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Drittes Kapitel

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„So wärst du nun also Kandidat und wieder auf dem Weg nach Hause,“ sagte Kirsanoff zu seinem Sohn und legte ihm die Hand bald auf die Wangen, bald auf die Schultern.

„Was macht mein Oheim?“ fragte Arkad, der trotz seiner aufrichtigen und fast kindischen Freude doch gerne der Unterhaltung eine ruhigere Wendung gegeben hätte.

„Er ist wohl; er hatte die Absicht, mit mir dir entgegenzufahren; er hat sich aber, warum weiß ich nicht, wieder anders besonnen.“

„Und du hast lange auf mich gewartet?“ fragte Arkad.

„Seit beinahe fünf Stunden.“

„Wirklich? wie gut du bist!“

Arkad wandte sich zu seinem Vater und drückte ihm einen schallenden Kuß auf die Wange. Kirsanoff antwortete darauf mit einem leisen Lächeln:

„Du wirst sehen, was ich dir für ein hübsches Reitpferd habe zurichten lassen! Und Papier findest du auch in deinem Zimmer.“

„Bekommt Bazaroff auch eins?“

„Man wird ihn unterbringen, sei ruhig ...“

„Sei freundlich gegen ihn, ich bitte dich; ich kann dir nicht sagen, wie befreundet wir sind!“

„Kennst du ihn schon lange?“

„Nein.“

„Darum hab ich ihn auch im vorigen Winter nicht kennen gelernt. Mit was beschäftigt er sich?“

„Hauptsächlich mit den Naturwissenschaften. Aber er weiß alles; nächstes Jahr will er sein Doktorexamen machen.“

„Ah, er studiert Medizin,“ erwiderte Kirsanoff und schwieg einige Minuten.

„Peter,“ fragte er plötzlich den Bedienten, „sind das nicht welche von unsern Bauern, die da unten vorüberfahren?“

Der Bediente wandte den Kopf nach der Seite, die ihm sein Herr mit der Hand bezeichnete. Mehrere Wägelchen, deren Pferde ausgezäumt waren, rollten schnell auf einem engen Querwege dahin; auf jedem ein oder zwei Bauern in offenen Tulups.

„Wirklich,“ antwortete der Bediente.

„Wo gehen denn die hin? Etwa in die Stadt?“

„Sehr wahrscheinlich; die gehen in die Schenke,“ sagte Peter mit verächtlichem Tone und neigte sich etwas zum Kutscher, wie um diesen zum Zeugen zu nehmen. Allein der Kutscher gab durchaus kein Zeichen der Zustimmung; er war ein Mann vom alten Regime, der keine von den Tagesideen teilte.

„Die Bauern machen mir dieses Jahr viel Sorge,“ sagte Kirsanoff zu seinem Sohn; „sie zahlen ihre Abgaben nicht. Was dabei tun?“

„Bist du mit den Tagelöhnern mehr zufrieden?“

„Ja,“ erwiderte Kirsanoff zwischen den Zähnen; „allein man verführt sie mir; das ist das Übele. Und dann arbeiten sie doch nicht mit wahrem Eifer und verderben das Ackergerät. Doch sind wenigstens die Felder eingesät. Mit der Zeit wird sich alles machen. Es scheint, du interessierst dich jetzt für die Landwirtschaft?“

„Es fehlt euch hier an Schatten, das ist schade,“ sagte Arkad, ohne auf die letzte Frage seines Vaters zu antworten.

„Ich habe auf der Seite des Hauses, die dem Nordwind ausgesetzt ist, eine große Markise über dem Balkon herrichten lassen,“ erwiderte Kirsanoff, „man kann jetzt im Freien zu Mittag speisen.“

„Das sieht wohl etwas zu sehr nach einer Villa aus. Übrigens tut es nichts. Welch reine Luft atmet man hier! wie würzig ist sie! Ich glaube wahrhaftig, dieser herrliche Geruch ist unserem Lande eigentümlich. Und wie der Himmel ...“

Arkad hielt hier plötzlich inne, warf einen schüchternen Blick hinter den Wagen und schwieg.

„Gewiß,“ antwortete Kirsanoff; „du bist hier geboren, und folglich muß alles in deinen Augen ...“

„Nach meiner Meinung liegt am Ort, wo man geboren ist, sehr wenig,“ unterbrach ihn Arkad.

„Doch ...“

„Nein, der tut absolut nichts zur Sache.“

Kirsanoff sah seinen Sohn verstohlen an, und die beiden öffneten fast während der Fahrt von einer halben Werst nicht den Mund.

„Ich weiß nicht, ob ich dich schon davon in Kenntnis gesetzt habe,“ nahm endlich Kirsanoff wieder das Wort, „dass deine alte gute Yegorowna gestorben ist.“

„Wirklich, die gute alte Frau! Und Prokofitsch, lebt er noch immer?“

„Ja, der ist noch derselbe, immer zänkisch, wie vor alters. Du wirst keine großen Veränderungen in Marino finden, ich sags dir voraus.“

„Hast du noch denselben Verwalter?“

„Das ist vielleicht die einzige Veränderung, die ich vorgenommen habe. Den habe ich fortgeschickt, nachdem ich mich entschlossen, keine freien Dworowi mehr im Dienst zu behalten, oder wenigstens ihnen keine Funktion anzuvertrauen, die irgendeine Verantwortlichkeit mit sich führt.“

Arkad wies mit den Augen auf Peter.

„Il est libre, en effet,“ sagte Kirsanoff, „allein er ist ein Kammerdiener. Als Verwalter habe ich jetzt einen Bürger, der mir ein intelligenter Mann zu sein scheint. Ich gebe ihm jährlich 250 Rubel. Übrigens,“ fuhr Kirsanoff fort und faßte dabei Stirn und Augenbrauen mit der Hand, eine Bewegung, die ihm eigen war, wenn er sich in Verlegenheit fühlte, „ich habe dir soeben gesagt, du werdest eben keine Veränderung in Marino finden. Ganz richtig ist das nicht, und ich halte es für meine Pflicht, dich vorher in Kenntnis zu setzen, obgleich dennoch ...“

Hier hielt er inne und fuhr bald darauf französisch fort:

„Ein strenger Moralist würde ohne Zweifel meine Aufrichtigkeit unpassend finden, allein erstens könnte das, was ich dir anvertrauen will, doch nicht geheim bleiben, und zweitens weißt du wohl, dass ich stets meine eigenen Ansichten über die Beziehungen zwischen Vater und Sohn gehabt habe. Nach all dem gebe ich übrigens zu, dass du das Recht haben würdest, mich zu tadeln ... In meinem Alter ... mit einem Wort ... das junge Mädchen ... von dem du wahrscheinlich schon hast sprechen hören ...“

„Fenitschka?“ fragte Arkad ungezwungen.

Kirsanoff errötete etwas.

„Sprich den Namen nicht so laut aus, ich bitte dich. Ja ... nun, sie wohnt jetzt im Hause; ich habe ihr ... zwei kleine Stübchen eingeräumt. Übrigens kann alles wieder geändert werden.“

„Warum denn? Papa, ich bitte dich!“

„Wird dein Freund einige Zeit bei uns bleiben? Es wird etwas Verwirrung machen ...“

„Meinst du Bazaroffs wegen, so hast du unrecht. Er ist über all das hinweg.“

„Nein, auch deinetwegen,“ fuhr Kirsanoff fort. „Fatalerweise ist der Flügel des Hauses nicht in bestem Stand.“

„Das wird sich finden, Papa; es kommt mir aber vor, als suchtest du dich zu entschuldigen. Was hast du doch für ein zartes Gewissen!“

„Ja, ohne Zweifel, ich sollte mir ein Gewissen daraus machen,“ meinte Kirsanoff, der mehr und mehr errötete.

„Geh doch, lieber Vater, ich bitte dich!“ erwiderte Arkad mit wohlwollendem Lächeln. ›Welche Idee, sich über so etwas entschuldigen zu wollen,‹ sagte der junge Mann zu sich selbst, und indem er diesem Gedanken nachhing, erwachte in ihm eine nachsichtige Zärtlichkeit für die gute und schwache Natur seines Vaters, mit einem gewissen Gefühl von geheimer Überlegenheit verbunden.

„Sprechen wir von der Sache nicht weiter, ich bitte dich,“ fuhr er fort, im unwillkürlichen Genuß jener geistigen Unabhängigkeit, die ihn so hoch über jede Art von Vorurteil erhob.

Kirsanoff, der fortfuhr, sich die Stirne zu reiben, betrachtete ihn zum zweitenmal durch die Finger und fühlte es wie einen Stich im Herzen ... allein er mußte sich doch selbst anklagen.

„Hier beginnen unsere Felder,“ hob er nach langem Schweigen an.

„Und das Gehölz gegenüber, gehört uns das nicht auch?“ fragte Arkad.

„Doch; ich habe es aber eben jetzt verkauft und es wird vor Ende des Jahrs noch geschlagen werden.“

„Ich hatte Geld nötig; übrigens werden ja ohnehin alle dieser Ländereien bald den Bauern gehören.“

„Und diese zahlen dir keine Abgaben?“

„Das ist die Frage; zuletzt werden sie wohl bezahlen müssen.“

„Es tut mir leid um das Gehölz,“ sagte Arkad, indem er sich umschaute.

Das Land, durch das sie fuhren, war gerade nicht malerisch. Eine weite angebaute Ebene erstreckte sich bis zum Horizont, und der Boden erhob sich stellenweise nur, um sich bald wieder zu senken; in seltenen Zwischenräumen erschienen kleine Wäldchen, und etwas weiter ab schlängelten sich mit niedrigem vereinzeltem Gesträuch bekleidete Schluchten hin, die ziemlich getreu den Zeichnungen entsprachen, wie sie sich auf den alten, noch von der Regierung der Kaiserin Katharina herdatierenden Flurkarten finden. Hie und da stieß man auch auf kleine Bäche, von nackten Ufern, oder auf Weiher, von schlechten Dämmen eingehegt; dann kamen arme Dörfer, deren niedrige Häuschen schwarze, zerfetzte Strohdächer trugen; armselige Scheunen zum Dreschen des Getreides, mit Wänden aus geflochtenen Baumzweigen und enormen, vor leeren Tennen gähnenden Toren; Kirchen, die einen aus Backsteinen, deren Gipsüberzug am Abfallen war, die anderen aus Holz, mit schiefstehenden Kreuzen am Giebel und von schlecht unterhaltenen Gottesäckern umgeben. Arkad fühlte sein Herz ein wenig beklemmt. Als ob es so hätte sein müssen, hatten alle Bauern, die ihnen in den Weg kamen, ein klägliches Aussehen und ritten auf kleinen Mähren. Die Weidenbäume an der Straße mit ihren zerrissenen Rinden und ihren abgeschnittenen Zweigen nahmen sich wie Bettler in Lumpen aus, Kühe mit ungebürsteten Haaren, mager und scheu, weideten gierig das Gras längs der Gräben ab; man hätte glauben sollen, sie seien eben irgendwelchen mörderischen Klauen entkommen, und mitten im Glanz des Frühlings mahnte der Anblick dieser armen Tiere an das weiße Gespenst des endlosen, unbarmherzigen Winters mit seinem Frost und seinen Schneestürmen. – „Nein,“ sagte Arkad zu sich, „das ist keine reiche Gegend; sie zeigt nichts von Wohlstand, nichts von beharrlichem Fleiß; so kann sie unmöglich bleiben, da muß eine Änderung geschaffen werden ... Aber wie greift man das an?“

Während Arkad hierüber nachdachte, war um ihn her der Lenz in schönster Entwicklung. Überall lichtes Grün: unter dem sanften Atem eines warmen, leichten Windes schwoll und glänzte alles, die Bäume, die Gebüsche, das Gras; von allen Seiten ertönten die nie endenden Triller der Lerchen, Kiebitze wiegten sich rufend über den feuchten Wiesen oder liefen still über die Ackerschollen weg; Raben, deren schwarzes Gefieder sich schön von dem zarten Grün der Saaten abhob, ließen sich da und dort sehen; nur im Roggen, der schon zu bleichen begann, waren sie schwerer zu unterscheiden, kaum dann, wenn ihre Köpfe auf einen Moment über dies wallende Meer aufragten. Arkad bewunderte dies Gemälde und seine trüben Gedanken schwanden allmählich. Er legte seinen Mantel ab und heftete einen so freudigen und kindlichen Blick auf seinen Vater, dass dieser sich nicht enthalten konnte, ihn von neuem in seine Arme zu schließen.

„Bald sind wir da,“ sagte Kirsanoff; „sobald wir auf diese Anhöhe gekommen sind, sehen wir das Haus. Wir beide werden uns verstehen, Arkad; du hilfst mir unser Gut verwalten, wenn es dich nicht zu sehr langweilt. Wir müssen uns eng aneinander anschließen und einander ganz kennen lernen. Nicht wahr?“

„Gewiß,“ antwortete Arkad, „aber welch herrlicher Tag!“

„Zu Ehren deiner Ankunft, mein Lieber. Ja, der Frühling steht in seinem schönsten Glanz. Übrigens geht mirs wie Puschkin, du entsinnst dich der Verse:

Frühling, holde Liebeszeit,

Wie beschleicht mich Traurigkeit!“

„Arkad!“ rief Bazaroff von seinem Tarantaß her, „schick mir ein Streichholz; unmöglich, die Pfeife in Brand zu bringen.“

Nikolaus Petrowitsch schwieg, und Arkad, der ihm mit einiger Überraschung, aber nicht ohne Interesse zugehört hatte, beeilte sich, ein silbernes Büchschen aus seiner Tasche zu langen und Peter damit zu Bazaroff zu schicken.

„Willst du eine Zigarre?“ rief dieser.

„Gerne,“ antwortete Arkad.

Peter brachte mit dem Büchschen eine dicke schwarze Zigarre, die Arkad sogleich zu rauchen anfing, deren Geruch aber so stark war, dass Kirsanoff, der in seinem Leben nie geraucht hatte, unwillkürlich die Nase abwandte, doch ohne seinem Sohn, den er nicht stören wollte, seinen Widerwillen zu verraten.

Eine Viertelstunde später hielten die beiden Gefährte vor dem Peristyl eines hölzernen, noch neuen Hauses, dessen Mauern grau verblendet und dessen eisernes Dach rot angestrichen war. Dies war Marino, sonst auch der „Neuhof“ oder – von den Bauern – das „Waisenhaus“ genannt.

Väter und Söhne

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