Читать книгу Treulos - Isabell Sommer - Страница 6
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So kaufen Sie dem Jungen doch wenigstens eine Kleinigkeit!
Ich beeile mich also, mit hochrotem Kopf das fleischgewordene Rumpelstilzchen unter meinen Arm zu klemmen und das Supercenter so schnell wie möglich zu verlassen. Natürlich brauchte auch ich eine ganze Weile, bis ich begriffen habe, dass die Reizüberflutung durch das ungeheure Spielwarenangebot und das unbändige Temperament (oder der Sturschädel) meiner Kinder nicht zusammenpassen. Zwischenzeitlich habe ich verstanden, dass ein Bummel durch das Supercenter durchaus sehr entspannt sein kann, vorausgesetzt man weiß Mann und Kinder im trauten Zuhause.
Dessen kann ich mir heute absolut sicher sein. Mein abgrundtief durchschnittlicher Normalmann hat sich eben noch grunzend wie ein Wildschwein in den Federn gewälzt, als ich mich leise aus dem Bett geschlichen habe. Selbst die lieben Kleinen haben heute das Fünf-Uhr-Klingeln der nahe gelegenen Kirchturmuhr verschlafen. Normalerweise stehen sie um diese Zeit vor meinem Bett und rütteln so lange an meinen Schultern bis ich mich freiwillig erhebe, um ihnen zu nachtschlafender Zeit ein Frühstück zu servieren. In diesen Momenten verfluche ich mein Mutter-Dasein und hadere mit meinen Eizellen wäre es manchmal nicht praktischer, sie hätten sich schon vor neun Jahren dazu entschließen können, ihre Beweglichkeit den Fleischfliegen anzupassen?
Schnell versuche ich die Gedanken an meine täglich wiederkehrenden Mutterpflichten beiseite zu schieben. Nichts vermag es, mir meine Samstag vormittägliche Auszeit von Wutanfällen, Hausaufgaben und Kochtöpfen zu vermiesen. Zur Vorbereitung auf meine Shoppingtour schnappe ich mir schnell den Hochglanzprospekt des Markts und studiere die brandneuen Sonderangebote. Aber es ist nichts dabei, was mein Interesse auch nur ansatzweise erwecken könnte.
Keine reduzierte Antifaltencreme, keine Highheels zum Supersonderpreis!
Hackfleisch, Nudeln, Salat, Toilettenpapier,
Definitiv nichts, mit dem man ein Frauenherz an einem kinder-und männerfreien Vormittag beglücken könnte. Der Hochglanzprospekt landet also in hohem Bogen im Müll.
In diesem Moment überkommt mich ein Gefühl der unbandingen Schadenfreude.
Ja, ich werde heute das Haushaltsgeld, das mein Mann mir jeden Monat auf Heller und Cent genau passend auf den Küchentisch zählt, ohne zu vergessen die exakte Summe akkurat ins Haushaltsbuch einzutragen, mit vollen Händen verschleudern!
Warum auch sollte ich einen mittelschweren Bandscheibenvorfall riskieren, nur um die preiswertesten Artikel aus den untersten, bei meiner Größe leider sehr Rücken unfreundlichen Regalen zu fischen?
Knubbi verpasst mir einen Tritt mitten in den Rippenbogen. Er ist empört.
Du kannst doch nicht einfach das hart verdiente Geld deines Mannes verprassen! Deine Eltern haben dich doch zur Sparsamkeit erzogen! Wie willst du über die Runden kommen, wenn du schon am ersten Samstag des Monats alles ausgibst?
Paula reagiert auf diesen Kommentar nur mit spöttischem Gelächter.
Der ist doch selbst schuld! Ina käme doch gar nicht auf die Idee, wenn er sie nicht immer an der kurzen Leine halten würde!
Aber
Die zwei Streithähne belasten meinen unbeschwerten Einkaufsbummel. Energisch versuche ich die beiden zum Schweigen zu bringen.
Schluss jetzt!
Die Dame hinter dem Informationsschalter starrt mich verwundert an und blickt sich suchend um, sodass ich mich beeile, den Eingangsbereich des Supercenters schnell hinter mir zu lassen, um zu vermeiden, dass sie das Sicherheitspersonal auf mich ansetzt.
Während ich im ersten Gang das überwältigende Angebot an Gelkerzen bewundere und dabei in einem unbeobachteten Moment vorsichtig mit meinem Finger in der glibberigen Masse bohre, denke ich über Knubbis Worte nach. Was wäre eigentlich, wenn ich meinem Mann heute Nachmittag strahlend verkünde, dass ich das gesamte Haushaltsgeld in eine Outfit-Modernisierung investiert habe?
Je länger ich darüber nachdenke, desto besser finde ich die Idee und beschließe augenblicklich, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Mein letzter ausgedehnter Klamotten-Shopping-Trip ist schließlich beinahe drei Jahre her. Ich war als glückliche Hauptgewinnerin des Preisausschreibens einer Diät-Molke gezogen worden und der Bürgermeister unserer kleinen Stadt hat mir persönlich einen Einkaufsgutschein über 3.000,00 überreicht.
Die Sache hatte nur einen kleinen Haken:
Der Gutschein war nur einlösbar im XXL-Fashion-Shop, einem Geschäft für Übergrößen ab 44.
Nun will ich meine Figur zwar nicht unbedingt als besonders filigran beschreiben, aber trotz Speckrollen am Unterbauch, Reiterhosen und Schwangerschaftsstreifen komme ich über die 38 nicht hinaus.
Trotzdem: Meinen Gewinn wegen einer Größe hin oder her in den Wind zu schreiben, das ist für mich überhaupt nicht in Frage gekommen, und so habe ich also eines Tages bewaffnet mit meinem Gutschein den XXL-Fashion-Shop betreten.
Die freundliche Verkäuferin hat sich vor Lachen gebogen, als ich sie um eine Farb-und Typberatung gebeten habe.
Kindchen, ich glaube du bist in die Diätmolke gefallen! Was soll ich denn einem Hungerhaken wie dir verkaufen?
Unbeirrt habe ich darauf bestanden, das sehr feminine, geblümte Kleid aus dem Schaufenster in der kleinsten Größe (44) anzuprobieren.
Leider hat die Verkäuferin Recht behalten!
Ich habe einfach zu wenig Körper für dieses traumhafte Kleid gehabt. Obwohl, wenn ich mich von allen Seiten im Spiegel begutachtet habe, dürfte es eigentlich durchaus machbar sein, sich bis zum nächsten Frühling so weiterzuentwickeln, dass es tragbar war. Zwischen den Jahreszeiten liegt immerhin die Vorweihnachtszeit der Todesstoß für jede im Sommer unter Verzicht auf viele Eisbecher mit extra Schlagsahne hart antrainierte Bikinifigur. Ich habe kurz über all die Mühen meiner letzten zweiwöchigen Sauerkrautdiät sinniert vor allem die schlimmen Blähungen, die mich über Wochen gequält haben und ein eheliches Sexualleben schlichtweg unmöglich gemacht haben. Trotzdem war dieses Kleid ein Traum und zur Bikinifigur a lá Baywatch würde es bei mir ohnehin nicht reichen. Leider ist es mir trotz aufopferungsvollem Einsatz von kiloweise Schokoladenlebkuchen und gebrannten Mandeln nicht bis zu den ersten wärmenden Sonnenstrahlen gelungen, meine Figur so geformt zu haben, dass sich das Blumenkleid wie eine zweite Haut um meinen Körper schmiegte. Schade! Jetzt war mir nur noch die Wahl geblieben, das Kleid meiner Träume der Altkleidersammlung zuzuführen oder wenigstens den Stoff zu verarbeiten. Ich habe mich nach reiflicher Überlegung für Platzsets entschieden. Schöne geblümte selbst genähte Platzsets. Für mich, meine Schwester, meine Mutter, Omi und Opi. Und Schuhputztücher aus den Stoffüberresten.
Damendessous verschiedene Designs je 9,99 !
Die aufdringliche Stimme der Informationsdame holt mich zurück in die Gegenwart. Verwundert bemerke ich erst jetzt, dass sich mein Finger zwischenzeitlich erstaunlich tief in die Gelmasse vorgebohrt hat. Unauffällig schiebe ich also das Dekorationsstück ganz weit nach hinten in das Regal.
Ina, was bitte tust du da??? Du hast die Kerze zerstört und musst den Schaden bezahlen!
Knubbi ist empört über mein Vertuschungsmanöver. Er kann es einfach nicht fassen. Wo bitte sind nur all die Jahre mühevoller Erziehung deiner Eltern hin?
Paula kichert hämisch. Was soll diese ganze Pseudomoral? Ist es nicht ein typisch menschliches Grundverlangen, in der glibberigen Masse herumzubohren und ist das Supercenter nicht selbst schuld an diesem Reflex, wenn es solche Artikel hier zum Verkauf anbietet?
Krieg dich wieder ein, Knubbi! Der Laden hier ist doch versichert. Und bestimmt nicht schlecht!
Langsam wende ich mich vom Regal ab und schlendere unentschlossen ein paar Schritte den Gang entlang. In mir brodelt es heftig. Knubbi ist einfach zu gewissenhaft.
Wenn du dich davon schleichst, wird dich gleich der Ladendetektiv schnappen oder dein gemütlicher Einkaufsbummel wird durch dein schlechtes Gewissen versaut. Glaub mir das einfach, Ina und bezahl jetzt den Schaden!
Ich will eigentlich nichts mehr hören und gehe zurück, greife ins Regal nach ganz hinten und ziehe das verunstaltete Dekorationsstück heraus.
Gerade als ich die Überreste der lädierten Gelkerze in einer Ecke des Einkaufswagens positioniert habe und endlich bereit bin, meinen Einkaufsbummel fortzusetzen, kommt ein Mann in einer dunkelblauen Supercenterschürze auf mich zu. Er starrt mich an. Ich starre zurück und wappne mich für eine Ermahnung größeren Ausmaßes. Oder eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung. Oder sogar - daran mag ich gar nicht denken, das wäre schlichtweg eine Katastrophe ein Hausverbot.
Die Blauschürze starrt wortlos weiter und grinst plötzlich wie ein Breitmaulfrosch. Ob er nebenberuflich Modell für Zahnpastawerbung ist? Das blendende Weiß seiner Zähne beeindruckt mich so, dass ich beschließe vorausgesetzt natürlich, ich bekomme kein lebenslanges Hausverbot im Supercenter - gleich noch einen Abstecher in der Mundhygieneabteilung zu machen. Der Supercenter-Mitarbeiter nähert sich meinem Einkaufswagen und greift zielsicher nach der kaputt gestocherten Gelkerze. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Meine Knie zittern. Ich starre die Blauschürze an. Die Blauschürze starrt schweigend das Dekorationsstück an. Sein Blick wandert von der Kerze zu mir. Jetzt kommts!
Sehen Sie das nicht, junge Frau? Das Gel ist doch schon ziemlich mitgenommen.
Er drehte sich zum Regal um. Ehe ich mich versehe, liegt in meinem Einkaufswagen ein nagelneues, unversehrtes Exemplar des Wohnaccessoires. Ich spüre wie das Blut in meine Wangen schießt.
Nehmen Sie doch diese hier. Die ist doch um einiges hübscher. Oder meinen Sie nicht?
Verdattert nicke ich. Die Blauschürze blickt mich erwartungsvoll an. Offenbar besteht er auf eine Antwort. Unüberlegt stottere ich los, ohne zu ahnen, dass dieser Satz einem Schuldanerkenntnis ebenbürtig ist.
Äh ja, natürlich. Aber ich glaube nicht, dass sie lange so schön bleiben wird. Dieses Gel, äh, wie soll ich sagen, übt eine