Читать книгу Mord in Middle Temple - J. S. Fletcher - Страница 6
ОглавлениеKAPITEL 3
Ohne bestimmtes Ziel streifte Spargo in den Gängen des großen Gebäudes umher. „Wenn ich nur wüsste, warum ich hierhergekommen bin“, dachte er. „Ich habe hier doch eigentlich gar nichts verloren.“
Als er um die nächste Ecke bog, wäre er fast mit Ronald Breton zusammengestoßen. Der junge Rechtsanwalt trug nun eine Perücke, einen Talar und hatte eine Aktenmappe unter dem Arm. Seine Begleiterinnen lachten und unterhielten sich mit ihm. Spargo sah sie nachdenklich an und fragte sich unwillkürlich, welche von den beiden wohl vorhin die pathetische Ansprache gehalten hatte. Die Ältere, die mit einer gewissen Überlegenheit an Bretons Seite ging, konnte es wohl nicht gewesen sein. Sicher war es die Jüngere mit dem lebhaften Gesichtsausdruck. Und plötzlich wurde ihm klar, dass ihn nur die stille Hoffnung hierher getrieben hatte, diese junge Dame wiederzusehen.
Spargo nahm mechanisch seinen Hut ab und grüßte. Breton blieb stehen und sah in fragend an.
„Ja ... ich ... ich bin hergekommen“, begann Spargo, „um Ihnen noch einige Fragen zu stellen. Ich erinnerte mich, dass Sie hier zu tun hatten, und folgte Ihnen. Wenn Sie etwas Zeit haben, möchte ich gern noch ein wenig über diesen Toten mit Ihnen sprechen.“
Breton nickte ihm freundlich zu. „Wenn mein Termin vorüber ist, dann habe ich Zeit für Sie. Können Sie ein wenig warten? Tun Sie mir doch den großen Gefallen und bringen Sie diese Damen auf die Galerie. Es wartet nämlich schon ein Kollege auf mich. Nachher treffen wir uns wieder hier und ich stehe Ihnen zur Verfügung. Darf ich die Herrschaften eben miteinander bekannt machen? Miss Aylmore -Miss Jessie Aylmore - Mr. Spargo von der Redaktion des Watchman. Also auf Wiedersehen.“
Im Nu war Breton verschwunden und Spargo stand allein bei den jungen Damen, die ihn anlächelten. Sie sahen schön und anziehend aus. Die eine war wohl drei oder vier Jahre älter als die andere.
„Das war etwas kühn von Ronald“, sagte die Ältere. „Mein Bräutigam hat gar nicht gefragt, ob es Ihnen passt, Mr. Spargo.“
„Oh, das macht nichts“, erwiderte der Redakteur etwas unsicher. „Ich habe im Augenblick nichts zu tun und leiste Ihnen gern Gesellschaft. Wohin darf ich Sie führen?“
„Zur Galerie von Nummer sieben“, entgegnete Jessie prompt. „Das Zimmer muss gleich hier um die Ecke liegen, ich kenne den Weg.“
Als sie Platz genommen hatten, betrachtete Spargo verstohlen die beiden jungen Frauen. Dieser Breton konnte sich glücklich schätzen, dass er eine so hübsche junge Braut und eine so liebenswürdige und schöne Schwägerin sein eigen nennen konnte. Spargo hatte sich neben Miss Jessie Aylmore niedergelassen.
„Bis der Richter kommt, können wir ruhig plaudern“, meinte er. „Tritt Mr. Breton heute tatsächlich zum ersten Mal vor Gericht auf?“
„Ja, das ist der erste Fall, den er allein führt“, erwiderte sie lächelnd. „Er ist etwas nervös. Und auch meine Schwester ist unruhig, nicht wahr, Evelyn?“
„Ach, das geht wohl jedem so. Aber Ronald ist sich seiner Sache sicher, außerdem ist es ja auch kein wichtiger Fall. Ich fürchte, Sie werden sich langweilen, Mr. Spargo. Es handelt sich nur um eine Wechselklage.“
„Ach nein, ich interessiere mich für solche Sachen. Ich höre gern Rechtsanwälte sprechen, sie verstehen es, so viele schöne Worte zu machen, wegen ... wegen ...“
„Sie meinen, um nichts“, sagte Jessie Aylmore lächelnd. „Aber machen es denn die Leute, die Artikel schreiben, nicht ebenso?“
Spargo wollte gerade zustimmen, als Miss Aylmore ihre Schwester plötzlich auf einen Herrn aufmerksam machte, der soeben den Gerichtssaal betreten hatte.
„Dort ist Mr. Elphick, Jessie.“
Spargo schaute ebenfalls in den Saal hinunter und entdeckte einen älteren, glattrasierten Herrn, der ein wenig zur Korpulenz neigte. Auch er trug Perücke und Talar und nahm in der Nähe des Staatsanwalts Platz. Er klemmte das Monokel ins rechte Auge und sah sich um. Seine Kollegen und die Gerichtsschreiber beachtete er kaum, aber den beiden Damen winkte er freundlich zu, als er sie oben bemerkte.
„Kennen Sie eigentlich Mr. Elphick?“ fragte Jessie.
„Ja, ich glaube, ich habe ihn schon öfters in der Nähe des Temple gesehen.“
„Er wohnt in den Paper Buildings“, erklärte Jessie. „Er ist Ronalds Vormund, sein Lehrer und sein Mentor. Wahrscheinlich ist er hierhergekommen, um sich zu überzeugen, ob sein Schüler seine Sache gut macht.“
„Dort ist auch Ronald“, flüsterte Miss Aylmore. „Und da kommt der Richter. Er sieht nicht gerade sehr freundlich aus. Nun geht es los, Mr. Spargo.“
Aber Spargo kümmerte sich wenig um die Verhandlung unten. Er hörte nur oberflächlich zu. Breton verstand seine Sache. Er kannte alle finanziellen Details und sprach fließend und überzeugend. Spargo interessierte sich dagegen viel mehr für seine beiden Begleiterinnen, besonders für Jessie. Er dachte sogar darüber nach, wie er diese Bekanntschaft wohl fortsetzen könnte.
Die Verhandlung war bald zu Ende. Der Richter hatte zu Ronald Bretons Gunsten entschieden. Spargo verließ mit den beiden Schwestern wieder die Galerie.
„Mr. Breton hat seine Sache ausgezeichnet gemacht. Wirklich ganz ausgezeichnet. Er hat alles so klar und bestimmt vorgetragen“, sagte er abwesend.
Im Korridor trafen sie den jungen Rechtsanwalt im Gespräch mit Mr. Elphick.
„Darf ich dir Mr. Spargo vorstellen, einen Redakteur vom Watchman‚ sagte Breton. „Mr. Elphick - Mr. Spargo. Ich erzählte Mr. Elphick gerade, dass Sie den Ermordeten kurz nach dem Auffinden gesehen haben.“
Mr. Elphick schien sich stark für den Fall zu interessieren.
„Sie haben also diesen Unglücklichen selbst gesehen, der in der Middle Temple Lane lag? Wie ich höre, war es der dritte Eingang?“
„Ja, das“ stimmt.“
„Es ist doch merkwürdig“, meinte Mr. Elphick. „Ich kenne einen Herrn, der dort wohnt. Gestern Abend habe ich ihn sogar noch besucht und bin erst gegen Mitternacht von ihm fortgegangen. Und der Tote hatte Ronald Bretons Adresse in der Tasche.“
Spargo nickte zustimmend. Er sah Breton an und schaute dann auf seine Uhr. Er hatte im Augenblick wenig Lust, sich von Mr. Elphick ausfragen zu lassen.
„Haben Sie jetzt wohl einige Minuten für mich übrig?“, wandte er sich an Breton.
„Ja, ich komme gleich mit Ihnen. Evelyn, ich lasse dich und Jessie in der Gesellschaft von Mr. Elphick zurück. Ich muss jetzt leider gehen.“
Aber der ältere Rechtsanwalt wollte noch mehr wissen. „Glauben Sie, dass ich den Toten einmal sehen kann?“
„Er liegt im Leichenschauhaus. Ich weiß nicht, wie die Vorschriften sind.“
Spargo entfernte sich mit Breton, aber erst als sie die Fleet Street überquert und in die ruhigere Gegend des Temple gekommen waren, wandte sich Spargo an seinen Begleiter.
„Ich wollte Ihnen folgendes sagen“, begann er. „Ich habe schon immer den Wunsch gehabt, einmal einen komplizierten Kriminalfall - einen Mord - in der Presse zu bearbeiten. Und ich glaube, dies ist so ein Fall. Ich möchte mich der Sache ganz und ausschließlich widmen. Und Sie können mir dabei helfen.“
„Woher wissen Sie denn, dass es ein Mord war? “
„Das habe ich im Gefühl. Und ich will der Sache auf den Grund gehen und die Wahrheit herausfinden. Es scheint mir ...“ Er machte eine Pause und sah seinen Begleiter scharf an. „Es scheint mir‚ dass die Lösung des Rätsels in diesem Stück Papier mit ihrer Adresse liegt. Es ist ein Bindeglied zwischen Ihnen und einer anderen Person.“
„Möglich. Und Sie wollen nun ausfindig machen, wer diese andere Person ist?“
„Ja, ich wollte Sie bitten, mir dabei zu helfen. Es ist sicher ein außerordentlich wichtiger und - interessanter Fall. Von den Methoden der Polizei halte ich nicht sehr viel. Übrigens bin ich gerade im Begriff, Detective Rathbury aufzusuchen. Es ist möglich, dass er etwas Neues gehört hat. Wollen Sie mich begleiten?“
Sie begaben sich zur Polizeistation und kam dort an, als Rathbury das Gebäude gerade verlassen wollte.
„Gut, dass ich Sie treffe, Mr. Spargo. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich jemanden zu dem Hutgeschäft geschickt habe. Nun habe ich gerade Nachricht bekommen. Die Reisemütze wurde in dem Geschäft erkannt, und man konnte feststellen, dass sie für einen gewissen Mr. Marbury ins Anglo-Orient-Hotel geschickt wurde. Er wohnte dort in Zimmer zwanzig.“
„Wo ist das Hotel?“, fragte Spargo.
„In der Nähe der Waterloo Station. Wahrscheinlich ein verhältnismäßig kleines Haus. Ich bin gerade auf dem Weg dorthin. Wollen Sie mitkommen?“
„Natürlich!“, antwortete Spargo.
„Wenn ich nicht im Wege bin, würde ich mich auch gern anschließen“, sagte Breton.
Rathbury lachte. „Nun gut. Wir erfahren vielleicht etwas Genaueres über den Papierstreifen mit Ihrer Adresse“, meinte er und winkte das nächste Taxi heran.