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Chapter 2 / 1. Tag: Abfahrt / erste Pannen / Bekanntschaft mit Felix und den „Schmeißfliegen“
Dienstag, 21.September: Passau - Aschach

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Hannah:

Eigentlich wollte ich schon um acht Uhr bei Berit sein, aber von wegen! Daraus wurde nichts. Erst gegen halb neun stand ich mit schlechtem Gewissen vor dem China-Restaurant, über dem Berit wohnt, und erwartete, dass sie mir wegen der Verspätung Vorwürfe machen würde, denn sie ist ein richtiger Pünktlichkeitsfanatiker!

Stattdessen meldete sich erst nach dem sechsten Klingeln über die Sprechanlage, und zwar total verpennt: „Was machst du denn hier – jetzt schon???“

Ich ging die Treppe hoch zu ihr in den dritten Stock (einen Fahrstuhl hat dieses alte Gemäuer leider nicht) und dachte, ich sehe nicht recht: Da stand sie im Bademantel, mit verquollenen Augen, gerade aus dem Bett gepurzelt, und entschuldigte sich wortreich. Während sie duschte, ging ich nochmal los und besorgte Semmeln. Und kochte Kaffee!


Berit:

Na ja, es ist gestern doch noch etwas später geworden. Peinlich! So früh loszufahren, war ja eigentlich meine Idee gewesen, glaube ich mich zu erinnern. Während Hannah Kaffee kochte, packte ich meine Radtaschen, dazu war ich letzte Nacht leider nicht mehr gekommen.

Wie geplant, frühstückten wir gemeinsam. Das Frühstücksgeschirr musste dann stehenbleiben, weil wir uns einbildeten, in Zeitdruck zu sein. Aber wir hatten noch die sicherlich sehr sinnvolle Idee, unsere Fahrradketten zu ölen! Nur womit? Ich hätte schwören können, dass ich irgendwo so in kleines Plastikfläschchen mit einer Art langen Tülle herumstehen hatte, das Fahrradöl enthielt. Aber nachdem ich überall gesucht hatte – auch im Badezimmer und im Küchenschrank – ohne fündig zu werden, benutzten wir schließlich Salatöl. Das müsste eigentlich den gleichen Effekt haben. Öl ist Öl, oder?

So extrem war unsere Verspätung dann gar nicht, relativ pünktlich um zehn fuhren wir los!


In unserem Reiseführer wird Passau als Dreiflüssestadt mit barock-italienisch geprägtem Stadtbild bezeichnet. Interessant. Was ist noch mal „Barock“? Ich glaube, Barock ist immer rund und Gotik ist spitz. Nachdem ich schon ein paar Jahre in dieser Stadt lebe, werde ich mich bei Gelegenheit diesbezüglich mal schlau machen. Ist ja peinlich.

Das Schöne an Passau ist, dass man fast jeden, den man trifft, schon mal gesehen hat. Die Stadt hat ja nur um die 50.000 Einwohner und ein relativ kleines Zentrum. Wenn man samstags in der Fußgängerzone jemand trifft und sich festratscht, laufen innerhalb der nächsten halben Stunde garantiert zwanzig andere Leute an einem vorbei, die man kennt. Andererseits hat das auch Nachteile: wenn man mal eine schlechte Phase hat (so wie Hannah und ich zur Zeit) und gern für eine Weile niemand treffen will, hat man keine Chance, in irgendeinem anderen Stadtteil unterzutauchen.

Während man in einer Großstadt auch in anderen Stadtvierteln Kinos, Kneipen, Restaurants, Geschäfte etc. findet und eine Großstadt eigentlich eine Ansammlung aus lauter Kleinstädten ist, hat man in Passau nur die Wahl zwischen ganz zuhause zu bleiben oder die Stadt für eine Weile zu verlassen, wenn man für eine Weile niemandem, den man kennt, begegnen möchte.

Hannah und ich brauchen einfach mal eine kleine Luftveränderung. 300 Kilometer ist nicht wirklich eine Riesenentfernung, aber da wir ja mehrere Tage unterwegs sein werden, wird es uns viel weiter vorkommen!

Das erste Problem stellte sich bereits fünf Minuten nach der Abfahrt, da wir uns nicht einigen konnten, in welcher Richtung der Grenzübergang Achleiten liegt, und unsere zahlreichen Karten zu Rate ziehen mussten.


Hannah:

Peinlich, peinlich…hoffentlich hat uns keiner beobachtet, der uns kennt! Der Zöllner an der Grenze grinste über das ganze Gesicht, als wir ihm übermütig entgegenschlingerten. Natürlich mussten wir anhalten. Mich wies er freundlicherweise darauf hin, dass mein Ausweis in einem Jahr abläuft, der von Berit sei erst in neun Jahren fällig. Woraufhin ihm Berit versicherte: „Na ja, bis dahin bin ich wieder zurück“!


Berit:

Gleich hinter der Grenze fielen und zwei Männer mittleren Alters auf! Ebenfalls auf Rädern. Der eine hatte Radtaschen, der andere hatte eine Sporttasche auf den Gepäckträger geklemmt. Offensichtlich hatten auch sie eine längere Tour vor sich, die sie spontan geplant hatten. Hannah belegte sie sogleich mit dem liebevollen Kosenamen „Schmeißfliegen“ und äußerte die düstere Zukunftsprognose, dass wir sie wohl bis Wien nicht mehr loswürden!

(Bis hierher – Aschach – hat sich dies bewahrheitet. Wir sitzen gerade in einer Kneipe, während wir dies hier schreiben – hoffentlich kommen die beiden nicht gleich `rein!)


Hannah:

Bloß nicht!

Zunächst rasten wir ganz euphorisch los; das heißt, Berit raste, ich strampelte mühsam hinterher. Kein Wunder, denn sie hatte wesentlich ökonomischer gepackt als ich (= ein Paar Schuhe reicht) und deshalb nur leichtes Gepäck; ich dagegen habe meine Radtaschen total vollgestopft mit allem, was ich in der Eile gefunden habe und meinte, auf der Reise gebrauchen zu können…ich wollte ja pünktlich bei Berit sein, die sich dann schön viel Zeit zum Packen nahm, während ich das Frühstück machte! Das war etwas unfair.


Berit:

Gar nicht wahr! Was kann ich dafür? Hannah hätte ja auch schon am Abend vorher in Ruhe packen können, statt in letzter Minute, bevor sie losfuhr zu mir. Hannah – denk dran, dass ich nicht nur was Neues `reinschreibe in dieses Heft, sondern auch das lese, was du geschrieben hast…!

Meine Packweise erklärt sich daraus, dass erstens meine Taschen kleiner sind und zweitens ich meine Schuhe VERGESSEN habe! Mal sehen, vielleicht lässt sich unterwegs, spätestens in Wien, ein preiswertes Paar auftreiben.

Nach den ersten fünfundzwanzig Kilometern besichtigten wir das Stift Engelhartszell, ein altes Zisterzienserkloster. Außerdem kauften wir Lebensmittel (10 Schillinge) und ich ging aufs Klo (1 Schilling).

Wir kamen dann zur Schlögener Schlinge: laut Reiseführer durchquert hier die Donau in einer 180 Gradkehre die Böhmische Masse. Hä? Und was heißt das jetzt? Etwa, dass wir genau in entgegengesetzter Richtung weiterfahren, indem wir uns um 180 Grad drehen? Dann müssten wir in wenigen Stunden wieder in Passau sein. Wieso kann man sich in einem Reiseführer nicht so ausdrücken, dass es jeder versteht?

Streckenweise hatten wir Gegenwind.


Hannah:

Hoho, und was für ein Orkan uns entgegenkam! Berits Kommentar dazu: „Wenn wir jetzt aufhören zu treten, treiben wir nach Passau zurück!“


Berit:

Aber größtenteils war die Strecke sehr angenehm, abgesehen von dem Detail, dass plötzlich mein Vorderreifen platt war! Da standen wir nun, umgeben von Bäumen, links die Donau, rechts die Berge, kein Mensch weit und breit, schon gar keine Reparaturwerkstatt. Das war doch nicht zu glauben! Kaum sechs Stunden unterwegs und schon eine Panne! Wenn das Daniel und die anderen wüssten! (Werden wir denen natürlich nicht erzählen. Das behalten wir wohl lieber für uns.) Hannah behauptete hartnäckig: „Das liegt am Ventil!“ Leider entdeckten wir, dass das Ventil nicht austauschbar war….

Hannah:

…und dass der Schlauch tatsächlich ein piepsiges Loch hatte! Das heißt: nicht wir entdeckten das, sondern so ein barmherziger Streckengenosse. Während wir ganz „fachmännisch“ (…) mit Schraubenzieher, nassem Taschentuch und Luftpumpe herumhantierten, ertönte plötzlich eine Stimme: “Können wir euch helfen?“ und schon stand der Retter neben uns! Ein absoluter Profi:

Eins-A-gestylt von der Socke bis zu den Handschuhen, die er auch während seines Einsatzes nicht auszog. Das weibliche Pendant dazu, wohl wie er um die vierzig Jahre alt und vermutlich seine Frau, stand daneben und leistete seelischen Beistand.


Berit:

Der Retter heißt übrigens Felix, also „der Glückliche“, aber die Glücklichen waren wohl eher wir! Den besagten Mangel entdeckte er übrigens, indem er den Schlauch mit der Zunge befeuchtete (igitt!!).

Hannah:

Er wollte dann wissen: „Habt ihr einen Ersatzschlauch?“ und Berit antwortete: „Nein, aber ein Flickzeug.“ So musste er nun wohl oder übel anfangen, das Loch zu flicken.

Berit:

Felix diagnostizierte außerdem, dass ein falscher Schlauch im Vorderreifen war, nämlich einer für ein Rennrad, und dass außerdem das Ventil ein nicht austauschbares Blitzventil war, was wir ja auch schon selbst festgestellt hatten. Ich hatte das Rad vor drei Jahren für 100 DM von einem japanischen Studenten gekauft, der nach Tokio zurückkehren wollte und dort kein Rad brauchte. Er hatte es ein Jahr zuvor von jemandem gekauft, der es auch aus zweiter Hand hatte. Kurz nachdem ich es gekauft hatte, fing die schwarze Farbe an, abzublättern. Darunter war das Rad silberfarben! Auch der Markenname war überpinselt, und der Rückstrahler mit einem anderen Markennamen gehörte gar nicht an das Fahrrad. Jetzt erinnere ich mich plötzlich daran, dass, als vor einigen Monaten auch mal irgendwas kaputt war am Rad, ein Bekannter von mir ausrief:“ Die Teile an deinem Fahrrad stammen ja aus verschiedenen Jahrhunderten!“ Ich hatte mir bei dem Satz gar nichts weiter gedacht. Und nun passten nicht mal Schlauch und Mantel zusammen! Wie soll man überhaupt ein richtiges Ersatzteil beschaffen, wenn man nicht mal weiß, wer der Hersteller des Fahrrades ist?

Erschwerend kam hinzu, dass Hannah und ich das Ventil bei unseren Reparaturbemühungen total verbogen hatten.

Ich erkundigte mich bei Felix nach den Vorzügen eines Blitzventils, und er sagte: „Damit kann man in einer affenartigen Geschwindigkeit aufpumpen!“ Was er tat auch tat – er pumpte wie besessen. Nur leider hielt der Reifen die Luft nicht, und je mehr Felix sich abmühte, desto tiefer sank sein Stimmungsbarometer. Ziemlich genervt beförderte er plötzlich aus seinen Radtaschen einen neuen Schlauch zutage und machte Anstalten, ihn auf meinen Reifen zu montieren.


Hannah:

Ich war total platt und konnte es nicht fassen:“ Den wollen Sie uns wirklich geben?“ „Na ja, es bleibt mir wohl nichts anderes übrig“, sagte Felix in resigniertem Tonfall. Okay, schon verstanden. Nachdem er vorher den Kavalier herausgekehrt hatte, wollte er jetzt nicht kneifen! Wir sagten vorsichtshalber nichts, während Felix sich weiter abmühte, um diese einmalige Chance auf einen nagelneuen Ersatzschlauch nicht zu verderben. Jedoch leider passte der Ersatzschlauch nicht! Nun war auch Felix ratlos. Aber wie es der Zufall wollte: mitten in dieser absoluten Verzweiflungsphase kam Retter Nr. 2: ein sympathischer mitteljunger Mann nebst Freundin. Der stellte dann fest: Das Ventil ist absolut in Ordnung! Nach dem Blas-, Druck- und Knet-Test des Schlauches musste auch Felix dies akzeptieren. Als nun vier fremde Leute sich um unser Reparaturproblem rissen und Berit und ich entmündigt daneben standen, bekam ich einen Lachkrampf und hatte Mühe, ihn zu unterdrücken!

Berit:

Hannah schaffte es absolut nicht, ihren Lachkrampf zu unterdrücken und die beiden fremden Männer sahen sie stirnrunzelnd an; sie fühlten sich wohl ausgelacht und nicht ernst genommen. Das junge Paar fuhr weiter. Felix schwang den kaputten Schlauch und fragte uns: “ Probieren wir`s?!“ Wir nickten resigniert, und er montierte den kaputten Schlauch wieder auf den Reifen. Dann fuhren auch er und seine Frau eilig weiter. Er drehte sich noch einmal um und rief: „ Wenn wir uns in Aschach in einer Kneipe treffen, können Sie mir ein Bier ausgeben!“ Wofür denn eigentlich? Höchstens für Mühe und Zeit, bzw. Zeitverschwendung, denn das Ergebnis ist ja leider gleich null! Auch wir radelten eilig weiter, nachdem Hannah ihr zahlreiches Werkzeug zusammengeklaubt hatte. Die Reparaturbemühungen von Felix erwiesen sich bald als unzureichend, was kein Wunder war, nachdem Felix ja eigentlich nichts anderes getan hatte, als den kaputten Reifen wieder aufzupumpen.

Der Reifen ließ leider sehr bald wieder Luft, ich hielt das Rad fest und Hannah pumpte wie wild.


Und siehe da – wer kam da wohl hoch zu Rad des Weges? Die Schmeißfliegen! Also die beiden Männer, die wir schon kurz nach der Abfahrt gesehen hatten! Hilfsbereit bleiben sie stehen und sprachen uns an. Sie hatten, wie sie berichteten, zwischendurch auch einen Platten gehabt. Nachdem wir ihnen von unserem Malheur berichtet hatten, waren sie voller Hochachtung, dass wir in zwischen genauso weit gefahren waren wie sie: immerhin inzwischen mehr als 50 km insgesamt!!


Hannah:

O je, und dann machten die beiden ihrem Kosenamen alle Ehre….Aber ich muss zu gegeben, dass sie zum Aufpumpen des besagten eigenwilligen Vorderreifens von Berit durchaus zu gebrauchen waren! Ganz Kavalier, nahmen sie mir die Pumpe aus der Hand und mühten sich ihrerseits damit ab. Und tatsächlich: es funktionierte! Die Luft hielt vorläufig! Tja, und dann bot sich eine gemeinsame Weiterfahrt natürlich geradezu an…


Berit:

„Glauben Sie ja nicht, wir würden uns absichtlich an Ihre Katzenaugen heften! Mein Computer sagt mir: wir haben die gleiche Geschwindigkeit: 18 km / h!“ sagte der eine. Wir beeilten uns, zu versichern, dass wir uns natürlich in keinster Weise von ihnen verfolgt fühlten!


Hannah:

Unter diesen Schmeißfliegen muss man sich zwei Herren um die fünfzig vorstellen, durchaus attraktiv und gepflegt und mit Top-Fahrrädern. Als Begleiter für uns aber natürlich viel zu alt! Sie würden uns irgendwie das Gefühl vermitteln, als wären wir mit zwei Aufsichtspersonen unterwegs, zwei ältliche Onkel oder so!! Sie sind übrigens sehr neugierig: nach Strich und Faden wurde wir nach unserem Studentenleben ausgefragt. Als die beiden mal kurz hinter uns zurückblieben, warf mir Berit einen vielsagenden Blick zu und raunte mir zu: „Die sind doch schwul, oder?“ Auf diese Idee war ich noch überhaupt nicht gekommen!


Berit:

Am Nachmittag ist es uns gelungen, sie gleich bei unserer Ankunft hier in Aschach – wohin wir inzwischen ohne weitere Zwischenfälle durchgeradelt sind - abzuhängen, denn wir brauchten dringend eine Werkstatt! Auch die Kaffeeeinladung der Schmeißfliegen konnte uns nicht locken. Kaum verschwanden wir aus ihrem Blickfeld, als eine wild winkende Gestalt am Straßenrand unsere Aufmerksamkeit erregte: Felix! „Und? Hat`s geklappt?“ rief er uns zu. Wir deuteten auf den wieder platten Reifen und er fuhr eilig davon. Er hatte sicher Angst, wir würden ihn erneut um Hilfe bitten! Wir setzten unsere Suche nach einer Werkstatt fort. Auf der anderen Donauseite fanden wir zwar eine, aber die war leider schon geschlossen.

Aschach soll ja sehr schön sein. Es ist ein altes Schifferstädtchen. Es soll romantische Hinterhöfe und malerische Laubengänge geben. Laut Reisführer haben berühmte Baumeister hier gewirkt. Dieser Satz erinnerte mich an eine Liste lustiger Sätze aus Schulaufsätzen, unter anderem diesen: “In Leipzig haben viele berühmte Leute gelebt und gewürgt“. Das kommt dabei heraus, wenn man so vorsintflutliche Ausdrücke benutzt! Heutzutage wird gearbeitet…früher wurde „gewirkt“! Man stelle sich vor, man würde auf die Frage, wo man beschäftigt ist, beispielsweise antworten:“ Ich wirke bei Firma X als Sekretärin!“

Da die Werkstatt geschlossen war, kehrten wir zur Ortsmitte zurück und picknickten auf einer Bank direkt an der Donau: Käsebrot und Wasser Ein älteres Ehepaar kam vorbei, und der Mann fragte: „Ist das Wein? Auch beim Radfahren können Sie Ihren Führerschein verlieren!“ Klugscheißer! Das sagte ich natürlich nicht. Stattdessen sagte ich:“ Wir machen Wasser zu Wein.“ Da lachte er.


Hannah:

Nach diesem üppigen Mahl machten wir uns auf Quartiersuche. Und wir hatten Glück: wir ergatterten die letzten zwei Zimmer in einem preiswerten Gasthof, der in unserem Radwanderführer vorgeschlagen wurde - sehr zum Leidwesen von zwei anderen quartiersuchenden Radfahrern, die fast gleichzeitig mit uns eintrafen und für die es dann keine Zimmer mehr gab. Wir luden unser Gepäck ab, duschten und zogen uns um, und dann landeten wir in dieser Kneipe, in der wir jetzt gerade sitzen, um uns von den Strapazen des ersten Reisetages zu erholen. Hier hat man jedenfalls seine Ruhe, es hat uns gerade noch gefehlt, dass die Schmeißfliegen sich auch genau diese Kneipe aussuchen und hereinkommen, während wir hier gemütlich…ach du Sch…, da kommen sie!!

Berit:

Plötzlich sagte Hannah:“ Achtung!“ und ich drehte mich um und erblickte die Schmeißfliegen, die gerade die Kneipe betreten hatten. Als auch sie uns erkannt hatten, schlenderten sie zielstrebig zu uns herüber und fragten:“ Dürfen wir uns dazusetzen?“ Hannah warf ihnen einen strengen Blick zu und behauptete, wir wären zu sehr mit unseren Postkarten und unserem Reisetagebuch beschäftigt. „Reisetagebuch?“ fragte der eine, und beide reckten interessiert den Hals. Hannah klappte das Heft energisch zu, und er dunklere von beiden sagte zu mir: “Also, Sie sind uns irgendwie lieber - wir glauben, Ihre Freundin mag uns nicht!“ „Ach was – nein, das stimmt ganz sicher nicht“, beeilte ich mich ihm zu versichern. Hannah blieb charmant wie ein Eisblock und nachdem die beiden eine ganze Weile neben unserem Tisch herumgestanden hatten, sagte er, der eindeutig der gesprächigere von beiden war:“ Was ist denn nun? Hier `rumstehen ist auch blöd.“

Letztendlich saßen sie dann doch an unserem Tisch.

Der Gesprächigere und heißt Peter, der Schweigsamere heißt Ronald. Wider Erwarten entpuppten sie sich als gute Unterhalter, zumal sie auch die Zeche übernahmen.

Hannah und erklärte uns als durchaus bereit und in der Lage, wenigstens die Getränke zu zahlen, die wir vor ihrem Erscheinen zu uns genommen hatten, aber Peter sagte:“ Ich gehe mal davon aus, dass es weniger als zehn waren.“ Womit er durchaus Recht hatte. Peter ist Betriebswirt aus Bonn und Ronald ist Chemiker aus Wien. Sie arbeiten für den gleichen bekannten Konzern. Hannah und ich waren über diese Firma nicht besonders gut informiert, was die beiden Herren sehr erstaunte, um nicht zu sagen: kränkte! Und uns war das dann recht peinlich. Taktvoll wechselte Peter das Thema.

Die beiden orientierten sich an dem gleichen Radwanderführer wie wir. Peter war in Passau sogar im gleichen Fahrradgeschäft gewesen wie ich, sein Rad hatte nämlich auf der Zugfahrt von Bonn nach Passau etwas gelitten. Ich beklagte mich darüber, dass die Frau des Ladeninhabers sehr unhöflich zu mir gewesen war, und Peter meinte:“ Ach, ich glaube, die ist gar nicht böse. Sie hat einfach null Charme – sowas gibt`s ja!“ (Genialer Ausspruch, den muss ich mir unbedingt merken!)


Peter berichtete uns ausführlich, wie er es mit List und Tücke geschafft hatte, dass die Frau doch noch einen Mechaniker holte, nachdem sie sich zuerst schroff geweigert hatte: Er hatte betrübt den Laden verlassen und dann genau vor dem Fenster selbst angefangen, an dem ramponierten Rad herumzuwerkeln – wohl wissend, dass sie ihn von drinnen beobachtete. Und tatsächlich gelang es ihm so, ihr Herz zu erweichen. Ich fand Peter wirklich sehr amüsant!

Mehrmals versicherte er: „Wir wollen nichts von euch!“ Was wir aber insgeheim bezweifelten. Schließlich zahlte Peter die Zeche, und wir verließen das Lokal. Draußen fragte Peter: „Wo ist den Ronald?“ Tatsächlich – er fehlte.

Ich ging zurück in die Kneipe, um ihn zu suchen, und wurde Zeuge, wie Ronald auf allen Vieren unter dem Tisch, an dem wir gesessen hatten, herumkroch und die Scherben des Glases aufsammelte, das er beim Aufstehen vom Tisch gefegt hatte. Er tat mir regelrecht leid in dem Moment.

Als wir endlich alle vier vor der Kneipe versammelt waren, starteten wir die große Händeschüttelzeremonie und wünschten uns gegenseitig alles Gute für die Weiterfahrt.

Hannah:

Jaja, das war ein Abend für sich. Bis zuletzt konnte mir der geschwätzige Peter meine anfänglich bösen Blicke nicht verzeihen und kam dann auch ganz durcheinander bei der Bierbestellung. Dafür sind wir jetzt bestens über Jean-Jacques in Paris (offenbar ein Geschäftsfreund von Peter), Peters Einschlafschwierigkeiten und seinen Skiunfall informiert.

Berit:

Peter scheint eine leichte Tendenz zur Hypochondrie zu haben.


Hannah:

Irgendwie sind die zwei ja doch ganz okay. Berit uns ich einigten uns endlich darauf, dass Peter und sein Freund Ronald nicht schwul sind.


Berit:

Na ja, „nichts genaues weiß man nicht“. Irgendwie hatten sie schon eine ziemlich seltsame Art, besonders Peter. Ich weiß nicht, ob ich ihm seine beiden Töchter glauben soll. Einen Ehering trägt er jedenfalls nicht.

Irgendwie erinnern die beiden mich an diese beiden Hobbydetektive aus dieser alten amerikanischen oder englischen Krimiserie – wie heißt die noch? Der englische vornehme Aristokrat Lord Sinclair und der amerikanische Selfmade-Millionär Danny Wilde….ja genau! Der Engländer wird dargestellt von Roger Moore und den gesprächigen Amerikaner spielt Tony Curtis.

Peter und Ronald sind so ein ähnliches Männergespann: Der vornehme Ronald und der temperamentvolle, pausenlos redende Peter (Hannah und ich entsprechen optisch allerdings nicht so ganz den jungen Bikinimädchen, die Danny Wilde und Lord Sinclair in der Serie ständig aufgegabelt haben...bei uns beiden ist ein Frisörbesuch überfällig und natürlich sind wir weder besonders durchtrainiert noch gestylt, und wir haben auch keine schönen Kleider dabei). Rein äußerlich sieht Ronald eher nordisch aus, während Peter eindeutig einen mediterranen, wenn nicht gar arabischen Einschlag hat. Seine rheinische Sprechweise bildet einen lustigen Kontrast dazu!


Hannah sieht Peter irgendwie ähnlich, sie könnte gut seine Tochter sein (diese Beschreibung wird ihr nicht Recht sein, hoffentlich hat sie nachher keine Lust, sich meinen letzten Eintrag durchzulesen!). Mir ist auch aufgefallen, dass er „sch“ oft als „ch“ spricht. Ronald hingegen hört man die österreichische Herkunft an. Wir wissen nicht so recht, was wir den beiden glauben können, aber bezüglich ihrer Heimat haben sie garantiert die Wahrheit gesagt!

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