Читать книгу Am Grunde des Flusses - Jamaica Kincaid - Страница 5

Zuletzt Das Haus

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In diesem Haus lebte ich mit dir: Holzschindeln, die Farbe vom Wetter gefressen und völlig zerfleddert, das Klavier, ein Möbelstück jetzt, das nur noch den Staub anzieht, das Bett, in dem alle Kinder geboren wurden, eine Vase für Blumen, die erst leben, dann sterben, eine Obstschale, die Früchte lange verzehrt. (Was war das für ein besonderes Licht?) Die toten Haare in meinem Kamm. Wo sind die Briefe mit den schlechten Nachrichten hin? Wo sind sie verloren? Diese Bilder sollten eine Krönung festhalten. Und was bist du jetzt? Eine junge Frau. Aber in Wirklichkeit? Eine junge Frau. Ich weiß, dass es schwer ist. Wenn doch irgendetwas hier reden würde. Die Dielen trugen ein hübsches Muster, wenn die Sonne hereinfiel. (War es dasselbe Licht?) Nachts wischte ich den Ruß vom Lampenzylinder und entzündete das Licht. Während ich mich anschickte, zu Bett zu gehen, plante ich den anderen Tag. Und viele Dinge vergaß ich trotzdem. Ich hob allerlei auf unter dem Bett, und es geriet mir aus dem Gedächtnis. Einmal wuchs ein gefiedertes weißes Moos draus hervor, das wirklich sehr schön war. Ich bemerkte es erst, als es stank. Jetzt sehe ich dich an. Deine Lippen sind weich und geöffnet.

Verhält sich das so?

Ich sah die Katze die Kiefer aufreißen, den rosa schimmernden Gaumen und schwarze Schatten darüber, die Zähne weiß, scharf und gefährlich. Ich hatte nie Muscheln vom Strand, obgleich das Meer nur ein paar Minuten entfernt war. Die hübsche verzierte Konsole kannst du jetzt anfassen. Weshalb habe ich dich nicht gewähren lassen, mit den Fingern zu essen, als es dein Wunsch war?

Warum waren die Türen so gründlich verschlossen?

Sie waren gar nicht verschlossen.

Ich sah sie so.

Und was geschah damals mit uns? Du fragtest mich, ob es immer so war, wie es jetzt ist. Ich weiß es nicht. Ich bin ja nicht immer hier gewesen. Am Anfang war ich nicht hier. Einst gingen wir Hand in Hand in aller Schönheit. Aber was folgte! Schlaflose Nächte, ach die schlaflosen Nächte. Donnerstags wurde ein Baby geboren und schon am Freitag, die Augen zuerst, von den roten Ameisen gefressen. (Und woher kommt das Licht?) Ich habe die Länge dieses Raumes so oft abgeschritten, dass es gereicht hätte, die Wüste zu durchqueren.

Mit mir?

Mit dir. Flüstere weiter, ich sehe so gern, wie deine Lippen beim Flüstern sich kräuseln. Du bist eine Frau. Stehst drüben nahe bei den abgestorbenen Blumen. Ich kann in der Glasvase dein Spiegelbild sehn. Du bist sanft und gespannt wie ein Gewölbe. Deine Glieder sind groß und gelöst, die Füße von den Fesseln befreit. (Das Licht ist ein fernes Wetterleuchten geworden.)

War alles einem Kadaver vergleichbar? Nährte es dich?

Ja, lange Zeit.

Oder war es wie ein Skelett? Lebtest du drin?

So war es auch. Wir beteten inständig. Was war unser Anliegen? Wir beteten inständig, errettet zu werden. Wir beteten inständig, gesegnet zu werden. Wir beteten inständig um ein langes und glückliches Leben unserer Kinder. Und immer beteten wir inständig, das Morgenlicht wieder zu sehen. Wurden wir errettet? Ich kann es nicht sagen. Ich kann es bis heute nicht sagen. Wir erfüllten einfach die Zimmer mit unseren Stimmen. In diesem Topf kochten die Eier über. Als der Hurrikan hereinbrach, saßen wir in dieser Ecke, bis alles vorübergezogen war. Und die ganze Zeit dieser Regen, dieser anhaltende Regen. Das Fundament des Hauses bebte, und die Erde wurde weggeschwemmt. Mir wurde heiß und kalt, die Angst schüttelte mich.

Was hast du zu mir gesagt? Was habe ich nicht gehört?

Die Matratze war mit Kokosfasern gefüllt. Es war unsere erste Matratze. Davon wurde die Haut rau. Wanzen nisteten sich ein. Ich stand meistens hier am Fenster und sah die Schatten der Leute, die draußen vorübergingen – Leute, die wirklich vorhanden waren – und fuhr mit den Fingern über die Verzierungen des Kessels. Ich stand auch oft vor dem Spiegel und nahm unbewusst die Stickereien der neuen Decke dort unter meinen Händen wahr. Ich sehe mich immer wieder vor dem kalten Ofen dort stehen, während die grünen Kaffeebohnen in ihrem Behältnis mir sacht durch die Finger rinnen. In diesem Käfig lebte ein Kolibri. Er starb nach ein paar Tagen. Sehnsucht nach dem Dschungel wahrscheinlich. Ich versuchte damals alles so zu nehmen wies gerade kam.

Und dann?

Ich fühlte mich krank. Ich fühlte mich nur noch krank. Saß in diesem Schaukelstuhl hier mit dir auf dem Schoß. Ich muss sie beruhigen, dachte ich, ich muss sie jetzt unbedingt beruhigen. Aber die Milch stockte in meiner Brust.

So liebtest du mich?

Ja. Du warst eng in deine Sachen gehüllt, damit die Wärme dich nicht verließ. Was für eine grenzenlose Gier. Aber du konntest es nicht anders wissen. Eine gelbe Flüssigkeit hinterließ hier einen Fleck.

Ist das Blut?

Ja, wessen Blut aber? Das Bild eines Sees aus flüssigem Pech. Er war einmal an solch einem Pechsee. Und bald darauf liebte er mich. Ich war schön. Ich machte Feuer. Die Kohlen glühten. Oh Bitternis Bitternis. Erst gab es eine Musik, und dann gab es Tanz. Wieder und wieder berührten wir uns, und wieder und wieder waren wir schön. Ich konnte es sehen. Ich konnte einiges sehen. Ich weinte. Ich konnte nicht alles sehen. Was ist das für eine Krankheit, die den Wurm bewegt, das Bein vor seinem Tod zu verlassen. Jemand lachte. Ich vernahm es, als ich glücklich wurde. Du warst trocken und warm und so wie es sich gehört und ganz klein. Ich war sanft gespannt und wie ein Gewölbe. Ich trug Blau, Vogelblau und leuchtete nachts in der Finsternis.

Und die Kinder?

Es gab die Kinder noch nicht. Ich konnte ihre Herzen schlagen hören, aber sie selbst waren noch nicht vorhanden. Sie waren sehr schön, aber in einer anderen Weise als du. Manchmal erschien ich in eines Mannes Gestalt. Manchmal als ein Huftier, und ich konnte mein eigenes Braun dann streicheln und warf einen Schein. Da blieb nichts in den Ecken liegen. Nichts konnte mich erschrecken. Ein blinder Vogel schlug mit dem Kopf ans geschlossene Fenster. Ich hörte es. Ich durchquerte das Meer nachts allein auf einem Dampfer. Wie war mein Name – ich meine den Namen, den meine Mutter mir gab –, und wo kam ich her. Meine Haut ist nun grob. Was für ein Unglück. Was fürn Kummer. Ich hab mir eine Liste gemacht. Alles nachgemessen. Nicht untertrieben.

Wo ist das Licht nun?

Zersprungen. Für immer dahin.

Am Grunde des Flusses

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