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Fünftes Kapitel

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Bazaroff war am folgenden Morgen zuerst erwacht und alsbald aus dem Hause gegangen.

»Nun,« sagte er zu sich, »schön ist das Land da herum eben nicht, das kann man nicht sagen.«

Als Kirsanoff seine Bauern ablöste, behielt er für seine neue Wirtschaft nur ungefähr vier Dessätinen ganz ebenen und unbebauten Bodens übrig. Auf diesem baute er sich ein Wohnhaus und die nötigen Wirtschaftsgebäude; seitwärts legte er einen Garten an und grub einen Teich und zwei Brunnen; aber die Bäume, die er pflanzte, kamen schlecht fort, der Teich füllte sich langsam und das Wasser der Brunnen war salzig. Doch gaben die Akazien und die Fliedersträuche des Bosketts dann und wann einigen Schatten, und jetzt wurde dort das Mittagessen oder der Tee eingenommen. Bazaroff durchwandelte rasch alle Fußwege des Gartens, besichtigte den Hühnerhof, den Stall, entdeckte zwei junge Dworowis, mit denen er sofort Bekanntschaft machte, und nahm sie mit, um in einem Sumpf, eine Werst vom Hause entfernt, Frösche zu fangen.

»Wozu brauchst du deine Frösche, Herr?« fragte ihn eines der Kinder.

»Das will ich dir sagen,« erwiderte Bazaroff, der die besondere Gabe hatte, Leuten der unteren Volksklasse Vertrauen einzuflößen, obwohl er sie, weit entfernt von eigentlicher Herablassung, gewöhnlich ziemlich zurückhaltend behandelte. »Ich schneide die Frösche auf und sehe nach, was in ihrem Innern vorgeht. Da wir beide, du und ich, auch solche Frösche sind, aber Frösche, die auf zwei Füßen gehen, so lerne ich dann daraus, was in unserem eigenen Leib vorgeht.«

»Und warum willst du das wissen?«

»Damit ich mich nicht irre, wenn du krank wirst und ich dir helfen soll.«

»Also bist du ein ›Doktor‹?«

»Ja.«

»Waska, höre einmal, der Herr sagt, wir seien Frösche.«

»Ich fürchte mich vor den Fröschen,« antwortete Waska, ein barfüßiges Kind von etwa sieben Jahren mit weißen Flachshaaren, in einen Kaftan von grobem grauem Tuch mit stehendem Kragen gekleidet.

»Warum soll man sie denn fürchten? Beißen sie denn?«

»Vorwärts, ihr Philosophen, geht ins Wasser,« rief ihnen Bazaroff zu.

Kaum war Bazaroff ausgegangen, als auch Kirsanoff erwachte und aufstand. Er ging in Arkads Zimmer, den er schon angekleidet traf. Vater und Sohn traten auf die Terrasse, über die eine Markise ausgespannt war; ein kochender Samowar erwartete sie auf einem Tische zwischen dichten Fliederbüschen. Die kleine Dienerin, die den Abend zuvor zuerst unter dem Peristyl zu ihrer Begrüßung erschienen war, kam alsbald und meldete mit feiner Stimme:

»Fedosia Nikolajewna ist nicht ganz wohl und läßt fragen, ob Sie sich den Tee gütigst selbst bereiten wollen oder ob sie Duniascha schicken soll?«

»Ich werde ihn selbst bereiten,« gab Kirsanoff schnell zur Antwort. »Wie trinkst du ihn lieber, Arkad? Willst du Rahm oder Zitronen?«

»Mir ist Rahm lieber,« sagte Arkad, und nach kurzem Schweigen fuhr er in fragendem Tone fort:

»Lieber Papa? …«

Kirsanoff betrachtete seinen Sohn mit einiger Verlegenheit.

»Was meinst du?« fragte er ihn.

Arkad schlug die Augen nieder.

»Verzeih, Papa, wenn dir meine Frage ungelegen ist, aber deine Offenheit von gestern gibt mir das Recht, gleichfalls aufrichtig zu sein. Willst du nicht böse werden?«

»Sprich!«

»Du ermutigst mich zu der Frage … Wenn Fen … wenn sie den Tee nicht servieren will – bin ich nicht die Ursache?«

Kirsanoff wandte etwas den Kopf.

»Vielleicht …« gab er endlich zur Antwort; »sie denkt … sie schämt sich.«

Arkad warf einen raschen Blick auf den Vater.

»Da hat sie sehr unrecht,« gab er zur Antwort. »Du kennst meine Ansichten. (Arkad gefiel sich in diesem Ausdruck.) Es wäre mir äußerst leid, wenn ich dich auch nur im mindesten in deinem Leben, in deinen Gewohnheiten stören würde. Zudem weiß ich gewiß, daß du keine schlechte Wahl getroffen, und daß, wenn du ihr erlaubt hast, unter unserem Dache zu leben, sie dessen auch würdig ist. Überhaupt aber ist ein Sohn nicht der Richter seines Vaters, und ich zumal … und noch dazu eines Vaters wie du, der niemals meine Freiheit in irgend etwas beschränkt hat …«

Arkad hatte die ersten Worte mit zitternder Stimme vorgebracht; er kam sich großherzig vor, und doch begriff er gleichzeitig wohl, daß es das Ansehen hatte, als lese er seinem Vater die Lektion; aber der Laut unserer eigenen Stimme berauscht, und Arkad trug das Ende seines kleinen Diskurses mit Festigkeit und selbst etwas deklamatorischem Tonfall vor.

»Ich danke dir, Arkascha,« gab ihm der Vater mit unterdrückter Stimme zur Antwort, indem er sich wiederholt Stirn und Augenbrauen rieb. »Deine Vermutungen sind begründet. Es ist sicher, daß, wenn das junge Mädchen nicht eine empfehlenswerte Person wäre … Es ist nicht bloß die Anwandlung einer Laune … In der Tat, es setzt mich in Verlegenheit, über alles das mit dir zu reden, aber einsehen wirst du wohl, daß es ihr fast nicht möglich war, hier vor dir zu erscheinen, zumal am ersten Tag nach deiner Ankunft.«

»Wenn dem so ist,« rief Arkad in einer neuen Anwandlung von Edelmut, »so will ich sie selbst begrüßen,« und damit sprang er vom Stuhle auf. »Ich werde es ihr auseinandersetzen, daß sie vor mir nicht zu erröten braucht.«

»Arkad,« rief sein Vater und stand gleichzeitig auf, »tu mir den Gefallen … das geht nicht an … Da unten … Ich habe dich ja noch nicht in Kenntnis gesetzt …«

Allein sein Sohn hörte ihn schon nicht mehr; mit einem Sprunge hatte er die Terrasse verlassen. Kirsanoff verfolgte ihn mit den Augen und sank in höchster Unruhe in seinen Stuhl zurück. Sein Herz klopfte heftig. Kamen ihm die fremden Beziehungen, die notwendig zwischen seinem Sohne und ihm eintreten mußten, zum Bewußtsein; dachte er darüber nach, ob es von Arkad nicht rücksichtsvoller gewesen wäre, wenn er jede Anspielung auf das Verhältnis vermieden hätte, oder machte er sich Vorwürfe über seine Schwäche? Dies war schwer zu unterscheiden. Alle diese Gefühle wogten in seiner Brust durcheinander. Die Röte, die seine Stirne überzogen hatte, blieb beharrlich, und sein Herz klopfte nach wie vor heftig.

Da ließen sich beschleunigte Schritte hören, und Arkad erschien wieder auf der Terrasse.

»Wir haben jetzt Bekanntschaft gemacht, lieber Vater,« rief er triumphierend und zärtlich zugleich. »Fedosia Nikolajewna ist wirklich unwohl und wird erst später kommen. Aber warum hast du mir nicht gesagt, daß ich ein Brüderchen habe? Ich hätte es schon gestern mit eben der Freude geküßt, mit der es soeben geschah.«

Nikolaus Petrowitsch wollte antworten; er wollte sich erheben und die Arme ausbreiten. Arkad warf sich ihm an den Hals.

»Wie? man küßt sich noch einmal?« rief Paul hinter ihnen.

Sein Erscheinen war Vater und Sohn gleich willkommen; es ist uns oft nicht leid, wenn den rührendsten Situationen ein Ziel gesetzt wird.

»Wundert dich das?« erwiderte Kirsanoff heiter. »Da kommt endlich Arkascha nach langer Zeit wieder heim; ich habe seit gestern noch nicht einmal Zeit gehabt, mir ihn recht anzusehen.«

»Mich wundert das keineswegs,« erwiderte Paul, »es geht mir ja selbst fast wie dir.«

Arkad trat auf seinen Oheim zu, der ihm abermals die Wangen mit seinem parfümierten Schnurrbart streifte.

Paul setzte sich an den Tisch. Er trug ein elegantes Morgenkostüm nach englischem Geschmack; ein kleiner Fes zierte seinen Kopf. Dieser Kopfputz und eine nachlässig geknüpfte Krawatte waren wie eine Andeutung der Freiheit, zu welcher das Landleben berechtigt; aber der gestärkte Hemdkragen, diesmal farbig, wie es die Mode für eine Morgentoilette vorschreibt, umschloß mit der gewöhnlichen Unbiegsamkeit sein wohlrasiertes Kinn.

»Wo ist denn dein neuer Freund?« fragte er Arkad.

»Er ist schon ausgegangen; er steht gewöhnlich sehr früh auf und macht irgendeinen Ausflug. Man darf sich aber nicht um ihn bekümmern, er haßt die Förmlichkeiten.«

»Ja, das sieht man wohl.«

Paul strich langsam Butter auf sein Brot.

»Denkt er längere Zeit hierzubleiben?«

»Das weiß ich nicht; er will auch seinen Vater besuchen.«

»Wo wohnt sein Vater?«

»In unserem Gouvernement, etwa 80 Werst von hier. Er hat dort ein kleines Besitztum. Er ist ein alter Militärchirurg.«

»Ti .. ti .. ti … Den Namen kenne ich ja, glaube ich. Nikolaus, erinnerst du dich nicht eines Doktors Bazaroff, der in der Division unseres Vaters diente?«

»Ja, ich glaube mich seiner zu erinnern.«

»Ganz gewiß. Also der Doktor ist sein Vater, he!« sagte Paul und bewegte den Schnurrbart. »Und was ist denn eigentlich Herr Bazaroff Sohn?« setzte er langsam hinzu.

»Was er ist?« Arkad lachte. »Soll ich Ihnen, lieber Onkel sagen, was er eigentlich ist?«

»Tu mir diesen Gefallen, mein teurer Neffe.«

»Er ist ein Nihilist.«

»Wie?« fragte der Vater. Paul aber erhob sein Messer, dessen Spitze ein Stückchen Butter trug, und blieb unbeweglich.

»Ja, er ist ein Nihilist,« wiederholte Arkad.

»Ein Nihilist!« sagte Kirsanoff. »Das Wort muß aus dem Lateinischen nihil: nichts, kommen, soweit ich es beurteilen kann, und bedeutet mithin einen Menschen, der … nichts anerkennen will.«

»Oder vielmehr, der nichts respektiert,« sagte Paul, der wieder sein Butterbrot zu streichen fortfuhr.

»Ein Mensch, der alle Dinge vom Gesichtspunkte der Kritik aus ansieht,« erwiderte Arkad.

»Kommt das nicht auf dasselbe heraus?« fragte der Onkel.

»Nein, durchaus nicht; ein Nihilist ist ein Mensch, der sich vor keiner Autorität beugt, der ohne vorgängige Prüfung kein Prinzip annimmt, und wenn es auch noch so sehr im Ansehen steht.«

»Und damit bist auch du einverstanden? Das ist recht und gut?« erwiderte Paul.

»Je nachdem, lieber Onkel. Es gibt Leute, die sich dabei wohl befinden, wie im Gegenteil andere, die sich ganz schlecht dareinzufinden wissen.«

»Wahrhaftig? Nun, ich sehe, das geht über meinen Gedankenkreis. Leute der alten Zeit wie ich, denken, daß es durchaus nötig ist, gewisse Prinzipien (Paul sprach dies Wort wie die Franzosen mit einer gewissen Weichheit aus, während Arkad im Gegensatz es hart akzentuierte) ohne Prüfung, um deinen Ausdruck zu gebrauchen, anzunehmen. Ihr wollt uns das alles umstoßen. Gebe euch Gott Gesundheit und den Generalsrang! Was uns anbetrifft, so wollen wir uns damit begnügen, euch zu bewundern, meine Herren – wie sagtest du doch?«

»Nihilisten!« antwortete Arkad, indem er auf jede Silbe Nachdruck legte.

»Ja, wir zu unserer Zeit, wir hatten Hegelisten, jetzt sind es Nihilisten. Wir werden sehen, wie ihr es angreift, um im Nichts, im Vakuum, wie unter einer pneumatischen Maschine zu existieren. Und jetzt, lieber Bruder, sei so gut und ziehe die Glocke, ich möchte meinen Kakao trinken.«

Nikolaus Petrowitsch läutete und rief: »Duniascha!« Allein statt Duniascha war es Fenitschka selbst, die erschien. Sie war eine junge Frau von etwa 23 Jahren, weiß und rund, mit schwarzen Augen und dunklem Haar; ihre Lippen waren rot und voll wie die eines Kindes, und ihre Hände zierlich und fein. Ihr Anzug bestand in einem Kattunkleide und einem ganz neuen blauen Halstuch, das über ihre runden Schultern geworfen war; sie hielt eine große Tasse Schokolade in der Hand; indem sie diese vor Paul niederstellte, schien sie ganz außer Fassung, und die feine, durchsichtige Haut ihres Antlitzes färbte sich mit einem lebhaften Rot. Sie schlug die Augen nieder und blieb nahe dem Tisch stehen, auf den sie sich mit den Fingerspitzen stützte. Sie sah aus, wie wenn sie sich über ihr Kommen Vorwürfe mache und doch zugleich fühle, daß sie nicht ohne ein Recht dazu gekommen sei.

Paul runzelte streng die Augenbrauen, Kirsanoff war gänzlich verwirrt.

»Guten Morgen, Fenitschka,« murmelte er endlich.

»Guten Morgen,« erwiderte sie mit einer nicht lauten, doch wohlklingenden Stimme; dann zog sie sich langsam wieder zurück, nachdem sie verstohlen einen Blick auf Arkad geworfen hatte, den dieser mit freundlichem Lächeln erwiderte. Sie wiegte sich im Gehen ein wenig in den Hüften; es stand ihr aber sehr gut.

Nachdem sie gegangen war, herrschte einige Augenblicke auf der Terrasse ein tiefes Schweigen. Paul trank seinen Kakao. Langsam erhob er den Kopf …

»Da kommt ja der Herr Nihilist, dems endlich gefällt, zu erscheinen,« sagte er halblaut. Wirklich war Bazaroff, über die Rabatten wegschreitend, eben in den Garten eingetreten. Sein Paletot und seine leinenen Beinkleider waren beschmutzt, eine Sumpfpflanze war um seinen alten runden Hut geschlungen. In der rechten Hand hielt er einen kleinen Sack, darin bewegte sich etwas. Er kam mit großen Schritten auf die Terrasse zu, neigte ein wenig den Kopf und sagte:

»Guten Morgen, meine Herren, entschuldigen Sie, wenn ich etwas spät zum Tee komme. Ich werde sogleich wiedererscheinen, ich muß mich vorher meiner Gefangenen entledigen.«

»Sind das Blutegel?« fragte Paul.

»Nein, Frösche.«

»Wollen Sie die essen oder aufziehen?«

»Ich brauche sie zu Untersuchungen,« antwortete Bazaroff gleichgültig und trat ins Haus.

»Wahrscheinlich seziert er sie,« fuhr Paul fort. »Er glaubt nicht an Prinzipien und glaubt an die Frösche.«

Arkad warf auf seinen Onkel einen Blick des Mitleids, und Kirsanoff zuckte fast unmerklich die Achseln. Paul begriff übrigens selbst, daß sein Witzwort ihm nicht gelungen war – und fing an, über Landwirtschaft zu sprechen, bei welcher Gelegenheit er erzählte, daß der neue Verwalter mit seiner gewohnten Beredsamkeit sich über den Arbeiter Foka beklagt habe, mit dem er nichts anzufangen wisse. Der Kerl sei ein wahrer Äsop, sagte der Verwalter, er wisse den üblen Burschen, vor dem jedermann das Kreuz schlage, nicht zu verwenden, kaum sei er bei der Arbeit, so mache er Dummheiten, reiße aus – und – gesehen hat man ihn.

Väter und Söhne

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