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6.

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Udo Brauer versuchte wieder und wieder, seinen Chef zu erreichen, so wie in den vergangenen vierzehn Tagen auch. Seit dem letzten Telefonat, das er mitten in der Nacht mit ihm geführt hatte, hatte er Klemens nicht mehr erreicht. Obwohl er ihm mehrere Nachrichten auf der Mailbox hinterließ, hatte Klemens nicht zurückgerufen. Langsam wurde Brauer wütend. Dass es eine Leiche auf der Baustelle gab, war noch nicht das Schlimmste. Die ausstehenden Löhne waren noch nicht gezahlt worden, außerdem gab es offene Rechnungen, die ebenfalls noch nicht beglichen wurden. Die Kollegen rannten ihm die Tür ein, die Gläubiger wurden ebenfalls langsam nervös.

Wie gestern und vorgestern fuhr Brauer direkt zu Klemens, der zwar sein Haus verkauft hatte, aber in dieser Wohnung immer noch sehr luxuriös lebte. Von Armut konnte man nicht sprechen, allein die Antiquitäten waren sicher ein hübsches Sümmchen wert. Er war einmal bei Klemens gewesen und hatte sich selbst davon überzeugen können. Brauer klingelte, ihm wurde aber nicht geöffnet. Klemens‘ Wagen stand, wie die anderen Male auch, nicht vor der Tür. Trotzdem musste sein Chef doch irgendwann mal wieder zuhause sein! Brauer befragte die Nachbarn, die ihm aber nicht helfen konnten. Einen Tag wollte er Klemens noch geben. Dann würde er sich irgendwie Zugang zum Haus verschaffen und nach Geld und Wertgegenständen suchen, um die Außenstände damit begleichen zu können.

Brauer fuhr noch nicht nach Hause, sondern steuerte direkt das Firmengelände außerhalb Mühldorfs an. Hier war seit der Einstellung der Bauarbeiten nichts mehr los, hier hatte er Max in einem der Bauwagen untergebracht. Max war nicht groß verletzt gewesen, was er anfangs bedauerte. Am liebsten hätte er den Typen tot gesehen, aber damit wäre er auch zum Mörder geworden, was er zum Glück nicht war. Trotzdem befand er, dass es an der Zeit wäre, Max Manieren beizubringen. Dieser Mistkerl musste so lange hierbleiben, bis er bereute und überzeugend versprach, seine Tochter und damit seine Familie in Ruhe zu lassen. Brauers Tochter und seine Frau wussten nichts davon. Er hatte Max noch in derselben Nacht weggebracht und sprach seitdem nicht mehr darüber. Sobald die Sprache auf Max oder die fragliche Nacht kam, blockte er völlig ab.

„Wann kann ich endlich gehen?“, fragte Max, als Brauer den alten Bauwagen betrat.

„Guten Morgen“, sagte Brauer und stellte die beiden Tüten mit den Lebensmitteln auf den Tisch.

„Ich möchte endlich weg hier! Sie können mich nicht ewig hier festhalten!“

„Du siehst doch, dass ich das kann. Du bist in mein Haus eingedrungen und hast meine Familie bedroht. Damit steht mir auch das Recht zu, dich hier festhalten zu dürfen.“

„Wer sagt das?“

„Ich sage das und das muss dir genügen.“

„Schon vor Tagen habe ich mich für mein Benehmen entschuldigt. Es war nicht richtig, was ich getan habe. Ich habe versprochen, dass das nie wieder vorkommen wird.“

„Das weiß ich. Und ich habe dir gesagt, dass ich nicht überzeugt bin. Und so lange bleibst du hier. Gibt es noch etwas, das dir auf dem Herzen liegt?“

„Ich flehe dich an, mich hier rauszulassen!“

„Ich habe dir verboten, mich zu duzen!“

„Entschuldigen Sie. Ich flehe Sie an, Herr Brauer! Bitte lassen Sie mich gehen!“

„Nein, noch ist es nicht so weit. Überlege dir, wie du mich überzeugen kannst, damit ich dir glaube.“

Brauer nahm den Eimer, in dem sich Max erleichtert hatte. An diese Stelle stellt er einen leeren Eimer, so wie er es jeden Tag machte.

„Das ist erniedrigend!“, jammerte Max. „So behandelt man nicht mal einen Hund! Ich muss nicht nur in einen Eimer scheißen, sondern muss in diesem Dreck hier leben! Sehen Sie sich um! Würden Sie hier an meiner Stelle leben wollen?“

„Diese Frage stellt sich nicht, schließlich habe ich mich nicht so schäbig benommen wie du es getan hast. Du bist in mein Haus eingebrochen und ich möchte mir nicht vorstellen, was dein Plan gewesen war. Ich habe dir die Fotos meiner Tochter gezeigt, nachdem du sie zusammengeschlagen hast. Du willst ein Mann sein? Dir ist das hier nicht zumutbar? Du solltest dich schämen, du jämmerliches Würstl! Wenn dir das hier nicht passt und dich der Dreck stört, dann mach gefälligst sauber, genug Zeit hast du ja!“

„Was ist mit der Kälte? Nachts wird es so kalt, dass es kaum auszuhalten ist!“

„Wenn dir kalt ist, musst du dich bewegen, ganz einfach. Räum auf, putz den Wagen oder bewege dich sonst irgendwie. Du tust doch immer so schlau, also lass dir etwas einfallen. Wir sehen uns morgen.“

Max Kern flehte, schimpfte und jammerte, aber das war Brauer egal. Er befand sich im Recht. Mit einem Schlauch säuberte er den Eimer und stülpte ihn um, damit er morgen wieder einsatzfähig war. Dann fuhr er los. Max‘ Eltern hatten einen schlechten Job gemacht. Das, was sie versäumt hatten, musste er jetzt übernehmen. Seine Maßnahmen waren zwar drastisch, aber anders würde Max niemals lernen, wie er sich anderen gegenüber zu benehmen hatte.

Max war wütend. Ja, er war zu weit gegangen, als er in das Haus der Brauers eingedrungen war. Inzwischen hatte er kapiert, dass er Gaby zu sehr bedrängt hatte. Er schämte sich dafür, was er ihr angetan hatte, das war ihm inzwischen klar geworden. Wenn er alles rückgängig machen könnte, würde er es tun. Max wusste schon seit Tagen, dass er Mist gebaut hatte. Aber trotzdem war das, was Brauer jetzt mit ihm hier veranstaltete, eine bodenlose Unverschämtheit. Das war Freiheitsberaubung und wurde in Deutschland hart bestraft! Ob er das jemals zur Anzeige bringen würde? Das konnte er vergessen! Brauer würde sofort Gegenanzeige erstatten. Gegen diesen durchgeknallten Typen, der sich vermutlich an ihm rächen würde, hatte er mit Frau und Tochter als Zeugen sowieso keine Chance. Nein, das würde niemals öffentlich werden, das konnte er sich nicht leisten. Trotzdem musste das hier endlich ein Ende finden. Wie lange wollte dieser verrückte Typ dieses Spiel noch mit ihm spielen? Max musste klein beigeben und Brauer endlich davon überzeugen, dass er es ernst meinte, anders kam er aus der Nummer nicht mehr raus. Aber wie sollte er das anstellen? Es wurde wieder kalt, woran auch die dicken Decken nichts änderten, die Brauer ihm zur Verfügung gestellt hatte. Max stand auf und leerte die Tüten. Brauer versorgte ihn gut, auch wenn er sich nach einer warmen Mahlzeit und einer heißen Dusche sehnte. Er sah sich um. Hier war es echt dreckig. Vielleicht sollte er sich endlich dazu aufrappeln und sauber machen. Ja, das war eine gute Idee, denn damit würde er Brauer seinen guten Willen zeigen.

Udo Brauer hatte immer noch das Bild des Toten vor Augen, der in Mühldorf auf der Baustelle ausgegraben wurde. Er kannte den Mann nicht, damit hatte er nicht gelogen. Allerdings passte es ihm auch nicht, dass die Polizei jetzt präsent war, das konnte er sich in Bezug auf Max nicht leisten. Er musste vorsichtiger sein, damit ihm die Polizei nicht auf die Schliche kam. Dass die Baustelle geschlossen wurde, kam ihm sehr gelegen, denn seitdem war auch auf dem Firmengelände nichts mehr los. Ob die Polizei hier herumschnüffelte? Warum sollte sie? Trotzdem ließ ihm diese Möglichkeit keine Ruhe. Er musste sich eine andere Lösung für Max einfallen lassen, das Firmengelände war nicht mehr sicher.

Klemens Weinmayer lebte in einer anderen Welt. Nachdem er Dieters Leiche mit seinem gebrochenen Knöchel unter großen Schmerzen auf der Baustelle entsorgt hatte, konnte er sich um sich selbst kümmern. Der wortkarge Arzt im Mühldorfer Krankenhaus hatte sich über den vermeintlichen Unfall nicht gewundert. Jetzt war der Knöchel eingegipst und konnte verheilen. Die verschriebenen Schmerzmittel halfen sehr gut und würden noch für die nächsten Tage ausreichen. Überraschenderweise konnte er mit dem Gips sogar Autofahren, der Automatik sei Dank! Über seine Spielerkontakte hatte Weinmayer herausgefunden, dass es in Heidelberg ein Spiel mit hohen Einsätzen gab. Er fuhr nach dem Krankenhaus nach Hause, stopfte das Bargeld in eine Tasche und fuhr los. Unterwegs hielt er nur noch kurz an einem Geldautomaten. Er plünderte nicht nur sein Konto, sondern überzog es bis zur erlaubten Grenze. Dass er damit auch die ausstehenden Löhne und Sonderzahlungen an sich nahm, war ihm egal. Auch, dass ausstehende Rechnungen nicht mehr bezahlt werden konnten, war ihm gleichgültig. Jetzt musste er sich ablenken und dachte nur noch an sich und an das Spiel, das vor ihm lag.

Klemens verlor am Anfang, aber dann wendete sich das Blatt. Als er nach Tagen Heidelberg verließ, war er ein reicher Mann. Aus seinen vierzigtausend Euro hatte er das Achtfache rausgeholt. Das Glücksgefühl war unbeschreiblich gewesen, aber es hielt nicht lange an. Nach zehn Tagen im Luxus spürte er das Kribbeln in den Fingern. Es war Zeit für ein neues Spiel. Mühldorf, Dieter, die ausstehenden Löhne und vor allem der nervige Udo Brauer verblassten mehr und mehr. Weinmayer war sich sicher, dass das alles in Kürze nicht mehr Teil seines Lebens war. Er plante bereits während einer Wellness-Anwendung den Verkauf seiner Wohnung. Der Knöchel verheilte sehr langsam, die Schmerzen hatte er mit den Medikamenten im Griff. Alles halb so wild!

Weinmayer rief einige Kontakte an, wofür er sich eigens ein neues Handy gekauft hatte. Die Anrufe, die auf seinem vorherigen Handy hereinkamen, nervten nur. Es gab in einer Woche ein neues Spiel in Darmstadt, das ihn schon allein wegen der Lage sehr reizte. Er rief das Hotel in Frankfurt an, in dem er schon vor Wochen für das große Spiel an Weihnachten ein Zimmer gebucht hatte und schob die Reservierung vor, was zum Glück kein Problem war. Von diesem Hotel aus konnte er im nahegelegenen Darmstadt spielen und auch am ganz großen Spiel in Frankfurt teilnehmen, ohne das Hotel wechseln zu müssen. Super! Wenn er es schaffte, sein Vermögen in Darmstadt noch aufzustocken, könnte er am Weihnachtspoker in Frankfurt ganz anders durchstarten.

Tage später packte er seine Tasche. Das alte Handy, das darin lag, hatte er längst vergessen.

Zwei Leichen und ein Todesfall

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