Читать книгу Verzaubert! Ein Kunstwerk aus Zahlen - Isabella Defano - Страница 6
3. Kapitel
ОглавлениеZufrieden sah sich Joel die Kleidungsstücke an, die die Produktionsabteilung entsprechend seiner Entwürfe angefertigt hatte. Denn während sich sein Bruder Juan in der letzten Woche, zusammen mit Ariadne, um die Zahlen der Firma gekümmert hatte, spielte er mit einer neuen Idee. Er wollte den Kunden eine neue Produktlinie anbieten, die deutlich günstiger sein sollte, ohne dabei den typischen Charme des Hauses de Luca zu verlieren.
„Ihr habt meine Entwürfe wirklich sehr gut umgesetzt, Vanessa“, sagte Joel zu seiner Produktionsleiterin. „Genauso habe ich es mir vorgestellt.“
„Danke“, erwiderte Vanessa Holzer und zeigte ihrem Chef noch einige andere Stoffballen. „Diese würden sich auch für die neue Linie eignen. Eigentlich waren sie für unsere aktuelle Kollektion vorgesehen, doch jetzt, wo wir die neuen Stoffe haben, brauchen wir sie nicht mehr.“
Joel nickte. Er fand es toll, dass die Produktionsleiterin und ihre Kolleginnen seine Ideen so unvoreingenommen unterstützten. Das war nicht selbstverständlich, schließlich würde er nur für kurze Zeit in der Fabrik tätig sein. Trotzdem hatte niemand etwas gegen seine Entwürfe einzuwenden gehabt. Im Gegenteil, alle waren begeistert, obwohl sich sein Stil schon etwas von dem seines Vaters unterschied.
„Das ist eine gute Idee“, lobte er lächelnd, „doch vorher muss ich mit meinem Bruder sprechen. Bisher habe ich ihm noch nichts von meiner neuen Idee erzählt.“
Plötzlich sah sich Joel suchend um.
„Was ist mit dem anderen Entwurf? Habt ihr da auch schon etwas fertig?“
Die Produktionsleiterin schüttelte mit dem Kopf.
„Leider noch nicht“, sagte sie entschuldigend. „Wir hatten nicht genügend Zeit. Die meisten Mitarbeiter sind mit der aktuellen Kollektion beschäftigt, daher konnte ich nur zwei Kollegen für deine Entwürfe abstellen. Doch wir haben schon damit angefangen.“
„In Ordnung“, sagte Joel freundlich und lächelte sie an. „Es war ja wirklich ziemlich kurzfristig. Wenigstens sind schon ein paar Kleidungsstücke fertig. Meine Cousins werden bald eintreffen, dann kann ich ihnen und meinem Bruder wenigstens schon etwas zeigen. Meine andere Idee kann ich auch noch später mit Juan besprechen, wenn ihr so weit seid.“
Erneut ließ Joel seinen Blick über die umgesetzten Entwürfe gleiten.
„Kannst du mir alles, was bereits fertig ist, in mein Büro bringen lassen? Es muss auch nicht gleich sein. In einer Stunde reicht völlig aus.“
Die Produktionsleiterin nickte.
„Kein Problem. Ich werde eine der Frauen später mit den Sachen zu dir schicken.“
„Super“, sagte Joel und verabschiedete sich von seiner Mitarbeiterin.
Mal sehen, was die anderen von meiner Idee halten, dachte Joel, während er nachdenklich zu seinem Büro zurückging. Doch noch bevor er es erreichte, kam ihm plötzlich eine junge blonde Frau entgegen. Überrascht sah er sie an. Das gibt es doch nicht, ging es ihm durch den Kopf. Ich wusste gar nicht, dass sie auch mitkommen wollte. Schnell ging er auf sie zu.
„Lara?“, sagte Joel verwundert, als er die junge Frau erreichte, und umarmte sie kurz. „Ralph hat gar nicht erzählt, dass er dich mitbringen wollte. Sind eure Töchter auch hier?“
Verwirrt sah die Frau Joel an, dann fing sie an zu lachen.
„Hallo, du musst einer der Design-Zwillinge sein“, sagte sie freundlich und reichte dem irritierten Joel die Hand. „Ich bin Jessica, Laras Schwester.“
„Wirklich?“, fragte Joel überrascht und ergriff ihre Hand.
Kopfschüttelnd sah er die junge Frau an.
„Ihr zwei seht euch wirklich sehr ähnlich. Was mich aber eigentlich nicht wundern sollte, immerhin bin ich selbst ein Zwilling. Du bist Christians Freundin, oder?“
Jessica nickte und sah sich suchend um.
„Ja. Eigentlich sind wir auch zusammen gekommen, doch ich musste auf die Toilette. Als ich wieder rauskam, war Christian verschwunden. Keine Ahnung, wo er abgeblieben ist.“
„Wir finden ihn schon“, sagte Joel lächelnd. „Lass uns erst einmal zu meinem Büro gehen. Ich bin sicher, dass die anderen irgendwann dort auftauchen werden. Immerhin haben wir gleich eine Besprechung.“
Jessica nickte und ließ sich von Joel zu seinem Büro führen.
„Christian hat mir davon erzählt“, sagte Jessica, während sie sich immer wieder suchend umschaute. „Er wollte mir aber nicht sagen, worum es bei eurer Besprechung geht.“
„Kann er auch nicht“, meinte Joel ernst und hielt Jessica die Tür auf, die in den Verwaltungsbereich führte. „Soweit ich weiß, hat mein Bruder den anderen noch nichts gesagt, da er erst noch einige Daten prüfen wollte.“
Verwirrt sah Jessica Joel an. Sie wusste nicht, was er damit sagen wollte. Doch es musste etwas Schlimmes sein, sonst hätten die Brüder ihre Cousins bestimmt nicht zu einer Besprechung hergebeten. Judenburg, München und Stuttgart lagen nicht gerade in der Nähe von Dornbirn, daher konnte es nur etwas sehr Wichtiges sein. Bevor sie aber weiter darüber nachdenken konnte, kamen sie bei Joels Büro an, wo dessen Cousins Raphael und Alexander schon auf ihn warteten. Als Jessica auch noch Ronja erblickte, ging sie erfreut auf die kleine Gruppe zu.
„Ronja, das ist ja eine Überraschung. Du bist auch hier? Wie war eure Hochzeitsreise?“
Fest umarmten sich die beiden Frauen und gingen dann einige Schritte zur Seite, um sich in Ruhe zu unterhalten. Währenddessen ging Joel auf seine Cousins zu und begrüßte sie mit einem freundlichen Nicken.
„Schön, dass ihr gekommen seid“, sagte er zu den beiden Männern. „Obwohl es ziemlich kurzfristig war.“
„Was ist eigentlich los, Joel“, wollte Raphael mit ernster Miene wissen.
Auch Alexander, der kurz vorher noch die beiden tuschelnden Frauen beobachtet hatte, wandte sich nun mit einem fragenden Gesichtsausdruck an seinen Cousin.
„Warten wir, bis Juan und Christian da sind“, sagte Joel angespannt, worauf sich die beiden Brüder verwundert anschauten.
„Hier stimmt doch etwas nicht“, stellte Alexander seinen Cousin zur Rede.
Sofort hörten die Frauen auf, miteinander zu reden, und sahen die Männer verwirrt an.
„Alex, was ist los?“, fragte Ronja, verwundert von dem plötzlichen Ausbruch ihres Mannes, und ging auf ihn zu. Jessica folgte ihr und stellte sich neben Raphael.
„Das würde ich auch gerne wissen“, sagte Alexander zu seiner Frau und zog sie an sich.
„Es tut mir leid, ich kann es euch nicht sagen“, stellte Joel klar. „Juan hat sich in den letzten Tagen damit befasst. Ich weiß im Moment auch nicht viel mehr als ihr.“
Plötzlich fiel Joel etwas Wichtiges ein und er schaute zu Alexander und Ronja.
„Tut mir leid“, sagte er entschuldigend. „Ich habe euch noch gar nicht gratuliert. Wirklich schade, dass wir nicht bei eurer Hochzeit dabei sein konnten.“
„Das verstehen wir doch“, sagte Ronja lächelnd. „Ihr hattet in den letzten Monaten ganz andere Sorgen. Leider konnten wir nicht warten, bis es eurem Vater besser geht, und die Hochzeit verschieben. Der nächste freie Termin wäre erst in sechs Monaten gewesen, da Alexanders Eltern kurz nach unserer Hochzeit zu einer dreimonatigen Kreuzfahrt aufgebrochen sind.“
Joel lächelte.
„Keine Sorge, ich bin nicht sauer und meine Familie auch nicht. Wir hätten nie von euch verlangt, mit der Hochzeit extra auf uns zu warten. Außerdem war sowieso keiner von uns in Feierlaune.“
Ronja ging ein paar Schritte auf Joel zu und umarmte ihn kurz.
„Auf jeden Fall wird es eine Nachfeier geben, wenn es deinem Vater besser geht“, versprach Alexander, während Ronja an die Seite ihres Mannes zurückkehrte. „Das steht schon fest.“
Bevor jemand darauf antworten konnte, kam ein besorgter Christian auf die Gruppe zu. Als er jedoch Jessica erblickte, atmete er erleichtert auf und drückte sie fest an sich.
„Wo warst du denn?“, fragte Christian immer noch außer Atem, nachdem er seine Freundin losgelassen hatte. „Ich habe dich überall gesucht.“
Gleich darauf wandte er sich an seinen Cousin.
„Diese Fabrik ist ja wie ein Labyrinth. Ich glaube, ich bin eine ganze Weile immer wieder im Kreis gelaufen. Wenn mir nicht einer deiner Angestellten den Weg gezeigt hätte, würde ich wahrscheinlich immer noch im Produktionsbereich herumirren. Wieso sind eigentlich nirgendwo Schilder oder wenigstens ein Plan, damit man weiß, wo man ist?“
„Ehrlich gesagt, hatten wir bisher damit noch nie ein Problem“, sagte Joel schulterzuckend. „Aber du kannst es ja nachher mit ansprechen.“
Obwohl Joel es versuchte, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Auch die anderen mussten sich schwer zusammennehmen, um nicht laut loszulachen.
„Sehr witzig“, sagte Christian, als er die Gesichter der anderen betrachtete. Musste dann aber selbst lachen, als sich die anderen nicht mehr beherrschen konnten.
Als sich alle wieder beruhigt hatten, sah Jessica ihren Freund an.
„Wieso bist du eigentlich vorhin weggegangen? Als ich aus der Toilette kam, warst du nicht mehr da.“
Entschuldigend sah Christian seine Freundin an.
„Vater hat mich angerufen, doch ich hatte dort keinen guten Empfang. Daher bin ich in eines der Zimmer gegangen, um zu telefonieren. Mir war nicht bewusst, dass ich so lange telefoniert habe. Als du nach einer ganzen Weile nicht herausgekommen bist, habe ich nachgeschaut. Doch die Toilette war leer.“
„Was wollte denn dein Vater“, fragte Joel neugierig.
„Auf der Farm geht gerade irgendetwas vor“, sagte Christian und sah die anderen nachdenklich an. „Es sind Leute aufgetaucht, die gegen die Haltung unserer Kaninchen protestieren. Einige von ihnen haben sogar versucht, in eine der Hallen einzubrechen. Sie wollten angeblich die Tiere davor bewahren, noch mehr Qualen zu erleiden. Als unsere Leute diese Eindringlinge vom Hof schmeißen wollten, wurden sie richtig aggressiv und haben uns als Tierquäler beschimpft. Am Ende war mein Vater sogar gezwungen, die Polizei anzurufen.“
„Was ist hier nur plötzlich los?“, fragte Joel verwundert, worauf die anderen ihn verwirrt anschauten.
„Weißt du etwas darüber?“, wollte Christian wissen, doch Joel schüttelte mit dem Kopf.
„Nein, das mit den Kaninchen höre ich heute zum ersten Mal, doch auch hier bei uns gehen seltsame Dinge vor. Aus diesem Grund solltet ihr ja alle kommen. Genaueres kann euch Juan sagen, da er alle Fakten kennt. Wir können aber schon einmal reingehen und im Büro auf ihn warten. Er müsste gleich kommen.“
Immer noch verwirrt sahen die Männer ihren Cousin an, nickten aber zustimmend.
„Gut“, antwortete Alexander für alle. „Lasst uns reingehen.“
Als Alexander als Erster hineingehen und Ronja mit sich ziehen wollte, entzog diese ihm ihren Arm. Verwundert sah er seine Frau an.
„Ronja, was ist?“
„Alex, das ist eine Sache unter euch“, sagte Ronja ernst und sah Jessica an. „Wir können uns ja stattdessen etwas auf dem Gelände umsehen. Es würde mich schon interessieren, wie der Betrieb hier funktioniert.“
Zuerst wollte Alexander seiner Frau widersprechen, doch dann nickte er.
„Ihr könnt euch ruhig alles anschauen“, sagte Joel, während seine Cousins nacheinander in seinem Büro verschwanden. „Fasst aber im Produktionsbereich nichts an.“
Zustimmend nickten die beiden Frauen und gingen davon. Als beide nicht mehr zu sehen waren, folgte Joel den anderen.
Schweigend warteten die Männer auf Juan, der nach einer halben Stunde immer noch nicht eingetroffen war. Mit jeder Minute, die verging, wurden Joels Cousins immer angespannter. Bis Alexander keine Lust mehr hatte zu warten und das Wort ergriff.
„Wie lange sollen wir eigentlich noch warten, Joel? Ich möchte endlich wissen, was los ist.“
Zustimmend nickten Raphael und Christian ihm zu, und Joel wurde klar, dass er die anderen irgendwie ablenken musste. Schnell schrieb er seinem Bruder eine Nachricht, dann wandte er sich seinen Cousins zu. Hoffentlich kommt Juan bald.
„Ich weiß auch nicht, wo Juan bleibt. Normalerweise ist er pünktlich. Ich habe ihm gerade eine Nachricht geschrieben. Ein bisschen müssen wir uns aber noch gedulden.“
Dann wandte er sich Alexander zu.
„Wie war eigentlich eure Hochzeitsreise?“, wechselte Joel das Thema. „Lange seid ihr ja nicht weggewesen.“
Leicht gereizt sah Alexander seinen Cousin an, als er auf dessen Frage antwortete.
„Nicht jeder kann vier Wochen auf Hochzeitsreise gehen. Na ja, eigentlich wollten wir ja wenigstens für zwei Wochen verreisen, doch es ging zeitlich einfach nicht. Ronja möchte im August ihre eigene Firma für Inneneinrichtung eröffnen. Bereits jetzt hat sie einige Aufträge von ehemaligen Kolleginnen aus ihrer Modelzeit und die wollten nicht länger warten. Ich finde es zwar nicht gut, besonders jetzt in ihrem Zustand, doch davon möchte meine Frau nichts hören. Sie hat hart für ihren Traum gearbeitet und möchte ihre Pläne nicht mehr verschieben.“
In ihrem Zustand? Verwirrt sah Joel seinen Cousin an und auch die anderen schienen mit Alexanders Aussage nicht viel anfangen zu können. Dann kam ihm ein Verdacht.
„Ist Ronja krank?“, fragte Joel besorgt. „Für mich sah sie wie früher aus.“ Vielleicht nicht mehr ganz so dünn, ging es ihm durch den Kopf.
Alexanders Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, während sein ganzes Gesicht vor Freude strahlte.
„Nein, sie ist nicht krank.“
Es folgte eine kurze Pause, dann sah er die anderen nacheinander an.
„Ich werde Vater“, sagte Alexander voller Stolz. „Eigentlich habe ich so früh noch gar nicht damit gerechnet. Wir versuchen es erst seit Kurzem. Aber vor drei Tagen hat uns die Ärztin die Schwangerschaft bestätigt. Hoffentlich wird es ein Mädchen“, sagte er sehnsüchtig. „Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen als eine kleine Tochter mit roten Haaren und grünen Augen. Eine kleine Miniaturausgabe meiner Frau.“
Joel konnte erst nicht glauben, was er da hörte, doch er freute sich sehr für seinen Cousin. Er wusste, wie sehr sich Alexander eine eigene Familie gewünscht hatte. Und nun würde er diese bekommen. Kurz sah Joel zu Raphael, der seinen Bruder immer noch fassungslos anschaute. Als auch Alexander den Gesichtsausdruck seines Bruders bemerkte, sah er ihn entschuldigend an.
„Tut mir leid, Ralph. Ich wollte es dir ja sagen. Aber Ronja und ich wollten warten, bis die ersten kritischen Monate vorbei sind. Ich hoffe, sie ist mir nicht böse, dass ich es euch erzählt habe.“
Ein kurzes Piepen von Joels Handy beendete das Gespräch und brachte alle gedanklich zum eigentlichen Grund ihres Treffens zurück. Schnell griff Joel nach seinem Telefon und las sich die kurze Nachricht seines Bruders durch. Dann wandte er sich wieder denn anderen zu.
„Die Nachricht ist von Juan. Er macht sich jetzt auf den Weg und müsste gleich hier sein.“
Ernst sah er anschließend zu Alexander.
„Vielleicht solltest du das mit Ronjas Schwangerschaft vor meinem Bruder nicht erwähnen“, sagte Joel besorgt. „Seit dem Tod seiner schwangeren Frau reagiert er auf die Themen Hochzeiten und Babys nicht besonders gut. Zu Raphaels Hochzeit hat er sich regelrecht mit Arbeit zugeschüttet, um nicht mitkommen zu müssen. Und bei deiner hat er tagelang kein Wort gesprochen, sondern ist nur jeden Tag zu Mayas Grab gefahren. Ich weiß nicht, wie er reagieren wird, wenn er jetzt von dem Baby erfährt. Im Moment brauche ich Juan hier. Wir stecken mitten in einer Krise und ich möchte nicht, dass er sich verkriecht.“
Alexander nickte und auch die beiden anderen Männer versprachen, Ronjas Schwangerschaft vor Juan nicht zu erwähnen. Erleichtert atmete Joel aus und sah seine Cousins an, deren Mienen wieder einen ernsten Ausdruck angenommen hatten. Natürlich fühlte er sich schuldig, dass er die anderen um diesen Gefallen gebeten hatte, doch er wollte seinem Bruder im Moment weiteren Schmerz ersparen. Er würde schon noch früh genug von dem neuen Familienmitglied erfahren. Und dann wird man Juan wahrscheinlich wochenlang nicht mehr zu Gesicht bekommen, dachte Joel traurig. Aber leider konnte er Juan nicht helfen. Schon so oft hatte er es versucht. Doch immer wenn er Maya erwähnte, mauerte sein Bruder sofort. Sein Schmerz saß einfach noch zu tief.
Einige Minuten später ging die Tür auf und Juan kam herein. Kurz begrüßte er seine Cousins und seinen Bruder, dann überreichte er allen eine Mappe und setzte sich hin.
„Tut mir leid, dass ihr warten musstet“, begann er das Gespräch und sah sich in der Runde um. „Ariadne und ich sind gerade erst fertig geworden“, sagte er ernst und zeigte auf die Mappen. „Leider habe ich keine guten Nachrichten. Wenn ihr euch die Grafiken anschaut, werdet ihr wissen warum.“
Verwirrt sahen sich Alexander, Raphael und Christian die Unterlagen an. Auch Joel warf einen kurzen Blick auf die Zahlen. Es ist sogar noch schlimmer als befürchtet, dachte er erschrocken. Die Zahlen der letzten zwei Wochen sahen sogar noch schlechter aus.
„Was hat das zu bedeuten?“, wandte sich Alexander als Erster an Juan, nachdem er sich einen kurzen Überblick verschafft hatte.
„Da ich gerade Semesterferien habe, hatte ich Zeit, mir die Verkaufszahlen anzuschauen. Wir haben im Studium gerade einige Punkte zum Thema Modetrends durchgenommen und ich wollte diese Informationen anhand unseres Unternehmens prüfen. Beim Durchgehen der Zahlen ist mir aufgefallen, dass sie in letzter Zeit deutlich gesunken sind. Aus diesem Grund wollte ich eure Daten haben. Leider musste ich feststellen, dass nicht nur bei uns die Verkaufszahlen sinken. Nur sind eure Filialen in Deutschland noch nicht so stark betroffen.“
Fassungslos sah Alexander wieder auf die Papiere, während sich Raphael und Christian sprachlos anschauten.
„Das ist aber noch nicht das Schlimmste“, sprach Juan weiter und alle Blicke richteten sich sofort wieder auf ihn.
„Was kann denn noch schlimmer sein?“, wollte Alexander wissen, der noch immer nicht glauben konnte, was er gerade erfahren hatte.
„Das Internet“, warf Juan ein. „Ich habe mir gestern unsere Firmenseite im Internet angeschaut. Es war schrecklich. Lauter negative Kommentare. Wir werden beschuldigt, Geld auf Kosten unschuldiger Tiere zu verdienen. Andere behaupten, wir würden unsere Kollektionen billig im Ausland produzieren, um möglichst viel Gewinn zu machen.“
Ungläubig sah Joel seinen Bruder an. Kein Wunder, dass immer weniger Leute den Fabrikverkauf nutzen, dachte er erschrocken. Plötzlich fand er die Idee mit dem neuen Label nicht mehr so gut. Im Gegenteil, dadurch würde alles vielleicht noch schlimmer werden. Einige Kunden könnten denken, dass die Kleidungsstücke wirklich im Ausland produziert und nur wegen der Beschwerden plötzlich günstiger angeboten werden. Trotzdem, er konnte die plötzlichen Anfeindungen nicht verstehen. Seit Jahren wurden ihre Kollektionen angeboten und waren immer sehr beliebt gewesen. Warum hat sich das plötzlich geändert?
Als Joel wieder zu den anderen hinschaute, hatte Christian das Wort ergriffen.
„… erklären, wieso auf der Farm die Tierschützer aufgetaucht sind. Dort soll gerade ziemliches Chaos herrschen. Es musste sogar schon die Polizei gerufen werden, weil ein paar von ihnen versucht haben, in die Kaninchenhallen einzubrechen. Aber ich verstehe das nicht. Wir halten alle Vorgaben zur fachgerechten Haltung der Angorakaninchen ein. Sie sind in Gruppen untergebracht und haben genügend Auslauf. Sogar bei der Wollgewinnung sind wir sehr vorsichtig und haben erst vor Kurzem auf neue Rasierer umgestellt. Wir beschäftigen sogar einen eigenen Tierarzt, der sich um die Gesundheit der Kaninchen kümmert.“
„Wenn ihr mich fragt, ist das nur eine Hetzkampagne“, warf Raphael ein. „Jemand versucht uns zu schaden, in dem er Lügen über das Unternehmen verbreitet. Besonders in Deutschland sind wir ziemlich gut aufgestellt. Möglicherweise sind wir jemandem im Weg.“
„Mag sein“, sagte Alexander wütend und legte die Mappe zur Seite. „Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von unseren Konkurrenten nichts Besseres zu tun hat, als auf unseren Webseiten Lügen zu verbreiten. Das ist doch verrückt.“
Joel hatte genug gehört. Dieser Streit würde sowieso nirgendwohin führen.
„Natürlich müssen wir herausfinden, was dahintersteckt“, gab er zu. „Doch im Moment haben wir ein ganz anderes Problem. Wenn uns nicht schnell etwas einfällt, dann ist die de-Luca-Linie am Ende. Wir müssen dringend etwas tun.“
„Mein Bruder hat recht“, stimmte Juan ihm zu. „Hat jemand eine Idee?“
Tief atmete Joel durch und dachte nach. Soll ich ihnen von meiner Idee erzählen? Eine ganze Weile wog er die Vor- und Nachteile ab, doch am Ende entschied er sich dafür. Was haben wir jetzt noch zu verlieren, dachte er angespannt. Und mit ernsten Worten berichtete Joel den anderen von seinem Plan mit dem neuen Label.