein Frau Meister, Frau Petrovka hat nichts angestellt und Herrn Hauptmann geht es sehr, sehr gut. Wir brauchen nur eine Bestätigung von Ihnen, wo Ihre Nachbarn letzten Freitagnachmittag zwischen 13.00 Uhr und 16.00 Uhr waren.“

Frau Meister strahlte Leo an, stand auf und holte ein Notizbuch vom Fenster, das neben dem Fernglas lag.

„Da haben Sie aber Glück, dass ich ein sehr gewissenhafter Mensch bin und mir alles aufschreibe, was bei Konrad los ist. Lassen Sie mich sehen,“ blätterte sie in ihrem Notizbuch. „Am Freitag sind die beiden gegen Mittag weg. Seit einigen Monaten ist Konrad nicht mehr so gut auf den Beinen, was mit Sicherheit auch an der Pflege der Russin liegt. Können Sie sich vorstellen, dass die Russin ihn jetzt mit dem Rollstuhl im Auto chauffiert? Sie müssten überprüfen, ob sie hier in Deutschland überhaupt einen gültigen Führerschein hat. Ich denke nicht. Wir müssen verhindern, dass Konrad verletzt wird, wenn er sich vollkommen ahnungslos zu ihr in den Wagen setzt. Er ist ihr ja völlig ausgeliefert! Ach der Konrad ist so ein netter Mensch, aber wie alle Männer lässt er sich viel zu sehr beeinflussen. Ich kann mir schon vorstellen, wie die Russin den armen Mann so bequatscht, dass er ihr aus der Hand frisst. Naja, mich geht das ja alles nichts an. Hier habe ich es ja! Die beiden sind um 12.00 Uhr weggefahren und kamen kurz vor 16.00 Uhr wieder zurück. Dann sind sie um 16.45 Uhr wieder weg, diesmal allerdings zu Fuß. Diese Russin hatte trotz des kalten Wetters wieder einen sehr kurzen Rock an. Sie hat Konrad mehrfach geküsst und ihm recht schön getan. Und natürlich fällt Konrad auf ihre Masche herein, er ist ja auch nur ein Mann.“

„Donnerwetter, so detailliert sind Ihre Aufzeichnungen?“

„Na hören Sie mal, das muss ich doch! Die Russin ist nicht astrein, das war mir von Anfang an klar. Deshalb mache ich mir um Konrad große Sorgen. Schließlich ist bei dem Mann was zu holen. Ich wusste, dass die Polizei irgendwann vor meiner Tür steht und genaue Angaben braucht. Und jetzt ist es soweit, die ganze Sache kommt endlich in Schwung.“ Frau Meister strahlte übers ganze Gesicht.

„Dann bedanken wir uns bei Ihnen vorerst, Sie haben uns sehr geholfen. Wenn Sie nichts dagegen haben, kommen wir gerne wieder auf Sie zurück, wenn wir Informationen über Ihre Nachbarn brauchen. So, wie ich das sehe, haben Sie Herrn Hauptmann und Ludmilla Petrovka Tag und Nacht unter Beobachtung.“

Wieder strahlte Frau Meister Leo an.

„Ich bin immer gerne behilflich. Natürlich werde ich meine Beobachtungen weiter fortführen, wer weiß, was noch alles passiert.“ Die Frau hatte nicht verstanden, dass Leo das ironisch meinte. Hans holte Luft und wollte noch etwas sagen, aber Leo hielt ihn zurück.

„Ich hätte diese Frau gerne zusammengefaltet,“ sagte Hans, als sie zu ihrem Wagen gingen. „Das geht doch nicht, dass man so über die Nachbarn und speziell über Ludmilla spricht. Und warum schreibt sie auf, was im Hause Hauptmann passiert? Die ist doch nicht ganz dicht.“

„Jetzt reg du dich nicht auch noch auf, es reicht, dass ich mich über Zwetkow geärgert habe. Frau Meister ist nun mal so und du wirst sie in ihrem Alter auch nicht mehr ändern. Sie fühlt sich von Hauptmann gedemütigt und abgewiesen. Und dann setzt er ihr auch noch eine junge, hübsche Frau vor die Nase. Wie würdest du dich an ihrer Stelle fühlen?“

Das dritte Kostüm

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