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Kapitel 1: Ein Schritt nach dem anderen

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Obwohl es mitten in der Nacht ist, liegt Yari hellwach neben Kai. Viel zu viel geht ihm im Kopf herum, als dass er schlafen könnte. Immer wieder wandert sein Blick zum tief schlafenden Kai und er erinnert sich mit einem angenehm warmen Gefühl an die Küsse, die so unglaublich schön waren.

Mit einem Seufzen kuschelt er sich an Kai, der ihm so einladend den Rücken zukehrt, dass er ihm einfach nicht widerstehen kann. Vorsichtig legt er ihm dabei den Arm um den Oberkörper, sodass seine Hand auf Kais Bauch liegt. Er haucht ihm einen kleinen Kuss auf den Hals, ehe er sich bequem hinlegt und versucht, wenigstens noch ein paar Stunden zu schlafen. – Auch wenn er nicht wirklich daran glaubt, dass es ihm gelingen wird.

Yari ist dann doch noch eingeschlafen und wird durch ein sanftes Streicheln geweckt. Verschlafen öffnet er die Augen und blickt in Kais lächelndes Gesicht.

Murrend dreht sich Yari auf den Rücken und legt sich den linken Arm über die Augen. Am liebsten möchte er noch eine Weile weiterschlafen.

Schmunzelnd mustert Kai seinen Freund. Ausnahmsweise ist heute wohl Yari der Morgenmuffel von ihnen beiden. Langsam richtet Kai sich auf und fährt vorsichtig mit den Fingern über den Stoff, der Yaris Oberkörper bedeckt.

»Ich will noch ein wenig schlafen«, brummt Yari daraufhin, was Kai amüsiert lächeln lässt.

Da er nicht weiß wie sein Freund reagieren wird, beobachtet Kai ihn ganz genau, während er nach Yaris Arm greift und ihn sanft von dessen Gesicht zieht. »Die Sonne ist aber schon aufgegangen, mein Lieber«, sagt er leise und beobachtet, wie sich Yaris himmelblaue Augen wieder einen Spaltbreit öffnen. Das sieht so süß aus, dass er sich nicht beherrschen kann und sich vorbeugt, um seine Lippen sanft auf Yaris zu drücken.

Er bemerkt jedoch schon nach ein paar Sekunden, dass er wohl einen Fehler gemacht hat, denn Yari liegt wie erstarrt da.

Schuldbewusst richtet sich Kai wieder auf. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht …« Er weiß nicht, was er sagen soll, und senkt den Blick.

Es dauert eine ganze Weile, bis sich Yari wieder soweit beruhigt hat, dass er sich Kai zuwenden kann.

Sanft legt er ihm die immer noch zitternde Hand auf die Wange. »Ist schon gut, nur …« Yari holt tief Luft, um das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen und seine Gedanken zu ordnen. »Ich kann die Erinnerungen, und alles was damit zusammenhängt, nicht unterdrücken, wenn ich nicht ausweichen kann.«

Um seinem Sharik zu zeigen, dass er es ernst meint und das nicht nur so dahersagt, richtet Yari sich auf und drückt Kai sanft zurück auf die Matratze. In aller Ruhe beugt er sich über ihn. »Wenn ich aber weg kann oder oben liege, dann habe ich keine Probleme.« Nur Millimeter von Kais Lippen entfernt hält er einen Moment inne, ehe er ihn langsam küsst.

Mit einem leisen Seufzen erwidert Kai den sanften Kuss, wobei er sich aber gleichzeitig fragt, ob seinem Freund bewusst ist, wie zweideutig er sich da ausgedrückt hat. Als er unbewusst seine Hand hebt und sie auf Yaris Wange legt, drückt Yari sie sofort neben Kai auf die Matratze. Diese Geste steht in so einem großen Widerspruch zu den sanften Liebkosungen ihrer Lippen, dass Kai in den Kuss schmunzeln muss.

Verwirrt löst sich Yari daraufhin von ihm und sieht mit einem fragenden Blick, immer noch halb auf Kai liegend, auf ihn herunter. »Habe ich etwas falsch gemacht?« Deutlich ist seiner Stimme die Unsicherheit anzuhören.

Immer noch lächelnd schüttelt Kai den Kopf. »Nein, du hast nichts falsch gemacht. Ich bin nur glücklich. Das ist alles.« Sich nicht daran störend, dass Yari ihn immer noch festhält und auch seine andere Hand durch seinen Körper fixiert ist, legt Kai den Kopf schief. »Darf ich noch einen Kuss haben?«

Breit grinsend beugt sich Yari bei diesen Worten bis zu Kais Ohr runter. »Wenn du so fragst …« Bewusst lässt er seine Stimme tiefer als sonst klingen und ist geradezu stolz auf sich, als er spürt, wie Kai unter ihm erschauert und dann leise aufseufzt, als sich ihre Lippen wieder vereinen.

Obwohl der Kuss so unschuldig ist, spürt Kai, wie sich in seiner Hose langsam etwas zu regen beginnt. Krampfhaft versucht er, es zu ignorieren, doch dann löst er sich mit einem lauten Keuchen von Yari. »Stopp. Verdammt, wenn du so weitermachst …« Mit roten Wangen sieht er schwer atmend in das Gesicht seines Freundes.

Im ersten Moment ist Yari verwirrt, aber dann merkt er, was mit Kai los ist, und löst sofort seinen Griff um dessen Hand. Verunsichert rutscht er so weit wie möglich von ihm weg. »Es tut … mir leid. Das …«

»Du musst dich nicht entschuldigen«, unterbricht ihn Kai, während er gleichzeitig mit möglichst langsamen Bewegungen aufsteht. »Ähm, ich geh dann mal duschen.«

Kai eilt verlegen aus dem Zimmer, so gut das mit der nun etwas zu engen Unterhose möglich ist.

Verwirrt blickt Yari ihm nach und fragt sich, ob er nicht doch etwas falsch gemacht hat. Doch Kai hat nicht wütend gewirkt, sondern sehr erregt. Aber warum? Seine früheren Besitzer mussten doch dazu immer mindestens ihre Zunge in seinen Mund stecken.

Bei dem Gedanken daran will Yari vor lauter Ekel am liebsten seinen Mund ausspülen, doch dann schiebt er diese Erinnerungen entschlossen zur Seite. Das ist Vergangenheit und die soll ihm die Gegenwart nicht vermiesen.

Als sein Blick zum Fenster wandert, stellt er geschockt fest, dass es wirklich schon ziemlich spät sein muss. Zumindest ist die Sonne schon länger aufgegangen und jetzt wundert er sich auch nicht mehr darüber, dass Kai so munter war.

Weil er nicht mehr im Bett sitzen will, wenn Kai zurückkommt, steht Yari auf und geht rüber in sein Zimmer, um sich anzuziehen. Duschen kann er sowieso erst, wenn die Verbände ab sind.

Unterdessen sitzt Ren in der Küche am Tisch und trinkt grinsend seinen Tee. So schnell ist sein Enkel noch nie ins Bad gerannt – zumindest nicht am Morgen. War da etwa eine Beule in Kais Hose? Kichernd schüttelt Ren den Kopf. Zum Glück ist Rashid schon im Stall.

Die leere Tasse auf dem Tisch stehen lassend, steht Ren nach einer Weile auf und sieht nach den Brötchen, die so langsam aber sicher fertig gebacken sein sollten. Tatsächlich haben sie schon die richtige goldbraune Farbe. Vorsichtig holt er das heiße Blech aus dem Ofen und legt die Brötchen zum Auskühlen auf das bereitgestellte Gitter.

Während er den Tisch deckt und noch einmal frischen Tee aufsetzt, hört er, wie die Badezimmertür aufgeht und Kai wieder nach oben verschwindet. Ren ist gespannt, wie lange es dauert, bis nun Yari die Treppe runterkommt.

Lange muss Ren nicht warten, bis er die knarrende Treppenstufe und kurz darauf die Badezimmertür hört.

Yari steht vor dem Waschbecken und sieht sich im Spiegel an. »Verdammt, Jamon, was ist nur mit mir los? Was passiert mit mir?« Stellt er sich leise die Fragen, die ihn schon seit gestern, als er so seltsam auf Kai reagiert hatte, beschäftigen. Er würde schon gern wissen, wieso er eine so starke Wirkung auf Kai hatte. Nicht nur heute Morgen, sondern auch gestern, als er ihm ins Ohr geflüstert hatte.

Frustriert, weil er keine Antwort bekommt, fährt sich Yari mit den Händen durch die Haare, bevor er den Spiegelschrank öffnet, um wenigstens einen Teil seiner Morgentoilette zu erledigen.

Gerade als Ren mit Tischdecken fertig ist, kommen kurz nacheinander Kai und Yari in die Küche.

»Guten Morgen, ihr beiden. Na, habt ihr gut geschlafen?« Verschmitzt grinsend blickt er die beiden Jungs an.

»Guten Morgen. Ja, wir haben sehr gut geschlafen.«

Glücklich strahlt Kai seinen Großvater an, während sich Yari nur mit Mühe ein Gähnen verkneifen kann, was Ren mit einer hochgezogenen Augenbraue beobachtet.

»Hast du nicht gut geschlafen, Yari?«, fragt er besorgt.

Weil Yari weiß, dass der alte Mann keine Ruhe geben wird, bis er alles aus ihm rausgequetscht hat, erzählt er lieber gleich, wieso er nicht schlafen konnte. Dabei hofft er, dass Ren damit zufrieden ist und nicht doch noch weiter bohrt: »Ich konnte nur lange nicht einschlafen, weil mir vieles durch den Kopf gegangen ist, du musst dir keine Sorgen machen.«

Zum Glück weiß Ren Yaris Blick zu deuten, denn dieser hat immer wieder zu Kai geschielt. »Verstehe, dann solltest du vielleicht heute Abend etwas früher als sonst schlafen gehen«, meint er großväterlich und füllt die Teetassen.

Gerade, als er einem der beiden auftragen will, Rashid zu holen, kommt der große Ägypter klatschnass in die Küche.

»Guten Morgen.« Verunsichert steht Rashid da, denn er wird von drei Augenpaaren angestarrt.

Yari ist der Erste, der zum Fenster blickt und bemerkt, dass es stark regnet. Gerade als er etwas sagen will, blitzt es und nur Sekunden später springt ihm Kai beinahe in die Arme, weil dieser von dem ohrenbetäubenden Donner überrascht wird.

Sich an die Worte Rens erinnernd, dass Kai Gewitter hasst, legt Yari ihm die Arme um die Schultern und drückt ihn leicht an sich. »Das sind nur elektrische Entladungen zwischen den einzelnen Luftschichten … ab und zu auch zwischen der Luft und dem Boden«, versucht er, den nervösen Kai mit leiser Stimme zu beruhigen. »Der Donner ist nur das Geräusch, das bei dieser Entladung entsteht.«

Obwohl Yari wirklich leise spricht, wird er von Rashid und Ren gehört.

Während der alte Mann nur amüsiert den Kopf schüttelt, steht Rashid mit offenem Mund da. »Meister Ren, was sind elektrische Entladungen?« In der Hoffnung, dass Ren ihm diese Frage beantworten kann, sieht er ihn fragend an.

»Das fragst du am besten Yari. Wenn er schon mit solchen Sachen um sich wirft, dann soll er es uns auch erklären.« Auffordernd blickt er zu Yari, der immer noch Kai im Arm hält, nun jedoch rot anläuft.

Ihm war nicht bewusst, dass die anderen beiden ihn verstanden haben. Hilfesuchend senkt er den Blick zu Kai, doch der lehnt sich nur breit grinsend an ihn.

»Kai.«

»Tut mir leid, Yari, aber für dieses Wissen war ich nicht lange genug bei den Takeshis. Ich weiß, für was Elektrizität gut ist, aber mehr auch nicht. Und dass Blitze elektrische Entladungen sind, wusste ich bis jetzt auch nicht.«

In dem Jahr, in dem er bei den Takeshis gelebt hatte, wurde Kai hauptsächlich in Mathematik, Buchhaltung, Geschäftsführung und nur wenig erfolgreich in der internationalen Magi- und Herrschersprache unterrichtet – damit er für das spätere Technolimagi-Studium auch ideal vorbereitet gewesen wäre. Nur wollte er damals davon gar nichts wissen, sondern nur wieder nach Hause zu seinem Großvater. Selbst dass er dann nach nicht einmal einem Jahr sein Mathematikstudium in Edo aufgeben musste, hat er nicht eine Sekunde lang bereut.

Yari überlegt angestrengt, wie er ihnen nun verständlich das Prinzip elektrischer Entladungen erklären soll, wenn sie nicht einmal wissen, was Elektrizität ist. Schon beinahe verzweifelt sieht er sich in der Küche um, bis ihm einfällt, dass er letztens einen elektrischen Schlag bekam, als er die Türklinke angefasst hat.

»Habt ihr schon mal aus heiterem Himmel eine Art … ähm … Schlag bekommen, wenn ihr etwas angefasst habt?« Fragend sieht er in die Runde. Da sich Kai inzwischen von ihm gelöst hat und ein wenig zurückgewichen ist, verschränkt er sogar die Arme.

Als alle nicken, fällt Yari ein Stein vom Herzen, da dies die ganze Sache deutlich erleichtert. »Gut, das sind elektrische Entladungen. Und bei Blitzen ist das ungefähr genauso, nur viel größer und deutlich lauter. Und jetzt habe ich Hunger. Was haltet ihr davon, wenn wir endlich frühstücken?«, wechselt er einfach mitten im Satz das Thema, in der Hoffnung, dass die anderen – besonders Rashid, der immer noch verwirrt dreinblickt – darauf eingehen.

Zu seiner Erleichterung stimmen Kai und Ren zu, weshalb auch Rashid – ganz so, wie es sich für einen guten Sklaven gehört – zustimmend nickt.

Nach dem Frühstück, das zu Yaris Erleichterung schweigend verlaufen ist, lässt er sich von Ren die Verbände abmachen, damit er unter die Dusche kann. Erleichtert stellt er fest, dass die Salbe wohl wirklich sehr gut ist, sehen die Wunden doch schon deutlich besser als gestern aus. Wenn Großvater recht hat, dann braucht er die Verbände schon in ein paar Tagen nicht mehr.

Als Yari unter der Dusche steht und das warme Wasser über seinen Körper laufen lässt, schließt er die Augen. Nur ganz leicht berührt er mit den Fingerspitzen seine Lippen, während er versucht, sich an seine Gefühle zu erinnern, als Kai und er sich geküsst haben. Vor seinen inneren Augen erscheint das Gesicht seines Shariks und ein angenehm warmes Kribbeln breitet sich in Yari aus. Er lässt die andere Hand langsam an seinem Oberkörper nach unten gleiten und stellt sich vor, dass es Kais Hand ist. Er will wissen, was daran so toll ist, wenn man an eine andere Person denkt, während man sich selbst befriedigt und wie sich das überhaupt anfühlt.

Doch als seine Hand zwischen seinen Beinen ankommt, wird er von Panik und Ekel überrollt. Mit einem unterdrückten Schrei lässt er sich auf die Knie sinken und umschlingt sich schluchzend mit seinen Armen. Sogar das haben ihm diese Scheißkerle genommen. Dabei weiß er, dass er vor seiner Versklavung problemlos Hand an sich gelegt hat, nur kann er sich nicht mehr daran erinnern, was er dabei fühlte.

Erst nachdem er sich wieder so weit unter Kontrolle hat, dass man ihm seine Enttäuschung und Wut nicht mehr ansieht, steigt Yari aus der Dusche und trocknet sich mit heftigen Bewegungen ab.

Ren hat den unterdrückten Schrei gehört, aber den Impuls, ins Bad zu gehen, unterdrückt. Deswegen ist er erleichtert, als Yari ohne weitere Blessuren in die Küche kommt. Er will ihn fragen, was denn los war, aber ein Blick in dessen enttäuschtes und wütendes Gesicht lässt ihn die Frage herunterschlucken. »Bist du fertig? Kann ich deine Hände wieder verbinden?«

Auch wenn es ihm nicht gefällt, dass Yari ihm nur stumm nickend die Hände entgegenstreckt, akzeptiert er es. Behutsam, um ihm nicht aus Versehen Schmerzen zuzufügen, verteilt Ren die Salbe auf den Wunden und fragt sich erneut, wie stark Yari wohl auf die Wand eingeschlagen haben muss, dass die Haut so sehr aufreißen konnte.

Stumm lässt Yari das Verbinden seiner Hände über sich ergehen. Zu sehr ist er immer noch in seiner Wut gefangen. Als Ren jedoch die Hand auf seine Schulter legt, sieht er den alten Mann direkt an. »Es geht mir gut«, sagt er. »Danke fürs Verarzten.« Yari versucht sich sogar an einem Lächeln, als er Ren ansieht, bevor er zur Tür geht. »Wenn was ist, ich bin im Lager.«

Während sich Ren ans Keksebacken macht und Kai sich im Laden mit der Kundschaft herumschlägt, weswegen er nicht dazu kommt, die Buchhaltung von Aja zu kontrollieren, findet Yari im Lager in der hintersten Ecke eine große alte Schiefertafel, die in graues Leinen eingepackt ist. Erfreut stellt er fest, dass sie wohl zu den Haken gehört, die er an der Wand neben der Tür gesehen hat und hängt sie auf.

Zufrieden begutachtet er die dunkelgraue Fläche und überlegt schon, wie er später die Lagerplätze und die Stoffarten darauf notieren wird. Nur wird er dafür entweder die Hilfe von Großvater oder Kai brauchen, da es für ihn unverständlich ist, wie die verschiedenen Farben heißen. Dabei wäre es doch so einfach, wenn zum Beispiel Grün einfach Grün wäre. Aber nein, da gibt es Grasgrün, Mintgrün, Olivgrün …

Als Ren ruft, dass das Mittagessen auf dem Tisch steht, ist Yari beinahe fertig und muss nur noch das letzte Regal mit den Leinenstoffen ordnen und dann alles auf der Tafel eintragen.

Zufrieden mit dem, was er geschafft hat, geht er in die Küche, wo es nach Kartoffelsuppe und auch nach Keksen duftet. Mit einem beinahe kindlichen Gesichtsausdruck nimmt er sich, ohne zu fragen, einen der Kekse.

»Yari! Lass die Finger von den Keksen! Die sind für später.«

Schuldbewusst senkt dieser den Kopf. »Entschuldige, Großvater. Aber sie duften so …«

Yari und Süßes, das ist einfach unglaublich, denkt Ren und schüttelt den Kopf. Zum Glück hat er den Kakao und die Pralinen in seinem Zimmer gut versteckt. »Das ist ja schön und gut, dass du die Kekse lecker findest, aber trotzdem gibt es sie erst nach dem Essen.« Streng sieht er den jungen Mann an, der ihn gerade mehr an ein Kind erinnert als an einen Erwachsenen.

Als er den Topf mit der Kartoffelsuppe auf den Tisch stellt, ist Yari mit Schmollen fertig und füllt die Becher mit Wasser auf.

Da betreten auch Kai und Rashid beinahe gleichzeitig die Küche, was Yari kurz die Augenbrauen zusammenziehen lässt. Allerdings kommt er gar nicht dazu, etwas zu sagen oder auch nur zu murren, denn Kai kommt schnurstracks auf ihn zu und gibt ihm einen schnellen Kuss, bevor er zu seinem Platz geht. Das geht so schnell, dass Yari gar nicht reagieren kann und Kai nur verdutzt hinterher blickt. Dabei vergisst er vollkommen, dass Rashid zusammen mit Kai in die Küche kam.

Erstaunt beobachtet Rashid, wie Meister Kai mit Yari umgeht und dass dieser davon wohl so überrumpelt worden ist, dass er Rashid nun vollkommen ignoriert. Das kann Rashid auch ganz recht sein, denn die bösen Blicke der letzten Tage waren ihm nicht mehr wirklich geheuer. Besonders, weil er extra versucht hatte, Meister Kai aus dem Weg zu gehen. Während er seine Suppe isst, fragt er sich, was zwischen den beiden vorgefallen ist, dass sie nun so anders miteinander umgehen, irgendwie sanfter.

Nach dem Essen stellt Ren zu Yaris Freude die Kekse auf den Tisch. Nur mit Mühe kann Yari sich beherrschen, dass er nicht gleich wieder zugreift, aber als er den mahnenden Blick des alten Mannes sieht, wartet er so lange, bis sich auch Rashid einen Keks genommen hat, erst dann schnappt er sich einen der köstlichen Nusskekse und beißt genüsslich hinein.

Während er am Kauen ist, fällt ihm ein, dass er ja noch etwas fragen wollte: »Kai, Großvater …« Kurz wartet er ab, bis ihn die beiden ansehen. »Ich bräuchte nachher Hilfe von einem von euch beiden. Ich habe eine Schiefertafel gefunden und will da die verschiedenen Stoffe und ihren Lagerort draufschreiben. Nur kann ich mir nicht merken, wie all diese Farben heißen.«

Grinsend nickt Kai, hat er doch schon vor einiger Zeit gemerkt, dass Yari für Farbenbezeichnungen überhaupt kein Talent hat. »Wenn Großvater den Laden übernehmen kann, kann ich dir später helfen und vorher vielleicht noch die Buchhaltung von Aja kontrollieren, dann kann ich sie ihr morgen Nachmittag zurückbringen, wenn ich bei Naoko Fuku neues Verpackungsleinen hole.« Fragend sieht er zu seinem Großvater.

Einen Moment denkt Ren nach, dann meint er: »Ich habe nichts geplant. Wenn Yari und Rashid die Küche aufräumen, gehe ich gleich nach vorn und öffne den Laden. Allerdings möchte ich vorher noch kurz mit dir reden.«

Als alle drei nicken, muss Ren schmunzeln. Yari hat gar nicht bemerkt, dass er gerade zugestimmt hat, mit Rashid allein in einem Raum zu sein.

Ren steht auf, sieht seinen Enkel auffordernd an und geht vor. Er möchte mit Kai über Yaris Verhalten am Morgen sprechen.

Rashid spült das Geschirr ab, während Yari in einigem Abstand neben ihm steht und die sauberen Teller abtrocknet. Dabei achtet er immer unbewusst auf die Körpersprache des großen Ägypters. Auch wenn er vom Verstand her weiß, dass ihm der andere nichts tun wird, kann er das leise Gefühl der Angst nicht komplett ignorieren, zu sehr haben ihn die Erlebnisse bei den Shinzo-Brüdern geprägt.

Er ist ziemlich erleichtert, als er endlich auch den Suppentopf abgetrocknet an seinem üblichen Platz verstauen kann. Doch Yari will noch wissen, wie es seinen beiden Lieblingen geht: »Rashid, wie läuft es eigentlich mit Blacky und Rocky?«

Erstaunt, dass die Frage erst jetzt und dazu noch in einem normalen Tonfall kommt, sieht Rashid von der Spüle auf, die er gerade mit dem Lappen auswischt. Deutlich kann er erkennen, dass sich Yari allein mit ihm immer noch nicht wirklich wohl fühlt, aber das ist nach dem, was er inzwischen weiß, ja auch kein Wunder. »Es geht sehr gut mit den beiden. Da du mir ja so genau gesagt hast, auf was ich bei ihnen achten muss, läuft es wirklich ohne Probleme ab. Du musst dir also keine Sorgen machen.« Gelassen lehnt er mit dem Rücken an der Arbeitsplatte und sieht aus dem Fenster. »Ich bin wirklich froh, dass ich mich um die beiden kümmern kann. So ist die Trennung von Merlin und Cheyenne für mich etwas leichter zu ertragen und die Zeit, bis Meister Yusaku wieder zurückkommt, vergeht auch schneller.« Sein Ton klingt beinahe abwesend, da er in Gedanken bei den beiden Pferden und seinem Zuhause ist.

Als Yari Rashid so sieht, bekommt er beinahe ein schlechtes Gewissen, weil er sich dem anderen gegenüber so abweisend benommen hat. Beschämt senkt er den Blick und weiß nicht, wie er sich nun verhalten soll. »Also … ich bin dann mal im Lager. Wenn was ist, dann weißt du ja, wo du mich findest.«

Unsicher schielt er zu Rashid, ob dieser ihm noch etwas sagen will. Als der andere nur abwesend nickt, flüchtet Yari schon beinahe aus der Küche.

Im Lager angekommen lehnt er sich neben der Tür an die Wand und atmet erst einmal tief durch, bevor er sich dem letzten Regal zuwendet, das er noch sortieren muss.

Kurze Zeit später kommt dann auch Kai mit dem Beutel, in dem er immer noch die Buchhaltungsunterlagen von Aja aufbewahrt, und sieht sich an, was Yari da seit gestern gemacht hat. Überrascht, wie nun alles sortiert ist, blickt er zu Yari, der ihn noch gar nicht bemerkt hat. So konzentriert wie dieser gerade die Leinenballen am Einräumen ist, wundert sich Kai auch nicht darüber und setzt sich leise an den Tisch, um die Buchhaltung zu kontrollieren.

Yari bemerkt Kai wirklich erst, als er sich, zufrieden mit seiner Sortierung, umdreht. Leise geht er zu der Schiefertafel und beginnt, diese in sechs Bereiche aufzuteilen, die er mit Baumwolle, Wolle, Seide, Leinen, Leder/Tücher und Sonstiges beschriftet. Dann schreibt er die Lagerfächer unter die entsprechenden Titel. Leider kann er ab jetzt nicht alleine weitermachen, also geht er zu Kai und lehnt sich still neben ihm an den Tisch.

Geduldig wartet er ab, bis sich Kai erleichtert zurücklehnt und ihn zufrieden angrinst. »Ich habe den Fehler gefunden. Aja hat zwanzig Silbermünzen zu viel, weil sie die Silbermünzen, die sie für das Nähen von zwei Sklaventuniken bekommen hat, aus Versehen bei den Ausgaben eingetragen hat.« Kopfschüttelnd schließt er das schwarze Notizbuch und das große Buchhaltungsbuch. »Das ist ihr nicht zum ersten Mal passiert und dafür habe ich nun eine gefühlte Ewigkeit gebraucht. Dabei hätte sie da auch selbst drauf kommen können.«

Den leichten Ärger über diesen blöden Fehler zur Seite schiebend, steht Kai auf und sieht seinen schweigenden, aber lächelnden Freund erwartungsvoll an. »Also, was muss ich machen, Chef?«

Schmunzelnd deutet Yari zu den Regalen. »Du sagst mir die Regalbezeichnungen und die Farbe des Stoffes und ich schreibe die Farbe dann bei dem entsprechenden Fach auf die Tafel.«

Kai geht zum ersten Regal: »Also, A eins ist aquamarinblau.«

Yari schreibt die Farbe auf. »Okay.«

Es dauert nicht lange, bis Yari alles ausgefüllt hat. Er legt die Kreide erfreut an ihren Platz und geht zum Tisch, wo er sich mit Schwung auf die Tischplatte setzt. Zufrieden blickt er sich in dem ordentlichen Lager um, das gestern noch so chaotisch sortiert war, dass sich nur Kai darin zurechtfand.

»Ich muss zugeben, dass ich es komplett anders gemacht hätte«, sagt Kai, »aber deine Lösung ist um einiges einfacher, übersichtlicher und zusammen mit der Schiefertafel geradezu genial.« Schmunzelnd sieht er, wie Yari bei dem Lob rote Wangen bekommt und verlegen etwas vor sich hinmurmelt, was sich so ähnlich wie Danke anhört.

»Du, Yari«, beginnt Kai nach einer Weile, »Großvater meinte, dass du heute Morgen nach dem Duschen sehr abwesend und bedrückt gewirkt hast. Ich muss zugeben, dass du wirklich so wirkst, als würde dich etwas beschäftigen. Willst du vielleicht mit mir darüber reden?« Obwohl Kai es wie eine Frage formuliert, ist deutlich herauszuhören, dass es mehr eine Aufforderung ist.

Yari will eigentlich nicht darüber reden und dreht den Kopf zur Seite. Als sich Kai dann aber direkt vor ihn stellt und ihn mit einer Hand auf der Wange sanft dazu zwingt ihn anzusehen, erwidert er dessen besorgten Blick.

»Yari, was war los? Habe ich etwas falsch gemacht?«

Erschrocken über diese Vermutung sieht Yari in Kais Augen. »Nein, du hast nichts falsch gemacht. Es ist nur …« Verlegen senkt er den Blick.

»Was ist nur?«, möchte Kai mit sanfter Stimme wissen.

Yari holt tief Luft und erwidert Kais Blick. »Ich war neugierig und hab versucht, mich unter der Dusche …«

Da Kai ahnt, was Yari ihm da gerade zu sagen versucht, will er ihn schon grinsend fragen, ob es gut gewesen sei, als er dann aber den Ausdruck in Yaris Augen sieht, verschlägt es ihm beinahe die Sprache. »Was ist passiert?« Innerlich betet Kai, dass es nicht das ist, was er befürchtet.

Nur mit Mühe kann Yari verhindern, dass die Tränen laufen. Er will nicht schon wieder vor Kai zusammenbrechen. »Es war am Anfang schön, aber dann … wollte ich mich richtig anfassen und habe … nur noch Ekel und Panik gespürt.« Seine Stimme zittert so stark, dass Kai ihn kaum verstehen kann.

Kais schlimmsten Befürchtungen werden bestätigt. Yaris Seele ist viel mehr verletzt, als er es gedacht hat. Seine Gefühle zur Seite schiebend, sieht Kai ihm fest in die Augen. Mitleid ist das Letzte, was sein Freund jetzt braucht.

»Yari, das bedeutet nur, dass du noch nicht so weit bist.« Als er den erstaunten Ausdruck in Yaris Gesicht erkennt, versucht er, seine Gedanken in Worte zu fassen. Vorsichtig stellt er sich etwas dichter vor Yari. »Du musst dir mehr Zeit lassen, auch wenn es dir nicht gefällt. Du hast erst gestern herausgefunden, dass Küsse schön sein können.« Weil Yari etwas sagen will, legt er ihm den Finger auf die Lippen. »Ich weiß, es ist frustrierend, aber überlege doch mal, wie du noch vor vier Monaten gewesen bist. Da konnte ich dich nicht einmal berühren, geschweige denn umarmen, ohne dass du panisch zurückgewichen bist. Auf dem Markt, da warst du so gut wie gebrochen, hattest dich beinahe selbst komplett verloren und wolltest nur noch sterben. Und jetzt schau mal, wie du jetzt bist. Ich kann dich berühren, dich umarmen, wir schlafen in einem Bett und so wie ich das sehe, gefällt es dir. Du veränderst dich, findest wieder zu dir selbst, auch wenn das bedeutet, dass du dich im Moment vermutlich manchmal selbst nicht mehr erkennst oder dich auch selbst überforderst und das Gefühl hast, dass du gegen dich selbst kämpfst.«

Um seinem Freund etwas Zeit zu geben, das Gehörte zu verarbeiten, schweigt Kai eine Weile, bevor er sanft fortfährt: »Ich bin sicher, wenn du dir die Zeit lässt, die du brauchst, dann wirst du irgendwann auch die Selbstbefriedigung oder vielleicht sogar noch mehr genießen können. Nur musst du akzeptieren, dass du immer nur einen Schritt auf einmal machen kannst und nicht gleich zehn.«

Da Yari immer noch schweigt, holt Kai tief Luft. »Du musst diesen Weg nicht alleine gehen. Ich bin da, an deiner Seite. Und wenn du willst, helfe ich dir, soweit ich kann.«

»Willst du damit sagen, dass ich vielleicht irgendwann …«

»Ja, das meine ich«, unterbricht ihn Kai lächelnd. »Und du machst jetzt gerade einen weiteren Schritt.« Als er das ratlose Gesicht seines Freundes sieht, wird Kai bewusst, dass diesem gar nicht klar ist, in was für einer Position sie sich gerade befinden. »Schau mal, wo ich meine Hände habe und wo ich stehe.«

Erst als Kai dies sagt, bemerkt Yari, dass Kai genau zwischen seinen gespreizten Beinen steht, während er selbst immer noch auf dem Tisch sitzt. Zudem liegen Kais Hände auf seinen Hüften, sodass er ihn jederzeit nach vorne ziehen könnte. Unwillkürlich verspannt er sich und beginnt hektischer zu atmen. – Er ist Kai ausgeliefert und kann nicht weg!

Kai kann die aufkommende Panik sehen und die plötzlich angespannten Muskeln spüren. »Entspann dich. Ich stehe nur da und habe meine Hände ganz ruhig auf deinen Hüften. Mehr mache ich nicht, das verspreche ich dir. Und jetzt sieh mich an und atme ganz ruhig ein und aus.«

Einen Moment lang schließt Yari die Augen, ehe er sie wieder öffnet und direkt in Kais lächelndes Gesicht blickt. Bewusst versucht er auf seine Atmung zu achten und da Kai wirklich ganz still dasteht und nichts weiter tut, als ihn anzusehen und zu lächeln, schafft Yari es nach einer gefühlten Ewigkeit tatsächlich, die Panik zu unterdrücken.

Fix und fertig legt er schließlich den Kopf an Kais Schulter und schlingt die Arme um ihn.

Erst jetzt bewegt Kai sich und erwidert sanft die Umarmung.

Der Wüstensklave

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