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4.

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R.R.s Gefühl hatte nicht getrogen. Nassers Anruf entpuppte sich als leicht zu durchschauender Vorwand. Vermutlich hatte er mit seiner Zeitvorgabe Nassers eigentlichen Plan zunichtegemacht. Zu viele Menschen haben ihn gesehen, wie er das Bistro betrat, sich am Tisch vor dem Fenster platzierte und Falafel aß und dann ganz laut zu Karim, Nassers Sohn hinter dem Tresen, rief: »Kannst deinem Vater sagen, ich bin wie immer begeistert von seinem Falafel.«

Eine vierköpfige Familie hatte aufgeschreckt zu ihm hingesehen, ein junger Mann ihm zustimmend den Daumen hochgehalten. Auch der hagere Mann in der Ecke mit den blassen Augen hatte kurz zu ihm hingesehen, bevor er sich wieder dem Essen widmete.

Karims Antwort fiel knapp und mürrisch aus: »Sag es ihm selber!«

Was R.R. dann auch machte, nicht ohne im Gehen zu rufen: »Bin gleich wieder zurück, kannst mir schonmal die Rechnung fertig machen.«

Nasser hatte ihn nur kurz zu seinem letzten Auftrag befragt, den R.R. erfolgreich für ihn ausgeführt hatte. Es war nichts, was man nicht auch hätte am Telefon klären können. Wenig später verließ er das Bistro. Der Wind blies ihm kalte Regentropfen ins Gesicht. Er schlug den Mantelkragen hoch und ging langsam in Richtung Hochtrasse der U-Bahn. Unschlüssig blieb er stehen. Überlegte, fragte sich, wie viel Zeit er gewonnen hatte. Es würde sicher nicht lange dauern, bis Nasser sich erneut melden würde. Und da würde er keine Ausrede parat haben. Er wusste, er musste handeln. Die Zeit des Abwartens war endgültig vorbei. Der Blick auf die Uhr sagte ihm, er würde noch rechtzeitig zu seiner Verabredung mit Sal kommen. Doch vorher wollte er noch etwas überprüfen. Langsam schlenderte er los. Er war etwa dreißig Meter gegangen, da öffnete sich erneut die Bistrotür. Eine schlanke Gestalt betrat die Straße und sah dem davonschlendernden R.R. hinterher. Der Mann wartete kurz und folgte R.R. dann in einem sicheren Abstand.

***

Paul Haverkamp sah aus dem Fenster. Grau, nass. Lichter flogen vorbei. Er fand Berlin hässlich. Es soll schöne Ecken geben, hatte man ihm wage versprochen, als er nach Berlin ausgeliehen wurde, um Nasser Al-Sharif bei seinem Problem zu helfen. Er vermutete, sein Boss hat nicht gewusst, wovon er eigentlich redete. Oder er hatte die schönen Plätze einfach noch nicht gefunden. Er vermisste die Spaziergänge an der Weser, dort zu sitzen, zu lesen. Ihm gegenüber saß eine Frau. Ihr Gesicht bestand aus Schlitzen. Augen, Mund, großflächig bunt angemalt, um wahrgenommen zu werden. Sie lächelte ihn an. Er lächelte nicht zurück. Der Zug fuhr langsam in den Bahnhof Zoo ein. Touristen mit ihren Koffern drängelten zur Tür. Die Türen öffneten sich, ungeduldig ließen die Wartenden die Fahrgäste aussteigen. Paul Haverkamp musterte amüsiert die Hektik der Aus- und Einsteigenden. Als die neuen Fahrgäste einstiegen, war R.R. gemächlich aufgestanden und hatte sich an die Tür gestellt. Paul Haverkamp vermutete, dass R.R. an der nächsten Station aussteigen wollte. Der Mann, den Nasser nur R.R. nannte, weil er dessen vollständigen Namen nicht kannte, sah teilnahmslos vor sich hin. Als der Zug in den S-Bahnhof Savignyplatz einfuhr, sah R.R. hoch. Sein umherschweifender Blick streifte kurz Paul Haverkamp. Der war sich aber sicher, dass R.R. ihn nicht wahrgenommen hatte. R.R. stieg aus. Paul Haverkamp ließ erst die anderen Fahrgäste einsteigen, dann, kurz bevor die Türen sich schlossen, stieg er auch aus. Er folgte R.R wieder in sicherem Abstand. Der lief, ohne sich umzusehen, die Treppen hinunter und bog dann unten an der Straße angekommen rechts ab. Der Regen hatte aufgehört. Lichter der Straßenlaternen und Restaurants glänzten schimmernd auf dem schwarzen Asphalt.

R.R. lief die Schlüterstraße entlang. Paul Haverkamp ließ zwischen ihnen einen größeren Abstand. An der Kreuzung Kantstraße blieb R.R. stehen. Rot. Paul Haverkamp überlegte, die Straßenseite zu wechseln. Diese Entscheidung wurde ihm abgenommen. Die Ampel sprang auf Grün. R.R. lief weiter. Es herrschte reges Treiben. Menschen eilten durch die mit Bäumen gesäumte Straße. Die Altberliner Mietshäuser schienen vor einiger Zeit saniert worden zu sein. Straßenlaternen erhellten ihre in freundlichen, hellen Farben gehaltenen Stuckfassaden. Nette Wohngegend, dachte Haverkamp. Er lief an einem gut besuchten Restaurant vorbei, etwa fünfzig Meter hinter R.R., als der nach dem Überqueren der kleinen Seitenstraße plötzlich die Straßenseite wechselte. Haverkamp blieb im Dunkeln der Häuserwand stehen. Er wartete ab. Sah, wie R.R. zielstrebig auf eine Kneipe zulief. Nach dem Namen ›Union Jack‹ zu urteilen, ein Pub. Paul Haverkamp überlegte. Für ihn sah es so aus, als wollte R.R. dort jemanden treffen. R.R. hatte Nasser scheinbar doch nicht angelogen, hatte tatsächlich eine Verabredung. Paul Haverkamp sah auf die Uhr. Es war kurz vor 19.00 Uhr. Er holte sein Handy aus der Manteltasche und wählte Nassers Nummer.

»Und, was gibt es?«, fragte Al-Sharif lauernd.

»Ich bin ihm gefolgt. Er ist jetzt in einem Pub. Heißt Union Jack. Ist in der Schlüterstraße, in der Nähe vom S-Bahnhof Savignyplatz.«

»Ich kenne die Straße. Was macht er da?«

»Keine Ahnung. Scheinbar trifft er da seine Verabredung.«

Nasser schwieg enttäuscht, dann sagte er: »Hat der Hurensohn wohl noch einmal Glück gehabt. Gönnen wir ihm diesen Abend.«

»Was soll ich tun?«

»Bleib an ihm dran. Er muss ja irgendwann nach Hause gehen. Ich will wissen, wo er wohnt.«

Dann wurde aufgelegt. Haverkamp steckte das Handy weg. Es hatte wieder angefangen zu regnen. Er schlug den Mantelkragen hoch. Sollte er es wagen? Wenn der Pub leer war, würde er R.R. auffallen. Aber hier draußen stehenbleiben, bei dem Wetter? Er war sowieso schon erkältet. Es könnte sich um Stunden handeln. Er beschloss, wenn noch mehr Gäste den Pub aufsuchten, würde er sich dranhängen und ihnen einfach folgen, so tun, als gehöre er dazu.

***

R.R. betrat den Union Jack und wie er gleich bemerkte, war Koslowski noch nicht da. Der Pub war leer. Er war der erste Gast. Stefan, der Barkeeper, rückte gerade noch die Stühle an den Tischen zurecht, als R.R. auf ihn zutrat und grüßte. Stefan brauchte einen kurzen Moment, um ihn einzuordnen. Dann huschte ein erkennendes Lächeln über das bärtige Gesicht. Er hatte Koslowskis Freund erkannt. Sie reichten sich die Hände.

»Ich mach dir dein Guinness gleich fertig. Kommt Sal auch?«

»Ja, er hat mich zu dem Stammtisch eingeladen.«

»Stammtisch?« Stefan sah ihn fragend an, was R.R. verunsicherte.

»Heute ist doch der Stammtisch, oder?«, fragte R.R. nach.

Stefan fing an zu brabbeln: »Typisch, nie sagt mir hier einer was. Uwe hätte mich ja auch mal dran erinnern können.«

Er sah zu R.R. »Setz dich schon mal. Dein Guinness kommt gleich. Ich muss erstmal telefonieren.«

R.R. wollte sich an den kleinen Tisch in der Nische im Nebenraum setzen, an dem er und Koslowski immer saßen, wenn sie hier ihr Bier tranken. Aber Stefan bedeutete ihm mit den Worten: »Der Stammtisch ist dort«, sich an einem der Tische im vorderen Gastraum zu platzieren. Er folgte brav Stefans Anweisung und setzte sich an einen Tisch in der hinteren rechten Ecke des Raumes, auf die grün gepolsterte Holzbank. Hinter sich die geschlossenen Fenster.

Stefan ging zum Tresen, griff sich das Mobiltelefon und wählte eine Nummer. Er stellte den Kopf schräg und klemmte es sich zwischen Schulter und Ohr. Nebenbei fing er an, das Guinness zu zapfen.

»Ja Uwe, ich bin’s.« Scheinbar antwortete Uwe etwas. R.R. sah interessiert zu Stefan hin. Bewunderte, mit welcher Geschicklichkeit er gleichzeitig das Bier zapfte, telefonierte und nebenbei Gläser polierte, während er darauf wartete, dass sich der Schaum in R.R.s Glas setzte, um weiterzapfen zu können.

»Du kommst also noch?«, fragte Stefan. Die Antwort von Uwe fiel kurz aus.

»Gut, denn wir haben heute wieder Stammtisch.« Einen kurzen Moment später verzog Stefan das Gesicht. Scheinbar gefiel ihm die Antwort von Uwe nicht.

»Du hättest mich trotzdem erinnern können, ich muss doch die Gläser und Wasser bereitstellen.«

Stefan hörte noch kurz zu und sagte dann, während er auflegte: »Mein Gott, ist ja gut.«

R.R. vermutete, Uwe hatte es nicht mehr gehört.

Die Pubtür öffnete sich und vier Männer betraten den Gastraum. Sie warfen dem Barkeeper einen Gruß zu, dann steuerten sie zur linken Seite des Gastraums. Dem gegenüberliegenden Ende, an dem R.R. saß. Einer der vier fragte: »Wie viele werden wir denn heute?«

Er erntete nur ein Schulterzucken.

Kurze Zeit später betrat ein Pärchen den Pub und sah sich kurz um. Dann hellte sich das Gesicht des Mannes auf, er wies zu den anderen vier und sagte dabei etwas zu seiner Freundin. R.R. verfolgte es interessiert. Stefan stellte das frisch gezapfte Guinness vor R.R. auf dem Tisch ab und ging zu dem anderen Tisch, um die Bestellungen der neu eingetroffenen Gäste entgegenzunehmen. Einen kurzen Moment später öffnete sich wieder die Tür. R.R.s Mundwinkel verzogen sich spöttisch. Er hatte Koslowski in der neuen Gruppe erspäht, die den Pub betrat. Aus den Boxen der kleinen Hifi-Anlage hinter dem Tresen ertönte gerade der Song ›Moon of Alabama‹. Wie passend, dachte R.R., als Jim Morrison sang: ›oh, show me the way to the next whiskey bar.‹ Er war versucht mitzusingen, als sein Gesicht plötzlich ernst wurde. Er hatte jemanden in der Gruppe erkannt, die gerade den Gastraum betrat und hatte den nicht unbedingt erwartet. Er musste anerkennen, der Typ war kaltschnäuzig. Es war der dünne Mann, der im Bistro gesessen und es kurz nach ihm verlassen hatte. Der Mann mit den blassen Augen und dem teigigen Gesicht, den er die Treppe des U-Bahnhofs hatte hinaufkommen sehen, der sich in der S-Bahn zwei Abteile weiter hingesetzt hatte. R.R. war sich sicher, der Bremer. Er lächelte finster. Nasser ließ scheinbar nicht locker, wollte wissen, wo er wohnte. Für Plan B.

R.R. sah, wie der Bremer den Leuten am Tisch die Hand schüttelte und sich dann zu ihnen setzte. R.R. musste zugeben, das war gut. Tat so, als würde er dazugehören. Hätte R.R. nicht mit Nassers Vorgehensweise einer Beschattung gerechnet, der Bremer wäre ihm vermutlich nicht aufgefallen. R.R. musterte ihn unauffällig. Das hagere Gesicht mit der spitzen, leicht schiefen Nase, deren gerötete Nasenflügel noch von der bleichen Gesichtsfarbe betont wurden.

Koslowskis Ausruf: »Hey Träumer« riss ihn aus den Gedanken.

Whisky Blues

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