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Kapitel 1

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Der Weg zu den Ursprüngen

Verhaltne Sehnsucht aus Nomadentagen

Schabt an gewohnten Ketten; irgendwann

Wird, was nur schlief, der Zähmung sich entschlagen,

Und alte Art bricht ungestüm sich Bahn.

Buck las keine Zeitungen, sonst hätte er gewusst, dass sich Unheil zusammenbraute – nicht nur für ihn selbst, sondern für jeden wassertauglichen Hund vom Puget Sound bis hinunter nach San Diego, der kräftige Muskeln besaß und ein warmes langhaariges Fell. Die Menschen hatten sich in die arktische Finsternis vorangetastet und ein gelbes Metall entdeckt, und seitdem Dampfschifffahrts- und andere Transportgesellschaften den Fund mit lautem Getöse priesen, strömten Männer zu Tausenden in das Nordland. Diese Männer brauchten Hunde, und sie brauchten große, massige Hunde mit kräftigen Muskeln, die zu harter Arbeit befähigten, und mit dichtem Pelz, der sie gegen die Kälte schützte.

Bucks Heimat war ein großes Haus im sonnenverwöhnten Tal von Santa Clara, Kalifornien. Das Anwesen hieß allgemein ›Richter Millers Hof‹. Es lag ein wenig abseits der Straße, halb verdeckt von Bäumen, welche nur hier und da den Blick freigaben auf die breite, kühle Veranda, die das Gebäude auf allen vier Seiten umschloss. Zu ihm hin wanden sich Kieswege durch ausgedehnte Rasenflächen und unter den ineinander verflochtenen Ästen hoher Pappeln hindurch. An der rückwärtigen Seite war alles eher noch großzügiger bemessen als an der vorderen: geräumige Ställe, in denen ein Dutzend Reitknechte und Rossburschen schwatzend ihrer Arbeit nachgingen; ganze Reihen weinberankter Hütten für die Bediensteten und ein endloses, aber wohlgeordnetes Ensemble weiterer Nebengebäude; lange Laubengänge; grüne Weiden; Obstbaumgärten und Beerenstrauchbeete. Schließlich gab es noch die Pumpe für den Springbrunnen und das große zementierte Wasserbecken, in dem Richter Millers Söhne ihr Morgenbad nahmen und sich an heißen Nachmittagen abkühlten.

Und über diesen Großgrundbesitz herrschte Buck. Hier war er geboren, hier hatte er die ersten vier Jahre seines Lebens verbracht. Sicherlich, es gab dort noch andere Hunde, was kaum verwundert bei einem so gewaltigen Anwesen; aber die zählten nicht. Sie kamen und gingen, bevölkerten die Zwinger oder fristeten ein obskures Dasein in irgendwelchen entlegenen Winkeln des Hauses, so wie Toots, der Japanische Mops, oder Ysabel, die zur Rasse der Mexikanischen Nacktpinscher gehörte – seltsame Wesen, die kaum einmal die Nasen aus der Tür steckten oder die Füße auf den Boden setzten. Außerdem gab es da noch gut zwanzig Foxterrier, die drohend zu kläffen pflegten, wenn Toots und Ysabel sich am Fenster blicken ließen; immerhin stand den beiden eine Legion besen- und schrubberschwingender Dienstmädchen zur Seite.

Buck jedoch war weder Haus- noch Zwingerhund. Ihm gehörte das gesamte Reich ringsum. Er schwamm mit den Söhnen des Richters im Wasserbecken und ging mit ihnen jagen; er begleitete Mollie und Alice, die Töchter des Richters, auf ihren langen Wanderungen im Dämmerlicht des Abends oder frühen Morgens; in Winternächten lag er zu Füßen des Richters vor dem prasselnden Kaminfeuer in der Bibliothek; er ließ des Richters Enkelkinder auf seinem Rücken reiten oder wälzte sich mit ihnen im Gras und wachte über sie, wenn sie abenteuerliche Ausflüge unternahmen, zum Brunnen hinter den Stallungen etwa oder noch weiter hinaus, zu den Koppeln und den Beerensträuchern. Gebieterisch stolzierte er durch die Meute der Terrier; Toots und Ysabel ignorierte er völlig; schließlich war er hier König – König über alle kriechenden, krabbelnden, fliegenden Wesen auf Richter Millers Hof, menschliche inbegriffen.

Schon sein Vater Elmo, ein mächtiger Bernhardiner, und der Richter waren unzertrennliche Gefährten, und der Sohn schien in diese Rolle hineinzuwachsen. Ganz so stattlich wie Elmo war Buck mit seinen nur hundertvierzig Pfund freilich nicht; seine Mutter, Shep, war eine schottische Schäferhündin gewesen. Doch zu den hundertvierzig Pfund kam ja die Würde hinzu, die Wohlleben und allseitiger Respekt mit sich bringen, und so konnte er in wahrhaft königlicher Manier auftreten. Tatsächlich hatte er während seiner vier Jahre Welpenzeit das Leben eines saturierten Aristokraten geführt; er war ganz schön stolz auf sich, sogar etwas selbstgefällig, wie sich dies bei Landedelleuten aufgrund ihrer isolierten Existenz gelegentlich einstellt. Trotzdem wurde er kein verzärtelter Haushund. Die Jagd und ähnliche Frischluftvergnügen schützten ihn vor Fettansatz und härteten seine Muskulatur; wie bei all jenen Artgenossen, die sich gern im Wasser tummeln und ein kaltes Bad schätzen, tat die Liebe zum Wasser auch an ihm ihre stärkende und gesundheitsbewahrende Wirkung.

So stand es um Buck, den Hund, als im Herbst des Jahres 1897 die Sensation von Klondike Männer aus allen Ländern in den eisigen Norden lockte. Aber Buck las keine Zeitungen. Leider wusste er auch nicht, dass Manuel, einer der Gärtnergehilfen, eine nicht unbedingt empfehlenswerte Bekanntschaft war. Manuel hatte ein Gewohnheitslaster: Er spielte gern Chinesische Lotterie. Und beim Spielen hatte er auch noch eine Gewohnheitsschwäche: Er glaubte an ein unfehlbares System. Damit war sein Untergang unausweichlich. Denn fürs Spielen nach System braucht man Geld, und was Manuel als Gärtnergehilfe verdiente, reichte gerade einmal, um sich selbst, seine Ehefrau und eine stattliche Nachkommenschar durchzubringen.

Eines Tages besuchte der Richter eine Zusammenkunft des Verbands der Rosinenerzeuger, und seine Söhne trafen sich mit anderen Jungen, um einen Sportclub zu gründen. So waren sie nicht daheim an dem denkwürdigen Abend von Manuels Verrat. Niemand sah, wie er und Buck durch den Obstgarten das Gelände verließen und zu etwas aufbrachen, in dem Buck nicht mehr vermutete als einen kleinen Spaziergang. Und niemand sah, wie sie sich in Richtung Eisenbahn bewegten und schließlich bei der kleinen Bedarfshaltestelle College Park ankamen – niemand, außer einem einzelnen Mann. Dieser Mann wechselte ein paar Worte mit Manuel, und dann klimperte Geld zwischen den beiden.

»Eingtlich verpackt man ja seine Ware vernünftich, bevor man se liefert«, bemerkte der Fremde mürrisch. Manuel legte Buck einen dicken Strick um und fixierte die Schlinge unterhalb des Halsbands.

»Einfach zuziehn, dann bleibt’m voll die Luft weg«, empfahl Manuel; der Fremde brummte einen knappen Dank für den Rat.

Buck hatte den Strick mit ruhiger Würde hingenommen. Er fand die Aktion zwar ungewöhnlich, aber er hatte gelernt, den Menschen zu vertrauen und ihnen eine Weisheit zuzugestehen, die über seine hinausreichte. Als die Strickenden jedoch dem Fremden in die Hand gedrückt wurden, knurrte er drohend. Er deutete damit sein Missfallen nur an, weil er in seinem Stolz meinte, die bloße Andeutung komme einem Befehl gleich. Aber zu seiner Überraschung schnürte sich der Strick um seinen Hals zusammen und schnitt ihm den Atem ab. In jäher Wut sprang er den Mann an; der freilich fing ihn auf halbem Wege ab, packte ihn dicht bei der Kehle und warf ihn mit einer geschickten Drehung auf den Rücken. Unbarmherzig zog sich die Schlinge immer enger, als Buck sich tobend freizukämpfen suchte; schon baumelte ihm die Zunge aus dem Maul, und seiner breiten Brust entrang sich ohnmächtiges Keuchen. Nie in seinem ganzen Leben war er so gemein behandelt worden, und nie hatte er solchen Zorn gefühlt. Bald aber verebbte seine Kraft; seine Augen wurden glasig; er nahm gar nicht mehr wahr, wie die beiden Männer den Zug per Flaggensignal anhielten und ihn in den Gepäckwaggon warfen.

Als er wieder zu sich kam, blieben seine Empfindungen zunächst undeutlich. Immerhin spürte er: Seine Zunge schmerzte, und er lag in irgendeinem Transportmittel, das ihn stark durchrüttelte. Der heisere Pfiff einer Lokomotive an einem Bahnübergang sagte ihm genauer, wo er war. Schließlich hatte er den Richter oft genug auf dessen Reisen begleitet, da mochte er wohl wissen, wie sich die Fahrt in einem Gepäckwagen anfühlt. Er öffnete seine Augen, und der unbändige Zorn eines entführten Königs trat in seinen Blick. Der Mann wollte erneut rasch nach seiner Kehle greifen, aber er war nicht schnell genug für Buck. Seine Fänge schlossen sich um die Hand des Mannes und gaben sie erst wieder frei, als der Strick ihn abermals bis zur Besinnungslosigkeit würgte.

»Tja, kriegt er dauernd, diese Anfälle«, erklärte der Mann und verbarg seine zerfleischte Hand vor dem Gepäckwagenschaffner, den der Kampfeslärm herbeigelockt hatte. »Deshalb bring ich ihn für mein’ Boss nach Frisco zu so ’m Superdokter, der weiß was dagegen, sagt er jedenfalls.«

Erst später schilderte der Mann die Ereignisse der nächtlichen Fahrt wortreich aus seiner Sicht; da hockte er im kleinen Hinterschuppen einer Hafenkneipe von San Francisco.

»Ganze fuffzich Piepn krieg ich dafür«, grummelte er. »Aber jetzt könnt man mir tausend bieten, bar aufe Kralle, und ich würds nich wieder machen.«

Seine Hand war in ein blutgetränktes Taschentuch gewickelt und sein rechtes Hosenbein vom Knie bis zum Knöchel aufgeschlitzt.

»Wie viel hat’n der andere Typ gekriegt?«, fragte der Wirt.

»Einhundert«, lautete die Antwort. »Keinen Sou wollt der runtergehn, ehrlich.«

»Das wärn insgesamt hundertfuffzich«, rechnete der Wirt. »Ist er aber auch wert, oder man soll mich ’nen Trottel schimpfen.«

Der Kidnapper nahm den blutigen Verband ab und betrachtete seine zerbissene Hand. »Wenn das man nich Tollwut wird …«

»… dann nur, weil de für’n Galgen geborn bist«, ergänzte der Wirt lachend. »So, jetzt hilf mir eben, dass wir mal weiterkommen mit deiner Fracht«, setzte er hinzu.

Noch ganz benommen, mit unerträglichem Schmerz in Kehle und Zunge, versuchte der halb zu Tode gedrosselte Buck sich seinen Peinigern entgegenzustellen. Doch sie schleuderten ihn nieder und würgten ihn erneut mehrmals hintereinander, denn er sollte stillhalten, bis sie das schwere Messinghalsband durchgefeilt hatten. Kaum war dies geschafft, lösten sie den Strick und warfen Buck in eine käfigartige Lattenkiste.

Hier lag er nun den Rest der Nacht und überließ sich seinem Groll und seinem verletzten Stolz. Er begriff nicht, was das alles sollte. Was hatten sie mit ihm vor, diese fremden Leute? Wozu pferchte man ihn in diese enge Kiste? Er wusste nicht warum, aber ihn bedrückte eine dumpfe Ahnung, dass Schlimmes bevorstand. Jedes Mal, wenn sich während der Nacht die Tür des Schuppens knarrend öffnete, sprang Buck erwartungsvoll auf, denn er glaubte, es müssten gleich der Richter oder wenigstens seine Söhne hereintreten. Aber jedes Mal war es nur das gedunsene Gesicht des Wirts, der ihn im schwachen Licht einer Talgkerze musterte. Und jedes Mal wandelte sich das freudige Bellen, das aus Bucks Kehle herauswollte, in ein böses Knurren.

Ansonsten ließ ihn der Wirt aber zufrieden. Am Morgen kamen vier Männer und holten die Kiste ab. Neue Quälgeister, befand Buck, denn es waren finstere Gestalten, zerlumpt und ungepflegt. Er raste und wütete gegen sie durch die Gitterstäbe. Doch die Kerle lachten nur und stießen mit Stöcken nach ihm, in die er prompt seine Zähne schlug, bis er merkte, dass sie genau dies bezweckten. Da legte er sich mürrisch hin und randalierte auch nicht, als man die Kiste hochhob und in einen Waggon lud. Nun sollten er und die Kiste, in der er gefangen war, eine Weile durch viele Hände wandern. Angestellte der Eilgutabteilung übernahmen Buck und verfrachteten ihn in einen anderen Waggon. Dann karrte ihn, zusammen mit etlichen Paketen und Schachteln, eine Lastkutsche auf einen Fährdampfer. Vom Fährdampfer beförderte man Buck in ein großes Eilgutlager der Eisenbahn, und schließlich verstaute man ihn im Gepäckwaggon eines Expresszugs.

Zwei Tage und zwei Nächte zerrten quietschende Lokomotiven den Gepäckwaggon hinter sich her, und zwei Tage und zwei Nächte bekam Buck weder zu fressen noch zu trinken. In seinem Zorn war er den ersten Annäherungsversuchen der Bahnleute mit bösem Knurren begegnet, und sie revanchierten sich, indem sie ihn triezten. Wenn er sich bebend und wutschäumend gegen die Stäbe schleuderte, verlachten und neckten sie ihn. Sie knurrten und bellten wie abscheuliche Köter, miauten oder schlugen mit den Armen und krähten. Alles pure Albernheit, das wusste Buck wohl, aber eben durch diesen Hohn fühlte er seine Würde noch ärger verletzt, und sein Zorn wuchs und wuchs. Der Hunger machte ihm nicht so viel aus, aber der Wassermangel quälte ihn grausam und fachte seinen Groll zu Fieberglut. Und wahrhaftig hatten die Misshandlungen bei dem hochempfindlichen und feinfühligen Buck ein Fieber ausgelöst, das sich infolge der Entzündung seines trockenen und geschwollenen Gaumens und Rachens noch verschlimmerte.

Eines zumindest freute ihn: Das Seil um seinen Hals war weg. Die Schlinge hatte seinen Feinden bisher einen unfairen Vorteil verschafft; jetzt aber, wo sie ihn nicht mehr hinderte, würde er es ihnen zeigen. Nie wieder sollten sie ihm einen Strick um den Hals legen; das stand für ihn fest. Zwei Tage und zwei Nächte hatte er weder gefressen noch getrunken; und während dieser zwei Tage und zwei Nächte sammelte er all seinen Zorn zu einer geballten Ladung, die nichts Gutes verhieß für den, der ihm als Erster in die Quere käme. Seine Augen waren blutunterlaufen; er verwandelte sich mehr und mehr zu einem rasenden Dämon. Er hatte sich so stark verändert, dass nicht einmal der Richter ihn wiedererkannt hätte. Die Bahnleute atmeten jedenfalls erleichtert auf, als sie ihn in Seattle aus dem Zug schafften und ein Fuhrwerk ihn abholte.

Vier Männer trugen die Kiste behutsam in einen engen, von hohen Mauern umschlossenen Hinterhof. Ein stämmiger Mann mit einem roten Pullover, der ihm weit um den Hals schlackerte, kam heraus und quittierte dem Fahrer den Empfang im Frachtbuch. Dieser Mann, so schwante es Buck, würde sein nächster Peiniger. Ungestüm warf er sich gegen die Stäbe. Der Mann lächelte grimmig und holte eine Axt und einen Knüppel.

»Sie lassen ihn doch hoffentlich nicht jetzt gleich raus?«, fragte der Kutscher.

»Doch, doch«, erwiderte der Mann und trieb die Axt in die Kiste, um die Latten wegzubrechen.

Und auseinander stoben die vier Männer, die den Käfig hereingetragen hatten, und suchten sich oben auf der Mauer einen sicheren Platz, um das Schauspiel zu verfolgen.

Buck stürzte sich auf das splitternde Holz, grub seine Zähne hinein, schoss empor und rang mit den Stabresten wie mit einem lebendigen Gegner. Wo immer die Axt draußen niedersauste, fand er sich drinnen knurrend und schnaubend zur Stelle; er war ebenso in rasender Wut begierig, hinauszugelangen, wie der Mann mit dem roten Pullover in ruhiger Gelassenheit bestrebt war, ihn herauszuholen.

»Tja, dann komm, du rotäugiger Teufel«, rief er, als die von ihm geschaffene Öffnung groß genug war, dass Buck sich hindurchzwängen konnte. Nun ließ er die Axt fallen und den Knüppel in seine Rechte wandern.

Und wie ein rotäugiger Teufel wirkte Buck tatsächlich, als er sich jetzt duckte und mit gesträubtem Haar, schäumendem Maul und einem irren Glitzern in den blutunterlaufenen Augen zum Sprung ansetzte. Pfeilgerade schnellten einhundertvierzig Pfund Hass gegen den Mann, zusätzlich beschwert durch in zwei Tagen und zwei Nächten gestaute Rachsucht. Aber noch während er flog, als sich seine Fänge schon im Fleisch des Mannes schließen wollten, verspürte er einen Schlag, der seinen Schwung bremste und seine leeren Kiefer qualvoll zusammenklappen ließ. Er überschlug sich und landete halb auf dem Rücken, halb auf der Flanke. Noch nie in seinem Leben hatte ihn je ein Knüppel getroffen, und er verstand gar nicht, was eben geschehen war. Mit einem Geknurr, das einem Schrei näherkam als einem Gebell, drehte er sich zurück auf die Füße und schnellte erneut empor. Und erneut erfolgte der Hieb so heftig, dass er ihn zu Boden schmetterte. Diesmal merkte er, dass der Knüppel die Ursache war, aber die rasende Empörung ließ ihn alle Vorsicht vergessen. Ein Dutzend Mal noch wagte er eine Attacke, doch ebenso oft fing der Knüppel die Attacke ab und streckte ihn nieder.

Nach einem besonders heftigen Schlag erhob er sich mühsam, zu benommen, als dass er erneut hätte angreifen können. Er taumelte kraftlos umher; Blut floss ihm aus Nase, Mund und Ohren; dünne Spritzer und dickere Flecken blutigen Geifers besudelten sein schönes Fell. Nun kam der Mann näher und versetzte ihm wohlgezielt einen schrecklichen Hieb auf die Nase. Alle Qual, die er bisher hatte erdulden müssen, war nichts im Vergleich zu dieser sorgfältig bedachten Pein. Mit einem Gebrüll, das in seiner Unbändigkeit fast löwenähnlich geriet, unternahm er einen weiteren Vorstoß gegen den Mann. Aber der Mann ließ jetzt den Knüppel in seine Linke wandern, und mit der Rechten packte er den Hund kaltblütig am Unterkiefer und riss ihn gleichzeitig nach hinten und abwärts. Buck beschrieb einen vollständigen Kreis in der Luft, dann noch einen halben; dann krachte er, Kopf und Brust voran, zu Boden.

Ein letztes Mal stürmte er los. Der Mann vollführte jetzt jenen raffinierten Hieb, den er sich wohlweislich bis zuletzt aufgespart hatte. Buck krümmte sich und sank zur Erde; der letzte Schlag hatte ihm gänzlich die Sinne geraubt.

»Der hat vielleicht den Bogen raus, wie man Hunde kirre macht, alle Wetter«, rief einer der Männer auf der Mauer enthusiastisch.

»Nix für mich. Da mach ich lieber Wildpferde kirre, von mir aus jeden Tag eins und sonntags gleich zwei; das wär nich so anstrengend wie das da«, gab der Kutscher zur Antwort, stieg auf den Bock und trieb die Pferde an.

Das Bewusstsein erlangte Buck bald wieder, nicht jedoch seine Kraft. Er blieb liegen, wo er hingestürzt war, und beobachtete den Mann im roten Pullover.

»Hört auf den Namen Buck«, sagte der Mann zu sich selbst, während er den Brief des Kneipenwirts las, in dem dieser die Lieferung von Kiste und Inhalt angekündigt hatte. »Also, Buck, alter Junge«, fuhr er in jovialem Ton fort, »unsern klein’ Krawall hammer ja nun gehabt, und ich würd mal sagen: Wir lassens dabei. Du kennst jetzt dein’ Part, und ich kenn mein’. Sei’n braver Hund – dann läuft die Sache rund, und alles ist in Butter. Bist du’n böser Hund, wamse ich dir die Füllung aus’m Leib. Klar?«

Während er dies sprach, tätschelte er furchtlos den Kopf, auf den er so gnadenlos eingedroschen hatte. Bucks Haare sträubten sich zwar bei der Berührung, aber er nahm sie ohne Protest hin. Als der Mann ihm Wasser brachte, trank er es begierig, und später verschlang er auch eine üppige Portion rohes Fleisch, das er Stück für Stück dem Mann aus der Hand fraß.

Er war besiegt (das wusste er), aber nicht gebrochen. Er begriff ein für alle Mal, dass er gegen einen Mann mit Knüppel nicht ankam. Er hatte eine Lektion erhalten, die er sein Lebtag nicht vergaß. Der Knüppel war eine Offenbarung. Er führte ihn ein in die Welt des Urgesetzes, und mehr Einführung brauchte er kaum. Das Leben zeigte jetzt ein grimmigeres Gesicht, und er stellte sich diesem Leben, stellte sich ihm unerschrocken und mit der ganzen ihm eigenen Klugheit, die tief in ihm geschlummert hatte und nun erwachte. Die Tage vergingen, und immer mehr Hunde trafen ein, in Holzkäfigen oder angeleint, einige bereits gefügig, andere tobend und brüllend wie er selbst, als er herkam. Doch sie alle, stellte Buck fest, mussten sich letztlich der Gewalt des Mannes im roten Pullover beugen. Wieder und wieder vollzog sich das grausame Schauspiel vor seinen Augen, und jedes Mal hämmerte es ihm die Lehre ein: Ein Mann mit einem Knüppel ist ein Gesetzgeber, ein Gebieter, dem man gehorchen, aber nicht unbedingt schöntun muss. Dieser Schwäche machte Buck sich nie schuldig; bei anderen beobachtete er sie durchaus; manche der besiegten Hunde himmelten nämlich den Mann schwanzwedelnd an und leckten ihm die Hand. Freilich sah er auch, was geschah, wenn ein Hund weder schöntun noch gehorchen wollte: Er fand im Kampf um die Herrschaft den Tod.

Dann und wann kamen Männer, fremde Männer, die aufgeregt mit dem Mann im roten Pullover sprachen und dabei all ihre Überredungskünste einsetzten. Und immer wenn dabei Geld von hier nach dort wechselte, nahmen die Fremden einen oder mehrere Hunde mit. Buck fragte sich, wohin die wohl verschwanden, denn keiner kehrte je zurück. Er empfand heftige Angst vor der Zukunft; deshalb freute er sich jedes Mal, wenn der Tag zu Ende ging und er nicht ausgewählt worden war.

Doch auch für ihn kam schließlich dieser Moment. Er kam in Gestalt eines kleinen verhutzelten Mannes, der nur gebrochenes Englisch und viele seltsame, rüde klingende Ausrufe hervorstieß, die Buck nicht verstand.

»Sacredame!«, schrie er, als sein Blick auf Buck fiel. »Das’ ja eine Riesenviesch von ’und! Also? Wie viel?«

»Dreihundert. Wirklich geschenkt«, war die prompte Antwort des Mannes im roten Pullover. »Komm, dein Geld isses ja nich, zahlt eh die Regierung, denk ich ma, und die wird in dem Fall wohl nich meckern, wa, Perrault?«

Perrault grinste. Die Hundepreise waren inzwischen dank der ungewöhnlichen Nachfrage himmelhoch gestiegen; deshalb erschien die genannte Summe für so ein herrliches Tier nicht überzogen. Die kanadische Regierung konnte nichts dabei verlieren, zumal sich die Reisegeschwindigkeit ihrer Kuriere jetzt bestimmt nicht vermindern würde. Perrault verstand etwas von Hunden, und als er Buck genauer betrachtete, wusste er: Solch einen findet man nur einmal unter tausend – »ah, was sag isch – unter zehntausend«, kommentierte er in Gedanken.

Buck sah das Geld zwischen den beiden wandern und war nicht überrascht, dass der Hutzelmann neben Curly, einer gutmütigen Neufundländerin, auch ihn selbst wegführte. Den Mann im roten Pullover erblickte er nun zum letzten Mal, und als Curly und er vom Deck der Narwal aus dem entschwindenden Seattle hinterherschauten, erblickte er zum letzten Mal das warme Südland. Der Hutzlige schaffte Curly und ihn nach unten und übergab die beiden dort einem schwarzhäutigen Riesen namens François. Perrault war Frankokanadier und dunkel; François jedoch war ein frankokanadischer Mestize und doppelt so dunkel. Für Buck waren diese Leute eine unbekannte Menschenart (er sollte noch viele davon kennenlernen). Zuneigung zu ihnen würde er nicht entwickeln, wohl aber ehrlichen Respekt vor ihnen. Er erkannte bald, dass Perrault und François anständige Kerle waren, die besonnen und unparteiisch Gerechtigkeit übten und sich mit Hunden zu gründlich auskannten, als dass sie sich von ihnen ins Bockshorn hätten jagen lassen.

Auf dem Zwischendeck der Narwal trafen Buck und Curly noch zwei weitere Hunde. Der eine, ein großer schneeweißer Geselle, war seinerzeit vom Kapitän eines Walfängers aus Spitzbergen mitgebracht worden; später hatte er eine geologische Vermessungsaktion in die Arktis begleitet. Er war freundlich, aber auf eine tückische Weise: Gerade wenn er einem ins Gesicht lächelte, heckte er irgendeine Hinterlist aus. So stahl er Buck gleich bei der ersten Mahlzeit einen Teil seines Fressens. Ehe sich Buck zur Strafe auf ihn stürzen konnte, pfiff schon François’ Peitsche durch die Luft und erwischte den Übeltäter noch vor ihm; Buck brauchte sich den Knochen nur noch zurückzuholen. Das war anständig von François, befand Buck im Stillen, und das Halbblut begann in seiner Achtung zu steigen.

Der zweite Hund machte keinerlei Annäherungsversuche und duldete auch keine, versuchte aber ebenso wenig, die Neulinge zu bestehlen. Er war ein finsterer, mürrischer Kerl, und er zeigte Curly deutlich, dass ihm an nichts mehr lag, als in Ruhe gelassen zu werden, und dass es Ärger geben würde, wenn man ihn nicht in Ruhe ließ. Dave war sein Name. Alles, was er tat, war fressen und schlafen und zwischendurch gelegentlich einmal gähnen; ansonsten interessierte ihn nichts; er reagierte nicht einmal, als die Narwal den Königin-Charlotte-Sund überquerte und dabei rollte, stampfte und bockte wie besessen. Während Buck und Curly vor Angst fast wahnsinnig wurden, hob er nur scheinbar verärgert den Kopf und gewährte den beiden einen gelangweilten Blick, dann gähnte er und schlief weiter.

Tag und Nacht kämpfte sich das Schiff voran im unablässig dröhnenden Pulstakt der Schraube; und wenn auch ein Tag sich kaum von dem anderen unterschied, merkte Buck doch deutlich, dass es stetig kälter wurde. Eines Morgens endlich schwieg die Schiffsschraube, und eine Stimmung allgemeiner Unruhe erfasste die Narwal. Buck fühlte, wie die anderen Hunde auch, dass eine Veränderung bevorstand. François leinte sie an und brachte sie nach oben. Beim ersten Schritt auf dem kalten Deck sanken Bucks Pfoten in ein weißes, breiiges, schlammähnliches Etwas. Schnaubend sprang er zurück. Aus der Luft fiel noch mehr von diesem weißen Zeug. Er schüttelte sich, aber es fiel immer mehr auf ihn. Er schnupperte neugierig daran und beleckte es dann mit der Zunge. Es brannte wie Feuer, aber im nächsten Augenblick war es weg. Dies verwirrte ihn. Er probierte es erneut, mit dem gleichen Ergebnis. Die Umstehenden lachten schallend, und er schämte sich, denn er wusste nicht warum; es war sein erster Schnee.

Der Ruf der Wildnis

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