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Kapitel 4

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„Was ist mit dir?“ Ruckartig erhob sich Arend von der Sitzbank, als Egeno humpelnd das kleine Haus betrat.

Sein Freund war überhaupt nicht erfreut, ihn hier zu sehen, hatte wohl gehofft, dass er noch im Wintersaal verweilte. Er umfasste mit der Hand seinen Oberarm und ging gebeugt. Mit schmerzverzerrter Miene ließ er sich auf einer Bank nieder. „Diese Miststücke!“, spie er aus.

„Wer? Wen meinst du? Was ist geschehen?“

Egeno befreite sich von seiner Wolltunika und dem Leinenhemd und begutachtete im Schein der vier Talglichter seinen muskulösen Oberkörper. An etlichen Stellen zeigten sich deftige Rötungen.

„Welche Miststücke?“ Arend bemühte sich, sichtlich irritiert zu wirken.

Ungelenk griff Egeno nach Arends Becher und leerte diesen in einem Zuge. Verbittert lachte er. „Bertha und ihre rothaarige Dienerin haben mich verprügelt.“ Er lehnte sich ein wenig zurück und schüttelte mehrmals ungläubig den Kopf. „Weiber, kaum zu fassen …“

Arend füllte seinen Becher mit Met auf und reichte ihn wieder dem Geschundenen.

Nach einem großen Schuck grinste dieser fast erheitert. „Du kannst dir meine Überraschung sicherlich vorstellen, als ich in freudiger Erwartung das Gemach der Königin betrat und, anstatt ihr an die Wäsche gehen zu können, sogleich verdroschen wurde. Doch das Beste kommt noch …“ Er gluckste und trank den Becher halb leer. „Bertha hat Heinrich ebenfalls verprügelt. Sie hat ihn hinter dem Vorhang nicht erkannt. Ich konnte rasch entkommen, er hingegen nicht …“ Vorsichtig betastete er seinen Arm und verzog dabei schmerzhaft das Gesicht. „Ich habe auf dem Weg hierher gesehen, wie der Wundarzt ins Königshaus gestürzt ist. Zumindest kann man davon ausgehen, dass sie mittlerweile von ihm abgelassen hat. Diese Furie …“ Ein verschmitztes Grinsen zeigte sich auf seinen Lippen. „So etwas hat mir noch keine andere geboten. Das hat seinen ganz besonderen Reiz. Die Runde in diesem Spiel mag an sie gehen, doch ich hoffe, dass Heinrich mich weitermachen lässt. Nur allzu gern würde ich diese Wildkatze zähmen. Wer hätte das von ihr gedacht …“ Er starrte in eines der flackernden Talklämpchen und nagte verstohlen grinsend an seiner Unterlippe.

„Du bist unverbesserlich“, urteilte Arend verdrossen.

„Ja, genauso wie du ein Langweiler und grässlich ehrlich bist. Jeder ist so, wie er ist …“ Er streifte sich sein Leinenhemd wieder über, humpelte zu seinem Lager und ließ sich behutsam darauf nieder. „Aber für heute habe ich genug.“ Er zog die Decke über sich.

Arend ließ den leeren Becher auf dem Tisch von einer Hand zur anderen rollen. Sollte diese Intrige etwa noch immer nicht beendet sein? Er konnte es kaum glauben. Immerhin würde Bertha nun äußerst wachsam sein. Sie hatte gut reagiert! Besser, als er erwartet hatte. Er lachte in sich hinein. Die Bilder, die sich nun in seinem Kopf abspielten, trieben ihm unwillkürlich ein Grinsen auf die Lippen. Bertha hatte ihren Gemahl verprügelt! Den König! Verdient hatte er es hundertfach … Sie war mutig und konsequent. Das gefiel ihm. Sie gefiel ihm. Und schon war der Anflug von Freude erloschen. Es war eine hoffnungslose Verliebtheit … Bertha war so weit von ihm entfernt wie der Mond … Unerreichbar.

„Kannst du mit dem Krach aufhören?“, beschwerte sich Egeno barsch und rollte sich stöhnend auf die andere Seite.

Arend stellte den Becher wieder aufrecht hin und füllte Met nach. Der Honigwein war ziemlich süß, und ihm wurden die Sinne schwer. Er pustete die Lichter aus, tastete sich zu seinem Lager und lauschte in die Dunkelheit.

Das Fest war beendet, keine Musik erklang mehr. Zwar herrschte noch Stimmengewirr auf dem Hof, aber nach und nach kehrte Ruhe ein, und Arend sank hinab in einen Traum, an einen Ort, wo er Bertha treffen durfte.

* * *

„Ich möchte jetzt augenblicklich zu ihm vorgelassen werden!“ Mit steifen, an den Körper gepressten Armen und geballten Fäusten stand Bertha vor dem muskelbepackten Kuno und schaute trotzig zu ihm auf.

„Nein, Herrin. Auch heute dürft Ihr nicht zu ihm. Er ist krank und bedarf der Ruhe.“

„Seit zwei Tagen verlange ich Zutritt, und du stehst da wie ein grober Felsen und weist mich ab – mich, deine Königin! Du kannst mir nicht verwehren, dass ich mich bei meinem Gemahl nach seinem Befinden erkundige.“

„Ich habe meine Befehle, Herrin.“ Kuno wich ihrem Blick aus und starrte die gegenüberliegende Wand an.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und heraus trat Bischof Adalbert von Bremen und Hamburg. Er war von hoher Statur und leicht untersetzt. Der Blick aus seinen grauen Augen wanderte prüfend über ihr Gesicht, und sein schmaler Mund zuckte unschlüssig. Schließlich nickte er Kuno zu. „Lass sie zu ihm. Ich denke, ein klärendes Gespräch wäre seiner Genesung zuträglich.“

Zweifelnd zog Kuno die buschigen Augenbrauen empor, während er beiseitetrat.

Dem Befehl seiner Königin gehorchte der Krieger nicht, aber den Worten des Erzbischofs! Bertha war nichts anderes gewohnt, dennoch war es jedes Mal für sie bitterer Wermut. Tief atmete sie ein und betrat mit zitternden Knien das Gemach. Hier war sie noch nie gewesen, daher schaute sie sich interessiert um. Im vorderen Raum verweilten zwei Diener, die sofort zur Stelle sein mussten, wenn ihr Herr etwas wünschte. Ein großer Tisch mit kunstvoll hineingeschnitzten Spielfeldern war umringt von mehreren meisterhaft gedrechselten Stühlen. An den Wänden hingen herrliche gewebte Teppiche, prächtige Felle und monströse Geweihe. Kostbare goldene Leuchter, edelsteinbesetzte Schalen und Vasen standen ordentlich in Reih und Glied auf kleineren Tischen.

Hastig winkte Bertha die Diener aus dem Raum. Sie ordnete ihr fein gewebtes rotes Kleid aus Scharlach und schob dann entschlossen den trennenden Vorhang beiseite.

In seinem breiten Bett saß der König eher, als dass er lag, da etliche Kissen in seinem Rücken aufgestapelt waren. Um seinen sehnigen Oberkörper waren Verbände geschlungen, und es roch intensiv nach Kräutern und Salben.

Neugierig huschten Berthas Augen durch den Raum. An den Wänden und auf Gestellen hingen und lagen zahlreiche Waffen und Kampfausrüstungen. Auf Tischen blinkten goldene Kelche und Schalen, und viele große Truhen reihten sich an den Wänden aneinander.

Er war allein, duldete offenbar noch nicht einmal seine Kebsweiber in seiner Nähe.

Als er Bertha sah, zuckte er zusammen, dann schoss ihm augenblicklich die Zornesröte ins Gesicht. Er zog sich seine Decke bis zum Hals hinauf, um die Verbände zu verbergen. „Was willst du hier? Dich an meinem Leid ergötzen? Du kannst von Glück sprechen, dass meine Knochen heil geblieben sind!“, kläffte er. Dunkle Ringe umkränzten seine müden Augen. Gewiss hinderten ihn die Schmerzen am Schlafen. „Wie kommst du überhaupt hier rein? Ich hatte Kuno ausdrücklich verboten, dich einzulassen.“ Er vermied es, sie anzuschauen, und starrte stattdessen sehnsüchtig auf sein Schwert, das an einem hölzernen Gestell hing.

„Erzbischof Adalbert hat es gestattet.“

Ein Schatten huschte über sein Gesicht, den Bertha nicht zu deuten vermochte.

„Ich bin besorgt und wollte schauen, wie es dir geht“, gestand sie.

„Tue nicht so, als seist du ernsthaft bekümmert! Du hast mich verprügelt, als sei ich ein lumpiger Knecht!“, spie er aus.

„Ich wusste nicht, dass du es bist.“

„Ach, komm! Selbst als ich mich dir zu erkennen gegeben habe, hast du wie eine wilde Berserkerin weitergeprügelt.“

„Es war dunkel in dieser Ecke des Gemachs. Ich konnte wahrlich nicht glauben, dass du dich dort versteckst. Denn eines war mir ganz gewiss: Mein Gemahl betritt niemals mein Gemach.“ Sie legte den Kopf schräg, und während sie ihn betrachtete, köchelte in ihr ein Eintopf aus verschiedensten Zutaten: Schadenfreude, Mitleid, Zorn, Enttäuschung, Gekränktheit … und ein Gefühl der Zuneigung. Selbst so finster dreinblickend war er hübsch. Seit ihrer Kindheit war ihr eingeredet worden, dass er der Mittelpunkt ihres Daseins wäre. So hatte sie sich stets seine Aufmerksamkeit und Liebe gewünscht, und es schmerzte, diese nicht zu bekommen. „Sag mir, was hast du überhaupt hinter dem Vorhang gemacht?“

Sein Mund zuckte, suchte nach einer plausiblen Ausrede, doch als ihm diese versagt blieb, platzte er heraus: „Wie kommt es, dass du und deine dämliche Dienerin Knüppel zur Hand hattet?“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und verzog einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. „Nun, die Knüppel liegen seit Jahren in der Nähe meines Bettes – in jeder Pfalz. Da mich nachts niemand beschützt, muss ich für mich selbst sorgen.“

Mürrisch verzog er den Mund und stieß ein Knurren aus.

„Du bist mir noch immer die Antwort schuldig: Was hast du hinter dem Vorhang gemacht?“, bohrte sie weiter.

„Woher wusstest du, dass ich dort bin?“, entgegnete er.

„Wie gesagt: Ich wusste es nicht. Meine Dienerin und ich konnten spüren, dass sich irgendjemand dort verborgen hat. Manchmal spürt man ja auch einen auf sich gerichteten Blick, und so ähnlich war es. Also: Was hattest du dort zu suchen?“

„Stell dich nicht ahnungslos, du weißt es.“

Sie musste achtgeben und ihre Worte mit Bedacht wählen, damit er diese später nicht gegen sie verwenden konnte. „Ja, ich habe durchaus eine Ahnung. Mittlerweile. Du hast mit diesem Egeno unter einer Decke gesteckt. Schande über dich! Eigentlich wollte ich ja nur ihn bestrafen, da er sich erdreistet hat, meine Treue auf die Probe zu stellen. Wie konnte er nur glauben, dass ich zu verführen bin? Ich, die Königin! Nun, ich hoffe, er hat seine Lektion gelernt – und du ebenfalls.“

Heinrich wollte sich ein wenig mehr aufsetzen, doch die Schmerzen hinderten ihn. Ein hasserfüllter Blick streifte sie und schnellte sehnsüchtig zurück zum Schwert. „Du bist die längste Zeit Königin gewesen! Ich hatte in den vergangenen Tagen viel Zeit, darüber nachzudenken, und bin zu dem Schluss gekommen, auf dem Hoftag in Worms allen zu verkünden, dass ich mich von dir trennen werde.“

Bertha war, als hätte er ihr sein Schwert mitten ins Herz gerammt, doch sie bewahrte die Fassung. „Mit welcher Begründung? Untreue kannst du mir nicht vorwerfen. Ich bin noch unberührt. Und vor unserer Ehe wurde gründlich geprüft, ob zwischen uns eine zu nahe Verwandtschaft besteht. Oder willst du dich so erbärmlich verhalten wie Rudolf von Rheinfelden, dem ach so edlen Herzog von Schwaben, der sich von meiner Schwester Adelheid aus genau diesem Grunde getrennt hat? Das ist lächerlich! Gerade Rudolf dürfte für dich kein Vorbild sein. Oder hast du vergessen, dass er einst deine Schwester Mathilde vom Bischofssitz in Konstanz entführt und geheiratet hat?“

„Wie könnte ich? Auf diese Weise hat er sich ja das Herzogtum Schwaben erzwungen!“, warf Heinrich verbittert ein.

„Und nun ist meine arme Schwester Adelheid seine Frau. Sie hat sich in Briefen bitterlich über ihren Gemahl beklagt und gezürnt, was Männer für gottlose Kreaturen seien. Verzweifelt hat sie mir geschildert, dass Rudolf ihr vorgeworfen hat, Ehebruch mit Werner von Habsburg begangen zu haben. Welch ein ungeheuerlicher Vorwurf! Willst du es diesem Hund gleichtun?“, fragte sie vor Wut schnaufend. Ihre Schwester hatte sich als Opfer einer Intrige gesehen. Und nun sollte es Bertha nicht besser ergehen.

Ein hämisches Grinsen stahl sich auf Heinrichs Lippen.

Heftiger als zuvor wallte Zorn gepaart mit Entsetzen in ihr auf. Er wollte sie tatsächlich verstoßen! Seit ihrer Kindheit war ihr die Rolle der Königin zugedacht gewesen. Auch wenn sie ihr Schicksal manchmal verflucht hatte, so zog sein Plan ihr nun doch den Boden unter den Füßen weg. Was sollte aus ihr werden? Nein, so leicht würde sie sich nicht vertreiben lassen. Sie würde kämpfen, um ihren Stand und auch … um ihn. Sie trat nahe an sein Bett heran, so nahe, dass es ihm offensichtlich Unbehagen einflößte. Aber er musste es erdulden, konnte nicht entfliehen. „Hör mir gut zu, mein edler Gemahl! Ich denke, du hast keine Ahnung, wer und wie ich überhaupt bin, denn es hat dich nie interessiert. Aber lass dir sagen: Ich hege großes Interesse an dir und deinen Taten. Ich bin gut über deine Politik informiert und auch darüber, was du sonst noch so treibst. Wenn du beim Hoftag dreckige Lügen über mich verbreitest, wirst du es bitter bereuen! Ich bin durchaus in der Lage, dir zu schaden. Und glaube mir: Solltest du in Betracht ziehen, mich ermorden zu lassen, so wisse, dass du mich nur ein paar Atemzüge lang überleben würdest, denn ich habe Getreue, von denen du nicht die geringste Ahnung hast. Waren meine Worte deutlich?“

Überrascht zog er die Augenbrauen zusammen, streifte sie flüchtig mit einem grimmigen Blick. Dann zeigte sich wieder sein engstirniger Trotz. „Mein Entschluss steht fest, denn ich ertrage dich nicht länger, du elendes Weibsbild! Du bist mir zuwider! Und nun verschwinde, ehe ich mich übergeben muss!“

Sie straffte die Schultern, ertrug seine heftige Ablehnung äußerlich mit Würde, aber innerlich zerbrach sie wie ein dünner Zweig. „Ja, ich werde gehen. Aber zuvor fordere ich noch einen Türwächter. Bis zu unserer eventuellen Scheidung möchte ich mich in Sicherheit wissen. Und eines, Heinrich, sollst du noch wissen: Trotz der erbärmlichen Geringschätzung, mit der du mich behandelst, und trotz deiner Missachtung mir gegenüber empfinde ich Zuneigung für dich. Ich denke, diese bringen dir nicht viele Menschen entgegen.“ Sie schnellte herum, rauschte aus dem Gemach und ließ ihm keine Möglichkeit zu antworten. Ihre Worte waberten unverrückbar in seinem Gemach, und nun musste er sich damit auseinandersetzen.

Diese Erkenntnis trieb ihr ein triumphierendes Lächeln auf die Lippen, jedoch nur kurz, dann hämmerten in ihrem Hirn seine Worte, dass er auf dem Hoftag die Trennung von ihr bekannt geben würde. Die Scheidung … Verstoßen vom Hof, ihr Dasein in einem Kloster fristend, fern von Heinrich …

Am nächsten Morgen wurde Bertha in einen Raum im Erdgeschoss des Wohngebäudes gerufen, der für Gespräche im kleinen Kreis gedacht war. Zögernd stand sie vor der massiven Eichentür und wusste gar nicht, ob sie diese öffnen wollte, denn dahinter wartete der Erzbischof von Bremen und Hamburg. Warum nur war sie seiner Bitte um eine Unterredung gefolgt?

Doch nun stand sie hier. Sie atmete tief ein und trat mit einem flauen Gefühl im Magen durch die Tür.

Bei ihrem Anblick erhob sich Adalbert ehrerbietend. Nach ihrem Empfinden war er uralt – bestimmt schon Ende sechzig. Graue Haare umkränzten seine Tonsur. Seine weite grüne Kasel warf an den Armen schön geraffte Falten, und an seinem linken Arm befand sich das Manipel, ein mit Fransen versehener, goldbestickter Stoffstreifen – das Zeichen hoher Kleriker.

Der Erzbischof galt als überaus eitel und war in seiner Jugend wohl ganz hübsch gewesen. Er stammte aus dem sächsischen Grafengeschlecht von Goseck, und seine Brüder waren der Pfalzgraf von Sachsen, Friedrich II., und Dedo. Letzterer war vor dreizehn Jahren auf einem Waldweg im Harz von einem zum Tode verurteilten Kleriker ermordet worden, den Dedo auf Bitten Adalberts von der Stadt Bremen nach Thüringen überführen sollte.

Die vergangenen Jahre hatten Spuren der Verbitterung und tiefe Falten in Adalberts rundem Gesicht hinterlassen. Aufgrund seiner Schlupflider und der leichten Tränensäcke wirkten seine Augen stets ein wenig müde, und die Lippen waren vor Verdrossenheit schmal geworden. Er machte eine einladende Bewegung. „Setzt Euch bitte zu mir, mein Kind.“

Zwar schloss Bertha die Tür hinter sich, blieb aber unfolgsam im Raum stehen.

Er seufzte mit unterschwelliger Gereiztheit. „Dieses Gespräch müsste eigentlich Erzbischof Anno von Köln mit Euch führen, denn er hat seinerzeit zusammen mit Kaiser Heinrich III. die Ehe arrangiert. Allerdings ist er immer noch nicht am Hofe eingetroffen, weswegen ich dieses nun übernehme … übernehmen muss. Setzt Euch –bitte.“ Nochmals wies er auf einen Stuhl.

„Ich möchte gern stehen“, antwortete Bertha trotzig.

„Jetzt setzt Euch doch!“, platzte Adalbert heraus, aufbrausend wie eh und je.

Widerwillig kam sie seiner Aufforderung nach und lehnte sich weit zurück, fort vom Erzbischof, der nun ebenfalls Platz nahm.

Missmutig über das anstehende Gespräch faltete Adalbert seine fleischigen Hände über der zerkratzten Tischplatte. Diese Hände, über deren Rücken sich blaue Adern wie Flussläufe schlängelten. An seinem Finger steckte der kostbare Bischofsring, und an der anderen Hand blitzte ein markanter dreieckiger Ring mit Perlen und einem Amethyst.

Für einen Moment presste Adalbert die Lippen zusammen und bedachte Bertha mit einem ernsten Blick aus seinen grauen Augen. „Es war Heinrichs Wunsch, dass ich mit Euch spreche. Er duldet Euch nicht mehr in seiner Nähe – es sei denn, es ist unvermeidbar. Deshalb sollt Ihr ab sofort in Eurem Gemach speisen. Kurz und gut: Er will Eurer möglichst nicht mehr ansichtig werden, bis die Angelegenheit geklärt ist …“

„Welche Angelegenheit?“, unterbrach Bertha mit gespielt ahnungslosem Augenaufschlag.

„Ihr wisst genau, wovon ich rede.“

„Sagt es mir!“

„Herrgott!“ Adalberts flache Hand klatschte auf den Tisch. „Stellt Euch nicht dumm!“

„Ich möchte es hören.“

Mit vor Zorn verengten Augen starrte er sie an. „Heinrichs Entschluss steht fest! Durch nichts und niemanden ist er davon abzubringen, auf dem Hoftag kundzutun, dass er sich von Euch scheiden lassen will.“

Obwohl Bertha das bereits wusste, waren die Worte wie ein trockenes Stück Brot in ihrem Hals. „Unterstützt Ihr dieses?“, wollte sie mit belegter Stimme wissen.

Unschuldig zuckte er mit den Achseln. „Wie ich schon sagte: Er ist durch nichts und niemanden umzustimmen.“ Dann zwang er sich ein tröstendes Lächeln auf die Lippen. „Es ist für Euch äußerst bedauerlich, aber sicherlich auch das Ende eines großen Unglücks.“

Und wer hat Anteil an diesem Unglück? Wer hat denn Heinrich zum Spiel und zur Hurerei ermuntert?, schoss es Bertha durch den Kopf. Doch Mitleid konnte sie von diesem Mann nicht erwarten. Von ihm, den sie für sich immer nur „den Gockel“ nannte. Dabei war ihm der Kamm bereits gehörig gestutzt worden. Hochtrabende, ehrgeizige Pläne hatte er gehabt, hatte versucht, in Hamburg ein nördliches Patriarchat zu errichten, dabei jedoch keinerlei Rücksicht auf das Machtdenken der sächsischen Adligen genommen und sich somit deren leidenschaftliche Feindschaft zugezogen. Man konnte ihm allerdings nicht absprechen, viel erreicht zu haben. In Skandinavien hatte er tatkräftig gewirkt, und vor ungefähr dreizehn Jahren hatte er sogar einen Isländer zum Bischof über Grönland und Island geweiht. Die Menschen des Nordens hatten ihm vertraut und seine Autorität anerkannt. Zwar waren seine Pläne eines nördlichen Patriarchats gescheitert, aber immerhin hatte Papst Leo IX. ihm das Erzbistum bis zum Eismeer zugestanden. Hätte sich Adalbert damit begnügt, wäre er wohl noch immer ein mächtiger Mann. Aber er hatte den Hals nicht voll genug bekommen und sich zusätzlich zahlreiche Privilegien am Hofe verschaffen wollen.

Als er dann vor drei Jahren gestürzt worden war, hatte es Bertha nicht überrascht, denn sie wusste schon lange, dass es in den Adligen brodelte. Heinrich war indes vor die Wahl gestellt worden, Adalberts Sturz zu tolerieren oder abzudanken. Ein unerhörter Vorgang! Und auch recht kurzsichtig, da die mühsame, gefährliche Arbeit der Missionare mit einem Male zuschanden gewesen war, als sich im Osten bald darauf die Aboriten in den Bistümern Oldenburg und Ratzeburg erhoben hatten. Die Kirchen waren gebrandschatzt und die Männer des Glaubens grausam massakriert worden.

Nein, dieser Mann, dessen eigene aufgeblähte Träume so derbe zerstört worden waren, brachte Bertha nicht das geringste Mitgefühl entgegen. Noch immer besaß er ein mächtiges Erzbistum, und Heinrich hatte ihn zurück an den Hof geholt. Doch wenn man den ganzen Apfelbaum wollte, was nützte einem da ein Korb voll Obst?

Trotzig räusperte sich Bertha. „Ich muss Euch enttäuschen, denn ich sehe es nicht als Unglück an, Königin dieses Reiches zu sein. Es gab eine Zeit, da hattet Ihr fulminanten Einfluss auf meinen Gemahl. Ich bin mir sicher, wirklich sicher, dass er mich als sein Weib akzeptiert hätte, wenn Ihr ihm dieses nahegelegt hättet.“ … anstatt ihn zu seiner gottlosen Unzucht zu ermuntern, fügte sie in Gedanken hinzu.

Seine Mundwinkel zuckten. „Da überschätzt Ihr mich. Sein Herz zu wandeln vermag ich nicht.“

Du hättest es gekonnt! Du selbst hast gegen mich, deine Königin, geredet, da dein inbrünstiger Feind Anno an dieser Eheschließung beteiligt war. Und alles, was Anno in die Wege geleitet hat, hast du grundsätzlich hintertrieben, dachte sie verbittert.

Er hustete, seine Lunge hörte sich aufgrund der Erkältung verschleimt an. „Ihr müsst Euch damit abfinden: Heinrich hat sich entschieden. Aber er ist so großzügig und kommt Eurer Bitte nach einem Türwächter nach. Er hat bereits einen Boten zu dem geeigneten Recken ausgesandt.“

Warum gestand Heinrich ihr ausgerechnet jetzt einen Bewacher zu? „Ich dachte, dass ich meinen Wächter selbst bestimmen dürfte, jemanden, den ich für würdig und vertrauenswert erachte.“

„Euer Gemahl hat einen würdigen Krieger ausgewählt. Der König meinte, Ihr hättet ohnehin keine Ahnung von den Fähigkeiten der Kämpfer und würdet Euch womöglich einen Schwächling aussuchen.“

Bertha suchte in seinem pausbackigen Gesicht eine Hinterlist. Wenn es eine gab, verstand er es vorzüglich, diese zu verbergen.

„Und wer ist der Glückliche?“

„Arend von Hadenstein.“

„Wer ist das?“

„Er kam mit Egeno II. von Konradsburg an den Hof. Der Hüne mit den hellen Augen.“

„Wie bitte?“ Bertha verschlug es den Atem. Der Freund von diesem Schuft? Wollte Heinrich sie vollkommen verspotten? Dies war eine weitere Demütigung! Der Freund von Egeno … Kaum zu fassen! Es kostete sie einige Mühe, ihrer Stimme den tosenden Zorn, der ihren Körper durchrauschte, nicht anmerken zu lassen. Sie verbarg ihre zitternden Hände in ihrem Schoß. „Ich mag diesen finsteren Kerl nicht, und er ist auch ganz gewiss nicht meines Vertrauens würdig. Daher lehne ich ihn entschieden ab.“

Der Erzbischof hustete nochmals, bis sich seine Wangen dunkelrot verfärbten. Dann japste er ein paarmal nach Luft und richtete sich auf. Sein Blick war schlangenhaft kalt und ohne das geringste Verständnis. „Heinrich sagte, wenn Ihr seinem Urteil argwöhnt, müsst Ihr eben weiterhin auf den schnöden Knüppel vertrauen.“

„So, hat er das gesagt …“ Bertha ballte die Hände unter dem Tisch zu Fäusten. Wahrscheinlich war sie mit dem Schlagholz besser bedient als mit dem düsteren Riesen.

„Ich bezweifle, dass dieser Arend redlich ist, zudem ist er ein Sachse.“

„Ja, er ist ein Sachse – so wie ich –, und er hat den Ruf, ein gottesfürchtiger, überaus ehrenhafter Mann zu sein.“

„Der Ruf muss nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen.“

„Nehmt diesen Wächter oder keinen!“ Schneidend wie eine Dolchklinge war Adalberts Stimme, aber dann verzog er den Mund zu einem Lächeln.

Warum hatte Heinrich ausgerechnet Egenos Freund erwählt? Arend hatte bei der Feier bewiesen, dass er ein guter Kämpfer war. Vielleicht war der Kampf aber gestellt gewesen, und in Wirklichkeit war er ein erbärmlicher Krieger, der von jeder, wirklich jeder Ratte niedergestreckt werden konnte.

Der Erzbischof zog seine grauen Augenbrauen empor und trommelte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte herum, erwartete eine Antwort.

Bertha rang mit sich. Sollte sie diesen Lump akzeptieren? Wenn sie ihn abwies und ihr etwas zustieß, konnte Heinrich alle Schuld von sich weisen, da er ihr ja immerhin einen Beschützer zugestanden hatte.

„Also gut. Erweist er sich als untauglich, werde ich Euch unverzüglich aufsuchen.“ Zerknirscht erhob sie sich, und der Erzbischof folgte ihrem Beispiel.

Er nickte, doch der geringschätzige Blick, mit dem er sie bedachte, sagte: Du bist ohnehin bald nicht mehr die Königin.

In Bertha erwachte sturer Kampfeswille. So einfach werdet Ihr mich nicht los …

Königin im Schatten - Der Leibwächter

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