Читать книгу Der Wüstensklave - J. D. Möckli - Страница 6

Kapitel 3: Sehnsucht

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Appetitlos stochert Kai in seinem Gulasch herum, das sein Großvater heute zum Mittagessen zubereitet hat. Immer wieder wandert sein Blick zu dem leeren Platz auf der anderen Seite des Tisches. Jedes Mal hofft ein törichter Teil seines Herzens, dass sein Liebster ihn anlächelt und ihn fragt, warum er denn so gerötete Augen hat. Doch der Stuhl bleibt natürlich leer …

»Kai, ich weiß, es ist hart, aber iss wenigstens ein paar Bissen.« Besorgt legt Ren eine Hand auf Kais Schulter. »Er würde nicht wollen, dass du vor lauter Kummer krank wirst.« Als sein Enkel nicht reagiert, seufzt Ren leise und steht auf. Er stellt sich neben Kai und nimmt ihn in den Arm. »Ich bin sicher, es geht ihm gut und er wird dir sicher schreiben, sobald es ihm möglich ist.« Auf einmal schlingen sich die Arme seines Enkels um ihn.

Kai schluchzt los: »Was ist, wenn es ihm nicht möglich ist? Wenn ihm etwas passiert ist?« Seine Stimme ist gedämpft, da er das Gesicht in Rens Oberteil vergräbt, dennoch ist die Verzweiflung deutlich zu hören. Gequält hebt er den Kopf und sieht Ren aus verweinten Augen an. »Wir würden es doch nie erfahren, wenn ihm etwas passiert ist, so wie das alles abgelaufen ist.«

Mit einem großväterlichen Lächeln streicht Ren sanft über Kais Wange. »Ich bin sicher, dass wir es erfahren würden. Denk dran, dass er dafür gesorgt hat, dass uns ein Medizimagus zur Seite steht. Denkst du nicht, dass der es erfahren würde, wenn ihm und den anderen etwas zustößt?« Obwohl auch er sich unglaubliche Sorgen um Jamon macht, lässt er seine Stimme zuversichtlich klingen.

Beschämt löst sich Kai aus Rens Armen. »Du hast bestimmt recht und ich sollte stark sein – so stark wie mein Liebster. Schließlich musste er gehen und …«

»Papperlapapp. Du hast jedes Recht zu weinen und ihn zu vermissen und dir zu wünschen, dass er wieder hier ist.« Mit sanfter Strenge sieht Ren seinen Enkel an. »Es ist alles ganz furchtbar gelaufen! Es ist eine riesige Ungerechtigkeit, was euch passiert ist, aber es lässt sich nicht ändern. Trauere, vermisse ihn, aber vergiss nicht zu leben! Stell dich in den Laden und lenke dich ab!«

Unwillkürlich schluckt Kai, als er sich auf die Lippen beißend nickt. »Ja, Großvater. Ich verspreche es dir.« Mühsam zwingt sich Kai zu einem zittrigen Lächeln. Er blickt auf seinen noch immer vollen Teller und schiebt ihn von sich. »Ich bin im Laden«, murmelt er und schlurft aus der Küche.

Verwirrt sieht Nino Kai nach. »Warum hast du das gemacht?«, wagt er vorsichtig zu fragen, vermeidet es jedoch, Ren dabei anzusehen. – So viel Mut hat er nun doch noch nicht. Als er Ren leise seufzen hört, sieht er mit gesenktem Kopf zu ihm.

»Ach, Nino … Wenn ich Kai jetzt nicht antreibe, dann verkriecht er sich in seinem Zimmer und kommt gar nicht mehr raus. Ich weiß ja, wie es ihm geht, und ich würde ihn gerne einfach trauern lassen, aber ich kenne ihn. Wenn ich ihn zu tief in das Loch fallen lasse, kommt er da kaum noch raus.« Bedrückt reibt sich Ren die Nasenwurzel. »Da ist er leider wie ich. Ich wäre damals fast im Schuldturm gelandet, weil ich mich nach Amaras Tod zu tief in das Loch habe fallen lassen. Wenn Kai nicht gewesen wäre, dann würden wir jetzt nicht hier sitzen.«

Mit großen Augen sieht Nino den alten Mann an. Er kann kaum glauben, was der starke Meister Mutsuo da sagt. Aber er wagt es nicht, weiter zu fragen. Er beißt sich auf die Lippen und sieht auf seinen Teller hinunter. Obwohl er keinen Hunger hat, isst er seine Portion auf und erhebt sich dann. »Wenn ich darf, gehe ich wieder in den Stall.«

Warm lächelt Ren den Jungen an. »Du musst nicht fragen, ob du in den Stall darfst. Geh ruhig und kümmere dich um die beiden Racker.«

Als Ren allein ist, lässt er sich müde auf seinen Stuhl sinken und starrt vor sich hin. Erst jetzt erlaubt er es sich, die Sorge, die er fühlt, auch zu zeigen. »So schlimm war es noch nie«, murmelt er vor sich hin und blickt zum Fenster, als er ein leises Klicken hört. Ein kleiner Vogel hüpft auf dem Fensterbrett auf und ab und pickt nach den ersten wenigen Insekten, die zu dieser Jahreszeit unterwegs sind. »Du hast es auch nicht leicht, kleiner Piepmatz«, schmunzelt er und steht auf. Sorgfältig wischt er ein paar Brotkrumen zusammen, und öffnet das Fenster. Natürlich fliegt der kleine Vogel weg. Mit ruhiger Hand verteilt er die Krümel auf dem Fensterbrett und schließt das Fenster wieder. Für einen Moment schließt er die Augen, ehe er sich umdreht und den Tisch abräumt.

Unterdessen hat Kai den Laden geöffnet und sieht sich an, was sein Großvater am Morgen schon alles verkauft hat. »Du hattest viel zu tun und ich lag im Bett, weil ich mich dem Tag ohne ihn nicht stellen wollte«, murmelt er schuldbewusst, als er sieht, wie viele Kunden etwas gekauft haben.

Auch wenn es ihm widerstrebt, geht er zur Tür und schließt sie auf. Nachdem er das Geöffnet-Schild umgedreht hat, blickt er zu dem Bild, das den Safe verdeckt. Bist du jetzt schon in deinem Heimatland? Oder bist du noch unterwegs nach Edo? Unwillkürlich greift er nach seiner Kette und drückt den kleinen Anhänger. »Ich werde stark sein und du auch. Davon bin ich überzeugt«, sagt er laut. Sehnsüchtig lächelnd wendet er seinen Blick von dem Bild ab und beginnt, die Stoffe in den Regalen durchzusehen.

Das Bimmeln der Türglocke lässt ihn aufsehen. »Guten Tag. Was kann ich für Sie tun, mein Herr?« Neugierig mustert er den Fremden, der einen eleganten blauen Anzug trägt und eine braune Ledertasche in der linken Hand hält.

»Guten Tag, sind Sie Kai Mutsuo?«

»Ja, das bin ich und wer sind Sie?« Misstrauisch mustert Kai den Fremden noch einmal genauer. Die grau-melierten Haare sind perfekt frisiert und die dunklen Augen erwidern seinen Blick gelassen.

»Ich bin Malik Apis. Ich bin der Medizimagus, der auf Geheiß des Hohepriesters Seimon Marukosu für Sie und Ihre Familie verantwortlich ist.« Mit ernstem Blick reicht Malik Kai die Hand. »Wie geht es Ihnen? Kann ich etwas für Sie tun?« Besorgt mustert er den blassen jungen Mann vor sich.

Im ersten Moment schüttelt Kai den Kopf, nickt dann aber. »Es wäre nett, wenn Sie nach meinem Großvater sehen könnten. Er hat Asthma und Rückenprobleme. Das feuchtkalte Wetter macht ihm dieses Jahr besonders zu schaffen.«

Ernst nickt Malik. »Gut, ich sehe ihn mir gleich an.« Dann lächelt er. »Kann ich auch etwas für dich tun, junger Mann? Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen.«

Plötzlich unsicher beißt sich Kai auf die Lippen. »Ich … wie geht es Jamon? Hast du etwas von ihm gehört?« Schon beinahe flehend sieht er den älteren Mann vor sich an, nur um gleich darauf in sich zusammen zu sacken, als dieser ernst den Kopf schüttelt.

»Ich habe nichts von ihnen gehört. Jedoch hätte ich es erfahren, wenn etwas passiert wäre.« Er legt die Hand auf Kais Schulter und drückt sie fest. »Wenn ich etwas höre, dann erfährst du es als Erster. Ich kann dir aber eins sagen: Momentan sind keine Nachrichten gute Nachrichten.« Aufmunternd lächelnd sieht er Kai in die Augen, der den Blick mit einem Schimmer der Erleichterung in den Augen erwidert.

»Danke. Ich bringe dich zu meinem Großvater. Kannst du dir auch Nino ansehen? Er ist noch nicht besonders lange bei uns und wir wüssten gern, ob er gesund ist, aber die jährlichen Untersuchungen sind erst in einem Monat.«

»Natürlich kann ich das. In Zukunft mache ich auch die jährlichen Untersuchungen.« Malik folgt Kai durch die Verbindungstür in den schwach erleuchteten Flur.

Aus der Küche sind Geräusche zu hören und als sie den angenehm warmen Raum betreten, steht Ren an der Spüle und wäscht das Geschirr.

Er mustert sie fragend aus müden alten Augen. »Kai, was ist los?« Besorgt legt Ren den Lappen zur Seite. »Ist etwas passiert?«

Kai hebt beschwichtigend die Hand. »Es ist nichts passiert, Großvater. Das ist Medizimagus Malik Apis«, stellt er den etwa fünfzigjährigen Mann neben sich vor. »Er ist dank Jamon unser erster Hausmedizimagus und ich habe ihn gebeten, dass er sich Nino und dich mal ansieht.«

Ren atmet tief ein. »Kai, mir geht es gut. Es ist nicht nötig, dass der Medizimagus seine Zeit mit mir verschwendet.« Die Arme verschränkend sieht er seinen Enkel an, der sich weigert, den Blickkontakt zu unterbrechen.

»Du wirst dich untersuchen lassen. Glaubst du wirklich, mir ist nicht aufgefallen, wie oft du in den letzten Wochen dein Asthmaspray benutzt hast? Hast du überhaupt noch welches?«

Ertappt zuckt Ren zusammen, was Malik nicht entgeht.

»Herr Mutsuo, meine Zeit verschwende ich sicher nicht. Im Gegenteil, es gehört zu meinen Aufgaben, für Ihre Gesundheit und die Ihrer Familie zu sorgen.« Mit einem freundlichen Blick tritt Malik vor und verneigt sich leicht vor Ren. »Setzen wir uns doch zu einer Tasse Tee hin und unterhalten uns ein wenig.«

Ren verengt die Augen, nickt dann aber. »Eine Tasse Tee ist immer gut.« Er wendet sich um, um frisches Wasser in den alten Topf zu gießen.

Kai atmet erleichtert auf und möchte etwas sagen, als das Bimmeln der kleinen Ladenglocke ertönt. »Wenn was ist, ich bin im Laden«, sagt er hastig und eilt davon.

Als er den Laden betritt, muss er sich ein gepeinigtes Aufstöhnen verkneifen. »Madame Aino. Was für eine Freude, Sie zu sehen. Was kann ich heute für Sie tun?« Mit größter Mühe zwingt er sich zu einem professionellen Lächeln und einem freundlichen Tonfall.

»Herr Mutsuo! Sie müssen mir unbedingt einen Samtstoff für eine neue Stola verkaufen.« Wild gestikulierend deutet Frau Aino auf die große Stoffauswahl. »Sie sind der Einzige, der weiß, was mir gefällt.«

Kai erlaubt es sich, eine Augenbraue zu heben, als er das hört, während er sich denkt, dass das ja nun wirklich keine Kunst ist. »Natürlich, Madame Aino. Schauen wir doch mal, was wir für Sie haben.« Er geht zum Regal mit den Samtstoffen und holt zwei Ballen heraus. »Ich würde Ihnen eine Kombination aus zwei Stoffen empfehlen: diesen limettengrünen Samt und dazu diesen rosenroten. Die Schneiderin soll Ihnen aus den beiden Stoffen eine schöne Stola nähen.« Abwartend sieht er seine Kundin an, gespannt, was sie zu der eher dezenten Farbkombination sagt.

»Hmmm, ich hatte eher an etwas fröhlichere Farben gedacht, aber das gefällt mir«, murmelt Frau Aino und fährt mit den Fingerspitzen über den weichen Stoff. »Ach ja, haben Sie schon gehört? Angeblich sind die Fremden, von denen ich Ihnen erzählt habe, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verschwunden. Bestimmt haben sie Dreck am Stecken und müssen sich nun aus dem Land schleichen.« Mit glänzenden Augen sieht sie Kai an und kräuselt die Lippen, als dieser keine Reaktion zeigt. »Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?«

Kai zuckt kurz zusammen. »Natürlich, Madame Aino.« Entschuldigend lächelnd, sieht er sie an und fragt sich unwillkürlich, wie ihm vorhin der Hut mit den Pfauenfedern entgehen konnte. »Nur sagen mir diese Leute nichts, also was soll ich dazu sagen?«

Empört schnaubt Frau Aino. »Herr Mutsuo. Ihre Laune ist ja heute unglaublich schlecht. Sie sollten ihrem Sklaven befehlen, sich anständig um Sie zu kümmern. Glauben Sie mir, das wirkt wahre Wunder.« Um ihre Worte zu bekräftigen, nickt sie bestimmt.

Kai hingegen muss schlucken. »Ich werde mir Ihren Rat überlegen«, erwidert er ausweichend. »Ich verlange für die beiden Ballen sechzig Silbermünzen.« Kaum hat er den Satz ausgesprochen, schlägt er sich mental gegen die Stirn. So plump hat er den Preis schon lange nicht mehr genannt.

Tatsächlich hebt die Aino pikiert eine Augenbraue an. »Soso, Sie verlangen. Ihre Laune muss ja wirklich im Keller sein. Ich zahle Ihnen fünfzig Silbermünzen.«

»Gut, ich bin einverstanden.« Stimmt Kai hastig zu und beginnt die Samtstoffe einzupacken, noch bevor die Aino sich von ihrer Überraschung erholt hat. »Gut … ähm … Herr Mutsuo«, stottert sie und beginnt die Münzen abzuzählen.

Kai weiß ganz genau, dass er viel zu schnell nachgegeben hat, als er ihrer Sklavin die in Leinen eingewickelten Stoffe übergibt und dann die Münzen in die Kasse abzählt. Schließlich begleitet er sie noch zur Tür und verabschiedet sich mit einer leichten Verbeugung von ihr.

Endlich wieder allein, lehnt er sich gegen die geschlossene Tür und atmet tief durch, ehe er zum Tresen geht und die fünfzig Münzen auf der Schiefertafel notiert.

Der Wüstensklave

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