Читать книгу Der Plot H. Heine 1 - Irene Pietsch - Страница 6
ОглавлениеT 10: Mit Gretchen haben Sie also den Bruder gemeint, dessen Hüter er oder sie sein soll?
T 1: Ich bitte zu entschuldigen, dass ich den Eindruck erwecken könnte, mich zum Sprecher unserer Runde aufzuwerfen, aber es bedarf einiges Hintergrundwissens, um zu verstehen, warum das Begehren nach unisexem Begrifflichen im Zusammenhang mit dem Bibelzitat aus Vorzeiten etwas schwierig ist.
Der Hamburger Jungfernstieg stand für viele andere Jungfernstiege. Heinrich Heine - inzwischen wegen seines stets aktuell gebliebenen Scharfsinns öfter zitiert als der offiziell noch nicht entthronte Dichterfürst Goethe – hat ihn geschätzt und belästert. Es ist so oft beschrieben worden, dass nur noch ins Gedächtnis gerufen sei, dass der Original Alsterpavillon aus zwei Pavillons bestand. Davon einer als Schweizer Pavillon bekannt.
Heines Beobachtung, die Hamburger Passanten und Passantinnen hätten Ähnlichkeit mit Zahlen, kann bis zum heutigen Tage auf verschiedenen Bildern aus Heines Zeit und danach betrachtet werden, wo – etwas verschlüsselter als Heine es ausdrückt – die Segelboote auf der Alster Zahlen gleichen, was einen weiten Bogen zu Reedern und anderen Honoratioren außerhalb der „Assembly der Honourable 25 (Twentyfive)“ mit Frau Gemahlinnen und Fräulein Töchtern, die gerne etwas aufgebauscht – die Töchter gestaffelt schaumgebremst - einher stolzierten. Das Gehabe auf Präsentiertellern hat ebenso durch Thomas Mann Eingang in die unsterbliche Literatur gefunden. Seine Senatorlounge dürfte gleichzeitig eine Schiffergesellschaft gewesen sein.
Kakophonisches Lachen.
T 20: Hat jemand sein Boot nicht richtig vertäut?
Keine Antwort.
T 1 zitiert:
Heinrich Heine aus Lüneburg am 6. November 1823 an Charlotte Embden in Hamburg Liebes Lötchen!
… Wir alle befinden uns wohl; Amiechen hat jetzt den schwarzen Pudel des Drosten zum Liebhaber.-(…)Lebe wohl kleine süße Kristallpuppe. Mache mir ein Paar wollne Pantoffel.
Dein Dich liebender Bruder
H. Heine
Schweigen. T 25 schweigt doppelt, was irritiert, da eine Anzahl von 48 Ts nicht vorgesehen ist, obwohl das Gesetz es zur Zeit erlaubt.
Er schweigt einmal für sich und einmal für den abwesenden juristischen Berater und Großimporteur von Trockenfrüchten, der die Sonnenblumen als Schnittblumen in beheizten Räumen beim Wasserverbrauch beobachtet und die Nummer 23 hätte, die nun mit einer Aktentasche von Nummer 24 belegt ist, was hohen Symbolwert hat, weswegen T 25 ursprünglich T 24 hatte fragen wollen, ob sie sich wegen der Kürze der Veranstaltung das Schweigen für T 23 teilen sollen, aber wegen der Umständlichkeit, über die Aktentasche hinweg darüber in Verhandlungen einzutreten, für dieses Mal verzichtete.
T 1 scheint das Problem von T 25 erahnt zu haben und versucht, das kollektive Schweigen von T 2 bis T 25 aufzubrechen, indem er mit einem unausgesprochenen Hinweis auf Präsenzgedenken, aber mit gehobenen Augenbrauen eigene Gedanken zu den Heine’schen Befindlichkeiten preisgibt:
Die Bitte nach den wollenen Pantoffeln hört sich nicht nur nach Kenntnis der Lebensart(en) von Frauen zu Fest- und Feiertagen wie auch nach Spende in Kriegszeiten an. Es könnten auch Hüttenschuhe mit Monogramm statt Norwegermuster sein. Es gibt sie immer noch aus Samt zum Trachtenoutfit. Spezialist der Münchner Gesellschaft von Bussi Bussi „My Theresa“ bis Wittelsbach ist „Maier“, wenn man sich nicht nach London bemühen möchte. Händel hat sie geliebt. Heines Sehnsucht nach wollenen Socken, wie auch die Erfüllung derselben, war ein Zeichen der Erhörung anderer Wünsche hin wie auch her. Es ist ganz explizit nicht von geschnitzten Holländern die Rede. Er hätte sonst von Pantinen gesprochen. Dieses hier war ein Wink an Maschen auf Rundnadeln zu Pantoffeln strickende Damen, die unweigerlich mit Schiffen und deren Fracht zu tun hatten, aber nicht auf den Klabautermann scharf waren. Sie mussten sich für schwere Stunden absichern, wofür die Schiffzimmerer da waren, eine Zunft für sich, die mit spitzem Bleistift kalkulierte. Manche Witwe war sehr wohlhabend.
T 8: Wir haben „Schluffen“ gesagt.
Räuspern, dessen Richtung nicht genau geortet werden kann.
T 10: Ich habe Pantoffelblumen gezüchtet.
T 3: Können Sie mir das Rezept verraten?
T 2: Ach das?!
Beide werden von T 1 bis T 25 über die Aktentasche auf dem Platz vom abwesenden T 23 misstrauisch beäugt.
T 1 fängt sich am schnellsten und kommt T 4 bis T 25 zuvor, die sich anschicken, Fragen an T 2 zu stellen, wie sein „Ach das?!“ zu verstehen ist. Ob er Näheres über die Witwen weiß oder in die Zukunft blicken kann, unter Umständen gar einen Renoir sein eigen nennt oder weiß, wie man daran kommen könnte.
T 10: Ich hätte bei Ihnen eher einen Delacroix vermutet. Aber lassen wir das und fragen Heine nach seiner Meinung.
T 1: Ich würde gerne den in Berlin geborenen, zur Emigration gezwungenen Kunstsammler und -händler wie auch Mäzen Heinz Berggruen antworten lassen. Mir fällt aber aus dem Stand nur ein, dass er in Paris als Mitarbeiter vom Kunstimperator Daniel-Henry Kahnweiler arbeitete – auch er nach 1937 Verfolgter und Geplünderter von deutschen und französischen Nationalsozialisten. Und dass Berggruens Sohn, der Immobilienkaufmann Nicolas Berggruen nach Hamburg kam, um die Middelhoff geschädigten Karstadt Häuser zu sanieren. Thomas Middelhoff, ehemaliger Bertelsmann Top Manager, lebte nach Verbüßung einer Haftstrafe wegen Untreue gegenüber seinen Geschäftspartnern in Hamburg. Er hat ein autobiografisches Buch veröffentlicht, das tiefe Einblicke gewährt, wie weit Top Manager seines Kalibers resozialisierbar sind. Erst kürzlich hat er sich als Consultant ausgewiesen. Er kritisierte in „Spiegel-online“ herkömmliche Managementmethoden.
Nicolas Berggruen scheiterte an den Gewerkschaften und zog sich nach Millionenverlusten aus dem Karstadt Engagement zurück, hatte aber das Feld für chinesische Investoren und dem ihnen folgenden Österreicher René Benko bereitet, der im September 2020 zusammen mit dem österreichischen Herrn Bundeskanzler Sebastian Kurz – ein guter Freund von Benko - einen Europa Summit in Wien veranstaltete. Die Lobbyarbeit dürfte auch Hamburg zugute kommen.
T 2: Darf ich noch etwas Heine hinzufügen?
Heine aus Paris am 24. Oktober 1832 an Ferdinand Hiller:
Ich merke, Sie wissen nicht, daß der Verfasser des „Paria“ in diesem Augenblick die Hauptstadt des Königs von Bayern ziert.“
T 5: Wir müssen „Paria“ gentrifizieren.
T 1: Ich wollte auf die Witwen in den Wohnungen der Schiffzimmerer hinaus, in deren Genuss man ohne Ahnennachweis und ohne Bürgen nicht kam.
T 2: An wen? An die Bürgen oder an die Schiffszimmerer?
T 1: Sowohl als auch. Man denke an die „Ausfahrt nach Kythera“. Ohne Rückversicherung beim Turm der Winde in Athen – gar nicht denkbar. Oder an Heidi Horten. Das Vermögen an Barem, Schmuck und Silber, Firmenbeteiligungen und Lagerhäusern verschiedenster Art weckte Begehrlichkeiten, bei denen Aeolus Orkanstärke angezeigt hätte.
Gemurmel.
T 1: Kann ich aus der lebhaften Beteiligung an diesem Gedankengang schließen, dass sich ein Teilnehmer in unserer Mitte befindet, der Heidi Horten kennt?
Alle scheinen Heidi Horten zu kennen, aber keiner entweder so gut, dass er aus dem Nähkästchen plaudern dürfte oder so schlecht, dass er Plaudereien aus dem Nähkästchen für weniger fundierte Privatgespräche aufzubewahren gedenkt.
T 3: Ich möchte nicht das Wort an mich reißen ( missbilligender Blick herüber zu T 1 ), aber in Hamburg gibt es einen kuriosen Grundsatz: quietscht etwas, ist es bezahlt.
Kakophonisches Gelächter.
T 1 beeilt sich hinzuzufügen: Reiche Witwen mit Salzspeichern konnten sich nichts Besseres wünschen.
T 3: Socken?
Gelächter.
T 3: Nicht, dass ich in Verruf komme, doch noch das Wort an mich reißen zu wollen, das ich bis jetzt nicht habe fallen lassen, aber spielen Sie, verehrter Herr Kollege T 1 etwa auf Liebensaffären der Witwen an?
T 1: Boris Andrejewitsch Pilnjak, der Wolgadeutsche, Boris Andrejewitsch Wogau – in Wikipedia als „russischsprachig bezeichnet“, was eine Degradierung eingedenk Pilnjaks Verdiensten um die Literatur und auch um Russland ist – hat die Wirkung von Fachwerksalzspeichern hervorragend beschrieben.
T 25: Russland und seine reichen Witwen - die Literatur wimmelt nur so davon.
T 2: Darf ich noch einmal mit Heine aushelfen oder komme ich jemandem zuvor?
Er wirft einen Blick nach vorne, zu beiden Seiten und hinter sich.
Wie es scheint, ist das nicht der Fall.
T 2: Heinrich Heine am 24. Dez. 1822 aus Berlin an Karl Immermann in Münster:
…Wollen Sie mich zum Waffenbruder in diesem heiligen Kampfe, so reiche ich Ihnen freudig die Hand. Die Poesie ist am Ende doch nur eine schöne Nebensache.
T 20: Wir kommen vom dem Wunsch nach Wollpantoffeln ab. Ich finde das Zitat vor dem Hintergrund der Witwenverbrennungen in Indien unsympathisch.
T 1: Heute sind sie Religionsgeschichte. Der Regierung Modhi ist eine umfangreiche Rechtsreform zu verdanken. Sie ist auch im Zusammenhang mit dem Verbot von Witwenverbrennungen zu sehen, die ein strafrechtlicher Tatbestand geworden sind. Demnach können Frauen sich scheiden lassen und sogar die pflichtgemäße Morgengabe zurückfordern.
T 10: Dann hätten die römisch - katholischen Herrschaften in juristisch versierten Kreisen der Gesellschaftselite des Nachfolgestaates vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nichts mehr zu lachen gehabt. Sie heirateten im Kaiserreich von Wilhelm II nach hinduistischem Ritus, um bei sich bietender Gelegenheit das Erbrecht zu beugen.
T 1: Das wäre ehemals ein Fall für die Hamburg – Mannheimer Versicherung gewesen.
T 20: Zitieren Sie besser Heine.
T 1: Eine gute Idee. Hier:
Die epischen Gedichte der Inder sind ihre Geschichte; doch können w i r sie erst dann zur Geschichte benutzen, bis wir die Gesetze entdecken, nach welchen die Inder das Geschehen ins phantastisch Poetische umwandeln; dies ist uns noch nicht bei der Mythologie der Griechen gelungen…
Sie müssen das selber lesen, um sich darüber Gedanken machen zu können.
T 2: Wo steht das?
T 1:… in Heines „Gedanken“.
Um zum Ausgangsthema zurückzukommen - es gingen zum Leidwesen der Versicherer relativ viele Schiffe unter, und das nicht nur während Kriegszeiten. Eine große Anlage der Deutsche Schiffszimmerer Genossenschaft steht in der Nähe vom Hamburger Pilatuspool.
T 2: Ach!
T 1: Ach! Oder Ach?
Er kommt T 3 bis T 25 zuvor, die alle bei dem „Ach“ von T 2 aufmerken, als gelte es ein Urteil darüber zu empfangen, wer seinen Bruder an zu langer Leine hat laufen lassen, vielleicht aber auch an den abwesenden T 23 und seine Studienfreizeit denken.
Ob er wirklich…?
T 1: Der Gebäudekomplex am Pilatuspool – übrigens eine späte Bezeichnung. Ich komme noch darauf zurück…
T 2: Wollte T 23 nicht neu bauen?
T 4: Mit Pool?
T 12: Für seine Trockenfrüchte?
T 1: Danke für die Überleitung!
Der Gebäudekomplex ist in Form einer Atrium-Anlage gebaut und fügt sich in das System der alten Mehr-Hof-Anlagen der Umgebung an.
T 24: Also doch Pool.
T 25: Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde.
T 12: Das könnte von Heinrich Heine stammen.
T 1: Wenn Sie das schon meinen, dann kann ich Ihnen auch sagen, welches Zitat dafür in Betracht kommt.
Heinrich Heine aus Hamburg am 19. Nov. 1830 an Karl August Varnhagen von Ense:
…Wie es Vögel gibt, die irgendeine physische Revolution, etwa Gewitter,Überschwemmungen etc., vorausahnen, so gibt’s Menschen, denen sich die sozialen Revolutionen im Gemüte voraus ankündigen und denen es dabei lähmend, betäubend und seltsam stockend zumute wird….
Ach! Trage ich doch noch schlimmere Dinge.
T 2: So ganz unrecht hatte er nicht.
T 13: Aber bis man zum „Ach!“ kommt, muss man doch nicht einmal die Vogelfluglinie rauf und runter.
T 12: Da sehen Sie es, welch revolutionäre Gedanken Heinrich Heine hatte!
T 2: Mich würde interessieren, wo etwas dazu steht, ob er schwimmen konnte.
T 13: Ich denke, ihm war der Rettungsring das Wichtigste.
T 12: Eben deswegen der Brief an Varnhagen von Ense.
T 1: Wir bewegen uns direkt darauf zu. Die Deutsche Schiffszimmerer Genossenschaft hatte die nächste Nachbarschaft zu ihm gewählt. Die Wohnanlage ist auf dem Grund ehemals jüdischer Mehr-Hof-Anlagen gebaut worden, von denen die eine oder andere dem Import von Getreide und Trockenfrüchten gedient haben mag. Das multikulturelle Bessarabien – jetzt zum einen Teil Ukraine, zum anderen Belarus – und Smyrna - jetzt Izmir – waren einige der begehrtesten Adressen für Im- und Exporteure. Und das trotz einer eindeutig christlichen Dominanz in Smyrna. Saulus, der zum Paulus gewandelte, übereifrige Evangelist, hatte hier eines seiner Hauptquartiere.
T 3 kenntnisreich: Na ja, eben altes Militär. „Salve“ war das erste, was er allen beibrachte.
T 1: Salvete.
Unter Umständen handelten sie in erster Linie mit Muslimen, die sich bis zur islamischen Machtübernahme durch die Regierung in Istanbul ebenfalls in die örtlichen Gegebenheiten fügen mussten.
T 10: Da lag ich mit meinem 4. Byzanz vielleicht gar nicht so verkehrt.
T 1: Ich möchte das nicht kommentieren. Vielleicht hilft der Hinweis, dass die Neubebauung der Liegenschaften Poolstraße auf einem Hügel steht. Die Assoziation zu einem Tempelberg ist nicht von der Hand zu weisen, zumal sich gegenüber auf einem ähnlich hohen Hügel Hamburgs Wahrzeichen, die Hauptkirche St. Michaelis, befindet.
Die Stille im Frühsommer 2020 hätte als beinahe unwirklich bezeichnet werden können. Ein Baumhain trägt das seinige dazu bei. Die Linden waren wohl zur Zeit der Neubebauung gepflanzt worden und sind jetzt stattliche Schattenspender.Hier und da gibt es kleine Bistros und Cafés. Am auffälligsten ist eine sich verschlafen in den sozialen Wohnungsbau und die daran anschließende Wohnburg der Deutschen Schiffszimmerer Genossenschaft einschmiegende, tagsüber hübsch anzusehende Shisha Bar.
Einige Teile der ehemaligen Bebauung, wie Türeinrahmungen, Reliefs und Skulpturen, sind geschmackvoll in das Backsteinwerk der Anlage, die von der Deutschen Schiffszimmerer Genossenschaft errichtet worden ist, eingefügt. Sie sehen aus wie Galionsfiguren, was einerseits den Schiffzimmerern gerecht wird und andererseits den Geschichtswerkstätten, die Hamburg in verschiedenen Stadtteilen unterhält. Die sind zwar nicht immer objektiv und so manche Plakette verschwindet schneller, als dass man sie hat lesen können, um von einer größeren ersetzt zu werden, die man besser gar nicht erst liest. Ich gebe später Beispiele. Es bedarf eines gewissen Unterbaus dafür. Wer sich damit einverstanden erklärt, mag das jetzt bitte mit Handzeichen kund tun.
Die Handzeichen kommen.