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Kapitel 4

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Am Morgen des nächsten Tages sollte ich meine Braut Layla zum ersten Mal zu einem Einzelshooting treffen. Ich freute mich auf diesen Programmpunkt ganz besonders. Zum einen hatte ich es schon immer als hilfreich empfunden die Braut im Vorfeld der Festlichkeiten kennenzulernen und mit ihr über ihre Vorstellungen für die Bilder zu sprechen und zum anderen gefiel mir die für das Shooting gewählte Location - der auf der Halbinsel Saadiyat in der Nähe des Familienanwesens gelegene private Reitstall.

Als ich am nächsten Morgen etwas früh an den Stallungen eintraf, traute ich meinen Augen kaum. In meiner Naivität hatte ich mir einen Reitstall vorgestellt, wie man ihn zu Hause kennt, mit offener Scheune, in der verschiedene Arbeitsmaschinen abgestellt und Heu- und Strohballen gelagert sind, mit einer Miste, verschiedenen dort herumlungernden Katzen und Hunden und dem unverkennbaren Stallgeruch.

Ich war selbst seit frühester Kindheit – wie fast alle Mädchen – ein ganz großer Pferdenarr und habe im Alter zwischen 7 und 17 Jahren jede freie Minute in unserem örtlichen Reitstall, in dem meine Cousine als Reitlehrerin arbeitete, verbracht, half dort, wo ich konnte, striegelte und fütterte die Pferde, putzte Sättel und mistete Ställe. Als Gegenleistung für meinen Einsatz durfte ich umsonst an den Reitstunden teilnehmen und war mit dieser Vergütung mehr als zufrieden. Irgendwann, als ich schon etwas älter war und meine erste richtige Kameraausrüstung besaß, verbrachte ich auch viel Zeit damit, auf dem Zaun der Pferdekoppel zu sitzen und die Pferde ganz in ihrem Element zu fotografieren. Wie sie entweder in kleineren Gruppen in gestrecktem Galopp über die Wiese jagten oder ganz verteilt herumstanden und gedankenverloren an ein paar Grashalmen herum knabberten.

Daher war ich auch, als ich diesen Programmpunkt auf der Agenda gesehen hatte, von einem Heimspiel ausgegangen.

Aber diese Stallungen, die allein im Besitz von Laylas Familie standen, hatten mit dem Reitstall, den ich kannte, kaum etwas gemeinsam. Als ich mit dem Fahrer, der mir für diese Woche zur Verfügung gestellt worden war, um alle Orte, an welchen die verschiedenen Fotostrecken geplant waren, erreichen zu können, am Stall eintraf, musste ich mich zunächst in einer Sicherheitskontrolle ausweisen. Erst nachdem der indisch aussehende Sicherheitsmitarbeiter sich telefonisch rückabgesichert hatte, dass ich das Gelände auch tatsächlich betreten durfte, öffnete sich ein goldenes Tor, das den Weg auf eine palmengesäumte Allee freigab. An deren Ende lagen die tatsächlichen Stallungen, die ähnlich luxuriös wie unser Hotel anmuteten. Überall waren schöne Beete mit bunten Blumen geschmackvoll eingerichtet. Es gab acht Weiden, auf denen das Gras so perfekt und so grün war, dass es ohne Probleme mit jedem englischen Golfplatz mithalten konnte. Über jeder Weide waren große, weiße Sonnensegel gespannt und auch die kilometerlang erscheinenden Holzzäune waren alle weiß gestrichen. Den sonst in Reitställen üblichen Mist suchte man hier vergeblich. Im Gegenteil – hier hätte ich wahrscheinlich auch vom Boden essen können.

Kaum war ich ausgestiegen, kam schon einer der vielen Pferdepfleger, Rashid – wie sich später herausstellte, der private Pfleger der vier Pferde meiner Braut Layla – auf mich zu, begrüßte mich sehr freundlich und führte mich zunächst zu meiner Orientierung ein wenig auf dem Gelände herum und zeigte mir zuletzt den Stall, in dem Laylas Pferde untergebracht waren. Ich war einfach überwältigt von der Schönheit und Anmut dieser arabischen Pferde. Layla war noch nicht eingetroffen – Pünktlichkeit schien hier wirklich keine Tugend zu sein – und so nutzte ich die Zeit, alle Pferde einzeln zu begrüßen und zu streicheln, wobei es mir eine weiße Stute, Shams – was „Sonne“ bedeutet – besonders angetan hatte.

Ich war von den Pferden und all den neuen phantastischen Eindrücken so abgelenkt, dass ich überhaupt nicht bemerkt hatte, dass Layla längst eingetroffen war. Sie musste mich schon etwas länger beobachtet haben und fragte mich schließlich: „Darf ich stören?“ Ich zuckte zusammen als ich ihre Stimme hörte. Wie unangenehm. Sie hatte mich erwischt, wie ich einfach eigenmächtig in die Box einer ihrer wahrscheinlich sehr teuren Pferde gegangen war.

Als ich mich – wohl wieder einmal mit knallrotem Kopf – zu ihr drehte und mich umfänglich für mein Verhalten entschuldigte, lächelte sie mich verständnisvoll an und erzählte mir, dass sie auch alles um sich herum vergisst, wenn sie bei ihren Pferden ist. Sie war wohl sogar sehr erfreut darüber, eine Fotografin gefunden zu haben, die ihre Leidenschaft für Pferde teilte.

Layla war nicht nur freundlich, sondern sie sah auch hinreißend aus – eine klassische Schönheit. Sie wirkte noch jung und mädchenhaft. Sehr zierlich aber mit dicken dunkelbraunen Haaren, die sie in perfekt frisierten Locken offen trug. Ihr Make-up war tadellos, jedoch wesentlich dezenter gehalten als ich es von meinen arabischen Bräuten in Deutschland kannte. Sie hätte aber wohl auch gänzlich ungeschminkt nicht minder beeindruckend ausgesehen. Am auffälligsten waren jedoch ihre strahlend blauen Augen, die mir am Vortag schon bei ihrem Bruder aufgefallen waren. Ich verspürte ein leichtes Kribbeln im Bauch, als ich daran dachte, wie sich unsere Blicke für einen Augenblick getroffen hatten. Doch ich unterdrückte dieses Gefühl sofort wieder. Keine Ablenkung, ermahnte ich mich streng.

Aber ich nahm mir fest vor, diese besonderen tiefblauen Augen von Layla mit den dunklen langen Wimpern auf den Bildern besonders in Szene zu setzen.

Im Laufe des Shootings erfuhr ich, dass Layla gerade erst 21 Jahre alt war. Sie hatte in England zunächst ein Internat, dann eine Eliteuniversität besucht, wo sie Politik studiert hatte, und war erst vor wenigen Monaten nach Abu Dhabi zu ihrer Familie zurückgekehrt.

Ihren acht Jahre älteren Bräutigam Karim hatte ihr Vater ihr - auf Anraten ihres großen Bruders Hassan – im letzten Jahr bei einem Pferderennen in Dubai vorgestellt. Für mich klang das zunächst alles sehr nach einer arrangierten Ehe. Aber Layla schien mit der Wahl ihres zukünftigen Mannes – wer auch immer diese getroffen haben mochte – sehr zufrieden und berichtete mir davon, dass Karim ein sehr angesehener Geschäftsmann hier in der Region und stets großzügig und liebevoll zu ihr sei. Außerdem hätten sie ein großes gemeinsames Interesse: Pferde.

Während sie so von ihm erzählte und ins Schwärmen geriet, sah ich dieses Glänzen in ihren Augen, das nur Verliebte besitzen. Und eigentlich war es ja auch egal, wer die beiden zusammen gebracht hatte. Hauptsache sie würden miteinander glücklich sein.

Ich war sehr überrascht von Laylas Offenheit mir gegenüber, schließlich hatten wir uns gerade erst kennengelernt. Sie selbst war wohl ebenfalls überrascht hierüber, denn nachdem wir unsere dreistündige Fotostrecke beendet hatten, sagte sie mir etwas verlegen, dass sie sonst nicht so viel reden würde und dass sie hoffe, dass sie trotzdem auf ein paar Bilden ganz ordentlich aussehen würde. Und das tat sie auch – auf jedem einzelnen der 400 Bilder.

Sie wollte ein paar Bilder zu einem großen Bild – eine Art künstlerische Kollage - mit Goldrahmen zusammenfügen und Karim schenken, von dem sie eines ihrer Pferde - einen schönen schwarzen Zuchthengst - bekommen hatte. Jetzt ahnte ich langsam was sie mit der Beschreibung großzügig meinte. Dieses Pferd hatte ihn - wie Layla mir anvertraute - 1.200.000 EUR gekostet. Eine nette Aufmerksamkeit zwischendurch für seine Herzensdame.

Der Vormittag war wie im Fluge vergangen und Layla, die es nach dem Studium noch nicht so eilig gehabt hatte, eine Arbeit zu suchen und dementsprechend viel Zeit hatte, schlug vor, dass wir noch einen kleinen Ausritt am Strand machen. Diesen Wunsch hätte ich ihr liebend gerne erfüllt, zumal sie mir anbot, die weiße Stute, in die ich mich auf den ersten Blick verliebt hatte, zu reiten. Aber ich sollte meinen Chef am frühen Nachmittag im Hotel für eine Zwischenbesprechung treffen und hatte mir außerdem vorgenommen, die freie Zeit bis zu unserem Abendtermin zu nutzen, um die ersten Bilder zu sichten und zu bearbeiten, wobei die Nachbearbeitung bei diesen Fotomotiven – sowohl Layla als auch ihr schwarzer Hengst waren ausgesprochen fotogen - nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen würde.

Gerade als ich den Stall verlassen und zurück zum Auto gehen wollte, wo der Fahrer während des Fototermins - schlafend - auf mich gewartet hatte, ging die Stalltür auf und Hassan, Laylas Bruder mit den hellblauen Augen, stand unmittelbar vor mir. Ich konnte gerade noch rechtzeitig stehen bleiben, um einen Zusammenstoß zu vermeiden, doch für einen Moment, der etwas länger als nötig war, standen wir ganz nah voreinander und wieder trafen sich unsere Blicke. Wie schon einen Tag zuvor spürte ich das Feuer in mein Gesicht schießen, aber ich konnte den Blick nicht abwenden und er konnte - oder wollte - es auch nicht. Wir bewegten uns erst jeweils einen Schritt zurück als Layla näher kam, um uns einander vorzustellen. Hassan erklärte ihr jedoch, dass wir uns schon gestern bei dem gemeinsamen Treffen mit ihrem Vater kennengelernt hatten. Sein Englisch war ebenso perfekt wie ihres. Sicher war er auch in England zur Schule gegangen oder hatte zumindest dort studiert.

Layla war begeistert, ihren Bruder zu sehen. Es war deutlich zu spüren, dass sie sich sehr nahe standen und sie ihren Bruder ein wenig anhimmelte – was ich diesem Fall sehr gut nachvollziehen konnte. Außerdem hatte sie nun in ihm auch einen Begleiter für ihren Ausritt gefunden, zu dem sie ihn ohne große Anstrengung überreden konnte. Wie es schien, waren alle Mitglieder dieser Familie begeisterte Reiter.

Als er sich ihr ganz zugewandt hatte, nutzte ich den Moment für einen stillen Abgang. Noch einen Blick von ihm hätte ich an diesem Tag nicht mehr überstanden. Ich war so schon aufgewühlt genug. Selbst als ich im Auto saß, spürte ich mein Herz noch im Hals klopfen und ich hoffte nur, dass weder Hassan noch Layla bemerkt hatten, wie mich das plötzliche Treffen mit Hassan aus der Bahn geworfen hatte. Was war bloß los mit mir? Wahrscheinlich war ich es einfach nicht gewohnt auf diese Art angesehen zu werden – so lange, so intensiv. Aber warum sah er mich überhaupt? Sonst war ich doch für jeden unsichtbar. Was dachte er sich nur dabei? Wollte er mich absichtlich verunsichern? Sich einen netten Spaß mit der kleinen Fotografin aus Deutschland erlauben?

Ich nahm mir ganz fest vor, ihm ab sofort aus dem Weg zu gehen und - ganz wichtig - Blickkontakt zu vermeiden!

Wieder am Hotel angekommen, wartete mein Chef schon auf mich. Ich hatte mich etwas verspätet, was er nur damit kommentierte, dass ich wohl schon das arabische Zeitgefühl übernommen habe. Nach dieser kleinen Stichelei, auf die ich nicht weiter einging, stiegen wir sofort in unsere Besprechung ein. Jeder berichtete von seinem ersten Shooting – mein Chef hatte den Vormittag mit dem Bräutigam und dessen Falken verbracht – und zeigten uns gegenseitig ein paar Auszüge. Je länger wir uns besprachen, planten und die ersten Bilder bearbeiteten, desto mehr fand ich wieder in meinen Rhythmus zurück und als ich mich später auf den Weg zu meinem Zimmer machte, um mich für den Abend frisch zu machen, hatte ich die Begegnung mit Hassan schon fast wieder vergessen.

Liebe ohne Grenzen

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