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2.

Cork-Rundreise

Maren erinnerte sich allzu gut daran, wie Sean sie in Belfast gemaßregelt hatte, weil sie Leander bei seiner Ankunft am Flughafen vor aller Augen geküsst hatte. Also fragte sie auf der Fahrt nach Cork: »Wir müssen so tun, als seien wir nur Kollegen, nicht wahr?«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Wegen Belfast. Du hast von einer nicht besonders professionellen Vorstellung gesprochen, als du mich wegen – du weißt schon – heruntergeputzt hast.«

»Das war eine völlig andere Situation, Maureen.«

»Ach, dann warst du also doch eifersüchtig?«

Sean warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, setzte den Blinker und verließ den ersten Kreisverkehr in Richtung M 18. »War ich nicht.«

»Warum kannst du es nicht einfach zugeben?«

»Weil ich es zu diesem Zeitpunkt nicht Eifersucht, sondern Besessenheit genannt habe. Natürlich habe ich es darauf angelegt, dich in mein Bett zu bekommen; ich wollte dich besitzen, auf alle mir bekannten Arten und ein paar mehr, die ich mir noch nicht vorstellen konnte. Das war alles, woran ich dachte, mehr wollte ich nie von einer Frau. Gott, du warst so heiß und schienst es nicht einmal zu wissen, gabst dich umso unnahbarer, je mehr ich dich reizte. Eine Herausforderung, nachdem ich gewohnt war, immer ein leichtes Spiel zu haben. Und du warst mir gegenüber ganz schön kratzbürstig.«

»Das hattest du verdient. Ich fand deine ständigen sexuellen Anspielungen einfach widerlich.«

»Trotzdem hast du dir vorgestellt, wie es …«

»Lass gut sein, Sean«, unterbrach sie ihn unwirsch. »Es reicht. Ich habe dir eine einfache Frage gestellt. Bekomme ich eine klare Antwort?«

Sie waren erst kurz hinter Galway, würden noch knapp drei Stunden bis Cork brauchen. Vor ihnen lagen neun Tage und acht Nächte, auf die sie sich beide gefreut hatten. Wieso stritten sie plötzlich? Das erste Mal, seit sie zusammen waren. War es vielleicht doch ein Fehler? Nicht nur die Tour, sondern das ganze letzte halbe Jahr. Maren biss sich auf die Unterlippe.

Sean lenkte den Bus auf einen Parkstreifen neben der Autobahn und hielt an. Er schaltete den Motor ab, glitt vom Fahrersitz und ging neben ihr in die Hocke. Legte seine Hand auf ihre Schulter.

»Maureen«, sagte er. »Schau mich an, Maureen.«

Sie tat es. Er sah sie ernst an. Oder vielleicht traurig? Nein. Und wieso auch?

»Ich habe gesagt, ich hätte es damals lediglich Besessenheit genannt, und das war es auch. Aber ebenso wahr ist: Ich war rasend vor Eifersucht. Nur habe ich das erst erkannt, als du weg warst. Also bin ich sofort nach Ende meiner Tour zu dir gekommen. Und habe es seither keine Sekunde bereut. Hörst du? Keine Sekunde.« Er vergrub die Finger seiner anderen Hand in ihren Locken, übte einen leichten Druck aus, der ihr Gesicht näher an seines brachte. »Wirst du mich beißen, wenn ich dich jetzt küsse?«

»Probier’s doch einfach aus«, sagte sie schnippisch. Wenigstens hoffte sie, dass es schnippisch klang. Sie lechzte förmlich nach seinen Küssen. Vor allem nach denen, die sich zu Beginn wie Schmetterlingsflügel anfühlten, zu Samt und Seide wurden, schließlich zu einem heiß lodernden Feuer. Genau so war sein Kuss jetzt. Sie seufzte wohlig, merkte, dass seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen und löste sich von ihm.

»Du spielst mit mir«, sagte sie mit einem Anflug von Enttäuschung.

»Das würde ich nur zu gern, aber dann kommen wir nie rechtzeitig nach Cork. Die Antwort lautet: Keine Intimitäten zwischen Guides und Gästen. Das ist oberstes Gesetz bei Doyle & McLeary; übrigens das einzige. Elmer sagte damals ›wenn du dich nicht daran hältst, bist du draußen‹, und dass er meinem Wort vertraue. Ciara bestand darauf, es schriftlich festzuhalten, und hat gedroht: ›Mit dem Wisch verklagen wir dich, wenn uns je zu Ohren kommt, dass du deinen Hosenstall nicht geschlossen halten konntest‹. So viel zum Vertrauen zwischen Geschwistern. Nun, ich konnte sie verstehen, schließlich eilte mir ein gewisser Ruf voraus. Da es also keine weiteren Einschränkungen gibt, bedeutet das, dass jegliche Art von Intimitäten zwischen den Guides«, er deutete auf sie und sich, »legitim sind. Selbstverständlich nicht vor den Augen der Gäste. Also alles, was über Händchenhalten, Arme um die Schultern legen und harmlose Wangenküsschen hinausgeht, findet hinter der verschlossenen Tür unseres Zimmers statt. Wenn es nach mir geht, jede Nacht. Hast du sonst noch Fragen?«

»Nein. Im Moment nicht. Du kannst jetzt weiterfahren.«

Er küsste sie noch einmal, stand auf und setzte sich wieder hinter das Steuer.

»Und Sean?«

»Ja, mein Engel?«

»Mach das nicht nochmal.«

»Dich küssen? Dir die reine Wahrheit sagen? Ich hasse Lügen.«

»Mit meinen Gefühlen spielen.«


»Wie wir hörten, war Ihr Flug etwas stürmisch«, übersetzte Maren Seans Begrüßungsworte, nachdem die Gruppe, diesmal aus Sachsen, im Bus Platz genommen hatte. »Daher werden wir, bevor wir unser Hotel in Cork beziehen, zunächst an der Innenstadt vorbei nach Midleton fahren. Dort hat die Jamesons Destillery ihren Sitz, die einen der besten Whiskeys auf dem internationalen Markt herstellt. In einer guten halben Stunde werden Sie sehen, wie das vonstattengeht, etwas über den ›Angel-Share‹ erfahren, die Gabe an die Engel, und natürlich ist in der Führung auch eine Verkostung beinhaltet.«

An dieser Stelle brandete Applaus auf.

»Wir werden Sie nicht davon abhalten, einen Vorrat für Zuhause zu kaufen, wir bitten Sie nur, das Trinken während der Fahrt und der Besichtigungen zu unterlassen«, fuhr sie fort. »Es wäre doch schade, wenn Sie unsere schöne Grüne Insel völlig vernebelt in Erinnerung behielten. Gegen trockene Kehlen haben wir Wasser für Sie dabei, zu einem Euro die Flasche. Sie können sich jederzeit bedienen, außer während der Fahrt, bei der Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit auf Ihrem Platz bleiben sollten. Vorzugsweise angeschnallt, da wir nicht immer auf gut ausgebauten Straßen unterwegs sein werden.«

Natürlich wären sie auch dann nach Midleton gefahren, wenn der Flug der ruhigste in der Geschichte der zivilen Luftfahrt gewesen wäre. Jamesons gehörte zum Programm, und es war besser, dieses Ziel gleich zu Anfang anzufahren, statt ihre Gäste am letzten Tag direkt nach dem Frühstück zu einer Whiskey-Verkostung zu bringen und sie womöglich angesäuselt in den Flieger steigen zu lassen.

Bei der Führung mit einer Angestellten der Brennerei fungierte Maren als Dolmetscherin, während Sean vor der Tür einige Telefonate führte. Danach ging er in den Raum, in dem die Verkostung stattfand, an der weder er noch Maren teilnahmen.

Der Weg zum Ausgang führte natürlich durch den Verkaufsraum, in dem nicht nur Whiskey und Schokolade – mit und ohne Alkohol – angeboten wurden, sondern auch T-Shirts, Jacken und Schirme mit Jameson-Logo, Gläser, Tassen und diverse andere Touristenartikel.

»Sie haben vierzig Minuten Zeit, sich hier umzuschauen«, sagte Maren. »Sie sind selbstverständlich nicht verpflichtet, etwas zu kaufen, aber es hat auch niemand etwas dagegen. Wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie mich. Ich stehe gleich dort drüben. Wir treffen uns spätestens am Bus und fahren dann direkt zum Hotel.«

Dort angekommen, lud Sean das Gepäck aus und Maren verteilte an der Rezeption die Zimmerschlüssel, wie vor fünf Monaten in Belfast.

»Falls Sie Fragen haben oder Unterstützung brauchen, finden Sie Sean und mich im zweiten Stock, Zimmer 237. Falls wir nicht dort sein sollten, unsere Handynummern stehen in Ihren Unterlagen, Sie können uns also jederzeit erreichen. Wir sehen uns um sieben Uhr im Restaurant zum Abendessen. Donnerstags gibt es hier immer ein Büffet, von dem Sie frei wählen können. Ich bin sicher, dass für jeden etwas dabei ist.«

»Das Hotel ist wohl ausgebucht, wenn Sie beide sich ein Zimmer teilen müssen«, sagte ein feister Herr in mittleren Jahren mit enttäuschtem Unterton. Rechnete der sich etwa Chancen bei ihr aus?

»Wir müssen nicht, wir tun das freiwillig, Herr Seibert«, sagte sie lächelnd. »Tatsächlich wollten wir das so.«

»Aha, verstehe.« Er nickte knapp, schnappte sich seinen Koffer und ging zum Lift.

Aus dem Augenwinkel nahm Maren eine auffallend geschminkte, nicht mehr ganz taufrische Frau wahr, deren Blicke zwischen Sean, der inzwischen hereingekommen war, und ihr hin- und herflogen. Dann verzog sie süffisant die Lippen und beeilte sich, den Lift zu erreichen, bevor dessen Türen sich schlossen.

Sie berichtete Sean davon, als sie wenig später ihr Zimmer bezogen und fragte, ob sie sich das vielleicht nur eingebildet hätte.

Er winkte ab. »Das kommt immer wieder mal vor. Ich hatte schon nächtlichen Besuch mit sehr eindeutigen Absichten, einmal sogar von einem Mann. Bei diesem Seibert hast du ganz richtig reagiert. Bleib einfach freundlich, geh auf Distanz, dann erledigt sich das meist von selbst. Dass wir ein gemeinsames Zimmer haben, schützt dich zusätzlich.«

»Und was schützt mich vor dir?« Sie schmiegte sich in seine Arme.

»Ich habe den Eindruck, dass du gar nicht geschützt werden willst.« Er küsste sie auf seine unnachahmliche Art. Maren bedauerte, dass ihnen nur wenige Minuten blieben, wenn sie rechtzeitig im Restaurant sein wollten.

Dort waren mehrere Tische zu einer Tafel zusammengeschoben, an der die ganze Gruppe Platz fand. Zwischen Hauptspeise und Dessert sagte eine ältere Dame, die ihnen gegenübersaß, plötzlich: »Sie beide sind ein ganz bezauberndes Paar und so verliebt. Sie sind noch nicht lange verheiratet, nicht wahr?«

»Oh, wir sind nicht verheiratet«, antwortete Maren leicht verlegen, schaute zu Sean und übersetzte auf seinen fragenden Blick hin die Vermutung ihres Gastes.

»Just tell her not yet, Darling«, sagte er lächelnd, fasste nach ihrer Hand und küsste die Innenfläche. Die verborgene, rasche Berührung seiner Zunge schickte einen Stromstoß durch ihren Körper.

»You better shouldn’t do that«, flüsterte sie, dann etwas lauter an ihren Gast gewandt: »Noch nicht.«

»Warum lässt du sie glauben, wir stünden kurz vor der Hochzeit?«, fragte sie Sean, als sie allein waren. »Du lügst doch sonst nicht. Behauptest du jedenfalls.«

»Das war keine Lüge, nur eine theoretische Möglichkeit. Wenigstens sind wir jetzt beide vor eventuellen unmoralischen Angeboten sicher.«

»Du kennst Worte wie unmoralisch?«, neckte Maren ihn, nur um nicht darüber nachzudenken, was sie bei ›theoretische Möglichkeit‹ empfand. Sie konzentrierte sich lieber darauf, welche Gefühle seine Berührungen in ihr auslösten. Die hatten rein gar nichts mit Moral zu tun.

Am nächsten Tag standen mehrere Besichtigungen in Cork City auf dem Programm. Das erste Ziel war das Elisabeth Fort.

»Das Fort wurde 1601 erbaut und Sie werden feststellen, dass sein Grundriss dem Charles Fort in Kinsale gleicht, das wir morgen besuchen werden«, erklärte Sean während der Fahrt dorthin. »Im 17. Jahrhundert wurden in ganz Europa sternförmig angelegte Festungen gebaut. Man versprach sich davon einen besseren Schutz vor feindlichen Kanonenkugeln. Von 1817 bis 1837 wurden hier irische Strafgefangene interniert, bis man sie nach Australien deportierte. Hundert Jahre später, während des irischen Unabhängigkeitskrieges, diente das Fort als Stützpunkt für britische Soldaten, die gegen die IRA kämpften. Schauen Sie sich in Ruhe das Museum an, und wenn Sie Fragen haben, stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.«

Nach einem Abstecher zum ›Red Abbey Tower‹, im 13. Jahrhundert aus rotem Sandstein erbaut, besuchten sie den im Zentrum von Cork gelegenen ›English Market‹, der kürzlich sein 230-jähriges Bestehen feierte.

»Sie haben zwei Stunden Zeit, sich umzusehen, und ich kann Ihnen jedes Bistro oder Restaurant wärmstens empfehlen«, sagte Sean noch im Bus. »Wir treffen uns pünktlich um halb zwei Uhr wieder hier am Eingang, um zum ›Cork City Gaol‹ zu fahren. Dort können Sie den Strafvollzug im 19. Jahrhundert hautnah erleben. Aber keine Sorge, ich weiß, wo die Zellenschlüssel hängen.«

»Ciara hat mir erzählt, dass sie hier Elmer kennengelernt hat«, sagte Maren, als ihre Gäste in kleinen Grüppchen in die Markthalle gegangen waren. »Hast du auch manchmal an eurem Verkaufsstand gearbeitet?«

»Lieber dort als in der Gärtnerei. Nicht nur wegen der weiblichen Kundschaft.« Er zwinkerte ihr zu. »Dreck unter den Fingernägeln hat mich schon als Kind gestört.«

Sean legte eine seiner gepflegten Hände an ihre Wange und küsste sie, nicht eben kurz, aber auch nicht lange genug. Nun, sie standen schließlich noch auf dem Bürgersteig. Ob es irgendwo dort drinnen eine ruhige Ecke gab? Sah nicht so aus.

Sie schlängelten sich durch die Menschenmassen in den Gängen, bis Sean an einer Ecke stehenblieb und auf einen Stand in etwa zwei Metern Entfernung deutete, an dem Pflanzen in unterschiedlichen Stadien ihrer Entwicklung verkauft wurden. Direkt gegenüber befand sich der von Ciara erwähnte Imbiss. Dann zog er sie in einen anderen Gang, schließlich zu einer Treppe, die zu einer Galerie an der Außenwand führte.

Oben gab es mehrere Cafés, alle gut besucht. Zu guter Letzt ergatterten sie doch einen freien Tisch direkt an der Balustrade. Sean stellte sich an der Theke an und kam mit Kaffee und Apfelkuchen wieder. Maren riss sich von dem bunten Treiben in der Markthalle los und trank einen großen Schluck Kaffee, bevor sie sich dem riesigen Stück Kuchen widmete. Nach dem ersten Bissen verdrehte sie genussvoll die Augen.

Sean schmunzelte. »Der Beste in ganz Cork«, versicherte er und begann ebenfalls zu essen. »McLeary-Äpfel. Also zumindest stammen die Schösslinge von dort. Das Grundstück ist nicht groß genug für eine richtige Baumschule. Meine Schuld.«

»Weil du nach Australien abgehauen bist, statt dein Erbe anzutreten?«, fragte sie spontan. War das jetzt dünnes Eis?

Er warf ihr einen finsteren Blick zu, entspannte sich aber gleich wieder. »Ciara hat sich schon immer mehr für die Gärtnerei interessiert als ich. Der King hätte es natürlich viel lieber andersherum gehabt.«

Ciara hatte Maren erzählt, dass Sean als Zehnjähriger seinen Vater mit dem despotischen König Lear verglichen hatte und ihn seither nur so nannte. Sollte sie nachbohren oder es ihm überlassen, wann er ihr erzählen wollte, was damals wirklich passiert war? Falls er sie tatsächlich nach dem Ende der Tour seinen Eltern vorstellen wollte.

Nachdem Sean am nächsten Morgen das Gepäck im Bus verstaut hatte, fuhren sie nach Cobh, vormals Queenstown. Hier gingen 1912 die letzten Passagiere an Bord der Titanic, bevor sie nach New York auslief, das sie nie erreichte.

»Man gibt uns Iren gern die Schuld an allen möglichen Katastrophen«, sagte Sean, »doch mit dem Untergang der Titanic hatten wir nichts zu tun. Sie war perfekt, als sie Belfast verließ. Der einzige Fehler war, das stolze Schiff einem englischen Kapitän, einem schottischen Steuermann und einem kanadischen Eisberg zu überlassen.«

Einige der Gäste lachten, andere schauten pikiert. Dabei war das eine oft zitierte Aussage, die Maren schon von dem Guide am Trockendock in Belfast gehört hatte.

Sie wanderten auf dem Titanic Trail, besuchten das Heritage Center, das der irischen Diaspora gewidmet war und lauschten aus einiger Entfernung dem einzigen Glockenspiel Irlands an der weithin sichtbaren St. Colman Cathedral.

Maren bedauerte, dass sie nicht hineingingen. Es war Jahre her, dass sie mit Victor hier gewesen war, aber sie erinnerte sich noch gut an den prächtigen Innenraum mit den Säulengängen in romanischem Stil, an die keltischen Muster des Mosaikfußbodens im Mittelgang und die polychromen Seitenfenster. Vor allem aber an das kreisrunde, aus einzelnen Rosetten bestehende Fenster, das zu fast einem Drittel von den Spitzen der darunter stehenden Orgelpfeifen umrahmt war.

Danach ging es weiter nach Kinsale, ein Städtchen mit farbenfrohen Häusern, auch ›Gourmet-Hauptstadt Irlands‹ genannt. Ciara hatte versucht, in einem der Restaurants eine Reservierung für die Gruppe zu bekommen, doch es war bereits alles ausgebucht gewesen. Ihre Gäste waren jedoch zufrieden damit, sich die kleinen Handwerksläden anzuschauen und ihre Mittagsmahlzeit in verschiedenen Cafés einzunehmen.

Während des Rundgangs durch das auf einem Hügel oberhalb der Bucht gelegene Charles Fort erzählte Sean die ›blutige Legende der White Lady of Kinsale‹: »Kurz nach der Fertigstellung des Forts im 17. Jahrhundert war Colonel Warrander zum Kommandanten ernannt worden. Er hatte eine Tochter namens Wilful, und diese heiratete Trevor Ashford, einen Offizier ihres Vaters. An ihrem Hochzeitstag spazierten Braut und Bräutigam über die Zinnen und dabei entdeckte Wilful auf den Klippen außerhalb des Forts Blumen. Weil diese ihr so gut gefielen, bat sie ihren Bräutigam, ihr welche zu pflücken. Trevor war, obwohl sehr verliebt, nicht gerade begeistert von der Idee und außerdem schon reichlich angeschickert, machte sich aber trotzdem auf den Weg. Allerdings nur bis zum nächsten Wachposten, den er beauftragte, diese Blumen zu pflücken, während er solange die Wache übernehmen wollte. Also tauschten sie ihre Uniformen und der Soldat zog von dannen. Nun dauerte das Unterfangen aber länger als gedacht, und so war es kein Wunder, dass Trevor alsbald die Augen zufielen. Ihr erinnert euch sicher, worum ich euch am ersten Tag gebeten habe.«

Nachdem Maren übersetzt hatte, erzählte Sean weiter. »Nun aber zum blutigen Teil der Legende. In der Zwischenzeit wollte Colonel Warrander bei seinen Gästen ein bisschen damit angeben, wie gut er das Fort und seine Mannschaft im Griff hatte, also nahm er eine Handvoll von ihnen auf seinen Routine-Rundgang mit. Der führte natürlich auch zu der Stelle, an der sein Schwiegersohn seinen Rausch ausschlief. Als der vermeintliche Wachposten auch auf die Wiederholung seiner Frage nach der vereinbarten Parole nicht reagierte, zog Warrander kurzerhand seine Pistole und erschoss ihn. Das war durchaus legitim, gefährdete ein unaufmerksamer Soldat doch die Sicherheit aller im Fort, und schließlich hätte es auch ein Spion sein können. Erst als man die Leiche wegbrachte, erkannte der Kommandant, dass er seinen eigenen Schwiegersohn erschossen hatte. Wilful, von dem Aufruhr angelockt, rannte, als sie ihren Frischangetrauten tot vorfand, außer sich vor Verzweiflung auf die Zinnen und stürzte sich die Klippen hinunter. Warrander wurde mit der doppelten Tragödie nicht fertig und erschoss sich kurz darauf selbst. Man sagt, dass Wilful auch heute noch in ihrem Hochzeitskleid über die Zinnen von Charles Fort wandert und nach ihrem Ehemann ruft.« Sean legte eine winzige Pause ein, fügte dann hinzu: »Zwar sind mir in den letzten Jahren keine Sichtungen mehr zu Ohren gekommen, aber es steht wohl fest, dass man die ›White Lady of Kinsale‹ am besten nach dem Genuss etlicher Pints of Guinness sehen kann.«

Geschichten dieser Art trugen viel dazu bei, dass Elmer und Sean bei ihren Gästen so beliebt waren. Zahlen, Daten und Fakten konnte man schließlich in jedem Reiseführer nachlesen.

Nach diesem Ausflug fuhren sie weiter nach Ballinspittle und von dort aus über die malerische Küstenstraße zur Timoleague Abbey, der Ruine eines Franziskanerklosters aus dem 13. Jahrhundert.

Die Nacht verbrachten sie in Rosscarbery. Im Dorf gab es nichts Besonderes zu sehen, wenn man von der in einem Wald gelegenen Ruine von Castlefreke absah, die aber wegen Einsturzgefahr für Besucher gesperrt war. In den sechziger Jahren sollte das fünfzig Jahre zuvor durch ein Feuer zerstörte gotische Gebäude in ein Hotel umgebaut werden, doch wie so oft, ging den Besitzern das Geld aus, bevor auch nur ein Bruchteil der Arbeiten abgeschlossen war. Dass die Gruppe trotzdem in diesem Dorf übernachtete, lag einzig an seiner Nähe zum Drombeg Stone Circle, dem ersten Ziel des nächsten Tages – und dem überaus ansprechenden Celtic Ross Hotel.

Manchmal schickten sie ihre Gäste auch alleine los, etwa am Leuchtturm von Mizen Head, an der Barley Cove, wo selbst jetzt, nahezu Ende Oktober, einige Surfer auf den Brandungswellen ritten, oder bei der Besichtigung von Bantry House, dem vorerst letzten Ziel in County Cork. Der kleine Ort Glengarriff, wo sie die Nacht in einem Gästehaus verbringen würden, lag bereits in Kerry.

Die Betten quietschten gottserbärmlich, selbst wenn man sich nur auf den Rand setzte. Maren notierte umgehend ›andere Unterkunft für die nächste Saison‹ in ihrem Laptop und schickte einen kurzen Hinweis an Ciara. Solche Dinge wurden immer in der Winterpause erledigt: Verträge mit Hotels, Erkunden von alternativen Zielen, Vereinbarungen mit Restaurants, die sich für eine Mittagspause bei Zwischenstopps oder längeren Fahrstrecken anboten. In der Regel überschritten die reinen Fahrzeiten zwischen den einzelnen Zielen aber nur selten anderthalb Stunden.

Von Glengarriff aus fuhren sie mit einem offenen Boot nach Garinish Island, passierten dabei eine Seehund-Kolonie. Der Kapitän drosselte den Motor und fuhr in geringer Entfernung um die aus dem Wasser ragenden Felsen herum, gab so seinen Passagieren die Möglichkeit, Fotos zu machen. Die Seehunde schienen das gewohnt zu sein, fast bewegungslos lagen sie auf den Felsbrocken, nur wenige befanden sich im Wasser, schenkten dem Boot aber ebenfalls wenig Aufmerksamkeit.

Bis plötzlich von einem der Felsen ein seehund-typisches Bellen erklang. Maren hatte die beiden Tiere, die sich darauf befanden, gar nicht gesehen, da sie vollkommen reglos dort gelegen hatten und die Farbe ihres Fells sich nicht von der des Felsens unterschied. Nun jedoch näherte sich schwimmend ein drittes Tier, anscheinend in der Absicht, sich zu seinen Artgenossen zu gesellen. Diese wollten offensichtlich unter sich bleiben und schafften es, den unerwünschten Besucher mit Drohgebärden zu vertreiben. Kaum hatte jener sein Vorhaben aufgegeben und war abgetaucht, versanken die beiden ›Hausherren‹ sofort wieder in Unbeweglichkeit und damit in Unsichtbarkeit.

Auf der Insel ließen Maren und Sean ihre Gruppe nach eigenem Ermessen die Gartenanlagen erkunden. Sie selbst taten das auch und trafen dabei den einen oder anderen ihrer Gäste; am Seerosenteich vor dem Medici-Haus, im ummauerten Garten oder dem kleinen griechischen Rundtempel, der auf einer Anhöhe stand und von dem aus man einen herrlichen Blick auf die Bucht und den wilderen Teil des Parks hatte.

Am zweiten Tag in Killarney schickten sie ihre Gäste auf eigene Faust zu einem Stadtbummel und nutzten den freien Nachmittag auf ihre Weise. In diesem Hotel gab das Bettgestell keinen Ton von sich. Nur das Bettgestell.

Auf dem Rückweg von Killarney nach Cork verbrachten sie einen halben Tag in Blarney Castle, das über einen bezaubernden Park verfügte. Dort gab es einen kleinen Wasserfall, einen ›Druid Circle‹, eine ›Witches Kitchen‹, einen Elfenhain und nicht zuletzt die ›Wishing Steps‹, die aus zwischen zwei Felswänden eingefügten, unterschiedlich hohen Kalksteinblöcken bestanden. Der Legende nach soll man diese mit geschlossenen Augen hinunter und wieder hinauf gehen – manche behaupten, rückwärts. Dabei darf man weder anhalten noch an etwas anderes als den Wunsch denken, dann erfüllt sich dieser innerhalb eines Jahres.

Sean warnte die Gäste eindringlich, dass die Stufen oft glitschig seien und sie das auf eigene Gefahr täten.

»Hast du auch einen Wunsch, mein Engel?«, fragte er lächelnd, nachdem die Gruppe hinter den ersten Büschen verschwunden war.

»Keinen, den du mir nicht schon heute Abend erfüllen kannst, Teufel.«

»Dann werden gleich zwei Wünsche wahr.« Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich, dass niemand in der Nähe war, und küsste Maren ausgiebig. Das taten sie nie, solange jemand von ihren Gästen sie sehen konnte.

»Kinderüberraschung.« Maren amüsierte sich über Seans erschrockenen Gesichtsausdruck, zitierte in affektiertem Tonfall den Werbeslogan ›gleich drei Wünsche auf einmal! Spannung, Spiel und Schokolade‹, und erklärte: »Das ist ein Schokoladenei mit einer Plastikkapsel im Inneren, in der sich ein zerlegtes Spielzeug, ein Puzzle oder eine Comicfigur befindet. Letztere sind bei Sammlern sehr beliebt, weshalb man vor den Aufstellern oft mehr Erwachsene als Kinder ein Ei nach dem anderen schütteln sieht. Das Klappern lässt allerdings kaum Rückschlüsse auf den Inhalt zu. Man nennt es Ü-Ei, oder eben Kinderüberraschung.«

»Gut, dann werde ich Schokolade besorgen. Viel Schokolade. Ich werde sie auf dir schmelzen lassen und ganz langsam ablecken.«

»Hör auf. Sofort. Ich will auch welche. Am liebsten eiskalt. Ich werde mir ein Stück auf die Zunge legen und rate, was ich damit tun werde.«

»Ist das jetzt der Teil mit der Spannung? Besser gesagt, der Vorfreude.« Noch einmal küsste er sie, kurz aber heftig. »Was möchtest du jetzt gleich tun? Durch den Park spazieren oder den ›Blarney Stone‹ küssen? Für meinen Geschmack kannst du bereits allzu gut mit Worten umgehen.«

»Ach, nur mit Worten?« Sie lachte, als er sie Hexe nannte. »Lass uns lieber einen Kaffee trinken. Oder einen Cappuccino. Mit Sahne.«

Claddagh - Promises

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