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Zweites Kapitel Das geheimnisvolle Zelt
ОглавлениеIsmael Busch, zur Zeit unserer Erzählung ein Mann von weit über fünfzig Jahren, hatte sein ganzes Leben an den Grenzen der Zivilisation zugebracht und seine Wohnplätze immer so gewählt, daß er ungestraft jeden Baum niederschlagen durfte, den er von seiner Haustür aus mit dem Blick erreichen konnte. Hieraus ist ersichtlich, daß er sowohl von Gesetzen und bürgerlicher Ordnung, als auch von dem Klange der Kirchenglocken kaum eine entfernte Ahnung hatte. Kenntnisse, die er bei seinem halbwilden Leben nicht brauchte, flößten ihm auch keinen Respekt ein, und von allen Wissenschaften hielt er nur die des Arztes für berechtigt, weil dieselbe jene körperlichen Schädigungen zu heilen vermochte, denen er mit den Seinen bei dem rauhen Grenzerberuf häufig ausgesetzt war. Aus diesem Grunde hatte er auch einem medizinisch gebildeten Manne gestattet, sich seiner Expedition anzuschließen; derselbe, ein eifriger Naturaliensammler und nebenbei ein Sonderling, führte den Namen Obed Bat; nach der Sitte jener Zeit aber hängte er demselben eine lateinische Endung an und nannte sich Dr. Battius.
Dieser Mediziner, ein kleines, dürres Männchen von komischem Äußeren, war es, der in der Morgenfrühe nach der ereignisreichen Nacht den Squatter und dessen Familie aus dem Schlafe erweckte. Er hatte während der vorhergehenden zwei Tage auf dem Rücken seines Reittieres, eines Esels, einen weiten Streifzug nach seltenen Pflanzen unternommen und kehrte nun zurück, um nicht ohne Erschrecken das Vorgefallene zu vernehmen.
Das Tageslicht zeigte den Emigranten die ganze Größe ihres Verlustes. Finster rollenden Auges und knirschend vor Ingrimm blickte Ismael auf die schwer beladenen Wagen, deren Gespanne sich jetzt in den Händen der Wilden befanden; dann, als beenge ihn die Luft innerhalb der Wagenburg, trat er langen Schrittes hinaus in die Ebene. Einige seiner Söhne schlenderten hinter ihm drein; auch der Trapper folgte ihm.
„Wo sind nun die rothäutigen Schufte, die mir mein Vieh gestohlen haben?“ fragte Busch den letzteren, nachdem lange niemand ein Wort geredet hatte.
„Wer kann das wissen?“ antwortete der alte Mann. „Welche Farbe hat der Raubvogel, der dort unter jener weißen Wolke dahinstreicht? Wenn ein Indianer seinen Streich ausgeführt hat, dann wartet er nicht erst, bis ihm der Lohn dafür in Blei ausgezahlt wird.“
„Wird das Gesindel sich zufrieden geben mit dem, was es erbeutet hat?“
„Menschennatur bleibt Menschennatur, stecke sie in roter oder in weißer Haut. Wenn Ihr eine gute Ernte eingeheimst habt, seid Ihr dann für immer damit zufriedengestellt? Wenn das der Fall ist, dann seid Ihr grundverschieden von all den Menschen, die ich in meinem langen Leben kennenlernte.“
„So werden wir uns also noch auf weitere Besuche von den Räubern gefaßt machen müssen?“
„Ohne Zweifel,“ sagte der Trapper. „Und Euer Lager hier gewährt Euch keinen Schutz gegen ihre Kugeln. Ich weiß eine Stunde von hier einen besseren Ort, einen Felsenberg, der, von tapferen Männern verteidigt, eine gute Zuflucht für die Weiber und Kinder wäre.“
Der Squatter horchte auf; er forderte noch nähere Auskunft, und die Beschreibung des Berges gefiel ihm so gut, daß er den sofortigen Aufbruch befahl. Es galt, die Wagen mit den Händen bis an jenen Ort zu ziehen, eine Aufgabe, die für gewöhnliche Menschen fast unausführbar gewesen wäre, an die die starken Söhne des Emigranten jedoch herangingen, als handle es sich um ein Kinderspiel. Schon knarrten und quietschten die Mehrzahl der schwerfälligen Fuhrwerke, von den Männern gezogen und den Weibern geschoben, träge über das Gras, als Ismael und sein Schwager Abiram sich an den kleinen, zu dem Leinwandzelt gehörigen Wagen heranmachten.
Der Trapper, der, auf seine Büchse gestützt, den Kraftleistungen der jungen Männer mit beifälligem Nicken zugeschaut hatte, näherte sich jetzt den beiden mit kindischer Neugierde. Das Geheimnis dieses Wagens zog ihn unwiderstehlich an. Nur noch zwei Schritte war er von dem Zelte entfernt, als Ismael unter demselben hervorkam. Beim Anblick des Alten rötete sich sein Gesicht vor Zorn.
„Bisher meinte ich immer, daß nur die Weiber sich um Dinge kümmern, die sie nichts angehen,“ sagte er finster. „Was habt Ihr hier zu spionieren? Wem wollt Ihr Eure Neuigkeiten zutragen?“
„Ich stehe nur mit einem in Verkehr,“ antwortete der Trapper ruhig, „mit dem dort oben, mit meinem und Eurem Richter. Der braucht meiner nicht, um Neuigkeiten zu erfahren; vor dem könnt Ihr aber auch nichts verbergen, selbst nicht in der Einsamkeit dieser Wüste.“
Jetzt kroch auch Abiram unter der Leinwand hervor.
„Vor dem alten Schleicher müssen wir uns hüten,“ rief er, einen giftigen Blick aus seinen falschen Augen auf den Greis werfend. „Wenn der nicht mit den Rothäuten unter einer Decke steckt, dann bin ich ein Sioux!“
Auf diese Worte seines Verwandten musterte der Squatter den Trapper noch einmal scheeläugig und forschend von oben bis unten, er schien sich jedoch nicht zu der Ansicht Abirams bekehren zu können, denn er wendete sich bald ab, brachte den Wagen in Ordnung, spannte sich mit Abiram davor und zog den anderen Fuhrwerken nach.
Der Alte folgte ihnen mit den Blicken. Dann schweifte sein Auge über das verwüstete kleine Tal.
„Ja, ja,“ murmelte er schwermütig, „das hätte ich wissen können, hab' ich's doch früher schon oft genug erlebt! So treibt's der Mensch. Er zähmt die Tiere des Feldes zu seinem Dienst, raubt ihnen aber ihr natürliches Futter und zwingt sie, das Laub der Bäume zu fressen, die sonst in der mittagsheißen Öde so kühlen Schatten spendeten! Aber warum beklage ich mich? habe ich sie doch selber hierher geführt.“
Ein Geräusch in dem Gebüsch, das der zerstörenden Axt entgangen war, erregte seine Aufmerksamkeit. Blitzschnell, dem alten Jägerinstinkt gehorchend, lag die Büchse schußfertig in seiner Hand. Gleich darauf aber ließ er die Waffe sinken.
„Komm hervor,“ sagte er mit trauriger Stimme, „komm hervor, Mensch oder Tier, du hast von meinen alten Händen nichts zu fürchten. Ich bin satt und bedarf keines Wildbrets, warum sollte ich daher Blut vergießen? Es wird nicht mehr lange währen, dann sitzen die Vögel auf meinem Gebein und picken nach meinen Augen; denn der menschliche Leib ist der Vernichtung geweiht, und auch ich werde nicht ewig leben. Also komm getrost hervor, von meinen alten Händen hast du nichts zu fürchten.“
„Dank für die freundliche Gesinnung, alter Trapper,“ rief eine muntere Stimme, und gleich darauf trat Paul Hover aus dem Dickicht ins Freie heraus. „Im ersten Moment erschrak ich wirklich, denn Ihr schlugt an wie einer, dem keine Kugel fehlgehen kann.“
„Da habt Ihr nicht ganz unrecht,“ antwortete der Alte, lautlos in sich hineinlachend, „nicht ganz unrecht, junger Mann. Es gab eine Zeit, wo keiner eine Büchse besser zu handhaben wußte als ich, wo es gefährlich war, in Hörweite von mir ein Blatt rascheln zu lassen, ja, und wo ein roter Mingo tot war, wenn er mir aus seinem Versteck auch das Gefunkel seines Auges zeigte. Ihr habt doch von den roten Mingos gehört?“
„Von Mingos, nein; wohl aber kenne ich die Minks, das sind Tiere mit wertvollem Pelzwerk,“ antwortete der Bienenjäger, vorsichtige Blicke um sich werfend und dann den Trapper sanft mit sich in das Gebüsch hineinziehend.
Wieder überließ sich der Alte seinem unhörbaren Lachen. Seine Entgegnung verlor sich jedoch in dem Geraschel des Dickichts, in welchem die beiden im nächsten Augenblick verschwunden waren.
Seit den geschilderten Ereignissen war eine Woche vergangen. Den Andeutungen des Trappers folgend, hatten die Emigranten den Berg bald gefunden, der ihnen als Zuflucht dienen sollte. Derselbe war eigentlich nichts als ein Felskegel, der, von Gestrüpp umwuchert, steil und fast unzugänglich aus der Ebene emporragt. Auf dem flachen Gipfel desselben errichteten sie einige Hütten aus Baumästen und ähnlichem Material, und unweit des Abhanges, auf erhöhter Stelle, wurde das geheimnisvolle Zelt aufgeschlagen, dessen weiße Leinwand wie ein Schneefleck weit in die Ferne hinaus leuchtete.
„Lange können wir hier nicht bleiben,“ sagte Ismael, als er eines Morgens mit seinem Schwager am Fuße des Felskegels stand und mißmutig in die hier sehr dürre und steinige Prärie hinausblickte. „Wenn wir nicht elend verhungern wollen, müssen wir machen, daß wir bald wieder fortkommen. Auch sonst haben wir beide Grund genug, die Gegend zu erreichen, die wir uns als Ziel setzten.“
Abiram sah ihn aus seinen falschen Augen verständnisvoll an, enthielt sich jedoch der Antwort, da jetzt einige der Söhne Ismaels herzutraten.
„Ich habe Ellen Wade, die da oben Ausguck hält, angerufen, ob sie etwas sieht,“ bemerkte einer der jungen Männer, „aber sie tat, als hörte sie mich gar nicht. Und doch scheint sie irgend etwas in der Ferne aufmerksam zu betrachten.“
Der Vater schaute in die Höhe. Dort, hundert Fuß über der Ebene, auf einem Felsstück unmittelbar am Abhange und dicht neben dem Zelte, saß Ellen und lugte unbeweglich nach einer Richtung in die Ferne.
Plötzlich entfuhr ihm ein Ruf zornigen Schreckens, der blitzschnell nun auch die Blicke aller übrigen nach dem Gipfel des Felskegels lenkte.
„Ha!“ rief Abiram, mehr erschrocken als zornig.
Die jungen Männer aber standen mit vor Erstaunen weit offenem Munde. Denn neben Ellen war eine zweite Gestalt erschienen, die eines jungen Weibes von wunderbarer Schönheit. Ein dunkles, schimmerndes Seidengewand umflatterte ihre Glieder, und langes, rabenschwarzes Lockenhaar wallte windbewegt um ihr Haupt.
Eine Weile standen die Männer in stummem Anschauen dieser Erscheinung, dann aber nahm Asa, der älteste der Söhne, das Wort.
„Das also ist das Tier, das ihr angeblich zum Anlocken des Präriewildes mitgenommen habt, und mit dem ihr immer so heimlich getan,“ sagte er voll Hohn zu dem ihn scheu ansehenden Abiram, da er es vorzog, sich nicht direkt an seinen Vater zu wenden. „Daß du es mit der Wahrheit nie genau genommen hast, wußte ich längst, aber solch eine grobe Lüge erwartete ich doch nicht. Die Zeitungen in Kentucky haben dich hundertmal einen Sklavenhändler gescholten; sie ahnten jedoch sicher nicht, daß du den Handel auch auf weiße Menschen ausdehntest.“
„Wen nennst du hier einen Sklavenhändler?“ fuhr Abiram erbost auf. „Sieh dir deine eigene Familie an, mein Junge. Gar manchen Aufruf habe ich an den Häusern und Bäumen angeschlagen gesehen, der eine gute Belohnung denen verhieß, die deines Vaters, deiner Mutter, ja und auch deinen Verbleib so nachweisen konnten, daß das Gericht euch zu fassen imstande war! Reich könnte ich heute sein, wenn ich euch Sippschaft —“
Er redete nicht weiter, denn Asa versetzte ihm mit der verkehrten Hand einen solchen Schlag auf den Mund, daß er fast zu Boden getaumelt wäre.
„Du hast den Bruder deiner Mutter geschlagen, Asa!“ sagte der Vater finster und streng.
„Den Verleumder unserer Familie habe ich gezüchtigt,“ entgegnete der Sohn heftig, „einen Menschen, der verdiente, daß man ihm die giftige Zunge herausschnitte!“
„Schweig, ich befehle es dir!“ herrschte der Squatter den Zornigen an. „Du kennst mich, also kein Wort weiter. Auch du, Abiram, bist ruhig. Du hast schlimme Dinge gegen mich und die Meinen ausgesprochen. Wenn die Schergen des Gerichts ihre Zettel an die Blockhütten und an die Baumstümpfe in den Lichtungen nagelten, dann geschah das nicht, weil ich unehrliche Handlungen beging, sondern weil ich der Ansicht war und heute noch bin, daß die Erde, der Wald und das Wild freies Eigentum aller Menschen sind. Nein, Abiram, könnte ich meine Hände ebenso leicht von dem reinigen, was ich auf dein Anstiften tat, wie von meinen sonstigen Sünden, dann würde mein Schlaf ruhiger sein, und meine Angehörigen brauchten sich meines Namens nicht zu schämen. Aber nun Friede; machen wir das, was schlimm ist, nicht noch schlimmer.“
Der Streit hatte die Aufmerksamkeit der Männer von der wunderbaren Erscheinung auf der Höhe des Berges abgelenkt; als man jetzt hinaufblickte, war diese nicht mehr sichtbar. Asa, phlegmatisch wie alle Leute von seiner gewaltigen Kraft und Körpergröße, beruhigte sich sehr bald wieder. Nicht so Abiram; man sah es dem tückischen Ausdruck seiner Augen an, daß er von jetzt an einen tödlichen Haß gegen seinen Neffen mit sich herumtragen würde.
Ismael aber erstieg das Lager und begab sich in das Zelt, in welchem er einige Zeit verweilte; als er wieder im Freien erschien, war sein Antlitz erregt und finster.
Nach kurzer Rücksprache mit seiner Frau stieg er aufs neue zur Ebene hinab, und bald darauf zog er mit seiner ganzen Schar fort zur Jagd; denn die Mutter hatte ihm mitgeteilt, daß das Fleisch für die Kochtöpfe auf die Neige ginge.