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IV

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Der große Saal war bereits zur Hälfte mit Besuchern angefüllt, als Aratow mit Kupfer ankam. Es wurden in diesem Saale häufig Theatervorstellungen gegeben, diesmal aber waren weder Koulissen noch Vorhang da. Die Ordner hatten sich begnügt, an einem Ende des Saals eine Erhöhung aufzurichten, hatten ein Piano, einige Notenpulte, Stühle, einen Tisch mit Wasserkaraffe und Glas ausgestellt und die Thür, welche zu dem für die Künstler bestimmten Raum führte, war mit einem Vorhange von rothem Tuch verhängt. In der ersten Reihe saß bereits die Fürstin in grellgrünem Kleide. Aratow setzte sich in einiger Entfernung von ihr; sie wechselten kaum einen Gruß miteinander. Das Publikum war ein sehr gemischtes; meistentheils waren junge Leute aus verschiedenen höheren Lehranstalten da. Kupfer, als einer der Ordner, mit weißer Schleife am Frack, war sehr beschäftigt; die Fürstin schien aufgeregt zu sein, sie schaute sich fortwährend um, lächelte nach allen Richtungen hin, unterhielt sich mit ihren Nachbarn . . . es waren nur Herren in ihrer Nähe. Der erste, welcher sich den Zuhörern präsentirte, war ein schwindsüchtiger Flötist, er flötete eine – auch schwindsüchtige Piece; – zwei Personen riefen: Bravo! – Dann trug ein dicker Herr mit einer Brille, der sehr solid, sogar etwas finster aussah, eine Schtschedrinsche Skizze mit tiefer Bassstimme vor. Der Applaus galt dem Inhalte der Skizze, nicht dem Vortragenden. Darauf erschien der Pianist, den Aratow schon kannte; er trommelte die nämliche Fantasie von Liszt herunter und wurde durch Hervorruf geehrt. Er verbeugte sich, indem er sich an der Stuhllehne festhielt, und nach jeder Verbeugung schüttelte er seine Mähne – ganz wie Liszt. Endlich, nach einer längeren Pause bewegte sich der rothe Vorhang vor der Hinterthür wieder, und Klara Militsch erschien. Mit unsicheren Schritten trat sie nach vorn und blieb unbeweglich stehen. Ihre großen, schönen, bloßen Hände hatte sie zusammengelegt; sie verbeugte sich nicht, lächelte auch nicht.

Etwa neunzehn Jahre alt mochte sie sein, groß breitschulterig, aber gut gebaut. Das Gesicht war dunkel, es hatte einen jüdischen oder zigeunerischen Typus, die Augen waren klein und schwarz, unter dichten, fast zusammengewachsenen Brauen; die Nase grade und ein wenig stumpf, die schmalen Lippen hatten eine hübsche, aber etwas scharfe Linie. Sie hatte eine große, schwarze, dem Anscheine nach schwere Flechte, eine niedrige unbewegliche, gleichsam steinerne Stirn und ganz kleine Ohren. Der Gesichtsausdrurk war sinnend, beinahe finster. Es war eine leidenschaftliche, eigenwillige Natur; aus Allem war zu erkennen, daß sie weder sehr gut, noch sehr klug – offenbar aber begabt war.

Eine Zeitlang stand sie mit gesenkten Augen da; plötzlich aber sammelte sie sich und richtete ihren starren aber nicht aufmerksamen Blick auf die Reihen der Zuschauer; es war ein träumerischer Blick . . . »Was sie für tragische Augen hat!« bemerkte ein grauhaariger Geck, ein in Moskau bekannter Alleswisser und Kundschafter, mit dem Ausdruck einer Buhldirne, – der hinter Aratow saß. Der Geck war dumm und wollte eine Dummheit sagen . . . sagte aber die Wahrheit. Aratow, der, seit Klara erschienen war, den Blick nicht von ihr abgewandt hatte, erinnerte sich setzt erst, daß er sie wirklich bei der Fürstin gesehen habe; darüber sie nicht nur gesehen, sondern auch bemerkt, wie sie ihn mit ihren dunkeln, starren Augen auffallend hartnäckig angeblickt hatte. Ja, auch jetzt sogar, – oder schien es ihm blos so? – war sie wie erfreut, als sie ihn in der erstere Reihe erblickte. Sie schien zu erröthen und starrte ihn wieder ebenso hartnäckig an. Dann trat sie, ohne sich umzuwenden, einige Schritte zum Piano hin, an dem bereits der langhaarige Ausländer saß. Sie hatte Glinka‘s Romanze: »Kaum hat‘ ich Dich erkannt . . .« zu singen. Ohne die Lage der Hände zu verändern und ohne auf die Noten zu blicken begann sie. Ihre Stimme war ein klangvoller und weicher Contralto; die Worte sprach sie deutlich und gut betont; sie sang einförmig, ohne Modulation, aber mit kräftigem Ausdruck. – »Das Mädchen singt mit Zuversicht,« flüsterte wieder der Geck, welcher hinter Aratow saß – er sagte wieder die Wahrheit, Die Ausrufe bis! Bravo! erschallten von allen Seiten. – sie warf aber nur einen flüchtigen Blick auf Aratow, der weder rief noch applaudierte; – ihr Gesang hatte ihm nicht sonderlich gefallen – verneigte sich ein wenig und entfernte sich, ohne des begleitenden, langhaarigen Pianisten Arm anzunehmen. Man rief sie heraus . . . Es dauerte lange, bis sie erschien; sie trat mit den gleichen, zögernden Schritten an das Instrument, – und nachdem sie dem Accompagnirenden einige Worte zugeflüstert, die diesen veranlaßten, andere, nicht bereitgehaltene Noten hervorzusuchen und vor sich hinzulegen, begann sie Tschaikowski‘s Romanze: »Nein, der nur, welcher Wiedersehn ersehnt und danach schmachtet. . .« Diese Romanze sang sie anders als die erste – mit schwächerer Stimme, gleichsam ermüdet . . . Nur bei dem vorletzten Vers: »Verstehet wie ich litt« – brach ein helltönender, inniger Schrei hervor. Die letzte Zeile . . . »und wie ich leide!« . . . flüsterte sie fast nur, indem sie das letzte Wort klagend und leise ausstönen ließ. Diese Romanze machte einen geringeren Eindruck auf das Publikum, wie die von Glinka; dessenungeachtet war der Beifall groß. Besonders zeichnete sich Kupfer aus, der die Hände auf eigenthümliche Art, wie ein hohles Tönnchen zusammenschlug und dadurch einen ungewönlich schallenden Ton hervorbrachte. Die Fürstin gab ihm ein großes, struppiges Bouquett, um es der Sängerin zu überreichen; sie schien aber die vorgebeugte Figur Kupfer‘s und dessen ausgestreckte Hand mit dem Bouquett nicht zu bemerken, drehte sich um und entfernte sich, auch diesmal ohne den Pianisten zu beachten, der noch eifriger wie vorhin aufgesprungen war, um ihr den Arm anzubieten, und der, schnöde verlassen, seine Mäne auf eine solche Weise zurückwarf, wie es wahrscheinlich selbst Liszt nie gethan hätte.

Während der ganzen seit beobachtete Aratow Klara‘s Züge. Es schien ihm, als ob ihre Augen, zwischen den zusammengekniffenen Augenlidern hindurch, immer nur auf ihn gerichtet seien. Am Meisten aber frappirte ihn die Starrheit dieses Gesichtes, der Stirn und Brauen, – nur bei dem leidenschaftlichen Aufschrei bemerkte er, daß hinter den kaum geöffneten Lippen eine Reihe weißer, eng an einander geschlossener Zähne blinkt. Kupfer trat zu ihm heran.

– Nun, Brüderchen, wie findest Du das? – fragte er, vor Vergnügen strahlend.

– Eine gute Stimme, – antwortete Aratow, – aber singen kann sie noch nicht, – hat keine ordentliche Schule. (Weshalb er das sagte, und was er überhaupt für einen Begriff von »Schule« hatte – weiß Gott allein.)

Kupfer staunte. – Keine Schule? – wiederholte er langsam, . . . nun, was das betrifft, . . . sie kann ja noch lernen. Dagegen aber welche Empfindung! Doch, warte nur, Du sollst sie erst Tatjana‘s Brief recitiren hören!

Er lief weiter, Aratow aber dachte: – Empfindung? – mit einem solchen regungslosen Gesichte? – Er fand ihre Haltung und Bewegung so, als ob sie magnetisirt sei, . . . als ob sie eine Somnabule wäre. Und es war keinem Zweifel unterworfen, gewiß sie hatte ihn fortwährend fixiert.

Indessen nahm die Matinée ihren Verlauf. Der dicke Herr mit der Brille erschien wieder; trotz seines soliden Außern wollte er durchaus für einen Komiker gehalten sein, er trug eine Scene aus Gogol vor, die diesmal ohne jegliches Beifallszeichen blieb. Dann kam wieder der Flötist an die Reihe; der Pianist paukte auf seinem Instrumente und ein zwölfjähriger Knabe mit pomadisiertem und frisiertem Haar, aber mit Spuren von Thränen auf den Wangen, strich irgendwelche Variationen von seiner Geige herunter. Sonderbar war es, daß in den Zwischenpausen, nach den Musikpiecen und Vorträgen, abgerissene Töne eines Waldhorns aus dem für die Künstler reserviertem Raume hervorklangen, – daß aber dies Instrument trotzdem nicht zum Vorschein kam. Später stellte es sich heraus, daß der Dilettant, welcher sich erboten hatte, darauf zu blasen, plötzlich Angst bekommen hatte. Endlich erschien Klara Militsch abermals.

Sie hatte ein Bändchen Puschkin in der Hand, blickte aber während des Vortrags kein einziges Mal hinein . . . Sie war augenscheinlich befangen, das kleine Buch zitterte in ihren Fingern. Aratow bemerkte jetzt auch den Ausdruck von Verzagtheit, der in ihren starren Zügen lag. Den ersten Vers: »Ich schreibe Ihnen . . . was ist dabei?« sprach sie recht einfach, fast naiv – und streckte mit einer naiven herzlichen Bewegung, wie hilflos beide Hände aus. Dann eilte sie ein wenig; aber beim Anfange der Verse: »Ein Andrer? – nein! Nie wird ein Andrer je mein Herz besitzen!« – gewann sie ihre Selbstbeherrschung wieder, wurde lebhafter und als sie zu den Worten kam: »Mein ganzes Leben war ein sicheres Pfand des Wiedersehns mit Dir!« – da erhob sich ihre bis dahin verschleierte Stimme zu einem enthusiastischen und klaren Ton – und ihre Augen bohrten sich kühn und direkt in die von Aratow. Mit der gleichen Lebhaftigkeit fuhr sie auch fort – und nur gegen den Schluß hin wurde der Ton wieder ruhiger und in der Stimme sowohl wie auch im Antlitz erschien die frühere Verzagtheit. Den letzten Vierzeiler stotterte sie förmlich hervor – das Bändchen entfiel ihrer Hand – und sie eilte davon.

Das Publikum applaudierte frenetisch und rief sie heraus. Ein Seminarist aus Kleinrußland schrie so fürchterlich in seiner Provinzialaussprache: Mülütsch! Mülütsch! – daß sein Nachbar ihn mitleidsvoll und artig bat, doch die Stimme für seinen künftigen Beruf als Protodiakon zu schonen. Aratow stand sofort auf und ging dem Ausgange zu. Kupfer holte ihn ein . . . – »Wohin eilst Du denn, um Gottes Willen?« – rief er. Komm, ich stelle Dich ihr vor! – Nein, ich danke, – antwortete Aratow hastig und lief mehr als er ging nach Hause.

Klara Militsch

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