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Kapitel 2

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Es war für die geringe Anzahl der Gäste ein viel zu üppiges Mahl. Eigentlich hätte Brian auch noch sogleich allen Bewohnern der Festung und der umliegenden crannógs und ráths damit die Bäuche füllen können, doch er hatte nur wenige Personen in die Halle gelassen, um einen Streit zwischen Iren und Nordmännern zu vermeiden.

Aodhan, der königliche Barde, sang ein Lied und begleitete sich selbst mit der Lyra. Er hatte eine außergewöhnlich schöne Stimme, und die Melodie verzauberte die Zuhörer. Sogar die Wikinger, die dort an ihrem langen Tisch saßen, hatten mit dem Essen innegehalten und lauschten der Musik.

Wohlige Feuer brannten in der Mitte der Halle. Die Nordleute waren unbewaffnet, und das Zusammensein wirkte oberflächlich recht friedlich, zumal Brian ausdrücklich angeordnet hatte, dass es keinen Streit um die besten Fleischstücke – der Heldenportion – geben sollte, die eigentlich dem tapfersten Krieger zustand. Manchmal wurde um diese sogar bis zum Tod gekämpft. Dennoch herrschte hier im großen Raum eine untergründige Anspannung.

Als der Barde endete, verzog Sigtrygg anerkennend die Unterlippe. Die Kelten spendeten Beifall, aber die Nordmänner hielten sich zurück.

Obwohl jedermann um Frieden bedacht war, empfand Sláine die Nähe der Feinde als unerträglich.

Ihre jüngere Schwester Rhian lehnte sich ganz nah zu ihr herüber und kicherte. „Du weißt ja, ich habe dem Wikingerkönig beim Baden geholfen ... Du bist zu beneiden, dass du seine Frau wirst. Er ist ein wirklich schöner Mann und äußerst gut gebaut. Auf den Oberarmen und Schultern hat er Tätowierungen, die Runen und einen in Mustern verwobenen Drachen zeigen. Die Runen sind ein Heilsspruch, mit dem er sich unter den Schutz des Göttervaters Odin höchstpersönlich stellt. Er war richtig charmant, hat ein wenig mit mir geschäkert. Also, wenn du ihn nicht willst, würde ich ihm gern nach Dublin folgen.“

Jetzt verstand Sláine ihren Vater. Er benötigte in der Tat eine Tochter, die den Abstand zum Wikinger wahren konnte – ihn sogar verachtete. Als sie zu Sigtrygg schaute, zuckte sie ein wenig zusammen, denn sein Blick lag auf ihr, intensiv und ergründend. Sie errötete und hasste sich dafür. Rasch schaute sie fort, widmete sich dem Fleischstück, das vor ihr auf dem Silberteller lag.

„Wenn er doch nur mich so ansehen würde!“, seufzte die fünfzehnjährige Rhian. „Ich glaube, du gefällst ihm sehr.“

„Ach, sei still! Er ist ein verfluchter Nordmann, der Cormac getötet hat!“, zischte Sláine. Sie ärgerte sich, weil der König von Dublin sie noch immer unverhohlen musterte. Doch dann wurde er abgelenkt, weil der riesige Thorulf, den Sláine mit dem Dolch verletzt hatte, einen Streit mit Brians drittgeborenem Sohn Flann begonnen hatte.

Augenblicklich sprang Flann von seinem Platz auf. „Du behauptest ernsthaft, dass wir in der Schlacht bei Glenn Máma nur Glück hatten?“, fauchte er, und seine blauen Augen sprühten Funken.

Der dunkelblonde Wikinger hatte sich ebenfalls von seinem Platz erhoben. Er schwankte bereits ein wenig – hatte sich reichlich am Wein gütlich getan. „Ja, das behaupte ich! Eine der Nornen muss sich beim Weben der Schicksalsfäden vertan haben, denn ihr hättet niemals siegen dürfen! Ihr – die nur selten mit einem Schwert bewaffnet seid, zumeist nur mit Speeren, und zum Schutz eure runden Schildchen tragt – hättet an unseren großen Schilden zerschellen müssen. Wir sind Eroberer und versetzen die Völker in Angst und Schrecken. Wir waren in Paris, haben am Rhein und an den Nebenflüssen die Städte bis Trier geplündert, haben die Friesen als Händler verdrängt, waren in Dorestadt, Rouen, Tours, Santiago de Compostela, Sevilla, Nîmes, selbst in Pisa und vielen anderen Orten. Wikinger sind im Osten unterwegs und errichten Handelsstützpunkte, reisen bis nach Konstantinopel, wo einige von uns sogar als Warägergarde dem Kaiser dienen. Wir sind die bedeutendsten Sklavenhändler weit und breit. Niemand ist vor uns sicher! In England beherrschten die Wikinger lange das Danelag, das erst in der Schlacht von Stainmore vor gut fünfzig Jahren verloren ging und bei der Erik Blutaxt als Held starb. Doch vor zwanzig Jahren haben die Wikinger wieder mit den Überfällen auf England begonnen. Keiner kann mit uns mithalten! Ihr seid ein geschwätziges Volk, das den Wortschwall mehr liebt als das Schwert!“

Flann wollte auf ihn zustürmen, doch seine Brüder Murchad und Conchobhar hielten ihn zurück.

Die Beleidigungen hatten Sigtrygg zeitweise ein erheitertes Lächeln auf die Lippen getrieben. Doch nun erhob er sich und fasste Thorulf an die Schulter. „Setz dich! Du hast zu viel getrunken!“ Dann wandte er sich Brians Söhnen zu. „Er hat es nicht so gemeint.“

„Doch, habe ich“, brummte Thorulf und blieb stehen.

„Mit eurer Ausrüstung seid ihr schwerfällig und langsam und für unsere wuchtig geschleuderten Speere ein leichtes Ziel! Niemand kann die Speere so gut werfen wie wir Iren! Du kannst dir das Aufzählen der Erfolge sparen, denn dabei schmückst du dich mit fremden Federn. Und ich muss feststellen, dass dein Wortschwall doch auch sehr beachtlich war. Ich muss dir sagen, dass du zumindest in der Schlacht von Glenn Máma dabei gewesen bist! Und? Wo war da euer Erfolg? Wer wird denn hier Vasall von wem?“, fauchte Flann.

„Zügle dich!“, forderte Murchad von seinem Bruder. Dann wandte er sich an Sigtrygg, dem die letzten Worte sicherlich wie Pfeile in der Brust steckten. „Auch er hat es nicht so gemeint!“

Sigtryggs Mundwinkel verzogen sich mürrisch nach diesem Seitenhieb, der in eine Entschuldigung eingebettet war. Mit einem dezenten Nicken deutete er an, diese anzunehmen.

„Da wir nicht erneut nach Krieg streben, sondern – im Gegenteil – nach Verständigung, solltet ihr euch alle wieder setzen!“, ließ Brian energisch verlauten, und sein Blick wanderte zwischen den Gästen und seinen Söhnen hin und her.

Warnend schaute Murchad seine Brüder an. Sigtrygg zögerte noch einen Moment, gab schließlich Thorulf einen Wink, und der Riese nahm wieder Platz.

Sláine hatte dies voller Anspannung beobachtet. Insgeheim schienen sowohl die Iren als auch die Krieger aus Dublin auf einen Kampf gehofft zu haben. Zu tief waren die Klüfte zwischen ihnen. Doch die Nordmänner waren hier, weil Sigtrygg kapituliert hatte. Warum Besiegte nochmals besiegen?

Der König von Dublin wirkte stolz, und in seinen Augen glomm eine wilde Seele. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er versuchen würde, die Herrschaft abzuschütteln. Für den Nordmann musste das Vasallentum unter Brian ähnlich einem widerlichen Teller voller Gewürm erscheinen, den er hier schlucken musste.

Abermals ertappte Sláine ihn dabei, wie er sie eingehend betrachtete. Ihm war dies ganz und gar nicht peinlich. Im Gegenteil: Er schenkte ihr sogar ein begehrliches Lächeln.

Unverzüglich errötete sie abermals und schaute fort. Er hatte etwas an sich, das sie faszinierte und ihr Herz schneller schlagen ließ. Nein, das durfte nicht sein! Er war ihr Feind! Und bald würde er ihr Gemahl sein … Bei diesem Gedanken befiel sie leichte Panik.

Der königliche Barde sang erneut, diesmal ein fröhliches Lied, das die Stimmung hob. Aodhan beherrschte die drei Weisen des Lebens in Perfektion: die Weise des Lachens, die des Seufzens und die des Schlafes. Er konnte Stimmungen hervorragend wahrnehmen und in verschiedene Richtungen lenken. Also spielte er nun etwas Besänftigendes.

Sláine fiel es jedoch schwer, ihm zuzuhören, denn sie fühlte auch weiterhin des Öfteren den Blick des Nordmannes auf sich gerichtet. Wollte er sie einschätzen oder provozieren? Sie tat jedenfalls so, als würde sie es nicht bemerken, widmete sich erneut dem Essen und schaute hin und wieder – sie konnte es nicht vermeiden – erbost zu Gormlaith, die zwar am Tisch ihres Sohnes saß, aber deren Anwesenheit Echaid fast zur Weißglut brachte. Schließlich verließ Brians Weib die Halle und kam nicht mehr wieder.

Nach einiger Zeit sagte Sigtrygg, dass er ein Geschenk für den König hätte, und bat Brian darum, dass ein irischer Krieger es holte. Es dauerte nicht lange, da erschien dieser mit einem wundervollen Schwert, das er dem König überreichte. Sigtryggs Hand zuckte kurz, als ob er es dem König gern selbst gegeben hätte, aber dies wäre ihm ohnehin nicht gestattet worden. Es handelte sich um eine Klinge aus der berühmten Ulfberht-Werkstatt am Rhein. Lange Zeit war der Handel dieser Waffen mit den Wikingern verboten gewesen, da man ihnen solch meisterliche Schwerter nicht in die Hand geben wollte. Aber durch Schmuggel oder als Beutestücke waren sie trotzdem in deren Besitz gelangt. Den Knauf und die Parierstange bearbeiteten die Nordmänner zumeist selbst, so wie es auch bei diesem geschehen war. Hier zeigten sich wundervolle verschlungene Niello-Arbeiten. Brian freute sich sehr über diese Waffe und ließ es sich nicht nehmen, diese sogleich gekonnt zu schwingen. Das Geschenk hob dessen Stimmung enorm, während seine Söhne mürrisch blieben. Sie atmeten erst wieder erleichtert auf, als sich die Nordmänner zum Schlafen zurückzogen.

* * *

Am nächsten Morgen erwachte Sláine, als sich Rhian auf ihr Bett setzte.

„Sie sind fort!“, teilte die jüngere Schwester ihr mit.

„Wer?“, fragte Sláine überflüssigerweise, schälte sich aus der Decke und gähnte herzhaft.

„Die dub-gaill! Bei Tagesanbruch sind sie aufgebrochen. Wirklich schade. Ich bin richtig traurig, dass nicht ich sein Weib werde.“ Rhian wickelte sich eine Strähne ihres braunen Haares um ihren Finger.

„Wessen Weib?“

„Sigtryggs! Er hätte an mir sicherlich mehr Freude als an dir, da du ihn verachtest!“, sagte ihre Schwester schmollend und befreite ihren Finger.

„Hast du dich etwa in ihn verliebt?“

„Du denn nicht?“

„Nein! Du dummes Kind!“, schalt Sláine sie, ärgerte sich aber, dass es bei dem Gedanken an den König von Dublin durchaus in ihrem Bauch kribbelte.

„Ach, du bist ja nur zornig! Du sollst sein Weib werden, und er hat gar nicht mit dir geredet, nicht eine einzige Frage hat er dir gestellt! Er hat keinen Gefallen an dir. Mit mir hat er jedenfalls gesprochen.“

Sláine empfand ihre Worte fast wie eine schallende Ohrfeige. Ja, Rhian hatte recht. Nicht eine Silbe hatte er an sie gerichtet. Hatte er sie mit Missachtung strafen wollen? Aber wozu dann diese intensiven Blicke? Sie verstand ihn nicht.

Gormlaith wehte herein, gefolgt von einigen angelsächsischen Sklavinnen, die sie mitgebracht hatte. „Das ist also Brians Haus! Ach, hier gibt es ja nur diese flachen Tische, und man muss auf Fellen auf dem Boden sitzen! Dann werde ich wohl immer in der Königshalle speisen. Hat der König etwa keinen separaten Raum für sich? Nun ja, wenigstens gibt es hier richtige Betten und nicht nur schnöde Strohmatten. Dennoch, so geht das nicht! Ich will mit ihm ungestört sein, möchte ein eigenes Haus, wo er mich jederzeit besuchen kann.“

Die beiden Schwestern kamen hinter der Trennwand hervor, konnten gerade noch sehen, wie Echaid, die Getreide mit der Handmühle mahlte, von ihrer Arbeit abließ und die Fäuste in die Hüften stemmte. „Du bist noch nicht einmal sein Weib und stellst schon Forderungen?“

„Selbstverständlich! Ich bin eine bedeutende und vermögende Frau! Schließlich war ich das Weib von Olaf von Dublin und York und anschließend vom ard-rí Máel Sechnaill, außerdem bin ich die Schwester von Máel Mórda, des Königs von Leinster“, schleuderte sie ihr entgegen.

Echaid, kleiner und runder als die Mutter des Wikingers, neigte ihren Kopf zur Seite und schaute sie abschätzig an. „Nun, dein Gemahl Olaf hat damals York an Erik Blutaxt verloren, dein Sohn ist nun ein Vasall, Máel Mórda wurde von Brian als König abgesetzt – und Máel Sechnaill? Ist dieser nicht im Begriff, immer mehr Macht an Brian zu verlieren? Bedenke: Ich bin Echaid, Tochter von Carlus, Sohn von Ailill Fiach, König Uí Áeda Odba. Mich hat Brian vor dir geheiratet.“

Gormlaith, schön wie die sagenhafte durchtriebene Königin Medb, schenkte ihr ein müdes Lächeln. „Nun, ein nicht gerade bedeutender König eines Zweiges der südlichen Uí Néill. Aber schließlich hat Brian dich geheiratet, als seine Macht wesentlich geringer war“, konterte sie schnippisch. Dann fiel ihr Blick auf Sláine. „Ah, da bist du ja. Dich habe ich gesucht! Ich will mit dir sprechen! Ist das in diesem Hause möglich?“ Abfällig schaute sie auf die kleinen Kinder, die sich überall tummelten, die Sklaven und Brians jüngere Töchter und Söhne.

Echaid schickte ihr einen übelwollenden Blick hinterher, als die blonde Schönheit auf ihre Stieftochter zuging.

„Ich wüsste nicht, worüber“, ließ sich Sláine vernehmen, und ihre Stiefmutter nickte zufrieden.

„Nun, über das Einzige, das dich noch interessieren sollte: mein Sohn!“ Sie drängte Rhian beiseite. „Komm, lass uns reden!“ Sie führte Sláine aus dem großen runden Haus durch die rechteckige Vorhalle und schaute sich auf dem Hof um.

Die Bewohner gingen fleißig ihrer Arbeit nach. Etwas abgelegen wurde Metall geschmolzen, in einer Schmiede wurde auf glühendes Eisen gehämmert, im Ofen wurde Brot gebacken. Zudem wurde Wolle gefärbt, Flachs gebrochen, Eimer gefertigt, Ställe ausgemistet – jedermann war beschäftigt, und leise oder auch lauter wurden bei der Arbeit Lieder gesungen. Einige Halbbrüder von Sláine übten auf dem Hof mit Holzschwertern, und ein paar Hühner liefen gackernd zur Seite.

„Hier sind wir nicht ungestört. Lass uns auf die Befestigung hinaufgehen!“, bestimmte Gormlaith, genoss die Blicke der Krieger, die der schönen Frau hinterherschauten, als diese mit wiegenden Hüften die Stufen erklomm.

Oben angekommen, gingen sie auf dem Wehrgang entlang, entfernten sich von den Wachtürmen, wo aufmerksame Krieger in die Ferne spähten. Es wehte ein frischer Wind, und Sláine vermisste ihren Umhang. Ihr langes rotes Haar flatterte wie eine Fahne, und sie umgriff dieses mit der Hand, damit es ihr nicht beständig ins Gesicht wehte.

„Es ist schön hier!“, bemerkte Gormlaith und schaute Richtung Shannon, der sich in der Nähe der Festung verengte, um sich dann in der Nähe des Béal Bóramha, dem Fort, wo Brian zumeist seinen Rindertribut empfing, zum Binnensee Lough Derg auszudehnen. Von hier oben aus konnte man auch die Arra-Berge und die Slieve-Bernagh-Bergkette und weitere sanfte Anhöhen sehen, auf denen die Schatten der Wolken wanderten. Die höchste Erhebung in der Gegend war wohl der Moylussa, den man von Kincora gut sehen konnte. Doch manche behaupteten, dass der Glennagalliagh höher war. Wer außer Gott und den Feen konnte dies schon wissen? Der Wind trieb tief hängende Wolken aus Richtung des westlichen Ozeans heran, die sich vor die Sonne schoben.

„Was willst du mir sagen?“ Sláine ließ ihre Stimme recht frostig klingen.

„Nun, in ungefähr einem Monat wirst du nach Dublin gebracht. Mein Sohn wird nach seiner Rückkehr unverzüglich mit der Beseitigung der Schäden an seiner Burg, aber auch der Stadt beginnen. Sicherlich wird er mit der Königshalle anfangen, um dich dort würdig empfangen zu können.“ Gormlaith wandte sich ihr zu und musterte sie von den Haaren bis zu den Schuhspitzen. „Du bist ein hübsches Kind und gefällst ihm sehr. Ja, schau nicht so erstaunt: Er hat es mir selbst gesagt. Mir ist daran gelegen, dass mein Sohn ein gutes Eheweib bekommt. Obwohl ich dich kaum kenne, Sláine, mag ich dich, und darum will ich dir ein wenig von ihm erzählen, damit du ihn besser einschätzen kannst.“ Sie schaute zu den Wolken, die in grauen Streifen Regengüsse in der Ferne entließen und zügig weiterzogen, sich von der Sonne wieder fortschoben. „Er ist ein Wikinger, kaum Kelte, da er unter Nordmännern aufgewachsen ist. Ich war immer eine starke, stolze Frau, und solche Weiber reizen ihn: nicht willig, sondern eigenwillig, nicht schwach, sondern selbstbewusst. Es wird dir bei ihm an nichts fehlen, denn er ist reich und großzügig. Er hat eine prächtige Pferdezucht und kauft auch noch Pferde von den Angelsachsen. Seine Tiere sind überaus beliebt und bringen ihm viel Gewinn ein. Außerdem ist er der bedeutendste Sklavenhändler in Irland und hat ein goldenes Händchen für den Handel. Schnell erkennt er günstige Gelegenheiten. Willst du ihn also für dich gewinnen, so sei niemals langweilig.“

Sláine verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hegte kein Interesse daran, ihn für sich zu gewinnen.

„Ich habe versucht, ihm von unserer keltischen Kultur einiges mitzugeben, habe ihm Gedichte vorgetragen, Lieder beigebracht, erzählte ihm Geschichten über Cú Chulainn, die Túatha Dé Danann, die Fomoiri oder Brendan, den Seefahrer, vom heiligen Patrick, der heiligen Brigid und vieles mehr. Doch den Skalden gefiel das weniger, und sie begeisterten ihn für Göttervater Odin, dessen starken Sohn Thor, den hinterlistigen Loki, Tyr, Freya, den Weltenbaum Yggdrasil, der Himmel, Erde und Unterwelt miteinander verbindet. Sie redeten auch von den verschiedenen Welten: Wanaheim – der Götterwelt der Wanen –, Asgard – dem Land der Asen-Götter –, Midgard – der Welt der Menschen – , Alfheimr – dem Land der lichten Elfen –, Jotunheim – dem Felsriesenland –, Niflheim – dem Land der Frostriesen, Nidawellir – dem Zwergenland. Sie erzählten auch von der Midgardschlange und dem Fenriswolf, was er überaus spannend fand. Sein Herz ist gespalten. Tief in ihm ist trotz allem eine keltische Seele verborgen –, träumerisch, kreativ, musisch, der Natur verbunden – aber diese versteckt er vor den anderen Nordmännern. Manchmal ist er überaus redselig, dann wieder wortkarg. Verurteile ihn nicht vorschnell, mein Kind. Doch er wird erwarten, dass du stets treu zu ihm stehst und ihn nicht vor anderen bloßstellst. Dies wird gewiss manchmal eine Herausforderung, gar eine Gratwanderung für dich. Du solltest ihn auch nicht in seiner Ehre herabwürdigen, weil er nun ein Vasall deines Vaters ist. Dies ist ohnehin ein glühendes Stück Kohle in seinen Eingeweiden.“

Für Sláine war es eine Genugtuung, dass er dies so empfand, denn er sollte leiden! Andererseits behagte ihr dieses Gespräch gar nicht, sie wollte nichts von ihm erfahren, das ihn für sie noch interessanter machte. „Ist er ein Heide? Rhian, meine Schwester, sah Runen auf seinen Armen und Schultern.“

Gormlaith konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen, da Brians Tochter nun doch eine Frage über ihn stellte. „Er ist ein Christ, wie ich und sein Vater vor ihm, dennoch hängt er in vielen Bereichen dem Wikingerglauben an. Ein Abgesandter aus Rom besuchte die Dubliner vor einigen Jahren und beklagte dieses, aber auch, dass wir Kelten viel von unserer alten Religion hüten und unsere Kirchen viel zu monastisch ausgerichtet seien. Er meinte, dass wir ein eigenes Verständnis vom Glauben hätten und ihn verwunderten die Bußbücher, die die Sünde im Geiste genauso schlimm ansehen wie die tatsächliche Tat und die höhere Strafen für Geistliche als für Laien enthalten. Dem Abgesandten war durchaus bekannt, dass Columban körperliche Strafen für sehr bedeutend hielt und besonders gegen die Fleischeslust gewettert hat … Du meine Güte, dabei sind Menschen doch so körperliche Wesen, selbst im Alten Testament hatten die Männer mehrere Weiber. Darum gefällt uns das Alte Testament so sehr, und wir rechtfertigen damit unsere Brehon-Gesetze, nicht wahr? Ich empfinde dieses Ankreiden der körperlichen Liebe als übertrieben, denn diese Liebe ist doch ein göttliches Geschenk. Ich denke, Columban muss ein verbitterter Mann gewesen sein.“ Seufzend schüttelte sie den Kopf. „Und der römische Abgesandte wunderte sich, dass manche Strafen Fasten bei Wasser und Brot seien. Nun, das Fasten ist den Iren ja nicht fremd. So sieht es unser Gesetz vor, dass wir unser Recht durch Fasten gegen Ranghöhere durchsetzen können. Doch die härteste Strafe ist für einen Iren wohl die Verbannung, da es für uns doch so überaus wichtig ist, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Du weißt selbst, wie sehr uns die Verbundenheit zur túath prägt! Dennoch haben diese Bußen und die Askese großen Eindruck gemacht, denn sie haben sich bis aufs Festland ausgebreitet. Allerdings“, sie lächelte verschmitzt, „wussten sich die irischen Geistlichen zu helfen, da sie jahrelange Bußen reduzierten, indem sie stattdessen harte körperliche Strafe hinnehmen. Das, was wir Iren tun, tun wir wirklich voller Inbrunst und Leidenschaft, nicht wahr? Sei es beim Kampf, Trinken, Singen, Reden, Lieben, beim Beten oder eben bei der Askese.“ Sie nahm vorsichtig eine Strähne von Sláines Haar, das nun munter wehte. „Sigtrygg liebt rotes Haar.“

Sláine war diese Berührung unangenehm, und sie trat einen Schritt zurück, sodass die Strähne aus den Fingern der Frau rutschte. Eine Frage beschäftigte sie sehr: „Thorhild, sein Weib. Wie ist sie? Wird sie mich hassen?“

Gormlaith zog die Oberlippe kurz an ihren Zähnen vorbei. „Thorhild … Ja, sie wird dich hassen, da Sigtrygg sich deinetwegen von ihr trennen muss. Da sie die Mutter seiner fünf Kinder ist, wird er sie nicht fortschicken, sondern in seiner Nähe belassen. Sie ist eine starke Persönlichkeit, eine der letzten Schildmaiden. Die Zeiten ändern sich – leider.“ Sie seufzte. „Die römische Kirche mischt sich zusehends ein, verzerrt sowohl bei den Nordmännern als auch bei unserem Volk das Bild der Frau, schwächt unsere Position. Die filid wissen noch um die vormalige Stellung der Frauen, die den Männern als etwas Besonderes galten, da sie in der Lage sind, Leben hervorzubringen und oft seherische Fähigkeiten besitzen. Die Entwicklung ist bedenklich. Anfangs wurde der christliche Glaube von uns als wundervolle Ergänzung empfunden, und vieles von unseren Anschauungen fanden wir in ihm wieder. Wir wurden von ihm inspiriert. Doch umso größer der Einfluss Roms wird, desto mehr verlieren wir Frauen an Macht. Aber wie gesagt: Sigtrygg schätzt starke, eigenwillige Weiber. Ja, ich denke, du wirst ihm gefallen.“

Sláines Augen verengten sich. „Wäre es dir eigentlich nicht sogar recht, wenn er mich, die Tochter von Brian, seinem Besieger, schlecht behandelt?“

Über Gormlaiths Gesicht huschte ein Lächeln. „Ja, so sollte man meinen, doch ich liebe meinen Sohn über alles, und sein Glück liegt mir am Herzen. Er soll seine Energie nicht mit Ehestreit verschwenden, sondern Dublin wieder aufbauen, es groß und mächtig werden lassen.“

Nun, das konnte Sláine nachvollziehen, aber … sie würde ihm Schwierigkeiten bereiten. Er war ihr Feind! Sie räusperte sich. „Da du mir freimütig Ratschläge erteilt hast, so gestatte mir – obwohl du älter und erfahrener bist als ich –, auch einen an dich zu richten.“

Erwartungsvoll spitzte Gormlaith die Lippen. „Nun, ich höre.“

„Mein Vater setzt sehr auf Diplomatie, daher solltest du weniger überheblich einherschreiten und Echaid nicht durch allzu stolzes Auftreten herabsetzen. Sie ist in der Familie äußerst beliebt und ebenfalls eine energische Persönlichkeit. Ich glaube, dass du meinem Vater sehr gefällst, aber willst du hier in Kincora nicht ins Abseits geraten, solltest du um Verständigung bemüht sein.“

Anfangs war Gormlaiths Blick erbost, aber dann lächelte sie erneut. „Ja, du wirst meinem Sohn durchaus gefallen …“

* * *

In den nächsten Tagen wurde Brians Hochzeit mit großem Prunk gefeiert. Es wurde iomáint gespielt, bei dem zwei Mannschaften mit Holzschlägern einem kleinen Lederball hinterherjagten und versuchten, diesen zwischen die gegnerischen Torpfosten zu befördern. Das Spiel war schnell und ruppig. Die Männer schenkten sich nichts, und so mancher Zahn blieb auf dem Spielfeld. Den Frauen gefiel diese Härte, wie die Männer keuchten und schwitzten, sich gegenseitig zu Boden stießen und brutal beiseite drängten. Sie standen begeistert am Spielfeld und kreischten, wenn es besonders spannend wurde.

Wenig später fand ein Wettstreit der Barden statt, und herrliche Lieder erklangen. Aodhan gewann diesen, da er alle drei Weisen wie kein anderer in Perfektion beherrschte. Nicht umsonst war er des Königs Barde.

Echaid war von Brian darin bestärkt worden, dass sich an ihrer Stellung nichts änderte, aber bei den Feierlichkeiten machte sie dennoch ein äußerst verdrießliches Gesicht.

Auch Sláine konnte sich am Fest kaum erfreuen und ebenso wenig an den forschen Blicken der jungen Elite-Krieger und Adligen, denn keiner von ihnen war für sie bestimmt. Sie selbst würde bald nach Dublin aufbrechen müssen, um verheiratet zu werden. Bei dem Gedanken brachen Ängste in ihr hervor.

Wenigstens beherzigte Gormlaith nach der Hochzeit Sláines Rat und suchte den Frieden mit Echaid, die dennoch erbost war, da Brian sich für eine gewisse Zeit jede Nacht zu seinem neuen Weib begab.

* * *

„Kann ich dir behilflich sein?“, fragte Sigrid ihre Herrin, als diese mutlos in der Kleidertruhe kramte. Die Nordfrau war eine der beiden Leibsklavinnen, die Sláine mit nach Dublin nehmen wollte. Sigrid war strohblond, groß und sehr mager. Hübsch war sie keineswegs, eigentlich sogar recht hässlich mit ihrer übergroßen Nase und dem winzigen Mund. Aber sie hatte ein freundliches, fröhliches Wesen.

„Gern“, sagte Sláine.

„Soll ich helfen?“ Nun tauchte auch ihre Schwester Gunhild auf. Diese hatte bis auf die Größe und Haarfarbe keine Ähnlichkeit mit ihrer Schwester und war sehr hübsch. Noch immer verwendeten sie mit Vorliebe untereinander ihr nordische Sprache und hatten diese auch Sláine beigebracht.

„Es reicht, wenn ich helfe. Du kannst dich um andere Dinge kümmern!“, meinte Sigrid, als sie sich zu ihrer Schwester umwandte.

Gunhild zuckte mit den Achseln. „Wie du willst!“ Und schon war sie verschwunden.

Gleich darauf holte Sigrid nach und nach alle Kleider aus der Truhe heraus und legte sie behutsam auf das Bett. „Was willst du davon mitnehmen, Herrin?“

Brians Tochter beobachtete die Sklavin, wie diese mit flinken Händen die kostbaren Festgewänder und die einfachere Alltagskleidung auseinandersortierte.

„Ich denke – alles, denn ich kehre ja wohl nicht mehr zurück.“ Sláine seufzte. „Wie wird es für dich sein, wenn du mich begleitest? Immerhin kehrst du zu deinem Volk zurück.“

Sigrid schien erstaunt über diese Frage. „Wie es für mich sein wird? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Die Welt der Iren ist mir vertraut, denn hier lebe ich seit meiner Kindheit. Ich fürchte mich sogar vor den Nordmännern in Dublin.“

„Sláine?“, hörte die Königstochter die Stimme Murchads.

Sie lächelte ihrer Sklavin aufmunternd zu und trat hinter der Trennwand hervor.

Das Gesicht ihres ältesten Bruders zeigte Wehmut. Es war für Sláine offensichtlich, dass er sie trotz allem vermissen würde. „Ich möchte dir deine Leibwache vorstellen, die dich begleiten wird. Die Krieger wurden von mir persönlich ausgewählt und werden gut auf dich aufpassen.“

Leichte Panik stieg in Sláine auf. Seine Worten hallten in ihr wider: Werden gut auf dich aufpassen ... War dies bei den Nordleuten nötig? Würde sie vielleicht sogar damit rechnen müssen, gemeuchelt zu werden?

„Ich komme.“ Mit hängenden Schultern folgte sie ihrem Bruder. Sie hatte das Gefühl, dass sich eine Eisenkette um sie gelegt hatte, die sich immer weiter zuzog. In wenigen Tagen würde sie die ihr vertrauten Menschen, den Schutz dieser königlichen Festung, die Gefilde ihres Vaters, ihre túath und auch die Provinz Munster verlassen. Ein erschreckender Gedanke! Noch nie in ihrem Leben war sie außerhalb der Grenzen von Munster gewesen.

Vor dem Haus stand der hünenhafte Oisín und schaute sie mit seinen kaltblauen Augen an. Sein rotblondes Haar war vorn stachelig kurz geschnitten und hing ihm hinten lang über die Schultern. Ein gestutzter Bart zierte sein wuchtiges Kinn. Neben ihm standen sechs weitere, zumeist braunhaarige Krieger, kleiner als er, nicht ganz so muskulös, aber sehnig. Als einzig weiteren kannte Sláine den dunkelhaarigen Nachtan namentlich. Über dessen Stirn zog sich eine daumenbreite rosa Narbe.

Oisín und die anderen Krieger neigten ihr Haupt vor Sláine. Sie waren außer mit einem Speer und dem kleinen Rundschild mit Schwert und Dolch bewaffnet. An den Armen und Beinen trugen sie lederne Schützer, und ihre Brust war von einem Lederharnisch bedeckt, auf den Metallringe und -plättchen genäht waren. „Herrin, wir schwören bei Gott und bei den uns umgebenden Elementen, dass wir dich mit unserem Leben beschützen und dir treu ergeben sein werden. Möge der Himmel auf uns stürzen, die Fluten sich erheben und uns mit sich reißen und die Erde sich auftun und uns verschlingen, wenn wir diesen Eid brechen.“ Um dies zu bekräftigen, schlugen die Krieger ihre Speere gegen die Schildbuckel aus Metall und nickten entschlossen.

Anfangs brachte Sláine keinen Laut über ihre Lippen, doch dann räusperte sie sich und sagte heiser: „Euer Schwur ehrt mich überaus. Hoffen wir, dass die Nordleute uns nicht feindlich gesonnen sind.“

„Ja, Herrin, und wenn dem so sein sollte, werden wir bereit sein! Wir fürchten die dub-gaill nicht, haben viele Erfahrungen im Kampf mit ihnen gesammelt und kennen ihre Schwächen“, versicherte Oisín mit tiefer Stimme.

„Du bist bei ihnen wirklich in guten Händen, Schwester. Sie sind allesamt hervorragende Kämpfer, zudem keine Hitzköpfe. Sie werden sich von den Nordmännern nicht so leicht reizen lassen.“ Voller Schwermut sah Murchad Sláine an und umarmte sie. „Ich werde dich vermissen, meine kleine, eigensinnige, kluge Schwester. Mögen all deine Wege gesegnet sein, dir jeder Tag Freude bringen, dir jeder Regenbogen einen Gruß von uns senden, jeder Stolperstein vor dir weichen, die Sonne in dein Herz scheinen und dich erhellen. Die Seelen unserer Verwandten mögen bei dir sein und dir Trost spenden. Und möge dich die Banshee Aoibheal nicht allzu früh aufsuchen, um dir den Tod eines unserer Familienmitglieder oder gar deinen eigenen anzukündigen. Jesus soll stets behütend, sanft und gnädig an deiner Seite sein. Ich wünsche dir Gottes Segen, meine Süße!“

„Danke, großer Bruder!“ Sláine lehnte ihren Kopf an seine breite Brust, hörte seinen kräftigen Herzschlag. Sie kämpfte gegen die Tränen an, wollte nicht schwach erscheinen. „Ich packe nun weiter!“, meinte sie, befreite sich aus seiner Umarmung und nickte den Kriegern dankend zu.

Sie verschwand im Haus, blieb darin stehen und schaute sich seufzend um. Nichts wollte sie vergessen, gar nichts: das konische Dach, unter dem sich der Rauch sammelte und dann durch das Reet entwich, die Nahrungsmittel, die dort oben aufgehängt waren, da Ungeziefer den Rauch scheute, und die Feuerstelle, in der die Flammen wohlig loderten. Sie ließ ihren Blick über die niedrigen Tische gleiten, an denen sie oft gegessen hatte. Sie beschaute sich die zahlreichen Waffen und Schilde, die an den Wänden hingen, aber auch die Regale, auf denen Geschirr, Näpfe und Töpfe standen, dann besah sie sich den Webstuhl, die Handmühle für das Getreide, die Trennwände und Vorhänge, die für ein wenig Privatsphäre sorgten.

„Machen wir weiter, Herrin?“ Sigrid hatte geduldig gewartet.

„Ja, ich komme.“

Die Braut des Nordmannes

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