Читать книгу Der Wüstensklave - J. D. Möckli - Страница 4
Kapitel 1: Abfahrt nach Edo
ОглавлениеMitten in der Nacht steigt Yari vorsichtig aus dem Bett und schleicht zitternd zu dem Tisch am Fenster. Mit einem Blick zu Kai versichert er sich, dass dieser noch tief und fest schläft, weshalb er möglichst leise auf die Tischplatte klettert, damit er sich bequem am Fensterrahmen anlehnen kann.
Ein Bein angezogen sitzt er da und blickt in Gedanken versunken hinaus. Morgen früh werden sie nach Edo aufbrechen, aber das ist es nicht, was ihn beschäftigt, sondern der Traum, den er gehabt hat und der sich bei genauerer Betrachtung wie eine verloren geglaubte Erinnerung anfühlt.
Nach einer Weile spürt er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter.
»Yari, was ist los? Warum sitzt du hier im Dunkeln?« Gähnend setzt sich Kai so neben ihn, dass sie sich ansehen können.
Lächelnd greift Yari nach der Hand seines Shariks. »Es ist nichts. Ich hatte nur einen seltsamen Traum, das ist alles.« Unbewusst spielt er mit Kais Fingern, was diesem überdeutlich verrät, dass da mehr ist.
Yari hat in den letzten Tagen öfters als sonst Erinnerungsfetzen zurückbekommen und je nachdem, wie heftig diese waren, hat er mit Nervosität reagiert. – So wie jetzt. Doch Kai weiß nicht, an was sich Yari erinnert hat, denn darüber wollte er bis jetzt nicht mit ihm sprechen. Nur die Körpersprache seines Liebsten und vereinzelte Andeutungen haben es ihm verraten.
»Yari, was hast du denn geträumt?« Beruhigend lächelnd legt er ihm die Hand auf die Wange.
Yari senkt den Blick. »Ich weiß nicht … ich will dich nicht verletzen.« Seine Stimme ist so leise, dass ihn Kai kaum verstehen kann.
Dieser legt seine Hand unter Yaris Kinn und zwingt ihn so sanft dazu, den Blick wieder zu heben. »Du kannst mir alles sagen, egal was es ist. Wenn es eine Erinnerung war, dann kann sie mich sowieso nicht verletzen, denn wir alle haben eine Vergangenheit, die wir nicht ändern können und die uns geformt hat.«
Zweifelnd sieht Yari in Kais Augen und findet darin nur Ehrlichkeit. »Ich … war vielleicht siebzehn Jahre alt. Damals habe ich mich gern in den Discos des einfachen Volkes rumgetrieben und habe … nun ja, die ein oder andere Erfahrung gemacht.«
Neugierig beugt sich Kai noch ein wenig vor. »Mit Disco meinst du eine Tanzbar? Kommt man da nicht erst ab achtzehn Jahren rein?« Natürlich kann er sich denken, was Yari angestellt hat, um trotzdem reinzukommen, er selbst hat mit sechzehn das Gleiche gemacht.
Yari nickt. »Ja, eine Tanzbar. Wie ich da reingekommen bin?« Nun grinst er schelmisch. »Die Ausweise sind leicht zu fälschen. Ich habe mir einfach einen am Computer ausgedruckt und dabei das Alter ein wenig nach oben korrigiert.«
Kai kippt beinahe hinten über. »Sag mal, Yari, an was erinnerst du dich schon alles?« Mit weit aufgerissenen Augen sieht er seinen Liebsten an, der nur unschuldig die Schultern anhebt.
»An nichts, was mir verraten würde, wer ich einst war. Dafür aber immer mehr an Banalitäten. Gerade diese Discosache verfolgt mich in letzter Zeit immer häufiger darum weiß ich auch, wie ich da reingekommen bin. Willst du jetzt wissen, was ich geträumt habe, oder nicht?«
»Entschuldige, es hat mich nur überrascht, wie genau du Bescheid weißt. Also: Was hast du geträumt, dass du Angst hast, mich damit zu verletzen?« Er grinst seinen Liebsten schief an und hofft, dass dieser keine genauere Erklärung für sein Verhalten haben will.
Doch er hat Glück, denn Yari ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass er sich über die Reaktion seines Shariks wundern würde. »Na ja, bis jetzt war ja alles, woran ich mich erinnert habe, relativ harmlos. Etwas tanzen, trinken und so Sachen eben. Du weißt schon.« Erst, als Kai nickt, spricht er nach einem tiefen Atemzug weiter. »Heute war es aber mehr. Ich habe mich daran erinnert, wie ich mit einem Mann in ein Nebenzimmer verschwunden bin, und dann haben wir uns gegenseitig mit den Händen und er mich auch noch mit dem Mund befriedigt.« Die letzten Worte sind nur noch undeutlich zu verstehen, weil er sich die Faust an die Lippen presst.
Kai weiß nicht, ob er erleichtert sein soll, dass Yari vor seiner Versklavung schon Erfahrungen gesammelt hat, oder ob er jetzt doch eifersüchtig auf den Unbekannten ist. Trotz seiner widerstreitenden Gefühle greift er ruhig nach Yaris Faust und zieht sie sanft zu sich heran. »Was hast du denn gefühlt, als du dich daran erinnert hast? Oder anders gefragt: Weißt du schon, wie du dich damals gefühlt hast?« Beruhigend streichelt er die immer noch geballte Faust, während er darauf wartet, dass Yari weiterredet.
Erstaunt, dass Kai offenbar wirklich nicht sauer oder enttäuscht ist, weil er mit einem anderen all das gemacht hat, was er ihm zu größten Teilen immer noch verweigert, braucht Yari ziemlich lange, bis er die Fragen ehrlich beantworten kann: »Damals hat es sich gut angefühlt, obwohl ich den Mann gerade erst getroffen hatte. Er war ein klassischer One-Night-Stand, auch wenn wir nicht bis zum Äußersten gegangen sind … denn mein richtiges erstes Mal wollte ich damals schon mit einer Person erleben, für die ich echte Gefühle empfinde.« Bitter lacht Yari kurz auf. »Ich war so naiv und nein, ich weiß noch nicht, mit wem ich dann das erste Mal richtig geschlafen habe.« Einen Moment schweigt Yari. »Was ich heute Nacht gefühlt habe? Ich bin immer noch verwirrt und irgendwie würde ich mich am liebsten unter die heiße Dusche stellen, bis der Ekel nachlässt – aber was bringt es jetzt noch? Das ist vor langer Zeit und … freiwillig passiert.«
Dem Blick seines Shariks ausweichend, sieht Yari auf ihre ineinander verschlungenen Hände. Er fühlt sich noch nicht dazu bereit, sich Kais Enttäuschung zu stellen.
Kais Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Gern würde er etwas sagen, nur weiß er beim besten Willen nicht was. Er spürt jedoch deutlich, dass er irgendetwas tun muss, deshalb handelt er rein instinktiv und hebt lächelnd Yaris Kinn. Er beugt sich zu ihm vor, bis er fast seine Lippen berührt. Mit all der Liebe, die er fühlt, sieht er in die verwirrten himmelblauen Augen seines Freundes. »Ich freue mich, dass du es mir erzählt hast.« Mit diesen Worten überbrückt er die letzten Zentimeter und legt seinen Mund hauchzart auf Yaris.
Als er sich wieder von ihm löst, lässt er seine Hand in dessen Nacken gleiten, wo er ihn sanft krault. »Weißt du, es freut mich, dass der Missbrauch von diesen Mistkerlen nicht deine erste sexuelle Erfahrung gewesen ist.«
Yari kann kaum glauben, was er da hört. »Du bist also nicht sauer, weil ich mit einem Fremden intim geworden bin und dich jetzt immer wieder von mir wegstoße, wenn du mich berühren willst, während du dich in meinen Armen selbst befriedigst?« Unsicher sieht er Kai an, der immer noch lächelnd den Kopf schüttelt.
»Ich bin nicht sauer. Dir ist in den letzten Jahren so viel angetan worden, da wäre es ein Wunder, wenn du dich immer noch so verhalten würdest, wie damals, als du siebzehn Jahre alt warst. Irgendwann wirst du sicher auch dafür bereit sein, mich anzufassen oder dich von mir befriedigen zu lassen, nur darfst du dich zu nichts zwingen, sondern musst dir die Zeit lassen, die du brauchst. Ich bin schon so glücklich über das, was du mir in den letzten Tagen und Wochen geschenkt hast.«
Weil Yari nun wie erstarrt scheint, zieht ihn Kai in eine lockere Umarmung.
Auf einmal weicht jede Anspannung aus seinem Liebsten. Aufschluchzend schlingt Yari seine Arme um Kai und lässt sich einfach nur fallen. So vieles hat sich in den letzten Tagen in ihm angestaut, als die Erinnerungen anfingen zurückzukehren. Zwar hat er ab und zu Halt bei seinem Sharik gesucht, wenn er vollkommen überfordert war, aber wirklich etwas gesagt hat er nie und Kai war so rücksichtsvoll, trotz seiner Neugier nie nachzufragen.
Es dauert eine ganze Weile, bis Yari sich wieder einigermaßen gefangen hat. »Entschuldige, aber irgendwie war das jetzt ein bisschen viel auf einmal.« Schief lächelt er Kai an, der ihn voller Verständnis ansieht und ihm die Strähne aus dem Gesicht streicht.
»Du musst dich nicht entschuldigen. Es ist nur logisch, dass du irgendwann zusammenbrichst, wenn du immer alles in dich reinfrisst.«
Verlegen senkt Yari den Blick. »Ich war so unsicher, wie ich mich verhalten soll, aber es tut gut, dass du jetzt Bescheid weißt.« Nun ist es Yari, der seine Hände auf Kais Wangen legt und ihm einen zarten Kuss auf die Lippen haucht, ehe er ihn zittrig anlächelt. »Ich …«
Ein Finger auf seinen Lippen lässt ihn verstummen. »Du musst nichts sagen.« Sanft greift Kai nach Yaris Hand. »Na komm, lass uns wieder ins Bett gehen. Wir haben morgen einen langen und anstrengenden Tag vor uns.«
Als Yari leicht nickt, rutscht Kai vom Tisch. Yari folgt ihm nach einem Moment und kuschelt sich dann im Bett an ihn.
Erst jetzt bemerkt Yari, wie müde er eigentlich ist. Kaum liegt er sicher in Kais Armen, werden ihm die Augenlider immer schwerer und kurz darauf ist er auch schon eingeschlafen.
Ausnahmsweise wacht Kai auf, als die Sonne gerade aufgeht und langsam die Schwärze der Nacht vertreibt. Gähnend setzt er sich und streckt ausgiebig seine Glieder. Zu seiner Überraschung lässt sich Yari davon nicht stören, sondern schläft einfach seelenruhig weiter.
Die Hand schon nach ihm ausstreckend, hält Kai inne und zieht sie dann zurück, hat er doch erst vorgestern die Erfahrung machen dürfen, dass Yari ziemlich heftig reagieren kann, wenn man ihn aufweckt. Das will er weder sich noch seinem Liebsten noch mal antun.
Möglichst leise steigt Kai deshalb aus dem Bett und schnappt sich seine Kleidung, ehe er auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schleicht.
Im Bad geht Kai erst mal heiß duschen. Seufzend lässt er das Wasser über seinen Körper fließen und greift nach der Seife. Seit er sich in Yaris Armen selbst befriedigt, fühlt er sich viel entspannter und auch der Druck in seinem Inneren ist auf ein erträgliches Maß zurückgegangen. Dabei ist ihm zuvor gar nicht bewusst gewesen, unter was für einer Anspannung er gestanden hatte.
Als Kai aus der Wanne steigt, wickelt er sich in das große Badetuch und stellt sich vors Waschbecken. Sich im Spiegel lächelnd ansehend, fährt er nun mit seinen Fingerspitzen über den Knutschfleck, der gestern Abend von Yari ein wenig aufgefrischt worden ist. Obwohl die Verfärbung gar keine Chance hat zu verblassen, wurde die Stelle doch in den letzten beiden Wochen beinahe jeden Tag von seinem Liebsten mit den Lippen bearbeitet.
Nachdem er sich wieder angezogen hat, geht Kai zurück ins Schlafzimmer, wo sich Yari gerade verschlafen aufsetzt und ihn verwirrt ansieht.
Über den seltenen Anblick schmunzelnd legt Kai seine Schlafshorts in den Wäschekorb, ehe er zu seinem Liebsten geht und ihm einen sanften Kuss auf die Lippen haucht. »Guten Morgen. Lass dir Zeit zum Wachwerden, ich gebe den Pferden schon mal ihr Heu und dann kannst du ja den Rest übernehmen, wenn du geduscht hast.«
Ihm über die Wange streichelnd steht Kai lächelnd auf und geht, mit einem letzten liebevollen Blick, aus dem Zimmer, um wie versprochen die Pferde zu füttern und ihnen eine Extraportion Hafer zu geben. Die beiden haben zwei anstrengende Tage vor sich.
Als Kai weg ist, lässt sich Yari noch einmal in die Kissen fallen und greift nach Osis, der seit dem Besuch von diesem elenden Tobira einen Platz in ihrem gemeinsamen Bett gefunden hat und dort über ihren Schlaf wacht. »Ich würde dich ja gern mitnehmen, aber das Risiko ist mir zu groß, dass ich auch dich verliere, so wie ich wohl deinen Vorgänger verloren habe.« Kurz drückt er den Drachen an seine Brust, bevor er ihn wieder auf seinen Platz links vom Kopfkissen setzt.
Zwar ist es ihm nicht wirklich recht, dass Kai die Pferde füttert, aber da er das jetzt sowieso nicht mehr ändern kann, steht Yari in aller Ruhe auf und holt sich seine Kleidung, die er am Abend zuvor auf seine gepackte Tasche gelegt hat. Mit dem Kleiderbündel auf dem Arm geht er nach unten ins Badezimmer.
Bevor er unter die Dusche steigt, sieht er sich im Spiegel an. Nachdenklich mustert er sein Gesicht. »Irgendwann werde ich es sein, der Kai all das geben kann, was er sich wünscht, aber noch bin ich nicht soweit. Verdammt, dabei will ein Teil von mir doch jetzt schon so viel mehr, als Kai nur in den Armen zu halten.« Über sich selbst den Kopf schüttelnd, weil er immer noch diesen Zwiespalt in sich spürt, wendet sich Yari vom Spiegel ab, um endlich zu duschen und so den letzten Rest der Nacht aus seinem Körper zu waschen.
Während Yari im Bad ist, hat Kai die Pferde gefüttert, getränkt und ist jetzt dabei, in der Küche seinen ersten Tee zu trinken. »Yari erinnert sich an immer mehr aus seiner Vergangenheit. So wie es aussieht, hat er sich als Jugendlicher oft in Tanzbars herumgetrieben und das mit einem gefälschten Ausweis.« Grinsend sieht er seinen Großvater an, der schmunzelnd den Kopf schüttelt.
»Also so wie du auch. Ich kann mich nämlich noch gut daran erinnern, dass ich mal einen gefälschten Ausweis in deiner Hosentasche gefunden habe und mir mehr als einmal anhören durfte, dass du in der Tanzbar Gakusei gesehen worden bist.« Als er von Kai geschockt angesehen wird, kann sich Ren ein kurzes Lachen nicht verkneifen, bevor er seinen Enkel ernst anblickt. »Hast du etwa geglaubt, dass ich nicht gewusst habe, dass du dich nachts rausgeschlichen hast, um tanzen zu gehen? Bevorzugt in den Nächten, in denen diese sogenannten geheimen Schwulennächte stattfanden?«
Mit hochrotem Kopf wird Kai auf seinem Stuhl immer kleiner, bis er beinahe unter dem Tisch verschwunden ist. »Das ist so peinlich.«
Kopfschüttelnd lässt Ren seinen Enkel in Ruhe und konzentriert sich wieder auf den Proviant für die zweitägige Reise. Denn auch wenn die beiden in einem Gasthof übernachten werden, wenn es wie geplant läuft, packt er den Jungs lieber genug ein, dass sie nicht darauf angewiesen sind, ihre Vorräte unterwegs aufzustocken.
Kai sitzt immer noch wie ein Häuflein Elend auf seinem Stuhl, als Yari in die Küche kommt. »Guten Morgen, Großvater.« Erstaunt mustert er seinen Sharik, der immer noch gerötete Wangen hat. »Was ist denn mit dir los?«
Kai schlägt sich die Hände vors Gesicht und schüttelt nur den Kopf.
»Ach, ich habe ihm nur gesagt, dass ich schon damals wusste, dass er sich mit sechzehn nachts aus dem Haus geschlichen hat, um in Bars zu gehen, und das bevorzugt, wenn die geheimen Schwulennächte stattfanden«, antwortet Ren schmunzelnd.
»Aha. Ich nehme einfach mal an, dass du nie etwas dazu gesagt hast.« Yari füllt seine Tasse mit dampfendem Tee und lehnt sich entspannt an die Arbeitsplatte.
Schulterzuckend nickt Ren. »Kai musste sich austoben und solange die Ordnungshüter nicht vor der Tür standen, war ja alles in Ordnung. Wieso sollte ich mich also einmischen, vor allem weil seine Schulnoten ja nie darunter gelitten haben.« In aller Ruhe legt er das letzte mit Trockenfleisch belegte Brot in den Picknickkorb.
»Da hattest du deutlich mehr Glück als ich«, sagt Yari und legt Kai die Hand auf die Schulter. »Zwar kann ich mich noch nicht genau erinnern, aber ich weiß, dass mich mein Vater damals ziemlich zusammengestaucht hat, als er meine Discobesuche herausgefunden hatte.« Aufmunternd drückt er kurz zu, bevor er um den Tisch herumgeht und sich auf seinen Stuhl setzt.
Über das Wort Disco verwirrt, wartet Ren, bis sich Yari hingesetzt hat. »Was ist eine Disco?« Fragend sieht er ihn an.
»Eine Tanzbar.« In aller Ruhe rührt Yari den Honig in seinen Tee und greift dann nach einem Rosinenbrötchen.
»Aha, wieder ein Wort gelernt.« Vielsagend sieht er zu Kai, der sich endlich wieder gerade hingesetzt hat und nun leicht den Kopf schüttelt.
Von Yari unbemerkt, schielt er bedrückt zu seinem Liebsten rüber, der gerade die Augen genießend geschlossen hat. Die Rosinenbrötchen von Ren gehören inzwischen zu seinen Leibspeisen.
Weil sie bald aufbrechen müssen, greift nun auch Kai nach den Brötchen und beginnt zu essen, obwohl er eigentlich gar keinen wirklichen Hunger hat. Doch das ist bei ihm normal. Immer wenn er nach Edo oder Wladiwostok muss, schlägt ihm das am Morgen regelmäßig auf seinen Magen. Trotzdem zwingt er sich jedes Mal dazu, zu frühstücken.
Bis auf ein paar wenige Sätze, die sich hauptsächlich um die nächsten Tage drehen, verläuft das Frühstück schweigend und Yari sagt gar nichts mehr, sondern sieht nur immer wieder schweigend aus dem Küchenfenster.
Gerade als sie dabei sind, die Küche aufzuräumen, fällt Ren noch etwas ein: »Ach ja, Yari, ich habe dir noch das Ölzeug von Kais Vater auf die Ladefläche gelegt. Damit du auch etwas hast, um dich zu schützen, falls es regnen sollte.«
Erstaunt sieht Yari zu Ren. »Danke, Großvater. An die Öltücher, um die Ladefläche abzudecken, und an Kais Ölzeug habe ich gedacht, aber nicht daran, dass ich auch welches gebrauchen könnte.«
Schmunzelnd sieht Ren ihn an. »Das habe ich mir schon gedacht, als ich gestern Abend gesehen habe, was du in die Kutsche gelegt hast. Wenn wir dir Winterkleidung machen lassen, soll Aja dir auch gleich passendes Ölzeug schneidern, denn das von Kazuki ist dir bestimmt wieder ein wenig zu groß.«
Nachdem sie alles aufgeräumt haben, gehen sie zu dritt in den Hinterhof, um gemeinsam die Pferde vor die Kutsche zu spannen. Yari geht allerdings noch mal ins Haus, um ihr Gepäck und den Picknickkorb zu holen.
Mit feuchten Augen umarmt Ren seine beiden Enkel kurz, ehe er sie mit ernstem Blick ansieht: »Passt gut auf euch auf und fahrt vorsichtig. Vor allem mit Verstand.« Kai mit beiden Händen an den Schultern fassend, sieht er seinen Enkel ernst an. »Grüße Hemingway von mir und lass dich von Elaine nicht zu sehr ärgern. Denk daran, du bist nicht mehr vierzehn.«
Die Augen verdrehend nickt Kai. »Ja, Großvater. Wir werden vorsichtig sein und ich werde Hemingway von dir grüßen. Das andere hängt auch von Elaine ab.«
Amüsiert beobachtet Yari die beiden und ist froh, dass er sich nicht so einen kleinen Vortrag anhören muss.
Doch dann legt Ren auch ihm die Hände auf die Schultern. »Und du pass gut auf Kai und natürlich auch auf dich auf. Elaine ignorierst du am besten, denn sie hat sich schon mit sieben Jahren in den Kopf gesetzt, dass sie Kai heiraten wird, wenn sie erwachsen ist. Wir beide wissen ja, dass sie bei ihm nie eine Chance hatte und außerdem keine Konkurrenz für dich ist.«
Grinsend erwidert Yari den Blick Rens. »Keine Angst, ich werde aufpassen, dass niemand Kai zu nahe kommt. Auch nicht diese Elaine.« Vielsagend blickt er nun zu Kai, der ergeben den Kopf schüttelt und zur Kutsche geht.
Wenn sie nämlich nicht langsam losfahren, kommen sie in den starken Morgenverkehr, der an jedem Arbeitstag und besonders an den Samstagen die Straßen Izusans verstopft. »Yari kommst du?« Auffordernd sieht er ihn an, während er darauf wartet, dass Yari zu ihm auf den Kutschbock steigt.
Mit einer letzten Umarmung löst sich Yari schweren Herzens von Ren und steigt neben Kai auf den Kutschbock. »Also, Großvater, halt die Ohren steif. Wir sehen uns voraussichtlich am siebten August wieder. Mach’s gut.«
Es fällt Kai jedes Jahr schwer, sein Zuhause zu verlassen, weshalb er nun eilig nach den Zügeln greift und die ungeduldigen Pferde in Richtung Tor lenkt.
»Mach’s gut Gros… Ren.« Im letzten Moment kann Yari sich noch korrigieren, hat er doch im Augenwinkel gesehen, dass gerade viele Leute am Tor vorbeigehen.
Trotzdem winkend schaut Yari den alten Mann an und löst den Blick auch erst von ihm und seinem Zuhause, als sie komplett in die Seitenstraße eingebogen sind, die sie zur Hauptstraße führen wird.
Sich nun auf die Straße stellend, sieht Ren seinen Jungs nach, bis sie um die Kurve verschwunden sind. Langsam geht er zurück in den Hinterhof und dann ins Haus, um den Laden zu öffnen.
Kai lenkt die Pferde hoch konzentriert durch den dichten Morgenverkehr und ist wieder einmal froh, dass die beiden Wallache durch kaum etwas aus der Ruhe zu bringen sind. Im Gegenteil. Während andere Pferde scheuen oder unruhig werden würden, bahnen sich die beiden in aller Ruhe ihren Weg durch die vielen Transport- und Personenkutschen. Sogar die Reiter, die manchmal in einem unmöglichen Tempo an ihnen vorbeirasen, ignorieren sie weitgehend. Darüber kann Kai nur den Kopf schütteln, ist es doch lebensmüde auf dem glatten Pflaster zu galoppieren, so wie es hier einige immer wieder gern machen. Eigentlich grenzt es schon an ein Wunder, dass die Pferde nicht öfter ausrutschen und schwer stürzen.
Schließlich erreichen sie das östliche Stadttor, was Kai erleichtert aufatmen lässt, denn schon kurz außerhalb der Stadt ist der Verkehr deutlich weniger dicht und bald sind sie beinahe alleine auf der Straße unterwegs.
Erst jetzt sieht Yari zu Kai. »Sag mal, wie ist dieser Hemingway eigentlich? Ich meine, muss ich das Halsband da wirklich andauernd tragen?« Diese Frage beschäftigt ihn schon eine ganze Weile.
Nachdenklich blickt Kai nach vorn. »Was soll ich sagen? Hemingway ist im Großen und Ganzen ein anständiger Mensch. Er behandelt seine Sklaven gut und eigentlich auch wie Menschen, aber nicht wie Gleichgestellte. Darum wirst du wohl das Halsband tragen müssen, sobald du unser Zimmer verlässt. Ich werde zwar versuchen, mit ihm zu reden, aber er ist nun mal der Meinung, dass die Leute ein Recht darauf haben, jederzeit zu wissen, welchen Stand eine Person hat. Das ist eine etwas seltsame Logik, weil es im Haus ja sowieso jeder weiß, aber so ist er nun mal.«
Entschuldigend sieht er kurz zu Yari, konzentriert sich aber sofort wieder auf die Straße. Noch teilen sie sich diese nämlich mit den wenigen Autos, die erst in ein paar Kilometern auf eine separate Straße wechseln können, um dort deutlich schneller zu fahren.
»Verstehe.« In Gedanken versunken blickt Yari nach rechts, wo er durch die Bäume hindurch das Meer erkennen kann. Nur am Rande bekommt er mit, dass Kai die Pferde in einen gleichmäßigen Trab fallen lässt, den die Tiere über einen sehr langen Zeitraum laufen können, ohne dabei zu ermüden.
Auf einmal spürt er eine Hand auf seinem Bein und wendet sich wieder zu Kai um, der ihn lächelnd ansieht.
»Das ist kein Grund, Trübsal zu blasen. Wir kommen schließlich erst morgen Abend an und fahren schon am Samstagmorgen wieder nach Hause.«
Nach Kais Hand greifend senkt Yari den Blick. »Das ist es nicht. Ich habe nur irgendwie ein ungutes Gefühl, das ist alles. Und das Leder wird langsam unangenehm auf der Haut. Ich bin es nicht mehr gewohnt, das Halsband so lange zu tragen.« Genervt zupft er an dem Leder rum, was ihm leider keine wirkliche Erleichterung bringt.
»Es tut mir leid, Yari. Nur ist die Wahrscheinlichkeit extrem groß, dass wir unterwegs Leuten begegnen, die ich kenne und die sich vielleicht auch an dich erinnern.«
Mit einem Seufzen legt Yari nun den Kopf auf Kais Schulter. »Ich weiß, das Risiko ist wirklich zu groß. Trotzdem bleibe ich jetzt so sitzen.« Ein leichter Trotz ist bei dem letzten Satz aus Yaris Stimme herauszuhören, der Kai schmunzeln lässt.
»Ja, mach das.«
Nach etwa der Hälfte der Strecke lenkt Kai die Pferde von der Straße auf einen Feldweg, der nach ein paar Metern zu einer Wiese an einem kleinen See führt. Erleichtert lässt er die Pferde anhalten und zieht die Handbremse der Kutsche an.
Erst als sie sicher stehen, berührt er Yari vorsichtig an der Wange, ist sein Liebster doch schon vor einiger Zeit an seiner Schulter angelehnt eingeschlafen. »Yari, wach auf, wir machen jetzt eine kleine Rast.«
Murrend öffnet Yari die Augen. Sich aufrichtend mustert er nun seine Umgebung. »Das ist aber nicht der Gasthof.« Noch nicht wirklich ganz wach reibt er sich den etwas steifen Nacken, dem die seltsame Schlafposition nicht wirklich gutgetan hat.
Grinsend steigt Kai vom Kutschbock. »Wir haben erst etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Die Pferde brauchen eine Pause und ich ehrlich gesagt auch.« Er nimmt die beiden Wassereimer von der Ladefläche und geht mit ihnen runter zum See.
Als er den ersten Eimer gefüllt ans Ufer stellt, nimmt Yari ihn ihm ab. »Ich mach das schon. Wenn du fährst, dann kann ich mich ja wohl um die Pferde kümmern.« Kai jetzt auch den zweiten Eimer abnehmend, dreht sich Yari zu den Pferden um und geht zu ihnen.
Er hat die Wassereimer kaum hingestellt, als Blacky und Rocky auch schon durstig anfangen zu trinken.
Während die beiden ihren Durst stillen, holt Yari zwei Futtersäcke von der Ladefläche. Einer davon wird ihm von Kai abgenommen, sodass sie bequem beide Pferde gleichzeitig füttern können.
»Mach nachher die Zügel ab und löse die Handbremse ein wenig, dann können die beiden noch etwas von dem Gras hier fressen, während wir unsere Brote essen.«
»Okay«, nickt Yari, während er darauf achtet, dass ihm Blacky in seiner Gier nach dem Futter den Sack nicht aus den Händen reißt.
Als auch der letzte Halm verschwunden ist, löst er die Zügel von den Trensen und lockert die Handbremse so weit, dass die Pferde den Wagen zwar bewegen können, aber gleichzeitig auch nicht zu weit weglaufen. Erst danach geht er zu Kai, der schon eine Decke im Gras ausgebreitet und einiges von ihrem Proviant darauf verteilt hat.
»Das sieht ja lecker aus.« Grinsend greift er nach einer der Erdbeeren, die Ren gestern noch auf dem Markt gekauft hat, und hält sie Kai vor den Mund.
Schmunzelnd beißt Kai ein Stück ab und sieht dann kauend zu, wie sich Yari den Rest in den Mund schiebt. »Die müssen wir heute essen. Man merkt, dass es die Letzten in diesem Jahr sind, und diese Wärme tut ihnen auch nicht gut.« Kai nimmt nun auch eine der Beeren und hält sie seinem Liebsten hin, der seinerseits ein Stück abbeißt.
So füttern sie sich lachend gegenseitig, bis sie alle sechs Erdbeeren gegessen haben.
An einem Rosinenbrötchen knabbernd legt sich Yari auf den Rücken und genießt die warmen Sonnenstrahlen, deren Kraft durch den leichten Wind, der vom Meer auf der anderen Seite der Straße zu ihnen herüberweht, auf ein angenehmes Maß gemildert wird.
Als er schon eine Weile mit hinter dem Kopf verschränkten Armen und geschlossenen Augen daliegt, spürt er plötzlich ein Gewicht auf seinem Becken. »Sharik, was hast du vor?« Fragend sieht er Kai an, der ihn frech angrinst.
Sich links und rechts von Yari auf dem Boden abstützend, beugt sich Kai nach vorn. »Nach was sieht es denn aus?« Auf einmal wird er herumgewirbelt und findet sich nur einen Augenblick später unter seinem Liebsten liegend wieder, der ihn nun ernst grinsend ansieht.
»Du weißt genau, dass ich es nicht mag, ohne Vorwarnung unter dir zu liegen.«
Noch bevor Kai etwas darauf erwidern kann, wird er leicht in den Hals gebissen, was ihn seufzend den Kopf etwas zur Seite drehen lässt. Wie er es doch liebt, wenn Yari so bestimmend ist, zeigt es ihm doch, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Außerdem muss er sich so keine Sorgen machen, dass er ihn überfordert. Die Zeit, in der er dann auch mal das Sagen haben wird, ohne dass er Angst um Yari haben muss, wird sicher noch kommen und darauf freut er sich jetzt schon.
Auf einmal lässt Yari von seinem Hals ab und sieht ihn zufrieden an. »So, jetzt bist du auch auf dieser Seite markiert.« Ihm noch einen Kuss auf die Lippen hauchend, setzt er sich auf und lässt sich dann neben Kai auf den Boden sinken. »Wann müssen wir weiter?«
Kai blickt in den Himmel, um am Stand der Sonne abzuschätzen wie spät es ist. Zwar findet er es schade, dass sich Yari wieder etwas zurückgezogen hat, aber so in der Öffentlichkeit wäre auch er nicht weiter gegangen. »So ungern ich es zugebe, aber wir sollten wirklich langsam zusammenräumen und aufbrechen, wenn wir am späten Nachmittag im Gasthof ankommen wollen.« Er beginnt, die Reste ihres Picknicks wieder in den Korb zu räumen.
Inzwischen gibt Yari den Pferden noch einmal frisches Wasser und befestigt die Zügel wieder an den Trensen. Routiniert kontrolliert er danach noch schnell die Hufe, ob die gerade mal drei Tage alten Eisen auch noch richtig sitzen, aber Yu hat wie immer ausgezeichnete Arbeit geleistet. Zufrieden und erleichtert, dass die beiden sich gut ausgeruht haben, sammelt er die leeren Eimer ein und verstaut sie wieder auf der Ladefläche.
Unterdessen hat Kai fertig zusammengepackt und stellt den Korb auf die Kutsche.
Als alles sicher verstaut ist, löst Kai die Handbremse und lenkt die Pferde wieder zurück auf den Weg.
Nun betrachtet Yari aufmerksam seine Umgebung, die abwechselnd aus Feldern und kleinen Wäldchen besteht. In der Ferne kann er ab und zu Dörfer oder kleine Höfe entdecken. Die Straße führt sie dabei immer wieder an die Küste. Meistens kann er nur schroffe Felsen erkennen, die steil ins Meer abfallen, nur ab und zu gibt es Strände, auf denen er Leute sehen kann, die das schöne Wetter genießen.
Weil sich Kai auf den Weg konzentrieren muss, sprechen sie nicht wirklich miteinander. Nur wenn sein Sharik etwas zu trinken haben möchte, wird das Schweigen unterbrochen. Doch das stört keinen der beiden, ist die Stille doch nach ihren letzten hektischen Tagen einfach nur angenehm und entspannend.
Mit nur zwei kleinen Pinkelpausen fahren sie die nächsten beinahe vier Stunden bis zum Gasthof Resutoranuto durch. Erleichtert, dass sie diese erste Etappe ohne Probleme gemeistert haben, lenkt Kai die Pferde auf den Vorplatz des Gasthofes.
Noch sind sie allein, was Yari ausnutzt, um die beiden Gebäude aufmerksam zu mustern. Direkt vor ihnen steht offensichtlich der Stall. Das Holzgebäude ist zweistöckig und besitzt auf dieser Seite zehn Boxentüren sowie an der einen Seite ein großes Tor, das jetzt offensteht und den Blick auf einen Raum mit zahlreichen Kutschen freigibt. Das Gasthof selbst ist ein weißes Gebäude, das im Stil des römischen Reiches erbaut worden ist, und besitzt sogar drei Stockwerke, wenn man die Dachfenster nicht mitzählt. Hinter dem Stallgebäude kann Yari noch eine große Wiese entdecken, die in viele kleinere Weiden unterteilt ist, auf denen sich die Pferde der Gäste tummeln.
Yari ist gerade mit seinen Beobachtungen fertig, als ein Stallbursche in Begleitung eines Sklaven auf sie zukommt. »Guten Tag, der Herr, darf ich Ihnen die Pferde und die Kutsche abnehmen? Haben Sie schon Boxen und einen Weideplatz reserviert oder soll ich die Tiere in zwei der unreservierten Boxen mit Weideplatz unterbringen?«
Ernst sieht Kai den Stallburschen an, der schon nach den Zügeln greift. »Gern, aber lassen Sie meinem Sklaven noch die Zeit, das Gepäck von der Ladefläche zu nehmen. Es sind zwei Boxen mit Weideplatz auf den Namen Mutsuo reserviert.« Kai lässt die Zügel los und deutet Yari gleichzeitig an, dass er die genannten Sachen von der Ladefläche nehmen soll.
Yari weiß, dass er jetzt wieder den gehorsamen Sklaven spielen muss, weshalb er ohne zu murren die stumme Bitte ausführt und dann mit einem leicht wehmütigen Blick den Pferden nachsieht, die von dem Stallburschen bis zum großen Tor geführt werden, wo man sie von der Kutsche befreit, die von zwei Sklaven mit vereinten Kräften auf einen freien Stellplatz geschoben wird.
Unterdessen ist der Stallbursche dabei, die beiden Pferde abzuschirren. Erst als Yari sieht, dass ihnen die Trensen abgenommen werden, geht er zu Kai, der geduldig neben der Tür auf ihn wartet und dabei so tut, als würde er etwas in seinen Taschen suchen und nebenbei die Versorgung der Pferde überwachen.
Nun sieht er Yari grinsend an. »Na, ist alles zu deiner Zufriedenheit erledigt worden? Die beiden haben direkt hinter ihren Boxen ein schönes gemeinsames Weidestück, das sie durch eine zweite Boxentür erreichen können.«
Erst als er sieht, dass sein Liebster nicht mehr zu dem Stallgebäude blickt, wendet Kai sich dem Eingang zu und betritt, gefolgt von dem schwer beladenen Yari, den Gasthof.
Kaum hat Kai den Empfangstresen erreicht, wird er schon vom Besitzer des Gasthofes begrüßt. »Herr Mutsuo, was für eine Freude, Sie wieder in meinem bescheidenen Haus begrüßen zu dürfen. Diesmal haben Sie sogar ihren eigenen Sklaven dabei. Hätten Sie mir diesen angekündigt, dann hätte ich ihm einen Strohsack unter dem Dach herrichten können, jetzt muss er leider im Heulager schlafen, da wir unter dem Dach keinen freien Platz mehr haben.« Trotz seines Wortschwalls schüttelt er Kai heftig die Hand, der sich dabei immer wieder fragt, ob ihm der andere den Arm abreißen will.
Trotzdem lächelt Kai ihn freundlich an. »Guten Tag, Herr Kagayama, das ist kein Problem, mein Sklave wird sowieso bei mir im Zimmer schlafen.« Mit dem Kopf deutet er leicht nach hinten, wo Yari mit ihren Sachen in den Händen abwartend dasteht.
Geschäftig trägt Kagayama nun die Information in das Gästebuch ein. »Ist notiert. Es ist allerdings so, dass Sklaven im Restaurant nicht willkommen sind und auch die gemeinsame Gästedusche auf den einzelnen Etagen nicht benutzen dürfen. Sie kriegen ihren Haferbrei mit Zitronensaft in der Küche und hinter dem Haus gibt es eine Kaltwasserdusche und ein Plumpsklo, beides haben wir extra für die Sklaven bauen lassen.«
Als Kai hört, was Yari essen soll, wird ihm beinahe schlecht, doch irgendwie schafft er es, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. »Das ist kein Problem, ich wollte sowieso fragen, ob ich mein Essen wie immer auf meinem Zimmer einnehmen und vielleicht auch eine extragroße Portion bekommen kann. Ich bin nämlich am Verhungern. Was die Dusche angeht … darf ich ihn denn mit in die Dusche nehmen? Sie wissen schon …« Verschwörerisch zwinkert er dem anderen zu, der das mit einem dreckigen Grinsen quittiert.
»Natürlich ist beides möglich. Ich notiere mir gleich Ihre Bestellung.« Erst jetzt greift Kagayama nach einem der Schlüssel, die hinter ihm hängen und reicht diesen an Kai weiter. »Sie haben wie immer das Zimmer mit der Nummer zweiundzwanzig. Soll ich dann auch gleich notieren, dass Sie das Frühstück auch wie immer auf Ihrem Zimmer einnehmen wollen?«
Nach einem kurzen Nachdenken nickt Kai. »Ja, das wäre mir sehr recht. Dann muss ich mich am frühen Morgen nicht mit den anderen Gästen rumschlagen. Das Frühstück hätte ich dann gern extragroß und so gegen halb acht, denn um neun möchte ich wieder aufbrechen.« Kai ist langsam genervt, aber er muss noch warten, bis ihm der Preis für den Aufenthalt genannt wird, da er diesen im Voraus zu entrichten hat.
Eifrig notiert sich der grauhaarige Mann nun alles und sieht dann wieder hoch. »So, das wären dann fünfundvierzig Silbermünzen. Die Versorgung der Pferde ist natürlich im Preis inbegriffen und ich sehe, dass Sie uns am sechsten August wieder beehren werden. Soll der Service dann der Gleiche sein?« Fragend und zugleich abwartend wird Kai nun angesehen, während er die Münzen aus dem Beutel herauszählt.
»Ja, das wäre sehr nett.« Die Silbermünzen auf den Tisch legend, sieht er den älteren Mann an. »Haben wir dann alles erledigt?«
Kais Selbstbeherrschung bewundernd steht Yari mit gesenktem Kopf da. Ihm wäre schon lange der Kragen geplatzt, weshalb er jetzt ehrlich froh ist, dass sie nun endlich die beiden Treppen erklimmen können, die sie in die zweite Etage führen, wo sie nach ein paar Schritten ihr Zimmer erreichen. Zwei Türen weiter kann er auf der anderen Seite die Dusche erkennen, die sich die Bewohner der sechs Zimmer hier oben teilen müssen.
Als Yari hinter Kai das Zimmer betritt, ist das Erste, was ihm auffällt, die offene Tür, die in das kleine Badezimmer führt, das außer der Toilette allerdings nur noch mit einem Waschbecken ausgestattet ist. Erst als er ihre Sachen in eine der Ecken gestellt hat, sieht er sich den Rest des Zimmers an. Neben dem einfachen Bett gibt es noch einen Tisch mit zwei Stühlen, was Yari erstaunt, ist das Bett doch eigentlich nur für eine Person ausgelegt, und dann gibt es noch eine dunkelbraune Kommode. Die Vorhänge sind in einem schlichten Beige gehalten und passen wunderbar zu den weißen Wänden und der pastellgrünen Bettwäsche.
Fix und fertig lässt sich Kai rücklings aufs Bett sinken. »Oh Mann, und morgen noch einmal so lange. Wieso tu ich mir das nur jedes Jahr wieder an?«
Schmunzelnd legt sich Yari neben seinem Sharik auf die Bettdecke und fährt ihm mit einem Finger sanft über die Wange. »Vielleicht, weil in Edo dieser Markt stattfindet und du da laut deinem Großvater die besten Stoffe zu einem günstigen Preis bekommen kannst. Und weil es nur in Edo diesen supertollen Laden gibt, in dem du die Essenzen für Großvaters Wundersalbe bekommen kannst. Ach ja … und weil dieser Hemingway in Edo wohnt und du darum umsonst übernachten kannst, sodass sich die Reise für dich noch mehr lohnt.«
Müde lächelnd sieht Kai Yari an. »Du hast eindeutig zu viel mit Großvater über dieses Thema gesprochen. Außerdem hast du ja beinahe die Hälfte des Weges verschlafen und meine Schulter dabei als Kopfkissen benutzt.« Gespielt beleidigt sieht er Yari an, ehe er ihm die Hand in den Nacken legt und ihn zu sich herunterzieht, um ihm einen Kuss geben zu können.
Genießend lässt sich Yari auf ihr Lippenspiel ein, bis es leise an der Tür klopft.
Murrend lässt Kai ihn los und setzt sich auf. »Das wird wohl unser Abendessen sein.«
Kai will gerade aufstehen, als Yari ihm eine Hand auf die Schulter legt. »Lass mich das machen, wenn du so müde bist. Außerdem ist es als dein Sklave sowieso meine Aufgabe, für dein Wohl zu sorgen.« Noch bevor Kai etwas sagen kann, steht Yari auf und geht, ihm noch einmal zuzwinkernd, zur Tür.
Vor der Tür steht tatsächlich eine junge Sklavin mit einem Tablett in der Hand. Auf diesem steht ein einzelner Teller, der gut mit Gulasch und Bratkartoffeln gefüllt ist, sowie eine Karaffe mit Wasser und ein Glas. Das Besteck neben dem Teller geht beinahe unter, sodass es Yari erst als Letztes entdeckt. »Dankeschön für die prompte Lieferung.« Lächelnd nimmt er ihr das schwere Tablett ab, was sie leicht erröten lässt. »Kei… keine Ursache. Stell das leere Tablett einfach neben die Tür, ich hole es dann später wieder ab.« Verlegen senkt sie den Blick und bemerkt so nicht, dass Yari nickt. »Ist gut, das werde ich machen. Danke für den Hinweis.« Schmunzelnd sieht er zu, wie sie sich immer noch verlegen umdreht, bevor er die Tür wieder schließt.
Grinsend hat Kai das Schauspiel vom Bett aus beobachtet. Erst als Yari das Tablett auf den Tisch stellt, steht auch er auf und setzt sich auf den zweiten Stuhl. »So wie es aussieht, hast du sie ganz schön aus dem Konzept gebracht. So verlegen habe ich sie nämlich noch nie gesehen, eher misstrauisch, wenn ich mal freundlich zu ihr gewesen bin.«
Schulterzuckend, weil er darauf keine Antwort weiß, will Yari gerade nach der Karaffe greifen, als es noch einmal an der Tür klopft. Fragend sieht er Kai an, der ihn jedoch nur ratlos ansieht.
»Keine Ahnung, wer das sein könnte.«
Neugierig steht Yari wieder auf und öffnet noch einmal die Tür. Wieder steht die junge Sklavin davor, allerdings diesmal ohne Tablett, dafür mit einem leeren Teller, auf dem Besteck liegt, und einem zweiten Glas. »Ich denke, das könnt ihr beide gebrauchen.« Scheu lächelnd hält sie ihm die Sachen hin, die Yari verwirrt ergreift.
»Danke, aber wieso …?« Fragend blickt er sie an.
»Jeder mit Augen im Kopf, der es sehen will, sieht, dass du kein wirklicher Sklave bist und so viel, wie Herr Mutsuo bestellt hat, kann er niemals alleine essen. Meistens schafft er nämlich nicht einmal eine normale Portion. Das weiß ich aus den letzten Jahren, weil ich mir dann immer die Reste genommen habe. Ich heiße übrigens Anna.« Mit einem angedeuteten Winken dreht sie sich um und eilt den Flur hinunter.
Kopfschüttelnd schließt Yari wieder die Tür und geht zurück zum Tisch, wo Kai ihn mit verschränkten Armen dasitzend erwartet.
»Du hast wirklich Eindruck bei ihr hinterlassen. Mir hat sie noch nie ihren Namen gesagt.« Ohne einen Kommentar zu dem Extragedeck nimmt er Yaris Teller und beginnt die Hälfte der Portion auf diesen rüberzuschieben.
»Ich habe doch gar nichts gemacht.« Mit gesenktem Blick greift Yari nach seiner Gabel und beginnt zu essen.
Die Kartoffeln sind beinahe so gut wie die von Ren und auch das Gulasch ist unglaublich lecker, aber da hat er keine Vergleichsmöglichkeit, weil er das auf diese Art zubereitet noch nie gegessen hat. Erst jetzt bemerkt Yari, wie hungrig er wirklich ist, und verputzt seine Portion, ohne mit der Wimper zu zucken. Eigentlich könnte er ja noch mehr essen, aber diesmal kann er sich ja schlecht einen Nachschlag nehmen.
Auf einmal wird ein noch beinahe halb voller Teller auf seinen leeren gestellt.
»Ich habe keinen Hunger mehr und ich sehe dir doch an der Nasenspitze an, dass du noch nicht satt bist.« Schmunzelnd lehnt sich Kai in seinem Stuhl zurück und beobachtet seinen Liebsten, wie dieser nun auch noch den zweiten Teller leert.
»Na, hat’s geschmeckt? War sicher besser als Haferbrei mit Zitronensaft.« Beim Gedanken an dieses scheußliche Essen schüttelt sich Kai regelrecht.
Den letzten Bissen runterschluckend nickt Yari. »Es war wirklich lecker.« Er blickt gedankenverloren aus dem Fenster. »Der Haferbrei schmeckt vielleicht scheußlich, aber immerhin bewahrt er einen vor Skorbut. Wenn man sonst schon kaum Vitamine bekommt, achten sie wenigstens darauf.«
Immer noch das Gesicht verziehend, steht Kai auf und stellt das Geschirr aufs Tablett. Nur die Karaffe und die Gläser lässt er auf dem Tisch stehen. »Was meinst du, sollen wir duschen gehen? Also ich könnte eine Dusche wirklich gebrauchen.« Auffordernd sieht er Yari an, der nickend aufsteht und ihm mit ihren Duschsachen aus dem Zimmer folgt.
Wie von der Sklavin verlangt, stellt Kai das Tablett neben der Tür auf den Boden und steuert dann das Badezimmer an. An dem grünen Zeichen unter der Klinke können sie sehen, dass das Bad gerade frei ist.
Kaum sind sie in dem kleinen Raum, schließt Kai die Tür ab, bevor er sich zu Yari umdreht, der nun plötzlich nervös dasteht. »Willst du zuerst unter die Dusche oder soll ich?« Fragend sieht er seinen Liebsten an, der unsicher seinen Blick erwidert.
»Geh du zuerst. Ich brauche noch einen Moment.«
Verstehend nickt Kai und beginnt, sich in aller Ruhe auszuziehen. Dabei versucht er, Yari so gut es geht zu ignorieren, um ihn nicht noch mehr zu verunsichern. Sich so verhaltend, als wäre er alleine, steigt er mit der Seife in der Hand in die Dusche und stellt sich die Wassertemperatur auf eine angenehme Wärme ein.
Ruhig beobachtet Yari jede Bewegung seines Shariks, der nun mit geschlossenen Augen unter dem Wasserstrahl steht. Aus einem Impuls heraus zieht er sich aus, bis er nur noch seine Shorts trägt. Nach kurzem Zögern zieht er dann auch diese aus und stellt sich hinter Kai unter die Dusche. Deutlich zitternd greift er nach der Seife in Kais Hand, die ihm dieser mit einem erstaunten Blick überlässt.
»Yari du musst nicht …«
»Ich will aber«, wird er von Yari unterbrochen, der nun mit erstaunlich kräftigen Bewegungen anfängt, Kais Rücken einzuseifen. Mehr macht er nicht und als er mit seiner Arbeit zufrieden ist, gibt er Kai die Seife wieder zurück.
Dieser dreht sich nun mit einem Lächeln zu ihm um. »Na komm, stell dich richtig unter den Wasserstrahl und ich seife dir auch den Rücken ein.« Geduldig wartet er darauf, dass Yari seinem Vorschlag nachkommt, und stellt sich dann so hin, dass er Yari nicht aus Versehen mit seinem Körper berührt. »Wenn ich zu weit runterkomme, dann sag es mir einfach.«
Erst als Yari, sich an der Wand abstützend, nickt, beginnt Kai, mit langsamen Bewegungen den Rücken seines Liebsten einzuseifen. Dabei versucht er, auf jede seiner Regungen zu achten, besonders als er mit der Seife immer tiefer geht. Doch zu seiner Überraschung bleibt Yari relativ entspannt. Sogar als er beim Kreuz angekommen ist, macht sein Liebster keine Anstalten, ihn aufhalten zu wollen. Trotzdem gleitet er mit der Seife wieder nach oben zu den Schultern, ehe er zurücktritt. »So, dein Rücken ist eingeseift. Den Rest musst du aber alleine machen, während ich mir die Haare wasche.«
Erleichtert, dass er Kai nicht stoppen musste, löst Yari seine Hände von der Wand und dreht sich zu seinem Sharik um. In ihm toben die verschiedensten Gefühle. Von Angst bis hin zur Erleichterung und Erstaunen, dass er die Berührungen irgendwie genossen hat, ist alles dabei. Noch bevor er weiß, was er da eigentlich macht, greift er nach Kai und drückt ihm einen harten Kuss auf die Lippen.
Zum Glück erfasst Kai instinktiv, dass er ihn diesmal nicht anfassen sollte, weshalb Yari diesen Kuss erst löst, als die Luft knapp wird.
»Wir sollten uns langsam beeilen, sicher wollen auch noch andere unter die Dusche.« Schief grinsend sieht er Kai an, der seinen Blick ebenfalls grinsend erwidert.
»Dann würde ich sagen, du seifst dich fertig ein, während ich mir die Haare wasche, und dann tauschen wir die Plätze.«
Mit von dem Kuss immer noch kribbelnden Lippen greift Kai nach der Seife, die sie auch für die Haare verwenden und schäumt sich die Hände großzügig ein, bevor er sie Yari zurückgibt.
Schweigend stehen sie nun unter dem Wasserstrahl und tauschen immer mal wieder die Plätze, wenn einer von ihnen etwas mehr Wasser braucht.
Nur mit ihren Hosen bekleidet gehen sie schließlich zurück in ihr Zimmer, wo sie sich für die Nacht umziehen und dann vollkommen erschöpft ins Bett fallen, nachdem Yari die Tür abgeschlossen hat.
Sie sind so müde, dass sie sich nur noch einen Kuss geben und sich dann eng aneinander kuscheln. Kurz darauf sind sie auch schon eingeschlafen.