Читать книгу Queer*Welten 07-2022 - Iva Moor - Страница 5
ОглавлениеVorwort
Liebe Leser*innen –
wir sind mütend (wer das nicht kennt: Es ist ein Kofferwort aus müde und wütend und beschreibt genau diesen Zustand). Und das gleich mehrfach, aber eigentlich hängt im Kern doch alles immer zusammen.
Fangen wir mit der Initiative „Fair lesen“ an. Dort stellen eine ganze Menge Verlagsmenschen und Autor*innen die fragwürdige These auf, dass die „Onleihe“ der Bibliotheken ihre Existenzgrundlage gefährden würde. Das Ausleihen von E-Books über die Website öffentlicher Bibliotheken zerstöre nicht nur die Lesekultur, sondern gleich die ganze Meinungsfreiheit. Literatur, zugänglich für kleines Geld, in Bibliotheken? Bildungsbürgertums-Gatekeeping to the rescue!
Nicht in Frage gestellt wird dabei mal wieder, dass Literatur gnadenlos marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen wird und dieser Fisch halt einfach vom Kopfe stinkt. Unglaublich war auch die Behauptung der Initiative, der Buchmarkt würde, wäre er nicht durch die Onleihe bedroht, „seit Jahrzehnten funktionieren“ und „für literarische Vielfalt sorgen“. Als unfassbar nischiges queerfeministisches Phantastik-Zine lachen wir darüber ein wenig verzweifelt und gehen dann wieder an die – unbezahlte – Redaktionsarbeit.
Bitte, lest Queer*Welten wo und wie auch immer ihr mögt und sie vorfindet! Natürlich sind auch wir abhängig von Verkäufen (der stinkige Fischkopf verfolgt uns genauso wie alle anderen in diesem System), aber dass wir Bibliotheken verteufeln statt kapitalistische Marktwirtschaftsstrukturen? Not gonna happen.
Was uns auch mütend gemacht hat: der Skoutz-Award, von dessen Longlist wir Queer*Welten bereits im Frühjahr zurückgezogen haben, weil die Orga des Awards klagte, es gäbe zu viel queere Repräsentation in der Literatur, und wenn sich das auf die Gesellschaft übertrüge, würde die Menschheit aussterben. Ganz schön queerfeindlicher Scheiß, findet ihr? Oh ja, wir auch, doch sie legten noch nach. Neulich klagten sie erst, dass man nun nichts mehr schreiben dürfe. Darauf folgte so etwas wie: „Wir müssen jetzt Diversity schreiben, sonst setzts Shitstorm von den Twitter-Hyänen.“ Dazu möchten wir den Skoutz-Verantwortlichen und allen, die mit ihnen einer Meinung sind, sagen: Bitte, lasst es einfach. Die Welt wartet nicht auf eure „diversen“ Figuren und die von euch halbherzig gewährte Repräsentation. Wir können auf Diversity als Trend verzichten und lesen uns lieber zum Beispiel bei all den Autor*innen fest, die bislang schon mit viel Herzblut Geschichten zu Queer*Welten beigetragen haben.
Aber das war natürlich noch nicht alles, was für Mütigkeit gesorgt hat, denn die Frankfurter Buchmesse platzierte in diesem Jahr einen faschistischen Verlag in einer der meistfrequentierten Hallen in direkter Nähe zum Stand des ZDF, woraufhin mehrere B_PoC-
Autor*innen ihre Teilnahme und ihre Programmpunkte absagten. Von der Messe kam das übliche Aber-die-Meinungsfreiheit-Larifari, das wissentlich in Kauf nimmt, dass marginalisierte Autor*innen fernbleiben oder sich auf der Messe bedroht und unwohl fühlen. Und das ZDF? In einer besseren Welt hätten sie vielleicht dafür gesorgt, dass die Autor*innen etwas Sendezeit oder gar einen geschützten Raum erhalten. In unserer Realität hingegen befragten sie dazu einen weißen Kabarettisten, der den Selbstschutz der von Rechten, Rassismus und Faschist*innen bedrohten Menschen als „Befindlichkeit“ abtat. Auseinandersetzung mit weißen Privilegien und Schwarzer Literatur? Nicht auf dieser Buchmesse, die ironischerweise (wir lachen nicht) das ganze Programm unter ein „Sheroes“-Motto gestellt hat.
Marginalisierte sollen unauffällig sein, angepasst, unaufgeregt, und sich irgendwo neben rechten Verlagen still und leise einsortieren. Wir sind es leid. Wir wollen euch ermutigen, auch in der Literatur, auch in eurem Schaffen und in eurem Lesen aufgeregt marginalisiert zu sein, Figuren zu schreiben, die unangepasst sind und den Status Quo in Frage stellen, wie die Hauptfiguren, denen sich Liv Kątnys Essay in dieser Ausgabe widmet. Hinterfragt Erzähltraditionen, wie Iva Moor in „Medusas Lachen“! Schreibt aufgeregt neonfarben und schillernd heruntergekommen wie „MGM & Baby Ray“ von Aisha Dismond! Träumt davon, euch, wie die Protagonistin in „Die gläserne Tochter“ von Lisa J. Krieg, dem Patriarchat und der Gewalt, die es über uns hat, zu entziehen. Wir schaffen das vielleicht in absehbarer Zeit nicht – aber die Geschichten helfen uns dabei, nicht mehr müde und wütend zu sein, sondern kreativ und wütend.
Um noch mal auf einen bereits etwas weiter zurückliegenden Essay von Frank Reiss aus Ausgabe 3 zu verweisen: Lasst uns die Literatur zerstören!
Lena und Judith
vom Queer*Welten-Team