Читать книгу Königin im Schatten - Der Leibwächter - Iris Hennemann - Страница 8

Kapitel 3

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Arend hatte sich in eine dunklere Ecke des Saales verzogen und umklammerte mit schwieligen Händen vergrämt einen Weinbecher. Es brodelte in ihm, ganz gewaltig sogar. Er konnte es kaum ertragen, wie sich Egeno bei der Königin einschleimte und sie umgarnte. Nach anfänglicher Abwehr lachte sie nun und plauderte mit ihm. Es war offensichtlich, dass ihr seine Schmeicheleien gefielen. Kein Wunder, Arend wusste, dass dessen Komplimente hinunterglitten wie warmes Öl. Jede Frau, die er begehrt hatte, war bisher diesen trügerischen, geheuchelten Worten erlegen. Er hatte etwas an sich, dass seine Opfer jede Deckung fallen ließen, selbst wenn sie ahnten, dass er ein Schuft war und alles nur mit Gejammer, Herzschmerz und Unglück enden konnte.

Der König, der den sauren, mit Zimt und Nelken gewürzten Wein zügellos in sich hineinkippte, wandte sich hin und wieder Egeno zu, lauernd, ob es ihm gelänge, sein Weib um den Finger zu wickeln. Beim Anblick seines tückischen, zufriedenen Lächelns stieg in Arend beißende Übelkeit auf. Ihm war danach, aufzuspringen und diesen elenden Plan lauthals hinauszuschreien, doch dann hätte er sein Leben verwirkt. Folglich blieb er verdrießlich sitzen und schwieg.

Arend verfluchte jenen Abend, an dem Egeno ihn überredet hatte, an einem Streifzug mit dem schändlichen König teilzunehmen. So hatte Arend gesehen, zu welchen Untaten Heinrich fähig war. Er, König durch Gottes Gnaden, hatte sich aufgeführt wie ein wüster Schurke und war mit Egeno in ein Haus eingedrungen. Gemeinsam hatten sie eine junge Magd herausgezerrt, sie aufs Pferd gezogen und waren übermütig johlend mit ihr davongeritten. Arend, fest von einer nächtlichen Jagd ausgehend, hatte nicht geahnt, welcher Art die Beute sein sollte. Als die zürnenden Bauern mit eilig ergriffenen Hacken und Dreschflegeln aus dem Haus gestürmt waren, war Arend aus seiner Erstarrung erwacht und hatte schleunigst die Flucht ergriffen. Tags darauf hatte er missmutig Egeno gefragt, was aus dem armen Mädchen geworden sei, hatte jedoch nur ein schäbiges Lächeln geerntet. Schwarze Seelen.

Und nun sollte auch noch der Königin übel und äußerst niederträchtig mitgespielt werden? Erneut kroch Wut in ihm herauf, die zu unterdrücken ihm schwerfiel. Sein geringschätziger Blick streifte Heinrich. Solch ein Mensch hatte es nicht verdient, König zu sein. Er hatte keine Ehre, kein Mitgefühl, keine Reue, war nicht würdig, die Reichsinsignie der Heiligen Lanze – die einen Nagel des Kreuzes in sich barg – zu berühren. Arend spülte seinen aufgestauten Groll mit einem kräftigen Schluck Wein herunter. Wenn er ehrlich war, traf auch ihn ein Teil der Schuld, da er an jenem Abend Reißaus genommen hatte, anstatt der Magd zu helfen und sich gegen seinen König zu stellen. Dieses Fehlverhalten hatte sich tief in sein Herz gebrannt. Er fühlte sich schmutzig und feige. Nein, diesmal musste er es verhindern, denn vom Unrecht zu wissen und dieses geschehen zu lassen, bedeutete, selbst schuldig zu sein. Heimlich blickte er zur Königin hinüber. Er musste sie warnen.

Bertha winkte dezent ihre Dienerin herbei, die ihr am Morgen den Köcher gebracht hatte, flüsterte ihr etwas zu und schickte sie mit einer galanten Handbewegung fort. Niemand außer Arend beachtete die Rothaarige, als sie den Saal verließ. Und auch ihn selbst beachtete niemand. Jetzt oder nie! Er folgte ihr behände, als sei er auf der Jagd.

Im Schutz der Dunkelheit außerhalb der Halle sprang er auf sie zu und zerrte sie in eine dunkle Ecke. Mit seiner großen Hand erstickte er ihre Schreie und presste sie fest an sich, damit sie nicht entfliehen konnte. Schmerzhaft gruben sich ihre Fingernägel ins Fleisch seines Handgelenks und fuhren daran entlang. Er riss ihre Hand herunter und hielt kraftvoll ihre Arme fest. Aber sie gab sich nicht geschlagen und trat ihm heftig auf den Fuß.

Er verbiss sich einen Fluch. „Ich tue dir nichts! Hör mir einfach zu!“, flüsterte er scharf mit verstellter Stimme, doch er konnte ihr kaum die Angst nehmen.

Sie zitterte erbärmlich.

„Still! Es geschieht dir nichts!“, versuchte er nochmals, sie zu beruhigen.

Endlich ließ ihr Widerstand nach.

„Deine Herrin ist in Gefahr! Du musst sie warnen! Nichts ist so, wie es scheint!“ Er stieß sie so schwungvoll von sich, dass sie fast stürzte, und entschwand in der Dunkelheit.

Er beobachtete, dass sie sich irritiert umschaute. Doch da sie ihn nicht sehen konnte, ordnete sie ihre Kleidung und eilte zur Küche, die sich wegen der Brandgefahr in einem gesonderten Gebäude befand. Arend hastete in den Saal, zog sich dort in seine Ecke zurück und bemühte sich, möglichst gelangweilt und unbeteiligt zu wirken. Nach einem unauffälligen Blick in die Runde atmete er auf, niemand beachtete ihn. Verstohlen beschaute er sich die drei tiefen blutenden Kratzer an seinem linken Handgelenk und verbarg diese vorsichtshalber unter seinem Ärmel.

Nach einiger Zeit kam die rothaarige Dienerin zurück, blieb an der Tür stehen und ließ ihren Blick misstrauisch schweifen. Dann brachte sie zielstrebig einen Krug zur Königin. Die Magd schenkte Egeno, der Tante und Bertha granatroten Wein ein, und als Egeno mit Imula scherzte, nutzte die Rothaarige die Gelegenheit und flüsterte der Königin etwas ins Ohr. Für einen Herzschlag lang weiteten sich Berthas Augen, doch dann verhielt sie sich wie zuvor. Sie war nicht erregt, besorgt oder ängstlich, nein, ihr Gesicht war unverändert. Hatte sie die Worte nicht begriffen? Sicherlich war seine Warnung zu schwammig gewesen. Arend haderte mich sich selbst, er hätte eine bessere Wortwahl treffen müssen. So würde Bertha nun in die schändliche Falle tappen. Mehr konnte er allerdings nicht riskieren, oder doch? Fieberhaft arbeitete sein Hirn, und er starrte in den Wein, als würde sich dort die Antwort im leisen Schwappen zeigen.

* * *

Ein wilder Sturm fegte durch Berthas Leib. Noch nie hatte ihr jemand mit glitzernden Augen und umwerfendem Lächeln solch schöne Worte gesagt. Sie waren verführerisch, so betörend, raubten den Verstand und lähmten den Willen. Ja, Egeno begehrte sie, er wollte sie besitzen – noch heute. Dies war unmissverständlich. Und ja, sie wünschte sich, dass sie sich jemandem hingeben konnte, der sie so sehr umschwärmte. Wenn es nur echt gewesen wäre … und ihr eigener Gemahl! Nicht jedoch diese giftige Spinne, die sie liebestrunken machen wollte.

Die seltsame Warnung, die ihr zugetragen worden war, hatte für sie sofort einen Sinn ergeben. Dieser gesamte Tag war so merkwürdig gewesen, dass sich nun mit einem Schlage alles aufgeklärt hatte. Aber sie ließ sich nichts anmerken, nicht das Geringste. Wenn sie eines an diesem Hofe gelernt hatte, dann war es, ihre Gedanken und Gefühle zu verbergen. Doch innerlich zerriss es sie. Laut schreien, trampeln und heulen hätte sie können. Dieser Kerl, dieser verfluchte Schönling, meinte nichts, absolut nichts von dem, was er sagte, ernst. Er log ihr mit einem charmanten Lächeln ins Gesicht, und sie fühlte sich dabei elendig und schäbig. Jetzt verstand sie auch Heinrichs seltsam zufriedenes Zucken der Mundwinkel, als er gesehen hatte, wie angeregt sich Egeno mit ihr unterhielt. Eigentlich hatte sie geglaubt, dass er sie zurechtweisen oder laut verhöhnen würde, aber er gewährte diesem blonden Flegel großzügig den Raum, den dieser für seine Tücke benötigte. Bittere Galle stieg in ihr auf.

Hatte Bertha nicht schon seit geraumer Zeit das Gefühl, dass Heinrich sich von ihr trennen wollte? Auf diese hinterhältige Art also wollte er es erreichen – sie beim Ehebruch erwischen. Niemand würde es ihm übel nehmen, wenn er sich daraufhin von ihr scheiden ließe. Wie sehr würde der arme, arme König bedauert werden, und sie würde Schimpf und Schande ernten.

„Oh, seht, Heinrichs Leibwächter fordert Arend heraus! Das müssen wir uns unbedingt anschauen.“ Egeno wies mit dem Kopf auf den knollnasigen Kuno, der sich vor dem jungen düsteren Kerl in der Ecke aufgebaut hatte und heftig pöbelte.

„Meinst du, er lässt sich auf einen Kampf ein? Er wirkt auf mich wie ein Feigling“, ließ sich Bertha vernehmen. Dabei hatte sie in ihrem Kopf die übelsten Schimpfworte für Egeno parat, als er sie wonnevoll anlächelte.

„Arend, ein Feigling?“ Er gluckste. „Das ist er ganz gewiss nicht. Sollte er sich verweigern, dann nur deshalb, weil er sich ungern sagen lässt, wann er zu kämpfen hat.“

Kunos Beleidigungen wurden derber, aber Arend ließ ihn durch sture Nichtbeachtung abblitzen, trank weiter seelenruhig seinen Wein, als sei er taub … oder eben doch ein Feigling.

Heinrich stellte sich neben die beiden, die Fäuste in die Hüften gestemmt. „Ich wünsche einen Kampf!“

Arend reagierte nicht.

„Ich befehle den Kampf!“, tönte Heinrich erzürnt. Dies war unmissverständlich.

Mit einer langsamen, mürrischen Bewegung stellte Arend seinen Becher beiseite und erhob sich schwerfällig. „Bis zum Tod? Soll ich Euren Leibwächter aufschlitzen?“ Er sprach ruhig, doch ein Hauch Ingrimm schwang in seiner Stimme mit, der Heinrichs Mund verstimmt zucken ließ.

„Nein, erlegte Beute hatte ich bereits heute Morgen. Jetzt will ich lediglich Unterhaltung.“

Egeno führte Bertha und ihre Tante zum Geschehen. „Ich wette auf Arend“, flüsterte er der Königin zu.

Sie hob nur zweifelnd eine Augenbraue.

Kuno strich sich seine dunkelbraunen Haare hinter die Ohren und betrachtete seinen Gegner siegessicher. „Ich kann nicht dafür garantieren, dass ich dir keine Wunde beibringe. Oder möchtest du lieber mit Übungsschwertern fechten? Dann breche ich dir vielleicht nur ein paar Knochen.“

Widerwillig und zögernd trat der Sachse auf den freien Platz in der Mitte des Raums, den die Gäste erwartungsvoll tuschelnd umrundet hatten. Arend wirkte missmutig, doch dann atmete er tief durch und war von diesem Moment an ein anderer: überaus konzentriert mit einem gefährlichen Glitzern in den hellen Augen. „Greif an!“

Imula trat näher und betrachtete mit entflammtem Blick die Kontrahenten, die ihre Schwerter zogen.

Mit einem mächtigen Schlag sprang Kuno auf Arend zu, der diesen ablenkte und konterte. Es folgte ein weiterer Schlagabtausch. Das Scheppern des Metalls klirrte laut in den Ohren. Alle verfolgten gebannt dem Kampf.

Diese Gelegenheit nutzte Egeno und trat nahe an sie heran. „Bertha, ich verzehre mich nach Euch. Bald muss ich wieder abreisen. Diese Nacht sollte unsere Nacht werden. Ich werde Euch zeigen, wie begehrenswert Ihr seid. Für Euch würde ich die Sterne vom Himmel holen. Bei meinen Liebkosungen werde ich ein Feuer in Euch entfachen, und Ihr werdet vor Verlangen erglühen“, raunte er ihr zu und säuselte ihr weitere verführerische Worte ins Ohr, die ihr die Schamesröte ins Gesicht trieben.

Schlange! Schwein! Verschwörer!, schoss es Bertha durch den Sinn, doch sie setzte ein geschmeicheltes Lächeln auf und nickte dezent.

„Uuh!“ Begeistertes Raunen erfüllte den Saal. Arend bewegte sich trotz seiner Größe blitzschnell, wirbelte mit der Waffe umher und verpasste Kuno mit der flachen Seite des Schwertes einen Schlag nach dem anderen auf dessen Körper.

„Heißt das Ja? Ihr lasst mich heute Nacht in Euer Gemach?“, hauchte Egeno in begieriger Vorfreude.

Mit einem diskreten Senken der Lider bekundete Bertha ihr Einverständnis.

„Oh, meine Königin, Ihr werdet diese Nacht nicht vergessen!“, flüsterte er beschwingt.

Nein, du auch nicht!, versprach sie ihm in Gedanken.

„Schau nur, Bertha! Meine Güte, was für ein Kämpfer!“, jauchzte Imula und klatschte vor Vergnügen in die Hände.

Und schon flog Kunos Schwert in hohem Bogen durch den Saal. Der stiernackige Leibwächter stand da, entwaffnet, keuchend und zutiefst gedemütigt.

Arend ließ sein Schwert mit einer geschmeidigen Bewegung in der Scheide verschwinden und setzte sich wieder in seine dunkle Ecke, als wäre nichts geschehen.

„Ein komischer Kauz“, urteilte Bertha.

„So ist er nun einmal“, meinte Egeno achselzuckend und lehnte sich zu ihr herüber. „Damit es weniger auffällig ist, werde ich nun ein wenig Würfel spielen. Bleibt noch eine Weile und geht dann in Euer Gemach. Erwartet mich mit inbrünstigem Verlangen. Viermal werde ich anklopfen, dann öffnet mir.“ Sein Atem roch nach Wein. Er zwinkerte ihr zu und schlenderte lässig zu den anderen Gästen.

Lauernd wie eine Katze beobachtete Bertha, ob Heinrich und Egeno verschwörerische Blicke tauschten, aber sie sahen sich nicht an. Gab es vielleicht doch kein Komplott?

Die Königin setzte sich mit ihrer Tante an ihren Platz zurück und pulte nervös an einem Fingernagel herum, ließ den Schönling nicht aus den Augen.

Egeno holte einige Geldstücke aus seinem Beutel hervor, um diese beim Würfeln einzusetzen. Doch sie entglitten ihm und fielen klimpernd zu Boden. Entschuldigend zuckte er die Achseln und sammelte die Münzen mit flinken Fingern auf.

Ein aufmerksamer Blick von Heinrich lag auf ihm, und auf des Königs Lippen zeigte sich ein dünnes, arglistiges Lächeln. Das war das Zeichen gewesen! Ganz sicher! Wäre Bertha nicht gewarnt worden, hätte sie sich bei all dem nichts gedacht, aber nun hatte sie Heinrich genau beobachtet. Sie kannte dieses verschlagene Verziehen der Mundwinkel nur zu gut, schließlich war sie mit ihm aufgewachsen. Auf diese Art und Weise lächelte er nur, wenn er etwas ausheckte.

Bertha setzte eine vergnügte Maske auf, allerdings zerfiel sie innerlich zu Staub. Er, Heinrich, dessen Liebe sie sich ersehnte, wollte sie tatsächlich loswerden. Und dann auch noch ausgerechnet auf solch niederträchtige Weise … Wer war derjenige, der sie hatte warnen lassen? Wen hatte Heinrich in diesen schäbigen Plan noch eingeweiht? Sicherlich nur wenige, er wollte bestimmt kein Risiko eingehen. Ihr Blick glitt durch den Saal, doch niemand kam ihr verdächtig vor. Wer könnte Interesse daran haben, dass sie Königin blieb?

Heinrich gab seinem üppigen Kebsweib Trude einen rüden Klaps auf den Po, forderte sie und die beiden anderen Konkubinen mit einem energischen Kopfnicken auf, mit ihm den Saal zu verlassen. Das war nicht ungewöhnlich, er tat es des Öfteren, bevor die Feier vorüber war. Egeno ließ die Würfel munter rollen und jubelte überschwänglich, als er wiederholt gewann.

Dann verabschiedeten sich immer mehr Gäste, manch einer in Begleitung einer Hure. Als sich auch die Tante zurückgezogen hatte, winkte Bertha ihre Dienerin Ada herbei.

„Wer war es, der dich gewarnt hat?“, fragte sie mit leiser Stimme.

Die Rothaarige stellte sich vor die Königin und ordnete deren Schleier. „Es tut mir leid, Herrin, aber ich weiß es nicht. Groß war er und sehr stark. Keine vertraute Stimme. Ich glaube leider nicht, dass ich ihn wiedererkennen würde. Ich war so verschreckt. Jedoch …“ Nachdenklich nagte sie an ihrer Unterlippe herum.

„Jedoch?“

„Ich habe ihn gekratzt. Heftig sogar. Ich hatte Blut und Haut unter meinen Nägeln. Aber ich weiß nicht genau, ob ich ihn an der Hand oder am Arm verletzt habe.“

Bertha nickte bedauernd. „Schade, dass es nicht mitten im Gesicht war. Danke, Ada. Mein Schleier ist nun bestimmt wieder hübsch. Ich möchte jetzt in mein Gemach.“ Am liebsten hätte sich Bertha sofort die Hände aller Männer in der Pfalz beschaut.

Schwermütig seufzte die Dienerin, Bertha wusste, dass sie mit ihr fühlte. Sie winkte Imma herbei, und beide geleiteten ihre Königin, brennende Talglichter tragend, aus dem Saal. Bertha erschauderte, als sie an Egeno vorbeiging. Er hatte blendende Laune und ließ beschwingt die Würfel purzeln. Kaum merklich nickte er ihr zu. Bald würde er ihr folgen.

Bertha schenkte ihm ein gespieltes Lächeln, welches sofort erstarb, sobald sie ihn passiert hatte. Ihr flüchtiger Blick streifte Egenos Freund, diesen dunklen Schatten, der in einer Ecke saß und in seinen Becher starrte. Eine undurchsichtige Gestalt … doch im Moment beschäftigten sie ganz andere Dinge.

Wut kroch in ihr empor, anfangs dezent kribbelnd wie eine Ameise, doch dann immer heftiger werdend. Was, verflucht noch mal, dachten ihr Gemahl und Egeno eigentlich von ihr? Dass sie sofort mit einem Kerl ins Bett steigen würde, nur weil er ihr betörende Worte zuflüsterte? Egeno verstand ganz zweifellos sein heuchlerisches Handwerk, und sie hatte sich ja tatsächlich gehörig geschmeichelt gefühlt, aber sie hätte sich niemals sogleich wie ein dummer Dorftrampel in seine Arme sinken lassen und ihre Jungfräulichkeit ausgerechnet an ihn verloren! Immer heftiger loderte es in ihr.

Sie gingen die mit kleinen Talglichtern beleuchtete Treppe empor. „Ada, ich denke, du weißt, was zu tun ist“, flüsterte Bertha ihr zu.

„Ja, meine Königin.“

„Gut.“ Bertha war entschlossen, dafür zu sorgen, dass diese Nacht für Egeno ganz gewiss unvergesslich blieb.

Als sie zu den königlichen Gemächern kamen, stand Kuno im Schein einer züngelnden Fackel vor Heinrichs Tür Wache. Hölzern verbeugte er sich vor der Königin, und ein geringschätziger Hauch umspielte seine Lippen. In Heinrichs Gemach gackerten laut die Kebsweiber. Des Königs persönlicher Hühnerstall … Nichts war anders als an anderen Tagen – und doch … war es anders.

Mit großem Unbehagen betrat Bertha den großen Raum, der ganz ihr gehörte und bald seinen Frieden und seine Unschuld verlöre. Innerlich bebte sie vor Zorn und zitterte gleichzeitig furchtsam. Nie zuvor hatte sich eine Intrige direkt gegen sie gerichtet. Diese Erfahrung erschütterte ihre Seele.

„Herrin, sollen wir Euch entkleiden?“ Die dünne Imma war ahnungslos, und ihre Stimme klang geradezu unverschämt unbeschwert.

„Ich nehme Euch den Schleier und den Schmuck ab.“ Ada entzündete mit ihrem Talglicht eine Kerze und stellte beides auf den Tisch. Eine rasche, kaum merkliche Kopfbewegung wies zum zugezogenen Vorhang.

„Ja, bitte!“ Bertha verstand. Sie sah an ihrer Magd vorbei, betrachtete das dunkle Ding, das einige sanfte Falten warf. Als sie das Gemach verlassen hatten, war der Stoff gerafft gewesen. Lauerte dahinter jemand? Eine Person, die die Schändlichkeit der Königin bezeugen sollte? Bertha vernahm kein verräterisches Geräusch, trotzdem … Es war, als ob von dort eine böse Aura in den Raum strömte.

„Ich hoffe, dem König hat das Fest gefallen, da Ihr Euch so viel Mühe mit der Vorbereitung gegeben habt.“ Ada befreite ihre Königin mit bebenden Fingern vom Seidenschleier. Da sie ganz nahe bei Bertha war, konnte diese ihren angespannten Atem spüren.

„Ich wünschte, dass er mich einmal, wenigstens ein einziges Mal loben würde.“

Ada nahm ihr die klimpernde Kette vom schlanken Hals und streichelte dabei der Königin beruhigend die Wange.

Es klopfte. Viermal.

Bertha zuckte zusammen. So bald schon? Dieser Egeno wollte wahrlich keine Zeit verlieren. „Wer kann das nur sein?“ Blechern und seltsam fremd klang ihre Stimme.

„Vielleicht Tilda“, ließ sich Ada heiser vernehmen, während sie sich bückte und zwei mit dünnem Wollstoff umwickelte Knüppel unter dem Bett hervorholte. Diese lagen dort stets, da Heinrich ihr die Türwachen verweigerte.

„Lass sie herein“, forderte Bertha sie auf, erhob sich und nahm einen der Schlagstöcke entgegen.

Imma war offensichtlich irritiert und legte beim Anblick der Waffen bestürzt die Hand auf die Brust.

Bertha und Ada verbargen die Hölzer hinter dem Rücken, und die Dienerin öffnete die Tür einen Spaltbreit. Dort stand Egeno, erleuchtet vom goldenen Fackelschein.

„Schnell, lasst mich ein! Heinrichs Türwächter ist gerade nicht da. Er kommt bestimmt gleich zurück!“, stieß er hastig hervor und zwängte sich an Ada vorbei. Dieser Hund wollte tatsächlich seine dreiste Tat vollführen!

„Was willst du hier, du ungehobelter Flegel? Du hast im Gemach deiner Königin nichts zu suchen! Verschwinde!“, rief Bertha wütend aus und stürmte mit ihrem Knüppel auf ihn los.

Erschreckt stolperte er rückwärts und riss die Arme schützend empor. „Was … was soll das?“, entrüstete er sich und jaulte auf, als der erste zornige Schlag ihn traf. Auch Ada hieb nun auf ihn ein.

„Hast du das Geräusch gehört? Ist das sein Komplize?“ Bertha zog den Vorhang zurück, und tatsächlich verbarg sich dort eine Gestalt im Schatten. Als ihr Knüppel auch auf diesen Schurken niedersauste, ertönte ein heiserer Schmerzensschrei. Das war doch Heinrichs Stimme! Heinrich? Ihr Heinrich? Heiß wie ein Höllenfeuer stieg die Wut in ihr auf. Sie wollte nur seine Liebe – und was tat er? Dieser verdammte Mistkerl hatte es sich nicht nehmen lassen wollen, auch noch selbst Zeuge seines widerwärtigen Plans zu werden. Noch mal ließ sie garstig ihren Knüppel auf ihn niedersausen und noch mal und noch mal.

„Hör auf! Ich bin es, Heinrich!“, schrie er gequält.

„Das ist vollkommen ausgeschlossen! Heinrich hält sich niemals hier auf! Wirklich niemals!“, schrie sie und schlug weiter auf ihn ein.

Brutal stieß Egeno Ada zur Seite und ergriff überstürzt die Flucht. Gleich darauf stürmte Kuno herein, der die dumpfen Schreie seines Herrn vernommen hatte.

„Herrin, hört auf! Das ist der König!“, rief er entsetzt aus.

„Das kann nicht sein!“, fauchte sie und traktierte Heinrich weiterhin.

„Herrin!“ Kuno sprang auf sie zu, entriss ihr den Knüppel und warf diesen fort. Scheppernd landete das Holz auf dem Boden. Dann zog der Leibwächter den stöhnenden jungen König empor, schulterte ihn und trug ihn in dessen Gemach.

Außer Atem stand Bertha da, die Hände geballt, fast versucht, ihm hinterherzustürmen und ihn zu beschimpfen.

Eilends schloss Ada die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Keuchend und schweigend verharrten die Frauen auf ihren Plätzen und lauschten dem Geschehen draußen. Kuno scheuchte die erschreckt kreischenden Kebsweiber fort und sandte eine von ihnen aus, um den Wundheiler zu holen.

Bertha fühlte sich, als würde ein kalter Herbststurm ihr Innerstes durcheinanderwirbeln. Sie fürchtete die Konsequenzen, doch sie war auch wütend, traurig, verletzt, auf gewisse Weise aber auch zufrieden und stolz. Ja, stolz! Es war ein Triumph gewesen, wenn auch nur ein winziger. Immerhin hatte sie diese widerwärtige Intrige abgewehrt! Sie empfand Genugtuung bei dem Gedanken, dass die beiden Männer wohl niemals für den Rest ihres verruchten Lebens vergessen würden, dass man mit ihr, der Königin, solch schäbige Spielchen nicht treiben konnte.

Imma löste sich aus ihrer Starre. „Um Himmels willen, was war das denn gerade?“, würgte sie mit bebender Stimme hervor.

„Später werde ich es dir erklären“, vertröstete Ada sie und ordnete ihre Kleidung. Mit einem zaghaften Lächeln, das immer breiter wurde, näherte sie sich der Königin, kicherte verschämt, dann brachen beide in ein befreiendes Gelächter aus.

„Meine Güte! Denen haben wir es aber gegeben!“ Genüsslich rieb Ada sich ihre Hände. „Schade, ich hätte so gern deren Gesichter bei Licht gesehen, aber ihre verschreckten Stimmen waren bereits ein Hochgenuss.“

Jemand lief den Gang entlang. Der Heiler! Er redete kurz mit Kuno, dann wurde es still, und eine Tür klappte zu.

Berthas Herz wurde schwer, denn sie sorgte sich um ihn und hoffte, ihn nicht zu sehr verletzt zu haben. Was bin ich nur für eine dumme Gans!

Königin im Schatten - Der Leibwächter

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