Читать книгу Vergnügt! Ein Treffen in den Wolken - Isabella Defano - Страница 4

1. Kapitel

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Vier Wochen später.

Ein Lächeln huschte über Matthias´ Gesicht, als er seinen Wagen auf dem Parkplatz seiner Eltern zum Stehen brachte, und er stieg aus. Endlich zu Hause, ging es ihm durch den Kopf und er sah sich zufrieden um. Auch wenn er es nicht gerne zugab, er hatte das zweistöckige weiße Herrenhaus seiner Familie mit dem roten Ziegeldach und dem großen Garten vermisst. Ebenso wie die Ruhe, die die Farm verströmte, und die gute Landluft.

Langsam holte er seine Sachen aus dem Kofferraum, während er über die letzten Wochen nachdachte, und ging zum Haus. Die Stadt war hektisch, laut und immer voller Menschen und Autos gewesen. Teilweise hatte es Stunden gedauert, um von einem Ort zu einem anderen zu gelangen. Kein Wunder also, dass er sich jetzt nach etwas Ruhe sehnte. Und er beneidete Sophie nicht darum, dass sie sich diesem Lärm noch ein paar Monate länger aussetzen musste.

Plötzlich fiel Matthias das Versprechen wieder ein, welches er seiner Cousine gemacht hatte, und er hielt mitten in der Bewegung inne. Konsequent hatte er das Angebot in den letzten Wochen verdrängt, um sich nicht den Urlaub zu ruinieren. Doch jetzt konnte er dieses Gespräch nicht mehr länger vor sich herschieben, sondern musste endlich mit Christian sprechen. Schließlich war alles mit seinem Cousin Alexander abgesprochen. Und sogar den Filialleiter Mario Hebbeler hatte man bereits über seine Ankunft informiert.

„Christian wird ganz schön sauer sein“, sagte Matthias leise vor sich hin, während er weiterging, und stöhnte laut auf.

Dieser hatte nämlich geplant, dass Matthias nach seinem Studium die Leitung des Tierbereiches übernehmen sollte, um selbst mehr Zeit für seine Frau zu haben. Denn durch Christians Arbeit auf der Farm und Jessicas Ausbildung in Kindergartenpädagogik waren beide beruflich ziemlich eingespannt.

Für Matthias war dies am Anfang auch kein Problem gewesen. Er hatte sich gerade von seiner Freundin Valentina getrennt und war froh, Wien verlassen zu können. Aber mit der Zeit waren Zweifel in ihm aufgestiegen, ob er diesen Weg wirklich gehen wollte. Ob er tatsächlich jahrelang hart studiert hatte, nur um sich anschließend um die Aufzucht von Angorakaninchen zu kümmern. Leider konnte er jetzt nicht mehr zurück. Er hatte ein Versprechen gegeben und würde es auch halten. Doch dieser Job in Wien gab ihm wenigstens die Möglichkeit, das alles noch ein bisschen hinauszuzögern.

„Mattias!“

Als hinter Matthias eine tiefe Männerstimme ertönte, wurde dieser aus seinen Gedanken gerissen und er drehte sich verwundert um. Sofort verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Und er sah seinem Vater dabei zu, wie er mit schnellen Schritten auf ihn zugelaufen kam. Dicht gefolgt von der Berner Sennenhündin Atuna, ohne die er fast nie aus dem Haus ging.

„Hallo Vater“, begrüßte Matthias Carlos de Luca lächelnd, als dieser vor ihm stand, und umarmte ihn kurz. „Du bist aber früh unterwegs. Wo ist den Amira?“

Die zweite Hündin seines Vaters ließ sich diese Spaziergänge normalerweise ebenfalls nicht entgehen, und er hoffte nur, dass ihr nichts fehlte. Denn nachdem Carlos de Luca die Leitung der Farm an seinen Sohn Christian abgegeben hatte, waren die Tiere zum wichtigsten Teil seines Lebens geworden.

„Amira hat vor zwei Tagen ihre Welpen bekommen“, erzählte Carlos de Luca mit einem Leuchten in den Augen und streichelte Atuna über den Kopf. „Drei Hündinnen und fünf Rüden, alle kerngesund. Daher bleibt sie drinnen. Obwohl, wirklich Ruhe hat sie dort im Moment nicht“, ergänzte er nach kurzem Zögern und sah mit ernster Miene zum Haus. „Dafür ist zu viel los.“

„Wieso? Ist irgendetwas Schlimmes passiert, während ich in Amerika war?“, wollte Matthias besorgt wissen und ging mit seinem Vater auf das Herrenhaus zu.

Sofort kamen ihm die Tierschützer in den Sinn, die im letzten Jahr versucht hatten, in die Hallen der Angorakaninchen einzubrechen. Angestachelt durch die Lügen ihres ehemaligen Mitarbeiters in der Presse war es ihr Ziel, die katastrophalen Haltungsbedingungen auf dieser Farm zu dokumentieren. Dies war am Ende so weit gegangen, dass selbst die Verkäufe ihrer Kleidungsstücke deutlich zurückgegangen waren. Bis seine Familie die Idee hatte, ein paar von ihnen in die heiligen Hallen zu lassen, um sich ihr eigenes Bild zu machen. Trotzdem war das Gerede nie ganz verschwunden. Und es gab weiter einige Leute, die diesen Anschuldigungen glaubten und die späteren Berichtigungen für eine Form der Vertuschung hielten.

„Nein“, versicherte Carlos lächelnd und Matthias sah seinen Vater prüfend an. „Jedenfalls nichts, was uns im Moment Probleme macht. Claas hat nur vor ein paar Tagen erwähnt, dass er im nächsten Jahr in den Ruhestand gehen möchte. Tja, und dein Bruder ist wegen der bevorstehenden Hochzeit ziemlich durch den Wind und macht mit seinen Launen alle Mitarbeiter verrückt. Na ja“, ergänzte Matthias´ Vater kopfschüttelnd. „Zum Glück sind es bis dahin nur noch zwei Tage.“

Matthias lachte erleichtert auf und sah seinen Vater mitfühlend an.

„Ja, Christian kann anstrengend sein, wenn er will.“

Doch dann erinnerte er sich an die anderen Worte seines Vaters und blieb mitten in der Bewegung stehen. Ihr Verwalter Claas Philipps wollte in den Ruhestand gehen? Das konnte nicht sein. Neben den beiden Vorarbeitern Finn Katzer und Konrad Riedl war er schließlich einer der Mitarbeiter mit der größten Erfahrung. Und Matthias wusste nur zu gut, welches Vertrauen sein Vater und auch sein Bruder in diesen Mann setzten.

Überrascht sah Matthias seinen Vater an.

„Aber Claas ist doch erst Anfang 60.“

„62, um genau zu sein“, antwortete Carlos de Luca mit ernster Miene. „Aber er möchte mehr Zeit für seine Familie haben. Ich glaube, es macht ihm immer noch zu schaffen, dass er die Schwangerschaft seiner Tochter damals übersehen hat. Und er gibt sich die Schuld daran, dass Liesbeth ihre Töchter verloren hat.“

„Das ist doch verrückt“, erwiderte Matthias kopfschüttelnd. „Liesbeth hat die Schwangerschaft vor allen verheimlicht. Wie hätte er davon wissen sollen. Und dass ihr Exfreund die Kinder gleich nach der Geburt in einem Krankenhaus aussetzen würde, damit hätte niemand rechnen können.“

„Das ist mir klar“, meinte Carlos traurig und sah seinen Sohn an. „Aber Gefühle haben nicht unbedingt etwas mit Logik zu tun.“

Matthias nickte, damit hatte sein Vater wohl recht. Trotzdem konnte er den Verwalter nicht verstehen. Gut, vielleicht hätte ihm und seiner Frau die Schwangerschaft ihrer 15-jährigen Tochter auffallen müssen. Aber alles, was im Anschluss passiert war, war die Schuld von Liesbeths ehemaligem Freund gewesen. Er hatte ihre Erschöpfung nach der Geburt ausgenutzt, um ihr die Kinder wegzunehmen.

Doch die Sache war am Ende gut ausgegangen. Sie hatten sich wiedergefunden, wenn auch erst nach vielen Jahren. Und nun würde eines dieser Mädchen in wenigen Tagen seinen Bruder heiraten.

„Ist Liesbeth mit ihrer Familie schon hier?“, wechselte Matthias das Thema und sah seinen Vater fragend an.

„Noch nicht“, erwiderte Carlos und sie gingen weiter. „Jessica hat erzählt, sie würden morgen Nachmittag ankommen. Auch der Rest der Familie sollte im Verlauf des Tages eintreffen“, ergänzte er mit einem schwachen Lächeln. „Und dann wird es eng im Haus.“

Matthias lächelte zurück und öffnete seinem Vater die Tür.

„Keine Sorge, ich werde einfach mein Zimmer räumen und im neuen Haus übernachten“, versprach er feierlich. „Schließlich soll niemand auf dem Boden schlafen müssen.“

„So weit kommt es noch“, antwortete Carlos de Luca lachend. „Wir werden schon für alle einen Platz zum Schlafen finden. Deine Mutter ist sogar sehr froh über den Trubel. Seit ihr Kinder nur noch zu Besuch nach Hause kommt, ist es still geworden. Außerdem ist dein Haus gar nicht fertig.“

Matthias zuckte nur mit den Schultern.

„Das macht mir nichts aus. Es ist Sommer. Die Wände stehen und das Dach ist bereits drauf. Es wird also für ein paar Nächte gehen.“

„Wenn du meinst“, erwiderte Carlos schulterzuckend und ging auf die Küche zu, in der es bereits nach Kaffee, Speck und gebratenen Eiern duftete. „Es ist deine Entscheidung. Aber jetzt lass uns frühstücken.“

Matthias nickte und folgte seinem Vater in die Küche, wo seine Mutter gerade eine dampfende Kaffeekanne auf den Tisch stellte.

„Mattias“, rief sie überrascht und lief auf ihren Sohn zu.

Und bevor Matthias wusste, wie ihm geschah, hatte Melanie de Luca ihn bereits an ihre Brust gedrückt und konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten.

„Ich bin so froh, dass du wieder hier bist“, sprach sie mit belegter Stimme weiter, nachdem sie ihn losgelassen hatte. „Wie war es bei deiner Cousine? Habt ihr viel unternehmen können? Ist sie noch draußen?“

Matthias´ Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, während seine Mutter ihn mit Fragen bombardierte, ohne dass er eine Chance zum Antworten hatte.

„Es geht mir gut“, erwiderte er schließlich, als sie Luft holte. „Sophie und ich hatten eine schöne Zeit. Leider war sie beruflich sehr eingespannt, sodass ich oft alleine losgezogen bin. Sie konnte auch nicht mit mir zurückfliegen, sondern musste dortbleiben. Ihr Projekt in Los Angeles hat sich verzögert.“

Mit hochgezogenen Brauen sah Melanie de Luca ihren Sohn an.

„Ich dachte, sie muss in Wien für ihren Bruder ein paar Dinge erledigen? Christin hat jedenfalls so etwas am Telefon erwähnt.“

„Das stimmt schon“, gab Matthias zu und setzte sich mit seinen Eltern an den gedeckten Tisch. „Eigentlich sollte Sophie mit ihrem Auftrag auch längst fertig sein. Doch der Eröffnungstermin hat sich verschoben. Und sie wollte ihre Arbeit ordentlich beenden.“

„Ja, das kann ich verstehen“, antwortete Carlos de Luca lachend und goss sich etwas Kaffee ein. „In dieser Hinsicht kommt sie ganz nach ihrem Vater. Mein kleiner Bruder wollte auch immer, dass alles perfekt ist. Damit hat er unsere Eltern oft in den Wahnsinn getrieben. Wenn ihm beispielsweise ein Punkt in einer Prüfung fehlte, hat er sich anschließend in seinem Zimmer eingeschlossen und wie verrückt gelernt“, berichtete er kopfschüttelnd. „Und als er später begonnen hatte, seine Firma aufzubauen, hat er oft nächtelang kaum geschlafen. Da wundert es mich nicht, dass seine älteste Tochter genauso ist.“

Matthias´ Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und er griff nach einem Stück Toast.

„Das hast du uns bisher noch nie erzählt.“

Carlos zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck Kaffee.

„Es hat sich nie ergeben. Außerdem gibt es so einige Geschichten aus meiner Kindheit, die ihr Kinder nicht unbedingt wissen müsst.“

„Was vielleicht auch besser ist“, warf Melanie de Luca ein und sah ihren Mann belustigt an. „Du willst sie schließlich nicht auf dumme Gedanken bringen.“

Carlos erwiderte das Lächeln seiner Frau und Matthias sah seine Eltern neugierig an. Doch sein Vater schüttelte nur mit dem Kopf.

„Deine Mutter hat recht, ich sollte nicht mit den alten Geschichten anfangen. Nur so viel“, ergänzte er vergnügt. „Meine Brüder und ich waren auch einmal jung und haben ein paar sehr verrückte Dinge angestellt. Und das nicht immer zur Freude unserer Eltern.“

Nach dieser Aussage häufte er sich etwas Rührei auf den Teller und sie begannen zu essen.

Nachdem Matthias mit dem Frühstück fertig war, verabschiedete er sich von seinen Eltern und machte sich auf die Suche nach Christian. Inzwischen müsste er im Büro sein, ging es ihm durch den Kopf und er schlenderte nachdenklich den Weg entlang. Noch immer hatte er keine Ahnung, wie er seinem Bruder sagen sollte, dass er die Leitung des Tierbereiches vorerst nicht übernehmen konnte. Und er wünschte sich, er hätte mehr Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen.

Als er das einstöckige Gebäude mit rotem Ziegeldach und einer Steinfassade erreichte, wurde ihm klar, dass seine Frist abgelaufen war. Er konnte das Gespräch nicht weiter aufschieben. Schließlich war bereits alles abgesprochen. Außerdem hatte Alexander geplant, mit seiner Frau Ronja und dem gemeinsamen Sohn Michael ebenfalls zur Hochzeit zu kommen. Spätestens dann würde es herauskommen. Und er wollte nicht, dass sein Bruder es auf diese Weise erfuhr.

Noch einmal holte Matthias tief Luft, dann ging er langsam in das Verwaltungsgebäude hinein. Als er die junge dunkelblonde Frau erblickte, die am Schreibtisch im Eingangsbereich saß, blieb er mitten in der Bewegung stehen. Irritiert sah er sie an, und für einen kurzen Moment vergaß er ganz den Grund seines Besuches.

„Sie sind nicht Jenna“, sagte er verwirrt und konnte seine Überraschung nur schwer verbergen.

Auf keinen Fall hatte sein Bruder ihre aktuelle Gutsekretärin Jenna Bade entlassen und auch sein Vater hatte nichts von einer Kündigung erwähnt. Doch was macht diese Frau dann an ihrem Computer?

„Tut mir leid“, erwiderte die blonde Frau entschuldigend, als sie ihn sah und stand auf. „Ich habe Sie gar nicht reinkommen hören. Falls Sie Frau Bade suchen, die ist krank“, ergänzte sie schnell und kam auf ihn zu. „Herr de Luca hat mich daher gebeten, sie kurzfristig zu vertreten.“

„Ist das wahr?“, fragte Matthias überrascht und sah sie nachdenklich an. Wenn er so eine Entscheidung trifft, dann ist er im Moment wirklich nicht mehr zurechnungsfähig, ging es ihm durch den Kopf. Sie ist ja noch ein halbes Kind. „Ist Christian in seinem Büro?“, wollte er etwas ungeduldig wissen. Denn er musste dringend mit ihm sprechen.

Die junge Frau nickte, sah Matthias aber erneut entschuldigend an.

„Herr de Luca möchte aber nicht gestört werden“, sagte sie zögernd und sah in die Richtung des Büros. „Vielleicht kommen Sie später noch einmal wieder.“

Matthias ließ sich davon aber nicht beeindrucken, sondern sah sie nur mit ernster Miene an.

„Für mich hat er Zeit. Ich bin nämlich sein Bruder.“

Und ohne auf das überraschte Gesicht der Frau zu achten, ging er an ihr vorbei.

„Hast du unsere Gutsekretärin wirklich durch dieses Kind ersetzt?“, fragte Matthias ohne Begrüßung, als er das Büro seines Bruders betrat, und schloss die Tür.

Überrascht schaute Christian von seinen Papieren hoch und sah seinen Bruder an.

„Matt? Du bist schon da?“ Lächelnd stand er auf, um ihn zu umarmen.

„Ja“, erwiderte Matthias mit ernster Miene. „Seit etwa einer Stunde. Aber was ist mit diesem Kind?“, kehrte er sofort zum Thema zurück. „Wieso kümmert sie sich um das Büro?“

„Kind?“, fragte Christian verwirrt, dann verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. „Ach so, du meinst Janina. Ich war in einer Notlage. Jenna ist plötzlich krank geworden und es gab sonst niemanden, der einspringen konnte. Außerdem“, ergänzte Christian belustigt, während er sich zurück an seinen Schreibtisch setzte. „Ich würde dir raten, sie nicht als Kind zu bezeichnen. Janina Scheld ist 19, also so alt wie unsere Schwester. Und sie ist Manuelas Freundin. Sie wollen im Herbst zusammen in München studieren.“

„Seltsam“, erwiderte Matthias verwirrt und setzte sich ebenfalls hin. „Ich habe noch nie von dieser Freundin gehört. Dabei hat Manuela in den letzten Jahren die Wochenenden fast immer bei mir verbracht.“

Christian zuckte mit den Schultern.

„Also wenn ich unsere Schwester richtig verstanden habe, ist diese Freundschaft auch noch ziemlich frisch. Janina hat im Internat viel Unsinn angestellt. Scheinbar, um ihre Eltern zu provozieren. Aber es hat wohl nie funktioniert. Erst als sie jetzt schwanger geworden ist, sind sie ausgerastet.“

„Sie ist schwanger?“, fragte Matthias fassungslos und dachte an die junge Frau mit den blauen Augen, die er eher auf 16 geschätzt hätte.

Christian nickte.

„Und da sie das Kind nicht abtreiben, sondern behalten möchte, haben ihre Eltern sie rausgeschmissen.“

Entsetzt sah Matthias seinen Bruder an.

„Was? Wie kann man so etwas tun?“

„Das haben wir uns auch alle gefragt“, antwortete Christian ernst und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Na ja, auf jeden Fall hat Manuela zufällig davon erfahren und versprochen, ihr zu helfen.“

„Und wie genau stellt sie sich das vor?“, wollte Matthias irritiert wissen. „Sie wird in den nächsten Jahren mit ihrem Studium genug beschäftigt sein.“

„Stimmt“, gab Christian zu. „Aber Jessicas Schwester Larissa hat versprochen, Janina zu unterstützen. Sie arbeitet sowieso nur halbtags in der Verkaufsfiliale in München, um noch Zeit für ihre Töchter zu haben. Daher hat sie angeboten, sich nachmittags auch um ihr Baby zu kümmern, wenn es da ist. Und unsere Cousine Emilia lässt Manuela und ihre Freundin, zusammen mit ihr und ihrer Tochter, in Raphaels altem Haus wohnen.“

„Wollten Raphael und Larissa nicht ein eigenes Kind bekommen?“, fragte Matthias immer noch verwirrt. „Das habe ich jedenfalls gehört.“

Christian nickte.

„Stimmt“, gab er zu. „Sie versuchen es. Aber bisher hat es nicht geklappt.“

Verwundert sah Matthias seinen Bruder an. Seltsam, ging es ihm durch den Kopf. Immerhin war Larissa bei den Zwillingen gleich beim ersten Mal schwanger geworden. Doch er sagte nichts weiter dazu. Es ging ihn auch nichts an. Nur hatte er das Gefühl, dass sie sich mit ihren zweijährigen Kindern, der vierjährigen Tochter seiner Cousine Emilia und diesem Baby zu viel vornahm.

„Wie war eigentlich dein Urlaub?“, wechselte Christian das Thema, als Matthias nichts mehr sagte. „Hast du Sophie ins Flugzeug schleifen müssen?“

„Es war schön“, erwiderte Matthias ausweichend, während sich seine Hände zu Fäusten ballten. „Aber ich muss dir etwas sagen.“

„Ist irgendetwas mit Sophie passiert?“, fragte Christian besorgt, als er den ernsten Ausdruck im Gesicht seines Bruders sah, doch Matthias schüttelte mit dem Kopf.

„Nicht direkt“, gab er zu und atmete tief durch. „Sophie ist nicht mitgekommen. Es gab Probleme mit ihrem aktuellen Projekt, daher wird sie noch etwas länger in Amerika bleiben.“

„Aber ...“, begann Christian verwirrt. „Alexander hat doch erzählt, dass sie sich um den Umzug der Wiener Verkaufsfiliale kümmern soll. Die Räumlichkeiten sind dort zu klein geworden.“

„Ich weiß“, gestand Matthias angespannt. „Das hat Sophie mir gesagt. Sie war ziemlich verzweifelt, weil sie nicht wusste, was sie machen soll. An dem Tag, als ich in Los Angeles angekommen bin, hatte sie gerade erfahren, dass sich das Projekt verzögert. Daher musste sie sich entscheiden. Na ja, da habe ich angeboten, ihr zu helfen“, ergänzte er, nach kurzem Zögern.

„Und wie hast du dir das vorgestellt?“, wollte Christian irritiert wissen und sah seinen Bruder fragend an.

Als er den schuldbewussten Ausdruck in Matthias´ Gesicht sah, wurde er wütend.

„Das ist nicht dein Ernst?“

„Ich konnte sie doch nicht hängen lassen“, rechtfertigte sich Matthias und Christian stand auf.

„Aber mich schon?“, fragte er zornig und ging im Zimmer hin und her. „Wir hatten eine Abmachung“, erinnerte ihn Christian. „Du solltest mir Arbeit abnehmen, damit ich mehr Zeit für meine Frau habe. Stattdessen kann ich jetzt zusehen, wie ich alleine zurechtkomme. Und ich dachte, ich könnte mich auf dich verlassen.“

„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Matthias. „Sophie hat mir einfach leidgetan.“

„Matthias, darum geht es doch nicht“, sagte Christian aufgebracht. „Ich muss mich auf dich verlassen können, wenn wir zusammen arbeiten wollen. Ich kann schließlich auch nicht alles hinschmeißen und für ein paar Monate verschwinden. Diese Farm ist unser Erbe. Unsere Eltern haben hart gearbeitet, um sie aufzubauen. Und wenn du nicht gewillt bist, deinen Beitrag zu leisten, dann sag es mir ins Gesicht. Aber mach keine Versprechungen, die du nicht halten kannst.“

„Ich habe nie gesagt, dass ich nicht auf der Farm arbeiten möchte“, versuchte Matthias, seinen Bruder zu beschwichtigen. „Es geht doch lediglich um ein paar Wochen. Vielleicht zwei Monate oder drei. Im Grunde nur so lange, bis Sophie aus Amerika zurückkommt. Danach kümmere ich mich um den Zuchtbetrieb.“

„Es sei denn, jemand anderes aus unserer Familie braucht dringend Hilfe“, erwiderte Christian sarkastisch. „Aber egal, ich bin ja nur dein Bruder. Ich werde einfach meine Hochzeitsreise verschieben, bis ich dann an der Reihe bin.“

„Wovon redest du?“, fragte Matthias verwirrt. „Davon war doch nie die Rede. Im Gegenteil, ich habe extra mit Alexander ausgemacht, dass ich erst Ende August nach Wien fahre. Schließlich habe ich versprochen, dich in dieser Zeit zu vertreten.“

„Stimmt“, erwiderte Christian mit ernster Miene und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Aber woher soll ich wissen, dass du dich daran hältst. So wie ich das sehe, änderst du deine Versprechen ziemlich schnell. Außerdem finde ich es äußerst dreist von dir, dass du mich erst jetzt darüber informierst, wo bereits alles abgesprochen ist. Glaubst du nicht, ich hätte ein Recht darauf gehabt, es vorher zu wissen? Dann hätte ich eine andere Lösung finden können. Stattdessen stellst du mich vor vollendete Tatsachen und das nur zwei Tage vor meiner Hochzeit.“

Matthias sah seinen Bruder an und holte tief Luft. Ich habe es ganz schön verbockt, ging es ihm durch den Kopf, denn Christian hatte recht. Er hatte Mist gebaut und dadurch das Vertrauen seines Bruders verloren. Statt mit ihm zu reden, hatte er das Gespräch immer weiter vor sich hergeschoben. Aber im Grunde war er sowieso nie glücklich darüber gewesen, als Leiter des Zuchtbereiches anfangen zu müssen. Für ihn war die Arbeit auf der Farm immer nur zweite Wahl. Und als Sophie ihm die Möglichkeit geboten hatte, etwas anderes zu machen, hatte er sofort zugegriffen.

„Es tut mir leid“, sagte Matthias leise und sah seinen Bruder entschuldigend an. „Ich hätte mit dir reden sollen. Doch als Sophie mir von ihrem Problem erzählte, hörte es sich einfach interessanter an als die Kaninchenzucht.“

„Wieso hast du nichts gesagt?“, wollte Christian verwirrt wissen. „Es war doch dein Vorschlag, dich um die Tiere zu kümmern.“

„Ich weiß“, gab Matthias zu und beschloss, endlich die Wahrheit zu sagen. „Aber nur, weil ich mich für die Feldarbeit noch weniger interessiere.“

„Und wofür interessierst du dich?“, wollte Christian mit ernster Miene wissen.

„Für die Theorie“, gab Matthias zögernd zu. „Ich war noch nie besonders scharf darauf, als Bauer oder Tierzüchter zu arbeiten. Stattdessen würde ich lieber andere Landwirte bei ihrer Arbeit durch Fortbildungen und Schulungen unterstützen.“

Überrascht sah Christian seinen Bruder an.

„Ich hatte keine Ahnung“, erwiderte er nachdenklich und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. „Ich dachte immer, du möchtest ins Familienunternehmen einsteigen, so wie ich.“

„Früher hatte ich das vor“, gab Matthias frustriert zu und zuckte mit den Schultern. „Wieso auch nicht, schließlich bin ich hier aufgewachsen und kenne den Betrieb. Na ja, wenigstens in der Theorie. Da habe ich mir die Frage gar nicht gestellt, ob ich mit meinem Studium auch etwas anderes anfangen könnte.“

„Und wann hast du deine Meinung geändert?“

„Vor ein paar Monaten“, gab Matthias zögernd zu. „Ich hatte ein Praktikum im Ländlichen Fortbildungsinstitut. Das hat mir sehr großen Spaß gemacht. Zum ersten Mal hat sich die Arbeit für mich richtig angefühlt. Es war interessant, verschiedene Betriebe und Bauern kennenzulernen. Und mir wurde klar, dass ich gerne auch weiter in diesem Bereich arbeiten möchte. Doch versteh mich nicht falsch“, ergänzte er beschwichtigend, als Christian sich in seinem Stuhl zurücklehnte. „Das sind natürlich nur Träume. Nicht, dass du denkst, ich hätte hinter deinem Rücken …“

Weiter kam Matthias nicht, denn Christian winkte ab und sah seinen Bruder mit ernster Miene an.

„Was genau willst du machen? Wie hast du dir deine Zukunft vorgestellt?“

„Ich kann Alexander jetzt nicht mehr absagen, also muss ich mich um die Verkaufsfiliale in Wien kümmern“, sagte Matthias vorsichtig. „Anschließend komme ich zurück auf die Farm und übernehme den Tierbereich, wie ich es versprochen habe.“

„Nein“, sagte Christian entschieden und Matthias sah ihn verwundert an.

„Aber ...“, begann er zu sprechen, wurde aber sofort von seinem Bruder unterbrochen.

„Matt, ich werde dich nicht dazu zwingen, auf der Farm zu arbeiten. Glaub mir, damit ist keinem von uns geholfen“, sagte Christian mit ernster Miene. „Natürlich wäre es schön gewesen. Aber wenn du dich mehr für den theoretischen Teil interessierst und dieses Wissen weitergeben möchtest, dann musst du diesen Weg einschlagen. Solltest du dann deine Meinung irgendwann ändern, kannst du dich immer noch um die Kaninchenzucht kümmern.“

„Aber du brauchst mich doch“, warf Matthias ein. „Immerhin wolltest du mehr Zeit mit Jessica verbringen.“

„Das werde ich auch“, versprach Christian entschieden. „Claas hat bereits angedeutet, dass er bald in den Ruhestand gehen möchte. Mit dir zusammen wäre es kein Problem gewesen, seine Aufgaben zwischen uns aufzuteilen. Aber so werde ich mich nach einen neuen Verwalter umsehen, der dann auch den Zuchtbereich mit übernimmt. Diese Idee hatte ich schon früher, doch ich wollte Claas diese Zusatzbelastung in seinem Alter nicht mehr antun.“

Schweigend sah Matthias seinen Bruder an. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Im Gegenteil, eigentlich war er auf einen heftigen Wutanfall eingestellt gewesen.

„Danke“, sagte Matthias schließlich und seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. „Du weißt nicht, wie viel mir dein Einverständnis bedeutet. Seit mir letzte Woche eine Stelle als Projektmanager in Graz angeboten wurde, habe ich darüber nachgegrübelt, wie ich es dir sagen soll. Ich könnte dort nämlich im Januar das Themengebiet Landwirtschaft und Umwelt übernehmen. Ich muss mich nur innerhalb von zwei Wochen entscheiden.“

„Und dieses Angebot wolltest du ausschlagen?“, wollte Christian ungläubig wissen und Matthias zuckte mit den Schultern.

„Es ist auch mein Zuhause und ich hatte nie vor, dich im Stich zu lassen. Und das werde ich auch nicht“, versprach er aufrichtig. „Schließlich werde ich auf der Farm wohnen. Im Notfall kann ich jederzeit einspringen und dir helfen.“

„Einverstanden“, erwiderte Christian lächelnd. „Das hört sich gut an. Aber eins musst du mir versprechen, in Zukunft keine Geheimnisse mehr. Wenn du etwas auf dem Herzen hast, dann rede mit mir. Ich bin dein Bruder, nicht dein Vorgesetzter. Wir sind ein Team. Doch die Zusammenarbeit kann nur funktionieren, wenn wir uns aufeinander verlassen können.“

„Versprochen“, versicherte Matthias und atmete tief durch. „Aber jetzt sollten wir uns um die Übergabe kümmern. Schließlich heiratest du in zwei Tagen und es gibt noch viel zu tun.“

Christian nickte und reichte seinem Bruder eine blaue Mappe. Dann begannen sie damit, die verschiedenen Papiere und Abläufe durchzugehen.

Vergnügt! Ein Treffen in den Wolken

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