Читать книгу Stell' dich nicht so an! Leben mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS - Iva Okërn - Страница 7

Jede Menge Schnappschüsse

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„Ich kenne dich nur müde.“

Naja, lieber 'Göttergatte' ganz stimmt das nicht, denn mein erster schwerer Krankheitsschub – soweit ich es jetzt im Nachhinein rekonstruieren kann – fand statt, als unser Mittelkind, drei Jahre alt war, nach neun Ehejahren.

Der erste Schub. Damals dachte ich: o, nein, bloß keinen Bandscheibenvorfall!

Ich hatte vormittags meine üblichen Pflichten erledigt und war mit meinem mittleren Kind zum Spielplatz gepilgert. Dann holten wir den Ältesten vom Kindergarten ab, aßen gemeinsam zu Mittag und gingen nach einer Ruhepause zum Spielen auf den Hof. Fangen, Verstecken, Ball spielen, Sandkuchen backen – das ganze Programm. Als wir nach zwei Spielstunden wieder in unsere Wohnung hinaufstiegen, überfielen mich wahnsinnige Schmerzen in der Hüfte, die bis in den Rücken ausstrahlten. Ich tat das, was ich schon zuvor getan hatte und später noch zu Genüge tun würde: ich biss die Zähne zusammen. Bloß nichts anmerken lassen, sonst erschrecken die Kinder!

Irgendwie kam ich ohne auffälliges Humpeln bis in unserer Wohnung. Dort angekommen war ich hundemüde. Schlagartig. Ich tat, was nicht sein sollte und deponierte die Kinder vor dem Fernseher – sie beschäftigten sich mit ihren Spielzeugen und sahen dann und wann in die Glotze. Währenddessen schlief ich etwas auf dem Sofa, im Vertrauen auf meine Instinkte, die mich allezeit aufmerken ließen, wenn für die Kinder 'Gefahr in Verzug' war.

Nach etwa einer Stunde Schlaf war ich wieder relativ fit. Der Hüftschmerz war fast unmerklich, der Rückenschmerz gänzlich vergangen. Meine Zehen taten etwas weh, sodass ich beschloss, in den nächsten Tagen gut auf mich zu achten.

Das kommt vom Kinder-Herumtragen und dem Herumtoben, dachte ich bei mir: Das mittlere Kind wird halt zu schwer für mich; ich darf es nicht mehr so oft hochheben, was auch vernünftig ist, denn das Kind hat zwei Beine, ist ein selbstständiges Wesen und kann sich alleine vorwärtsbewegen.

Nach etwa einer Woche war ich der Knochenschmerzen ledig. Glück gehabt, kein Bandscheibenvorfall, dachte ich.

Aber mir blieb etwas. Mir blieb das Bedürfnis, mich zwischendurch immer wieder ausruhen zu müssen. Mir blieb das Gefühl von Müdigkeit und Erschöpfung.

In meiner Umgebung hörte ich andere junge Mütter über Stress, Überforderung und Müdigkeit klagen.

Das ist wohl so, wenn man junge Kinder hat, dann ist man dauerhaft erschöpft, suggerierte mir die Umwelt, bis ich selber so dachte.

Ich wusste damals noch nicht, dass es zwischen 'sich erschöpft fühlen' und 'erschöpft sein' einen Unterschied gibt.

Mein damaliger Hausarzt, dem ich dann doch einmal meine Erschöpfung eingestand, tutete ins selbe Horn, verwies auf die beiden Kinder, dass es ja anstrengend mit den Kleinen wäre und schon an den Kräften zehren könnte. Er gab mir über mehrere Wochen hinweg Aufbauspritzen. Wirklich geholfen haben die nicht.

Mit den Jahren musste ich meiner Kraftlosigkeit immer mehr nachgeben. Es ging ganz gut und von der Familie fast unbemerkt, als auch das mittlere Kind vormittags den Kindergarten besuchte.

Ich arbeitete zu der Zeit freiberuflich für einen Verlag. Die Arbeit legte ich in die Abend- und Nachtstunden, schlief etwa vier, fünf Stunden, kümmerte mich dann um die Kinder, brachte sie gegen halb neun Uhr in die Kita, erledigte in Windeseile den Haushalt, damit ich mich um elf Uhr noch einmal kurz hinlegen konnte, bevor ich die Kinder wieder abholen musste. Schlafen mit Wecker. Und jedes Mal beim Aufwachen musste ich mir mein Mantra vorbeten: Reiß dich zusammen, stell' dich nicht so an; du bist nicht die einzige Mama auf der Welt.

Ich hielt den eingespielten Alltagsablauf prima durch, doch jedes Zusatzprogramm wurde für mich zur Tortur, zum ständigen Kampf gegen die körperliche Erschöpfung, zur kräftezehrenden Aktivierung des eisernen Willens: der Frisörbesuch, der Besuch beim Kinderarzt, der Vortrag, zu dem ich geladen war, der Kaffeeklatsch bei den Nachbarinnen, ein Sonntagsausflug, Besuche bei Freunden und Verwandten – alles, alles Tagespunkte, die mich stark ermüdeten. Noch ein, zwei Tage nach so einem Sonderprogramm war mein Kopf wie in Nebel getaucht.

Wann immer ich es ihm erlauben konnte, ließ ich meinen Körper ausruhen.

Auf dem Sofa liegen – wenn wir abends, nachdem die Kinder im Bett lagen, die Tagesschau ansahen, dann musste ich liegen, ich konnte nicht mehr sitzen. Wenn ich nicht an meinen Büchern arbeiten musste, dann schlief ich auch bald ein. Ein herrliches Abendprogramm für den Lebenspartner!

Zu dieser Zeit entstanden die ersten Schnappschüsse der 'schlafenden Iva'. Iva schläft auf dem Sofa, im Bett, am Strand, im Sessel. Ob Alltag oder Urlaub, sie schläft.

Diese Fotos!

Sie sind gemacht worden, mir auf humorvolle Weise meinen angeblichen Kardinalfehler der Faulheit/Bequemlichkeit unter die Nase zu reiben. Sie sind nicht böse gemeinte Neckereien der etwas derberen Art.

Aber: würde man das offene Bein eines Raucherkranken beim Verbandswechsel im Schnappschuss festhalten? Den Neurodermitis- Patienten ablichten, wie er sich gerade den Schorf blutig kratzt? Den Krebspatienten fürs Familienalbum aufnehmen, wenn er gerade kotzend über der Kloschüssel hängt? Sicher nicht.

Bei mir hält man jedoch mit der Kamera genau auf die Verwundung, die ich habe. Schnappschuss. Iva schläft. Zum Gaudi der ganzen Familie. Es ist die moderne Version einer Side-Show.

Stell' dich nicht so an! Leben mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS

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