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2010 Anmerkungen
zu Griechenlands Staatsbankrott 1.

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Der Bankrott Griechenlands im Jahr 2010 ist, was das Land selbst betrifft, die Quittung dafür, dass es der EU samt Währungsunion beigetreten und den damit verbundenen Anforderungen an seine Nationalökonomie nachgekommen ist.

Wie jedes Mitglied der europäischen Wirtschaftsunion verknüpft auch Griechenland seinen Beitritt zu diesem Club mit großen Erwartungen in Bezug auf das Fortkommen der eigenen Nation. Man spekuliert darauf, dass das Einbringen des eigenen Standorts in den einheitlichen Binnenmarkt die eigene Ökonomie voranbringt, ihr den Zugang zu den großen europäischen Märkten eröffnet, umgekehrt sie selbst von kapitalkräftigen Investoren als Anlagesphäre für interessant befunden wird. Man setzt darauf, dass sich mit dem Wegfall politischer Schranken in der Konkurrenz der Standorte mehr aus dem eigenen ökonomischen Inventar – Staatsbetriebe, Reedereien, Landwirtschaft – machen lässt, und vor allem darauf, dass dem Land das Kapital schon zufließen wird, das es für seine ins Auge gefasste „Modernisierung“ dringend benötigt. In den eigenen Erwartungen sieht man sich nur bekräftigt durch die Hilfen, die einem zur Herrichtung des Standorts von der Gemeinschaft in Aussicht gestellt werden. Denn dass es den für den Wettbewerb in Europas Wirtschaftsunion überhaupt erst konkurrenzfähig zu machen gilt, ist auch bei deren maßgeblichen Betreibern offiziell anerkannt, also stehen dem Land aus den Fonds für „Kohäsion“, „Strukturwandel“ usw. Mittel zur Kompensation seiner „Rückständigkeit“ zur Verfügung.

So wird mit regelmäßig fließenden Geldern der EU das Mitglied Griechenland modernisiert. Unrentable Staatsbetriebe werden privatisiert, Straßen, Brücken und Flughäfen werden gebaut, weitere Fördermittel finden Verwendung für Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft. An der Infrastruktur fürs kapitalistische Wachstum im Land fehlt es nicht – nur dieses selbst stellt sich nicht so ein, wie die politischen Betreuer des Standorts sich das erhofft hatten. Dem freien Wettbewerb gegen die kapitalkräftige Konkurrenz aus Europas Musterstaaten mit ihren Weltkonzernen und potenten Mittelständlern hält die einheimische Produktion nicht stand; Ausnahmen bestätigen die Regel. Denn Unternehmen, die in Produktivität und Rentabilität in der Union und über deren Grenzen hinaus Maßstäbe setzen, haben alles andere vor als den Kapitalmangel zu beheben, unter dem ihre griechischen Wettbewerber leiden: Sie nutzen ihn gnadenlos zu ihren eigenen Gunsten aus und erobern sich mit überlegener Kapitalgröße den Markt, der ihnen da neu eröffnet wird. Was die Landwirtschaft betrifft, den zweiten Hoffnungsträger, auf den der griechische Staat seine Erfolgsrechnungen gründet, so halten auch da griechische Bauern den Vergleich mit kapitalkräftigeren Konkurrenten aus Spanien und Italien nicht aus, die mit den Fördergeldern der EU ihren Vorsprung bei der produktiven Ausbeutung von Mensch und Natur nur noch mehr vergrößern. Und alle Erwartungen, die Griechenland in eine kapitalistische Erschließung und Ausnutzung der näher benachbarten Märkte hegt, macht der Krieg auf dem Balkan dann auch noch zunichte. So verwaltet der Staat als Mitglied der EU weiter den Mangel an Kapital, an dem sein Standort laboriert. Neben dem, was die Geschäfte mit Handelsschifffahrt und Touristen an Geld ins Land bringen, ist er selbst das einzige ökonomische Subjekt von Gewicht, firmiert als Arbeitgeber, Auftraggeber, Verteiler von Subventionen und avanciert so zur wichtigsten Verdienstquelle seiner Bürger.

Auch dem nächsten Angebot, das Griechenland zur Fortsetzung seiner Karriere als EU-Mitglied unterbreitet wird, mag man sich nicht verschließen. Der Beitritt zur europäischen Währungsunion geht zwar einher mit der Preisgabe einer souveränen Verfügung über ein nationales Geld, also den Stoff, um dessen Vermehrung es in einer Nationalökonomie allein geht, damit auch mancher Freiheiten, die ein Staat als Schöpfer und Garant des Geldes der Gesellschaft sich bei der Gestaltung seiner Haushalts- und Schuldenpolitik herausnimmt. Aber im Gegenzug für die Selbstverpflichtung auf die Einhaltung gewisser Kriterien, denen sich der nationale Haushalt im Dienst am supranationalen Anliegen zu unterwerfen hat, für die Stabilität des neuen Geldes zu sorgen,1) winkt immerhin eines: Wenn nur alle Souveräne, die man zum Mitmachen einlädt, sich bei ihrer Verschuldungs- und Standortpolitik diesem stabilitätspolitischen Gemeinschaftsanliegen unterwerfen und sich bei der Bewirtschaftung ihres Standorts das Kontrollregime einer Europäischen Zentralbank gefallen lassen, dann haben sie alle auch dasselbe gute, weil stabile Geld, mit dem sie wirtschaften können. Dieses Programm besticht auch die für den Staatshaushalt Verantwortlichen in Griechenland. Mit einem Schlag sind sie nicht nur alle Probleme mit ihrer notorisch schwachen Landeswährung los, die zwar im Inneren alle Geldfunktionen verrichtet, dabei aber und im Vergleich zu anderen Währungen beständig an Wert verliert. Mit dem Euro eröffnet sich ihnen vor allem auch unmittelbar der Zugang zu der Geschäftssphäre, in der Drachmen eine äußerst marginale Rolle spielen: Als Euro-Standort ist Griechenland für die Geschäfte der großen europäischen Finanzkapitale von gleichem Interesse wie alle anderen auch. Wenn von denen Geschäfte in Euro für lohnend erachtet werden, wird auch aus dem griechischen Zipfel der Euro-Zone eine Geschäftssphäre der Banken und Geldhändler und kommt Kapital ins Land.

Der griechische Staat jedenfalls setzt ganz darauf, dass der Eintritt in die Euro-Zone einschließlich der ihm auferlegten Maßnahmen zur Begrenzung von Inflationsrate, Haushaltsdefizit und Schuldenstand den erwünschten Effekt nach sich zieht und der Kapitalmarkt der EU sich als Finanzquelle für seinen kapitalistischen Fortschritt ausnutzen lässt. Und in einer Hinsicht wird er nicht enttäuscht: Auch griechische Staatsschulden gelangen in den Genuss des Kredits, den der gesamteuropäische Wirtschaftsraum verbürgt, auch in dem Land wachsen die einheimischen Banken, lassen sich ausländische nieder und verdienen an allen Geldgeschäften, die im Standort laufen. Ein Aufschwung im Finanzsektor ist der erste gewichtige Posten, der sich in den griechischen Wachstumsziffern niederschlägt. Ein zweiter ist unter der Rubrik Dienstleistungen zu verzeichnen, die nach einer Welle der Privatisierung und dem erfolgreichen Verkauf von Hafen- und Telefongesellschaften, Raffinerien, Werften, Kasinos und Küstenstreifen an ausländische Investoren eröffnet wird. Ansonsten aber ist, was das Wachstum in der produktiven Abteilung der Ökonomie betrifft, wiederum nur Fehlanzeige zu vermelden. Zur attraktiven Anlagesphäre für ausländisches Kapital, das von dort aus sein Geschäft betreibt und darüber die ökonomische Basis des staatlichen Wirtschaftens mit Geld stärkt, entwickelt sich Griechenland auch unter der Regie des Euro nicht. Vielmehr fangen die großen europäischen Handelsketten mit der gewachsenen zahlungsfähigen Nachfrage nur das an, was ihnen ihr Gewerbe gebietet: Sie nutzen sie mit ihrem konkurrenzlos billigen Angebot für sich aus und erledigen die noch vorhandenen Überbleibsel der traditionellen Kleinbetriebe und Handeltreibenden.

Nach zehn Jahren Euro-Wirtschaft in Griechenland hält der Zentralbankchef bilanzierend Rückschau auf die Vorteile, die dem Land aus seiner Mitgliedschaft in der Währungsunion erwachsen sind, indem er die Nachteile aufzählt, die bei einem Ausstieg aus dieser Union zu gewärtigen seien. Ihm zufolge bewahrt der Euro Griechenland vor

„einem Anstieg der Kosten der Importe und damit der Inflation aufgrund von Abwertungen; einer unglaubwürdigen Geldpolitik, im Vergleich zur Glaubwürdigkeit der Europäischen Zentralbank, und damit einem Anstieg der Inflationserwartungen; der Erwartung weiterer Abwertungen, was zur Erhöhung der Risikoprämien für das Land führen würde; einem Anstieg der Nominalzinsen aufgrund der genannten Faktoren, was zu höheren Kosten des öffentlichen Schuldendienstes führen und die Haushaltsanpassung unterminieren würde, so dass Ressourcen anderen, produktiveren Feldern entzogen würden; ... einer Verschuldung in Euro als ausländischer Währung, so dass jede Abwertung der eigenen Währung gegenüber dem Euro die Schuldenlast erhöhen würde.“ (Financial Times, 22.1.10)

Was der Mann an Vorteilen einer weiteren Mitgliedschaft im Euro-Club aufzählt, sind Symptome der Konkurrenzunfähigkeit der griechischen Nationalökonomie: Wenn bei der Alternative eines neuen eigenen, allein auf die nationale Wirtschaftskraft gegründeten Kreditgelds ausschließlich die Frage von Belang ist, mit welchen Abwertungsraten gegenüber dem derzeit als Landeswährung genutzten Euro zu rechnen wäre, wie viel mehr an Zinsen gezahlt werden müsste, um einer neuen Drachme überhaupt zu irgendeinem Wechselkurs zu verhelfen, und wie unverhältnismäßig viel von einem solchen Geld aufzuwenden wäre, damit die Nation sich noch die Importe kaufen kann, von denen sie lebt: Dann findet in dem Land eine Akkumulation kapitalistischen Reichtums, die dem Volk durch Benutzung einen Lebensunterhalt zukommen lässt und der Nation zu internationaler Zahlungsfähigkeit verhilft, definitiv nicht statt. Wenn bei höheren Zinslasten für den Staatshaushalt der Wegfall unentbehrlicher „Ressourcen“ für kapitalistisch produktive Geschäftsfelder droht, dann gibt es solche produktiven Sektoren nur als staatliches Projekt – also überhaupt nicht. Wenn der Übergang zu einer eigenen Währung die auf Euro lautende Schuldenlast der Nation unabsehbar steigen ließe, dann hat die sich längst in eine Verschuldung hineingewirtschaftet, der ihre Wirtschaftskraft endgültig nicht mehr gewachsen ist. Das ganze Ergebnis der langjährigen Teilnahme am Binnenmarkt und an der Währungsunion ist eine Unmasse Kredit, die das Land sich mit seiner alten Drachme nie hätte leisten können, die es sich als anerkannter Euro-Schuldner doch hat leisten können – und die der nationale Kapitalismus, den das Land damit zustande gebracht hat, in keiner Weise zu rechtfertigen vermag.

An diesem Missverhältnis allein liegt es aber gar nicht, dass der griechische Schuldenberg jetzt unhaltbar geworden ist.

Der Fall Griechenland

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