Читать книгу Das Unmögliche ist etwas weiter oben - Jacopo Larcher - Страница 7

Prolog

Оглавление

Winzige Leiste links (halber Daumen auf dem Griff, die andere Hälfte auf dem Nagel des Zeigefingers – man muss möglichst fest zudrücken), rechten Fuß in den Riss, linken Fuß entlasten (ohne auf den Friend zu treten), Körperspannung aufbauen und Richtung Wand ziehen; Zwischengriff rechts von der Kante (aufgestellte Finger), das Becken nach links drehen, Aufleger rechts (Fingerkuppe des Zeigefingers auf dem Kristall); den rechten Fuß weiter nach links setzen, mit dem linken Fuß hoch ansteigen (Fuß eindrehen: hier ist Präzision erforderlich), den rechten Fuß lösen und sich gegen die Wand pressen, Zange/Zwei-Finger-Loch links (Konzentration auf die rechte Hand und den linken Fuß!), Rettungsgriff links.

Es ist ganz klar, was ich dort oben tun muss. Doch das kommt erst gegen Ende. Nun geht es darum, hier unten, am Boden, zu beginnen. Der erste Teil, der auch der einfachste ist, besteht aus einer senkrechten Felswand. Die ersten beiden Sicherungen, ein grauer und ein 0,3er Offset Nut, befinden sich fünf Meter über dem Boden, fast auf derselben Höhe. Es folgen weitere fünf oder sechs Meter, die nicht schwierig sind, nur etwas technisch (7a, 7b): Hier sollte man besser nicht stürzen, denn es besteht die Gefahr, bis ganz nach unten, auf den Boden, zu fallen. Endlich bin ich am Felsband angekommen, wo ich ein paar verlässlichere Sicherungen setze, zwei bombensichere Friends. Unterhalb des kleinen Granitdachs befindet sich ein Ruhepunkt, an dem ich meine Hände nicht brauche. Ich schaue mich um, während ich sie mit Magnesia einreibe: Ich sehe die Baumwipfel, das enge Tal, dort unten die Straße nach Cadarese. Wie oft bin ich schon an dieser Stelle gewesen?

Seit nunmehr sechs Jahren geht mir diese Linie, diese wunderschöne, elegante, perfekte, unmögliche Linie (nein, sie ist nicht unmöglich!) nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe sie gereinigt, gebürstet und studiert. Immer, wenn ich einen freien Moment habe, komme ich hierher, um einen Versuch zu machen. „Einen Moment“, das sagt man so dahin: Denn ich bin fast 500 Kilometer von dem Ort, an dem ich wohne, entfernt – auch wenn die Gegend hier für mich inzwischen zu einem zweiten Zuhause geworden ist.

Hier beginnt der schwierige Teil (das Unmögliche ist etwas weiter oben – doch nein, es ist nicht unmöglich!) mit einem ersten sehr kraftigen Blockierer, der eher pressig ist und mit einem Dyno zu einem abgerundeten Riss enden wird. Es ist anstrengend, doch ich kenne es, ich habe es schon probiert. Das Problem besteht – wenn überhaupt – darin, dass man, wenn man an dieser Stelle stürzt, Gefahr läuft, am Felsen aufzuprallen; und das vielleicht sogar, während man kopfvoran nach unten segelt, falls man mit dem Bein im Seil einfädelt. Auch das habe ich schon ausprobiert … Viel besser ist es, ins Leere zu stürzen, doch das wird, wie bis jetzt fast jedes Mal, erst weiter oben passieren. Auf geht’s, packen wir’s an!

Henkel linke Hand, Ferse rechts vom Friend in den Riss (ohne ihn zu berühren!), drehe die Fußspitze, Schulterleiste rechts, Magnesia, trete links auf Reibung an, gewölbte Zange rechts, weiterer Reibungstritt links, Leiste rechts (presse sie fest zusammen!), zieh die Ferse aus dem Riss und mache einen Trittwechsel, Ferse zum Henkel unterhalb des Felsdachs (zieh so stark, wie du kannst, zieh, zieh!), hebe den linken Daumen an, schere das rechte Bein, um das Gleichgewicht zu halten, pendle mit dem Becken nach rechts, Zange mit rechter Hand auf der Quarzader (presse, so fest du kannst), greife sie gut, indem du den Daumen auf den Kristall legst (das tut weh …), verlagere das Gewicht von der Ferse auf die Fußspitze, setze die linke Hand hoch und drücke ganz fest mit dem Knie gegen die abgerundete Rampe, bringe das Becken nah an die Wand, Untergriff links, bringe den Körper (Spannung aufbauen!) nach oben und suche mit der rechten Hand einen Griff unterhalb des Dachs, Dyno zum abgerundeten Riss, dabei versuche, eine Rotation zu vermeiden (und mit den Fingern nicht gegen die überhängende Wand zu prallen).

In den Riss setze ich die letzten beiden Sicherungen, zwei 0,5er Friends (lila). Während ich mich ausruhe, betrachte ich sie aus dem Augenwinkel gründlich, um sicherzugehen, dass sie gut platziert sind. Nun nimmt die Erschöpfung zu, und ein bisschen auch die Spannung, denn wenn ich jetzt stürze, muss ich von vorne anfangen, die Sicherungen entfernen, die ganze Route bis hierher noch einmal machen, und das gerade in dem Moment, in dem der schöne Teil beginnt. Die Erwartungen steigen, ich darf nicht unkonzentriert werden. Ich visualisiere, antizipiere, nehme wahr, was ich auf der Haut spüren werde, wenn ich zum nächsten Griff weiterziehen werde. Ich weiß genau, wie ich mich abstoßen muss, ich weiß, wo ich die Kraft konzentrieren und wie ich das Becken verlagern muss, wie intensiv der Druck des Fußes, die Atmung und die Reibung der Finger auf der Felsoberfläche sein werden (ich kann sogar das Geräusch der Reibung hören), ich weiß, womit ich rechnen kann und was mich leiden lassen wird …

Ich weiß also, was zu tun ist. Es auch zu tun, ist eine andere Geschichte.

Da bin ich also am entscheidenden Punkt, an der Schlüsselstelle der Route, angelangt, zwei aufeinanderfolgende Züge an sehr kleinen, glatten Griffen; ich muss eine abgerundete Leiste mit rechts halten und den linken Fuß sehr hoch setzen – höher, noch höher –, ohne mit dem Druck nachzulassen, sodass ich mit der linken Hand eine kleine Zange erreichen kann, von der aus man sich zu einem guten Griff schwingt: Wenn ich diese Passage schaffe, wird von da an (wie man so schön sagt) alles wie von selbst laufen.

Letztes Mal habe ich mich zu sehr auf die Hand konzentriert und bin mit dem Fuß abgerutscht … Nun, ich mache mich also lang und suche verzweifelt nach dem Riss …

Nichts. Noch einmal verliere ich am Griff den Halt und stürze, ich schreie vor Wut und Enttäuschung und warte darauf, dass das Seil blockiert. Ich pendle in der Luft und schaue mich um, in der Hoffnung, dass mich keiner gehört hat.

Sechs Jahre für eine Route, die keine 30 Meter lang ist und in wenigen Minuten durchstiegen werden könnte. Etwa 30 Züge vielleicht. Doch dieser letzte Abschnitt ist widerspenstig. Es sind zwei Züge, die ich nicht miteinander verbinden kann. Und heute bin ich schon im vierten Versuch, heute kann ich einfach nicht mehr. Ich kehre zum Boden zurück, schaue noch einmal nach oben: Was mache ich hier eigentlich noch?

Was machst du hier eigentlich noch, Jacopo? Du bist nur ein Sturkopf, mach die Augen auf. Sicher ist die Route nicht unmöglich, „nur“ zu hart für dich. Vergeudete Zeit.

Und Zeitverschwendung ist etwas, das ich hasse: Ich sollte aufgeben und zu anderen Dingen übergehen. Wie hat diese sinnlose Geschichte überhaupt begonnen?

Das Unmögliche ist etwas weiter oben

Подняться наверх