Читать книгу Die Braut des Nordmannes - Iris Hennemann - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеDann war es so weit: Sláine wurde verabschiedet. Die Bewohner Kincoras und viele ihrer Verwandten hatten sich um sie versammelt und überschütteten sie mit Segenssprüchen.
Nach vielerlei herzlichen Umarmungen setzte sich Sláine auf ihre Stute Eachna. Ihre Sklavinnen hatten hingegen auf einem der drei voll beladenen Pferdewagen Platz genommen. Wehmütig schaute Sláine in die Gesichter der Umherstehenden und musste sich zwingen, nicht laut zu schluchzen. Ihr Herz drohte, wie ein Tongefäß zu zerbrechen. Dies war ihre Welt. Sie wollte nicht fort von hier.
Als sie aus der Festung ritt und sich von Kincora entfernte, schaute sie nicht zurück, nicht ein einziges Mal, hätte den Anblick nicht ertragen können.
Der braungelockte, sommersprossige Barde Criomhtán stimmte ein fröhliches Lied an, um ihnen allen ein wenig Leichtigkeit ins Herz zu zaubern. Der fili Fergus, Anfang vierzig, klein und hager, mit klugen dunkelblauen Augen, ritt an Sláines Seite und fand fortwährend aufbauende Worte. Ganz vorn befand sich die Leibgarde, und hinter dem letzten Wagen hatten sich die fünfzig Krieger eingereiht, die die Garnison in Dublin bilden würden. Begeistert war niemand von ihnen, zu den Nordmännern ziehen zu müssen.
Melancholisch beschaute sich Sláine auf ihrem Weg die vertraute hügelige Landschaft mit ihren Wasserläufen und Seen, Wiesen, Wäldern und Mooren. Würde sie dies alles wirklich niemals wiedersehen? Sie kam sich vor wie ein Ast, der vom Sturm des Lebens dem Stamm entrissen worden war.
In einigen Seen befanden sich mit Palisaden umsäumte crannógs, die auf kleinen natürlichen oder künstlichen Inseln standen oder als Pfahlbauten in Gewässern errichtet worden waren. Zu manchen führten Holzstege oder Dämme, andere waren ausschließlich mit Booten zu erreichen. In einigen crannógs wurden Geiseln festgehalten, da sie von dort nicht so leicht entfliehen konnten, andere beherbergten Handwerksstätten oder es lebten Familien in ihnen. Beim Vorbeireiten sah Sláine auch allerlei ráths – Gehöfte, die mit einem oder mehreren Erdwällen umgeben waren. Je nach Größe besaßen sie mehrere Gräben. Manchmal standen ráths vereinzelt, doch oft auch gruppenweise. Zudem lebten die Iren in dúns – den Steinfestungen oder Forts, deren äußerer Ring zumeist aus kunstvoll aufgeschichtetem Trockenmauerwerk bestand. Die Ausmaße der Anlagen waren abhängig vom Reichtum und Ansehen der Besitzer.
Rinder, Schafe und Ziegenherden grasten auf den Weiden der näheren Umgebung der Bauten. Die Grünflächen waren oft umgeben von Mauern aus aufgeschichteten Steinen. Schweine wurden hingegen zum Mästen in die Wälder getrieben. Doch in der Nacht holte man die Tiere innerhalb des Ringwalles, um sie vor Dieben zu schützen. Viehdiebstahl war äußerst beliebt, sei es, um sich selbst zu bereichern, seine Fähigkeiten zu erproben oder aber um die eigene Macht zu demonstrieren. Das Leben war hart und entbehrungsreich, im Überfluss lebten eigentlich nur die Adligen – und Sláine war froh, niemals Armut erfahren zu haben.
Unterwegs übernachteten sie in crannógs oder in ráths, jedoch fanden die Krieger nicht alle Aufnahme und mussten außerhalb der Befestigungen schlafen. Manchmal konnten sie auch in kleinen Gästehäusern der Klöster einkehren, die sich wie Bienenkörbe um die Kirche verteilten. Die Klöster besaßen zumeist hohe steinerne Rundtürme – die letzte Zuflucht bei Angriffen der Wikinger. Sláine beschaute sich auch neugierig die Krankenhäuser, die es in Irland zahlreich gab. Die Fähigkeiten der irischen Ärzte wurden selbst auf dem Kontinent gerühmt.
Immer weiter ging es voran Richtung Osten, Dublin entgegen. Sláine wünschte sich, dass die Sonne nicht auf die Nacht folgte und die Zeit nicht voranschritt, doch sie taten es – unaufhörlich.
Nach einigen Tagen erreichten sie Dyflinarskiri, die Gefilde der Nordmänner in den Umlanden von Dublin. Der fili hatte bereits einen Boten vorausgeschickt, der Sigtrygg ihr Kommen melden sollte.
Als bald darauf Nordmänner auftauchten, hob Sláines Leibwächter Oisín die Hand, um den Iren zu signalisieren, dass sie halten sollten. Sláine entging nicht, dass er äußerst angespannt war, denn seine Hand tastete des Öfteren zum Schwert. Der Krieger mochte die Wikinger nicht, hatte Sláine gegenüber nie einen Hehl daraus gemacht.
Der fili Fergus bemerkte Sláines Unruhe, da ihre Stute Eachna nervös tänzelte. „Wir sind bei dir, Tochter von Brian. Deine Seele ist in Aufruhr, doch es wird an dir liegen, diese neue Welt zu deiner eigenen zu machen, dort dein Glück und auch Zufriedenheit zu finden.“
Seinen Rat zu missachten wäre töricht, und dennoch sträubte sich alles in Sláine dagegen, sich in diese Situation zu fügen. Am liebsten hätte sie die Zügel herumgerissen und wäre davongaloppiert.
Ihr wurde ganz mulmig zumute, als sie den Anführer der Krieger von Dublin erkannte, die sich ihnen näherten. Es war dieser große Thorulf. Auch er würde Teil ihres neuen Lebens werden.
„Herr, steh uns bei!“, stieß die Sklavin Sigrid mit bebender Stimme hervor.
Ungefähr vierzig nordische Krieger in blitzenden Kettenhemden oder Lamellenpanzern, mit Äxten und Schwertern bewaffnet, waren ihnen als Eskorte geschickt worden. Einige von ihnen trugen Nasalhelme. Sie wirkten allesamt riesig und Furcht einflößend.
Thorulf löste sich von ihnen, kam näher an die Iren heran und blieb dann stehen. Oisín umritt ihn dreimal links herum, um ihn symbolisch in Besitz zu nehmen.
Der Blick des Wikingers verfinsterte sich. „Ich weiß, was das zu bedeuten hat: Links ist die übel bringende Seite! Willst du Streit mit mir anfangen, Ire?“
Oisín blieb direkt vor ihm stehen, wirkte nicht minder beeindruckend als der Nordmann. „Verzeih, dies ist eine Angewohnheit von mir, die mir göttliche Unterstützung zusichert. Schließlich sind wir in Dublin in der Unterzahl, nicht wahr?“
Ablehnend verzog Thorulf die Lippen, die zwischen dem Bart hindurchschimmerten. „Ganz erheblich sogar.“ Sein Blick richtete sich auf Sláine. „Wie man euch Iren behandelt, wird viel von euch selbst abhängen. Folgt mir!“ Er wendete das Pferd, und seine Mannen teilten sich auf: Ein Teil der Gruppe ritt voran, der andere setzte sich hinter die Iren. So näherten sie sich Dublin, das in einer weiten Ebene lag, die ans Meer grenzte.
Die Stadt war so vollkommen anders als alles, was die Prinzessin bisher gesehen hatte. Siedelten die Iren lieber in kleinen befestigten Gehöften, so hatten die Wikinger hier eine nach Sláines Ermessen riesige Stadt errichtet. Dublin war mit einem hohen, mit dicken Holzstämmen verstärkten Erdwall umgeben. Darauf befanden sich die Wehrgänge, die mit Brustwehren versehen waren. Hohe Türme ragten in regelmäßigen Abständen empor, von denen aus man sicherlich das gesamte Umland hervorragend überblicken und auch zu den südlich gelagerten Wicklow-Bergen schauen konnte. Schon vor den Wikingern hatte es hier einen kleinen Küstenort namens Áth Cliath gegeben, doch diesen hatten die Nordmänner zum Teil in ihre eigene Stadt integriert.
Der fili Fergus lehnte sich ein wenig zu Sláine herüber. „Dublin hat eine hervorragende Lage, ist zu fast einem Dreiviertel vom Wasser umgeben, hauptsächlich vom Fluss Liffey, der in den Wicklow-Bergen entspringt. In einem Wasserbecken in der Nähe von Sigtryggs Burg soll ein bedeutender Teil seiner Kriegsflotte vor Anker liegen. Schon mehrmals wurde der Ort von Iren eingenommen, aber stets von den Wikingern zurückerobert. Jedes Mal bauen sie die Stadt in einem erstaunlichen Tempo wieder auf – stets schöner und wehrhafter als zuvor. Das muss man ihnen neidlos zugestehen: Die Nordleute sind hart arbeitende Menschen, begnadete Handwerker – und gleichzeitig hervorragende Krieger.“
Sláine schaute ihn nur kurz an, denn ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf das mächtige zweiflügelige Tor. Oben auf den überdachten Türmen standen Wachen, die sich neugierig hervorlehnten, da sie versuchten, einen Blick auf die irische Prinzessin zu erhaschen. Sláine fühlte sich äußerst unwohl, hätte am liebsten stur nach unten geschaut, doch Dublin war einfach zu anders, zu fremdartig und aufregend, um sich nicht staunend umzusehen. Wie ein Stück trockenes Moos den Regen, so saugte sie die Eindrücke in sich auf.
Die Hauptwege zwischen den umzäunten Häusern waren mit Bohlen belegt und so breit, dass sich zwei Pferdegespanne begegnen konnten. Daneben befanden sich noch Fußwege aus Schotter, an denen am Rande grüne Halme emporragten. Die Nebenwege waren allerdings wesentlich schmaler. Die Hufe der Pferde dröhnten dumpf auf dem Holz. Die meisten Häuser waren eher klein, rechteckig mit abgerundeten Kanten und mit Reet gedeckt. Vor den mit Flechtzäunen umgebenen Häusern befand sich auf den kleinen Grundstücken ein Garten, und zur Eingangstür hin führte ebenfalls ein schmaler Bohlenweg. Die Türen waren zumeist geöffnet, um das Tageslicht in die Räume hereinzulassen. So konnte Sláine erkennen, dass sich dort Werkstätten befanden. Man konnte bis weit in den Wohnbereich hineinschauen, und sie sah bunte Schilde, die an den Wänden hingen und auch blitzende Äxte. Sie erspähte Betten, die oft ein hölzernes Podest waren, auf dem Decken und Felle lagen und recht bequem wirkten. Auch unter den Vordächern wurde fleißig einem Handwerk nachgegangen, und Waren wurden auf Tischen oder Bänken zur Schau gestellt. Es gab auch einige großzügige Häuser, die sicherlich Reichen und Adligen gehörten. Kleine, mit Holz befestigte und eingeschalte Bachläufe durchzogen die Stadt, und Sláine entdeckte einige Brunnen.
Die Kleidung der Frauen bestand aus einer langärmeligen Tunika und einem Trägerkleid, das darüber getragen wurde, an denen zwei ovale Broschen hingen, die mit bunten Perlenketten verbunden waren. Manche Frauen hatten sich zusätzlich Schürzen umgebunden, und die Schultern wurden von Schals oder Umhängen bedeckt. Um die Taille hatten sie Gürtel gelegt, an dem allerlei Dinge wie Messer und Schlüssel hingen. Einige der Frauen hatten ihr Haar mit einem Kopftuch verborgen, um kenntlich zu machen, dass sie verheiratet waren. Es mussten hier auch etliche Irinnen sein, die sich aber angepasst und ihre Kultur anscheinend aufgegeben hatten.
Die Männer waren bekleidet mit einem langen Oberteil, einem Ledergürtel um die Taille und einer Hose, die an den Waden mit Wickeln oder Bändern umschlungen war. Sie trugen verschiedenartige Mützen und natürlich auch Umhänge. Anhand der Kleidung war wie bei den Iren sofort ersichtlich, wer wohlhabend war, denn dann wurden die Farben prächtiger, die Borten und Stickereien aufwendiger und der Schmuck üppiger.
„Mir erzählte ein Nordmann, dass die Leute von Dublin einen eigenen Baustil entwickelt hätten. In ihrer Heimat sollen die Häuser wohl ein wenig anders aussehen“, merkte der Barde Criomhtán an.
Überall wurde gesägt, gehämmert und wieder aufgebaut. Noch etliche Häuser standen lediglich als verkohlte Ruinen da, würden bald abgerissen werden, um neuen Gebäuden zu weichen. Und dennoch pulsierte das Leben. Händler aus verschiedenen Ländern zogen durch die Straßen und in vielen unterschiedlichen Zungen wurde gesprochen. Bei Sláines Vater waren durchaus ebenfalls oft Händler und Gesandtschaften aus anderen Ländern anzutreffen, auch etliche Geistliche, die an den berühmten irischen Klosterschulen studieren wollten, die der König nach der Zerstörung durch die Wikinger wieder zum Erblühen brachte – doch das Treiben war hier weitaus bunter und geschäftiger. Es nahm Sláine auf eine ganz eigentümliche Weise gefangen. Da waren Händler aus England und Frankreich, auch Friesen, doch zumeist Wikinger, da der Handel fest in deren Hand war. Ferner waren Rus zugegen – die eifrig im Osten Handelsstützpunkte besaßen. In der Vergangenheit hatten die Nordmänner ihre Handelskonkurrenten, wie die Friesen, durch gezielte Angriffe und Zerstörung ihrer Häfen außer Gefecht gesetzt oder ihnen zumindest schwer geschadet.
Trotz des Gewimmels zog Sláine mit ihren langen roten Locken, dem blinkenden Goldschmuck und ihrer Eskorte die Blicke auf sich. Sicherlich hatte sich schon herumgesprochen, dass heute die Braut des Königs einträfe.
Sie ritten in südöstlicher Richtung, bis sie zu Sigtryggs Burg am Rande der Stadt kamen. Auf den Türmen und Wehrgängen der Festung standen Krieger. Sláine war aufgeregt, und ihre Hände waren feucht, ihre Kehle hingegen trocken. Sicherlich würde der König hinter dem Tor warten, um sie zu empfangen. Nicht eines einzigen Blickes würde sie ihn würdigen, kein Wort mit ihm sprechen!
Die Tore wurden geöffnet, und diese quietschten und knarrten in den Angeln. Sláine war erstaunt, denn in der Burg zeigten sich kaum noch Spuren der Verwüstung, fast alles war neu hergerichtet. Die Nordmänner mussten gezaubert haben. Die Gebäude sahen anders aus als in der Stadt, waren zumeist sehr groß, mit bunt angemalten äußeren Stützpfeilern und Satteldächern aus Reet. Die Wände bestanden bei den größten Häusern nicht aus lehmbeschmiertem Flechtwerk, sondern aus Holzbrettern, in deren Zwischenräume man zum Abdichten Wollflies gestopft hatte. Es gab auch tatsächlich eine kleine Kapelle, auf der ein schlichtes Kreuz emporragte. Eifrig wurde auf dem vordersten Hof gearbeitet. Zahlreiche Krieger übten sich auf einer freien Fläche im Schwertkampf. An einem Gestell hing ein Schwein, an dem sich ein Mann zu schaffen machte, um dies in zwei Hälften zu teilen. Ein wenig abseits wurde ein Backofen von Frauen eingeheizt, andere brachen Flachs, färbten Wolle oder rupften Hühner.
Argwöhnische Krieger traten den Iren entgegen, verwiesen die irische Garnison unverzüglich des königlichen Geländes, und ein Nordmann trat vor, um diese zu ihrer Unterkunft in der Stadt zu führen. Als die fünfzig irischen Krieger abrückten, fühlte sich Sláine trotz ihrer verbliebenen sieben Leibwächter schutzlos und ausgeliefert.
Doch wo war Sigtrygg, um seine Braut zu begrüßen? War das die Gastfreundschaft der Nordmänner? Frostig wie ein Wintermorgen?
Thorulf sprang vom Pferd und wandte sich an Sláine. „Dort drüben befinden sich mehrere Gästehäuser. In dem vorderen kannst du dich mit deinem kleinen Gefolge bis zur Hochzeit aufhalten. Erst danach ziehst du ins königliche Langhaus ein – allein –, deine Begleitung wird hingegen im Gästehaus verbleiben.“
Sláine empfand dies wie eine schallende Ohrfeige. Wollte Sigtrygg sie herabsetzen, indem er sie, sein zukünftiges Weib, nicht selbst empfing? Sie zwang sich ein kühles Lächeln auf die Lippen. „Umso besser! Ich werde jeden Augenblick genießen, in dem ich ausschließlich unter Iren bleiben darf!“, schleuderte sie ihm entgegen, lenkte ihr Pferd zum zugewiesenen Haus und rutschte aus dem Sattel.
Ihre Leibwächter begaben sich ins Gebäude, durchsuchten es, kamen schließlich wieder heraus und nickten ihr zu. Sláine, die einen letzten Blick auf Thorulf warf, sah, dass er keineswegs erbost war, sondern irgendwie verschmitzt lächelte. Dann wandte er sich ab und verschwand in der Königshalle.
Neugierig ging Sláine ins Haus. Noch nie war sie in einem von Wikingern errichteten Gebäude gewesen. Der Eingangsbereich hatte einen Boden aus gestampftem Lehm. Rechts und links befanden sich Schlafmöglichkeiten, und gleich darüber waren weitere Betten, die allesamt mit Vorhängen zugezogen werden konnten. An den Wänden hingen Felle oder Teppiche, um vor Kälte zu schützen. Der Hauptraum, den sie nun betrat, wurde in der Mitte vom Langfeuer beherrscht. Diese Feuerstelle bestand aus einem länglichen Holzkasten, den man mit Sand und Lehm aufgefüllt hatte. Darauf konnte gekocht und gebraten werden. Hier glommen bereits Holzscheite, und vereinzelte Flammen züngelten wohlig empor. Über der Feuerstelle war eine Tierhaut gespannt, um den Funkenflug zu verhindern, und darüber befand sich eine Öffnung im Dach, die als Rauchabzug diente. In diesem Raum befanden sich an den seitlichen Wänden nochmals doppelstöckige Schlafmöglichkeiten. Die unteren waren breite fellbedeckte Holzpodeste, die sowohl zum Sitzen als auch zum Schlafen gedacht waren, und schmale Tische standen längs davor. Es gab keine Fenster, lediglich durch den Rauchabzug, die offen stehenden Türen und die nicht ganz dichten Abschlüsse zwischen Dach und Wand drang Tageslicht herein. Weiter hinten im Raum waren einige Tische und Stühle. Auf Regalen befanden sich allerlei Geschirr und Utensilien fürs Kochen, an einer Wand waren Holzscheite gestapelt. Es gab auch eine Handmühle für das Getreide und weitere Alltagsgegenstände. Der Bereich endete vor einer durchgehenden Holzwand, in der eine Tür eingelassen war, die Sláine neugierig öffnete. In diesem letzten Raum stand ein Bett und seitlich davon vier weitere, aber weitaus schmalere. Auf dem größeren lagen Federkissen und mehrere Decken. Vier kleine Fenster, die mit Pergament bespannt waren, ließen ein wenig Licht herein. Es roch noch ganz frisch nach Holz und Harz. Alles wirkte durchaus einladend – sogar richtig gemütlich. Außerdem standen hier Tische und Bänke, und auch ein Webstuhl, wohl damit es Sláine nicht langweilig wurde.
Als jemand hinter Sláine eintrat, wandte sie sich um. Fergus, der fili, war ihr gefolgt. „Die Nordmänner verstehen es meisterlich, mit Holz umzugehen. Dies ist ein schönes, großes Haus, dem wir unsere Seele einhauchen werden.“
Sie seufzte missmutig. „Das müssen wir wohl, denn bisher wohnt hier nur ein eisiger Atem. Dieser ungehobelte Kerl hat es noch nicht einmal für nötig erachtet, uns willkommen zu heißen.“
„Nun, eigentlich sollen die Nordmänner gastfreundlich sein, doch Sigtrygg ist nun Vasall deines Vaters, und das hat seinen Stolz verletzt. Dies ist wohl seine Art, uns jenes zu zeigen. Obwohl ich anmerken möchte, dass er uns dennoch mit diesem großzügigen Haus ehrt.“
„Ach, Fergus, ich will hier gar nicht sein!“
„Wir wollen so vieles nicht, und doch weht uns der Wind des Lebens wie ein Samenkorn auf ein anderes Stück Erdboden, als wir es uns wünschen. Schlage Wurzeln, meine liebe Prinzessin, und lasse den Samen aufgehen, auf dass du eine Zierde für diesen Hof wirst und alles überstrahlst.“
Sláine zog die braunen Augenbrauen empor. „Du setzt große Erwartungen in mich.“
„Du bist die Tochter deines Vaters, ein Kind des mächtigen Ebers.“
„Ja, das bin ich, aber dennoch …“ Sláine brach ab, als sie hörte, wie jemand im Hauptraum recht patzig mit Oisín sprach. Ihr Leibwächter wollte das energische Weib des Hauses verweisen, doch sie ließ sich nicht abwimmeln und rauschte durch den hallenartigen Raum bis zu Sláine. Die große Frau war nicht so schmal gebaut wie sie, sondern hatte kraftvolle breite Schultern. Sie besaß eine üppige Oberweite, die durch die beiden goldenen Broschen noch betont wurde, die an den Trägern ihres Kleides prangten. Zwischen diesen Spangen pendelten Ketten mit Perlen aus buntem Glas, Bernstein, Karneol, Bergkristallen und anderen Edelsteinen. Sowohl das Trägerkleid als auch das helle Unterkleid waren prächtig bestickt. An den durchstochenen Ohrläppchen der Frau pendelten schwere goldene Gehänge, und ihre Augen waren mit schwarzer Schminke umrandet, um deren Schönheit zu betonen. Das flachsblonde Haar war zu einer kunstvollen, recht komplizierten Frisur geflochten. „Du bist also diese Keltin! Wie mir Sigtrygg erzählte, beherrschst du unsere Sprache. Das macht vieles leichter.“ Die ungefähr Dreißigjährige baute sich vor Sláine auf.
Die Irin konnte die Flammen des Zorns spüren, die aus dem Inneren der Nordfrau emporzüngelten.
„Hübsch … und so jung. Es wird noch alles ganz straff und makellos sein, da noch kein Leben aus diesem Körper hervorgegangen ist. Der König wird seine Freude daran haben.“ Erbost, aber auch neugierig musterte sie die Prinzessin. „Ich bin Thorhild!“, schleuderte sie ihr wie einen Speer entgegen.
„Das dachte ich mir bereits!“, ließ Sláine verlauten und hob ihr Kinn selbstbewusst an. Sie war die Tochter von Brian mac Cennétig von den Dál Cais, des Besiegers ihres Gemahls, und hatte es wahrlich nicht nötig, sich dieser Frau gegenüber eingeschüchtert zu zeigen.
„Wegen dir hat er sich von mir getrennt! Ich könnte mir vorstellen, dass er dich zwar entzückend findet, du ihn aber recht schnell langweilen wirst. Er liebt Kämpferinnen. Ich bin eine Schildmaid, habe gelernt, mit dem Schwert umzugehen, und bin eine hervorragende Bogenschützin. Was kannst du schon gegen mich aufbieten?“
„Nun, wir Kelten haben ebenfalls kämpferische Frauen, die sich zu verteidigen wissen. Einst sind sie mit den Männern in die Schlacht gezogen und haben sie angefeuert. Meine Mutter Mór hat meinen Vater als junge Frau auf Kriegszügen begleitet und einem Wikinger höchstpersönlich den Kopf abgeschlagen. Cú Chulainn, ein berühmter Held, ist von Zauberinnen und Feen im Umgang mit den Waffen ausgebildet worden. Und ich kann mit dem Dolch umgehen“, parierte Sláine.
„Mit dem Dolch … wie niedlich“, spottete die hochmütige Blonde. Dann schaute sie sich um, wer noch in diesem Raum war. Sie erblickte die beiden Sklavinnen. „Seid ihr nordische Frauen? Wollt ihr eure Freiheit wiederhaben?“
Gunhild und ihre Schwester Sigrid waren überrascht und schauten sich verunsichert an. Doch dann schüttelte Gunhild ihren Kopf. „Wir kennen kein anderes Leben als das an Sláines Seite und sind nicht unglücklich.“
„Wie ihr wollt, ihr Närrinnen! Nun, ihr seid ohnehin Eigentum der Irin … Ich wollte es nur mal wissen – Und wer bist du?“ Thorhild hatte sich zu Fergus umgewandt.
„Ein Mann der Weisheit, ein fili“, antwortete der Gefragte und betrachtete sie aufmerksam mit seinen dunkelblauen Augen, über die sich dichte Brauen halbmondförmig zogen.
Sie stieß einen verächtlichen Ton aus. „Ach ja, das erkennt man an deiner Tonsur. Ein fili! Das ist noch schlimmer als ein Mönch! Ihr sprecht so oft in Rätseln und weidet euch in einem Wortschwall, der zahlreicher ist als jeder Heringsschwarm es sein könnte.“
Sláine musste schlucken. So hatte bestimmt noch niemand mit Fergus gesprochen.
Gütig lächelte der fili und ließ ihre Beleidigung von sich abtropfen. „Nun, der Mensch wurde beschenkt mit der Gabe des Sprechens, und diese sollten wir auch nutzen. Wir haben eine Zunge, um Worte zu formen, einen Verstand, um diesen einen Sinn zu verleihen, und einen Geist, der dazu befähigt, den Worten Leben und Schönheit einzuhauchen. Aber wir sollten stets auf deren Bedeutung achten, denn Worte können viel von unserem Inneren preisgeben. Auch die Bibel hat dazu überaus weise Bemerkungen und sagt in Matthäus 6, Vers 21: Denn wo dein Schatz ist, wird auch dein Herz sein; und noch besser: in Matthäus 12, Vers 24: Wovon unser Herz voll ist, davon redet der Mund.“ Trotz seines Lächelns und der Freundlichkeit in seiner Stimme hatte er ihr dennoch einen scharfen Hieb verpasst, da ihr Herz nicht mit Schönheit, sondern mit Neid, Missgunst und Hass angefüllt zu sein schien.
Mit einem patzigen Ton wandte sie sich von Fergus ab und Sláine zu. „Sigtrygg schickt mich nicht fort – wie du es dir vielleicht erhofft hast –, da ich die Mutter seiner Kinder bin. Ich bleibe also in dieser königlichen Festung. Glaube ja nicht, dass du hier ein leichtes Leben haben wirst, meine zarte, junge, irische Butterblume. Intrigiere ja nicht gegen mich, sonst jage ich eine Horde wilder Jungbullen über dich hinweg, die deine Blütenblätter zertrampeln wird …“, sie wandte sich an Fergus, „… um in Metaphern zu reden, wie filid es so sehr lieben.“ Dann richtete sie sich wieder an die Braut. „Ich habe dich gewarnt. Wecke nicht die Unholdin in mir! Sieh dich also vor.“ Mit diesen harschen Worten drehte sie sich um und rauschte hinaus.
Fergus ging zu Sláine und streichelte ihr väterlich über das Haar. „Lass dich nicht einschüchtern. Wie gesagt: Dies ist jetzt deine Welt. Mache sie auch zu deiner!“ Er lächelte sanft. „Mugron sah, dass Sigtrygg dich lieben wird.“
Sie wollte von diesem Mörder gar nicht geliebt werden – und sie bezweifelte, dass er überhaupt Interesse an ihr hegte. Mit hängenden Schultern ließ sie sich auf das Bett sinken. Mugron hatte ihr damals nicht erzählt, wie alt er Sláine in seiner Vision gesehen hatte. Vielleicht war sie bis dahin verwelkt und grau.
„Sorge dich nicht. Ich werde dir beistehen, damit du in Dublin im Einklang mit dir selbst bleiben kannst.“
Sláine seufzte. „Nun, das wird eine schwere Aufgabe für dich werden, denke ich.“