Читать книгу Whisky Blues - J. U. Gowski - Страница 10
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ОглавлениеEr ärgerte sich. Wieder einmal. Es haben doch bisher weniger zu seiner Whiskyverkostung, die er zu seinem Geburtstag veranstalten wollte, zugesagt, als er dachte. Drei haben auf seine Mail überhaupt nicht reagiert. Mit seiner Zunge fuhr er sich über die spröden Lippen.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es noch früh am Tag war und ein zweiter Blick in den Kalender, dass keine Termine anstanden. Beim Betrachten des Datums fiel ihm auf, dass heute der dritte Mittwoch des Monats war. Der Tag, an dem abends immer der monatliche Whiskystammtisch im ›Union Jack‹ stattfand. Er war dort noch nie gewesen. Aber vielleicht wäre es ja mal an der Zeit hinzugehen, dachte er. Über die letzte Geschichte mit Uwe sollte inzwischen Gras gewachsen sein. Je länger er darüber nachdachte, umso mehr gefiel ihm die Idee. Ob Uwe noch sauer auf ihn war? Er zuckte gleichgültig mit der Schulter. Ihm doch egal. Was sollte der machen? Ihn rausschmeißen?
Er setzte sich an den Rechner und loggte sich in das Whiskyforum ein. In der Rubrik ›Stammtisch Berlin‹ fand er schon eine Liste, in der man sich eintragen konnte. Er war der Siebente. Über das Forum liefen seine meisten Kontakte. Nicht alle hatten Facebook. Wenn er schon dabei war, konnte er auch gleich bei der Webseite von Sergey, whisky-justforfun, vorbeischauen. Mit einem Klick öffnete er die Seite und sah auf den ersten Blick, Sergey hatte einen Whisky mit 98 Punkten bewertet. Man brauchte kein Prophet sein, die Flaschen dieser Abfüllung würden innerhalb kürzester Zeit preislich durch die Decke gehen. Wer davon welche hatte, könnte die mit sattem Profit verscherbeln. Und er hatte keine einzige davon. Vor einer Woche hatte ihm jemand zwei Flaschen angeboten. Er hatte es ausgeschlagen. Ärger stieg in ihm hoch. Über Sergey, über sich. Jetzt würden andere den Reibach machen und er würde leer ausgehen. Wieder war er zu kurz gekommen. Ein Gefühl, was ihn schon sein ganzes Leben begleitete.
***
Roger Rudy saß am Küchentisch und sah zum Fenster. Der Himmel war seit Tagen wolkenverhangen. Helles Grau wechselte sich mit dunklem ab. Die Wolken hingen schwer und träge über der Stadt. Regentropfen rannen die Scheiben herunter. Ein Zustand, der seit einer Woche kaum unterbrochen wurde. Leichtes Nieseln wechselte sich mit heftigen Schauern ab und umgekehrt. Man konnte leicht zu der irrigen Ansicht kommen, der Winter wäre vorbei. Eine fehlerhafte Annahme, wie ein Blick auf den Kalender zeigte. Für R.R., wie Roger Rudy in bestimmten Kreisen genannt wurde, eigentlich ein typisches Novemberwetter. Vor ihm auf dem breiten Tisch lag auf einem Leinentuch ausgebreitet seine Glock, zerlegt in ihre Einzelteile. R.R. war gerade dabei, sie zu reinigen. Der Revolver daneben, den er einem Rocker bei einem Pokerspiel abgenommen hatte, wartete noch darauf. Die Pistole war nicht registriert, von dem Revolver des Rockers wusste er es nicht, vermutete es aber. Wenn doch, ließe er sich nicht zu ihm zurückverfolgen. Der ursprüngliche Besitzer war wenig später vor einem Wettlokal in Berlin-Wedding von einer rivalisierenden Gang niedergeschossen worden und dann verblutet. Acht Kugeln hatten ihn durchlöchert.
R.R. sah zur Uhr. Sie zeigte Punkt 11. Zeit für ein Glas Wein, dachte er, und einen Blick in die Tageszeitung. Die Todesanzeigen waren dabei für ihn von besonderem Interesse. Er kaufte die Zeitung immer in dem kleinen Lottoladen an der Ecke. Jetzt lag sie auf seinem Schreibtisch. Er schmunzelte still vor sich hin, weil er wegen der Uhrzeit und seinem Wein an Koslowski denken musste. Genauer gesagt, an dessen Spruch, wenn es um seinen notorischen Bierdurst ging: Vor 11.00 Uhr trinke ich nichts. Aber irgendwo auf der Welt ist es immer 11.00 Uhr.‹ R.R. konnte sich nicht erinnern, dass er Koslowski während seiner Arbeitszeit schon mal Biertrinken gesehen hätte. Da bevorzugte er literweise Kaffee. Vermutlich setzte Sal den Spruch in der Freizeit oder im Urlaub um, wenn er denn mal welchen hatte. R.R. sah wieder zum Fenster. Er hatte heute nichts anderes vor, wollte nur eine gewisse Planung voranbringen, die das Oberhaupt des Neuköllner Araberclans Nasser Al-Sharif betraf und zu der er sich bis Mitte März den Termin gesetzt hatte.
R.R. stand auf und ging zu dem temperierten Weinschrank, öffnete die Tür und ließ einen kurzen Blick über die Ansammlung liegender Flaschen gleiten. Er entschied sich für einen neuseeländischen Pinot Noir, zog die Flasche heraus und schloss die Schranktür. Mit einem Korkenzieher öffnete er sie. Dann nahm er die bereitstehende Glaskaraffe und füllte die Flasche um. Den Rest aus der Flasche goss er sich gleich ins Glas. Er setzte den schweren Glasverschluss auf die Karaffe, nahm das Glas in die andere Hand, ging ins Wohnzimmer und stellte alles auf dem geräumigen Schreibtisch ab. Dann schaltete er den Laptop ein und setzte sich in den Schreibtischstuhl. Während der Laptop seine Zeit brauchte, um hochzufahren, hielt er seine Nase ins Glas, sog den Duft ein. Anerkennend verzog sich sein Mund zu einem zufriedenen Lächeln. Ja, das war eine gute Wahl und mit der Zeit in der Karaffe würde er noch besser werden. Nachdenklich schloss er die Augen und dachte an den Auftrag, den ihm Mohammed Javed Zarif gegeben hatte, kurz bevor er ihn dann erschoss. Irgendetwas ließ ihn zögern, es hinausschieben. Hatte er Skrupel? Er hatte sein Wort gegeben und als er das Geld genommen hatte, war klar, dass er den Auftrag ausführen würde. Es ließ sich nicht länger hinauszögern. Das war er Zarif und noch mehr seinem Pflichtgefühl schuldig. Doch irgendwie konnte er sich nicht dazu durchringen. Was war es, dass ihn zögern ließ? Nassers lukrative Aufträge, die es nicht mehr geben würde? Er war sich sicher, er würde andere bekommen. Er hatte einen guten Ruf in der Branche. Und selbst wenn nicht, er hatte genug Geld, um für den Rest seines Lebens ein Auskommen zu haben. Er brauchte nicht viel, das Teuerste waren die Heimkosten für seinen dementen Vater. Was war es dann? Die Unwägbarkeiten, die es mit sich brachte, wenn ein Berliner Clanoberhaupt das Zeitliche segnete? Vermutlich würde es einen Bandenkrieg auslösen. Neu aufflammende Gebietsstreitigkeiten. Revier- und Verteilerkämpfe. Die Führungsstärke von Nassers Sohn Karim würde auf die Probe gestellt werden. Es würde vermutlich ein paar Tote geben und wahrscheinlich würde es auch Unschuldige treffen. War es das, was ihn zögern ließ?
Er öffnete die Augen und nahm einen kleinen Schluck aus dem Glas. Er ließ den Wein in seinem Mund kurz hin und her rollen, bevor er ihn hinunterschluckte. Zufrieden stellte er das Glas wieder auf den Tisch. Seine Gedanken fingen wieder an, um Nasser Al-Sharif zu kreisen. Er hatte schon vor einiger Zeit bemerkt, wie der ihn in letzter Zeit musterte und dabei immer freundlich blieb. Doch seine Augen konnten nicht lügen. Steine blieben Steine, auch wenn sein Mund freundlich lächelte. Nasser überspielte etwas. Und dann hatte R.R. gehört, dass Nasser sich einen Neuen in die Stadt geholt hatte, einen Ausputzer aus Bremen. Die Empfehlung eines befreundeten Araberclans. R.R. hatte sich vorsorglich die Adresse des Bremers besorgt und sich dort umgesehen. Reine Routine. Man konnte nie wissen. Die Wohnung befand sich in der Nähe vom S-Bahnhof Tiergarten. Wie er dann feststellte, stand die Wohnung darüber leer. Er hatte sie sich angesehen. Wenn es hart auf hart kam, würde der Bremer sicher nicht damit rechnen, wie dicht R.R. an ihm dran war. Der Bremer dürfte noch etwas Zeit brauchen, um Berlin besser zu verstehen, um sich einzugewöhnen. Den Atem dieser Stadt einzufangen, das andere Ticken, das Tempo und die merkwürdigen Eigenheiten, die keine andere Stadt besaß. R.R. musste kurz auflachen, als ihm dabei die unfreundlichen Berliner Busfahrer einfielen. Aber R.R. wusste auch, es war nur eine Frage der Zeit, bis für ihn die Luft dünner und Nasser seine Dienste nicht mehr benötigen würde. Jetzt wo er diese Überlegungen sortierte, stellte er fest, es gab keinen Grund, es weiter hinauszuzögern.
Das Klingeln des Handys riss ihn aus den Gedanken. Er sah auf das Display. Lächelnd ging er ran: »Hi Sal, altes Haus, was macht die Mörderjagd?«
»Alles ruhig«, kam es lachend vom anderen Ende. »Die Jungs von der Vierten und Sechsten haben mehr zu tun.«
»Und was?« Es interessierte ihn nur höflichkeitshalber.
»Die Vierte untersucht seit einem Monat den Tod einer Anwaltsassistentin«, antwortete Koslowski bereitwillig. »Ihre Leiche ist in einer ausgebrannten Kanzlei gefunden worden. Wenig später wurde die Anwältin, ihre Chefin, tot in einem Zugabteil aufgefunden. Kopfschuss. Sie war der Rechtsbeistand von Nasser Al-Sharif und unterwegs nach Paris. Und als Krönung hat die rechte Hand von Nasser einen Tag später Selbstmord verübt. Den Tod der Anwältin untersucht die Sechste zusammen mit den Franzosen.« Koslowski legte eine kurze Pause ein und schob dann in einem sarkastischen Tonfall hinterher: »Alles natürlich reiner Zufall und hat nichts miteinander zu tun.« Koslowski lachte leise. R.R. war still geworden und ordnete seine Gedanken.
»Und du siehst das anders?«, fragte er.
»Ja, ich kann bis drei zählen, aber mich hat keiner um meine Meinung gebeten. Warum fragst du?«
»Ach, nur so.«
»Haben deine kriminellen und halbkriminellen Freunde dir was erzählt?«, bohrte Koslowski nach.
»Was sollen sie mir erzählt haben?«
»Na über die Todesfälle. Ich denke, die Straße achtet sehr genau darauf, was passiert. Und wenn es drei Tote gibt, die mit dem Clan von Nasser in Verbindung stehen, machen sie sich Gedanken. So wie ich mir einen Reim darauf mache. Sind ja nicht alles Idioten. Mein Gefühl sagt mir, es werden noch ein paar Tote folgen. Du wirst es mir doch mitteilen, wenn da was im Busch ist, oder?«
»Dafür bist du aber gut gelaunt«, erwiderte R.R., ohne auf Koslowskis Frage einzugehen. Koslowski registrierte es, fragte aber nicht weiter nach. Er wusste, dass R.R. sich seit Jahren in einem grauen Umfeld bewegte, nachdem er aus der Fremdenlegion desertiert war. Koslowski wollte nicht wissen, welcher Art R.R.s Geschäfte waren. R.R. war sein Freund. Darum sagte er nur: »Warum auch nicht. Ein paar Gangster dezimieren sich gegenseitig. Das verschafft der Stadt etwas Luft und mir Arbeit.«
»Wo bleibt deine moralische Messlatte?« R.R. hatte misstrauisch die Augenbrauen hochgezogen.
»Die hab ich tiefer gelegt. Die hat seit den letzten beiden Fällen einen Knacks bekommen.«
»Wie das?«
»Vielleicht waren mir die Mörder zu sympathisch.«
»Es kann nicht nur unsympathische Mörder geben«, stellte R.R. sachlich fest, um dann die Frage hinterherzuschieben: »Aber deswegen hast du nicht angerufen, oder?«
»Nein, ich wollte dich zu einem Whiskyabend im Union Jack einladen.«
»Zu deiner 7th Sense Runde? Das ist doch ein geschlossener Kreis, wie du mir erzählt hast.«
»Ja, ist so und bleibt auch so. Aber es gibt da einen Stammtisch, an dem jeder teilnehmen kann, der Lust darauf hat. Er findet jeden dritten Mittwoch des Monats im Pub statt. Ich dachte, ich revanchier mich für das Weihnachtsgeschenk und lade dich ein. Vielleicht ist ja doch noch nicht alles bei dir verloren und du kommst auf den Geschmack. Hast du Lust?«
R.R. überlegte und sah auf das Glas Wein, das vor ihm stand. Dann sagte er sich, warum nicht. Mit Sal wird es bestimmt spaßig und zur Not kann er immer noch Guinness trinken.
»Okay, wann wollen wir uns treffen?«
»Gegen 19.00 Uhr im Pub«, antwortete Koslowski erfreut.
»Bis dann, Sal.«
Er legte auf. Nachdenklich sah er zum hochgefahrenen Laptop und ließ seine letzten Gedanken noch einmal Revue passieren. Wenn Nasser ihn nicht mehr brauchte, was dann? Der Gedanke kreiste schon länger durch seinen Kopf, wohl wissend, dass sich daraus nur eine Konsequenz ergab. Es gab keine andere Möglichkeit. Nasser musste ihn loswerden. Zeugen waren unerwünscht. Unbewusst strich er sich über die kleine rote Narbe am Kinn. Sein Freund Koslowski hatte recht. Es würde noch ein paar Tote geben. Keiner der rivalisierenden Gangs glaubte, dass Nasser seinen besten Mann selber in den Tod geschickt hatte. Sie waren nervös, verdächtigten sich gegenseitig. Neue Allianzen wurden geschmiedet. Eine falsche Aktion konnte eine Lawine auslösen. Er dachte wieder an den Bremer. Als Fremder kannte er sich noch nicht so gut aus in der Stadt, wusste auch nicht, wo R.R. wohnte. Genauso wenig wie Nasser Al-Sharif oder sein Freund Koslowski. Nasser musste ihn also zu sich ins Bistro bestellen, wie immer, wenn er R.R. einen Auftrag geben wollte. Nasser würde ihm freundlich lächelnd einen Stuhl anbieten, mit dem Rücken zur Tür. Seine Augen verfinsterten sich bei dem Gedanken. Doch noch war es nicht soweit und das gab ihm die Zeit, die er brauchte, um den offenen Auftrag auszuführen. Gute Vorbereitung war alles.
Er beugte sich vor, griff nach der Zeitung und schlug die für ihn wichtige Seite auf. Die Todesanzeigen. Routinemäßig überflog er sie und dann blieben seine Augen an der Anzeige hängen, die nur für ihn bestimmt war: ›Robert Richter - Du fehlst uns. Deine Kinder. Die Beisetzung findet heute um 11.30 Uhr im engsten Kreise statt.‹ Robert Richter für R.R.. Darunter stand eine bekannte Telefonnummer. Es war Nassers Nummer. Er sah auf die Uhr. 11.15 Uhr. Sollte er gleich anrufen? Das Zeitfenster war bis 11.30 Uhr angegeben.
Er stand auf, holte ein anderes Handy aus der Schreibtischschublade und wählte die Nummer. Als nach zweimaligem Klingeln abgehoben wurde, fragte er spöttisch: »Was verschafft mir die Ehre?«
Am anderen Ende wurde gelacht. Es hörte sich an wie ein heiseres Bellen. Nasser Al-Sharif sagte: »Ich will etwas mit dir besprechen.«
R.R. schwieg.
»Hast du heute Abend Zeit? Kannst du in meinem Bistro vorbeikommen? Am besten, kurz nachdem wir geschlossen haben. Gegen 23.15 Uhr. Klopf einfach an die Scheibe. Karim lässt dich dann rein.«
R.R. überlegte. Ihm musste etwas einfallen, was Nasser nicht vor den Kopf stoßen würde, womit er aber Zeit gewann. Er überlegte, wann das Bistro am besten frequentiert war. Vermutlich zwischen 18.00 und 19.00 Uhr.
»Was ist?«, klang es vom anderen Ende.
»Ich hab nur in meinen Kalender geschaut.«
»Ja klar, der Kalender«, höhnte Nasser.
»Und ich muss dir sagen«, erwiderte R.R. gleichmütig, »heute Abend geht es nicht. Bin verabredet. Aber ich könnte gegen 18.00 Uhr bei dir sein, dann kann ich auch gleich dein leckeres Falafel essen.«
R.R. hörte Nassers schweren Atem. Es schien ihm nicht zu passen. Aber wenn er sich keine Blöße geben wollte, musste er wohl zustimmen. R.R. lächelte in sich hinein.
»Gut 18.00 Uhr.« Nasser Al-Sharif legte auf.