Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 658 - Jan J. Moreno - Страница 6

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Das Geräusch schleichender Schritte auf dem Achterdeck der Schebecke weckte den Seewolf aus seinem ohnehin leichten Schlaf.

In der Ferne bellte ein Hund, die heiseren Rufe von Sumpfvögeln hallten über den Fluß, und unter dem Rumpf des Schiffes gluckerte das Wasser. Philip Hasard Killigrew zögerte nur kurz, bevor er sich aus der Koje schwang und seine Kammer verließ. Wegen der immer drängender werdenden Ahnung einer nahen Gefahr schlief er seit der Ankunft in Surat in voller Kleidung.

Die Nacht war warm und sternenklar. Der leichte Westwind trug den Geruch des feuchten Urwalds mit sich, mitunter wehte auch ein Schwall berauschend süßer Düfte über den Tapti-Fluß.

Stenmark, der blonde Schwede, ging auf der Kuhl Wache. Als er Hasard bemerkte, deutete er nach unten.

Vor dem Hintergrund der funkelnden Sterne zeichnete sich eine hochgewachsene Gestalt ab. Der Mann saß auf dem Schanzkleid. Er winkte, als er den Seewolf auf den Stufen des Niederganges sah.

„Bis zur Morgendämmerung sind es noch gut zwei Stunden, Don Juan“, sagte Hasard.

Der Spanier vollführte eine ausschweifende Handbewegung.

„Dieses Fleckchen Erde ist ein kleines Paradies, mein Freund. In Nächten wie dieser unter Deck zu verweilen, erscheint mir wie sinnlos vergeudete Zeit. Und du denkst ähnlich, sonst wärst du nicht hier oben.“

Der Seewolf verzichtete darauf, klarzustellen, daß ihn Don Juans Schritte an Deck gelockt hatten.

„Ich konnte nicht schlafen“, erwiderte er. „Die Begegnung mit dem Padischah bedeutet viel für uns.“

Don Juan de Alcazar kniff die Brauen zusammen und musterte ihn überrascht.

„Du sorgst dich wegen der englischen Karavelle? Die Kerle sind keine ernsthaften Konkurrenten. Zugegeben, ihre rauhe Art, zum Padischah vorzudringen, hatte Erfolg, aber ob sie damit auf große Gegenliebe stießen, bleibt fraglich.“

Das Keckern einer Affenhorde hallte über die Nebenbucht, in der die Schebecke vertäut lag. Vom Geschrei der Affen aufgeschreckt, zog ein riesiger Vogelschwarm schwerfällig über den Fluß davon. Hinter den Magazinen des Kaufmanns Rahid trompetete ein Elefant. Und auf der Großteil begann prompt der Bordschimpanse Arwenack zu zetern, der sich in seiner Ruhe gestört fühlte.

Hasard lehnte sich an die Brüstung. Sinnend blickte er über die schlafende Stadt.

Wo das Gewirr der Häuser und Hütten am dichtesten war, ragte schlank und zerbrechlich ein Minarett auf. In den frühen Morgenstunden, zwischen Morgenröte und Sonnenaufgang, würde der Muezzin von dort zum Gebet rufen. Fast am entgegengesetzten Ende Surats, trotz der Dunkelheit golden schimmernd, erhob sich der reich verzierte Hindutempel. Ungefähr zwischen diesen beiden Bauwerken, inmitten weitläufiger Gärten, ragte der Palast des Padischah auf.

„Dieses Land übt einen eigenartigen Reiz aus“, sagte Don Juan. „Findest du nicht?“

Hasard nickte. Vielleicht, dachte er, empfand Juan de Alcazar die Fremdartigkeit Hindustans noch eindringlicher. Weil er im Grunde seines Herzens Spanier geblieben war und es ihm schwerfiel, mit anzusehen, wie sich Portugiesen und Engländer anschickten, zumindest in diesem Teil der Welt der Seemacht Spanien den Rang abzulaufen.

Vor allem die Niederländer trumpften auf, waren doch erst vor einem Jahr achtzig Handelsschiffe der Generalstaaten in die südlichen Meere aufgebrochen, nachdem zuvor vier niederländische Kauffahrer das Südkap Afrika gerundet hatten und durch den Indischen Ozean bis nach Java gesegelt waren.

„Indiens Geheimnisse sind wahrscheinlich ebenso groß wie seine Reichtümer“, sagte der Seewolf. „Wir können leider nur Vermutungen anstellen, was in den Köpfen von Hindus und Moslems vorgeht.“

„Sie treiben mit den Portugiesen Handel, also werden sie auch uns nicht unverrichteter Dinge ziehen lassen. Rahid ist das beste Beispiel dafür.“

„Wahrscheinlich hast du recht, und meine Sorgen sind unbegründet.“ Philip Hasard Killigrew sog tief die würzige Luft in seine Lungen. Eine Weile stand er unbewegt, wie zur Salzsäule erstarrt, aber als er sich umwandte, lag ein herausforderndes Glitzern in seinen Augen. „Bis zum Mittag wissen wir mehr“, sagte er zuversichtlich.

Der neue Morgen brachte düstere, schwere Wolkenbänke. Ein auffrischender Wind trieb sie von Westen, vom Arabischen Meer heran, und im Nu verdunkelten sie den Himmel. Die aufgehende Sonne war nur noch als fahle, verwaschene Scheibe zu erkennen.

Innerhalb weniger Augenblicke brach das Unwetter los. Es goß in Strömen, die Sicht reichte schlagartig nur mehr knapp ein Dutzend Schritte weit. Die Stadt, die Lagerhallen, selbst der Fluß – alles verschwand hinter schier undurchdringlichen Wassermassen.

Der Tapti, sonst träge dahinfließend, schwoll an, überflutete die Ufer und riß Sträucher und Bäume mit sich. Die lehmig braunen Fluten verschonten auch den ruhigen Seitenarm nicht, in dem die Schebecke lag. Von dem Augenblick, da das Wasser zu steigen begann und erstmals über die Uferbefestigungen leckte, bis zu seinem höchsten Stand, immerhin gut drei Fuß über normal, verging gerade eine halbe Stunde.

So schnell, wie er begonnen hatte, hörte der sintflutartige Regen auch wieder auf. Die Sonne brach durch die Wolkendecke und verwandelte die Stadt und ihre weitere Umgebung in ein dampfendes Treibhaus. Gierig leckten die Strahlenfinger durch den aufsteigenden Dunst.

Sogar die Arwenacks litten unter der unwahrscheinlich hohen Luftfeuchtigkeit, die jede Arbeit zur Qual werden ließ. Wer an Deck ging, hatte rasch keinen trockenen Faden mehr am Leib.

„Monsunzeit“, sagte der Bettlerjunge Doglee in seinem gebrochenen Portugiesisch. „Aber das Land braucht den Regen. Wenn Monsun ausbleibt, wir alle müssen hungern.“

Ein entwurzelter Baum trieb vorbei. Hätte nicht Arwenack zu zetern und zu kreischen begonnen, wäre wohl niemand auf das Affenjunge aufmerksam geworden, das ängstlich in der weit ausladenden Krone hing.

„Sir!“ Hasard junior blickte den Seewolf erwartungsvoll an. „Arwenack meint, wir sollen die Jolle aussetzen und versuchen, den kleinen Kerl zu retten.“

„Hat er das gesagt?“

Hasard junior grinste schwach.

„Das nicht, aber …“

„Zu Noahs Zeiten regnete es vierzig Tage und vierzig Nächte lang. Ich kann verstehen, daß er gezwungen war, von allen Tieren ein Pärchen an Bord zu nehmen. Aber wir haben keine Arche, ganz zu schweigen davon, daß ein halbstündiger Wolkenbruch nicht mit der Sintflut zu vergleichen ist. Sind wir uns da einig?“

„Natürlich, Sir. Aber der kleine Affe …“

Der Seewolf verzichtete auf eine Antwort. Statt dessen deutete er flußabwärts zur nächsten Biegung, wo sich die mächtige Baumkrone inzwischen im Ufergestrüpp verfangen hatte.

„Schon klar“, sagte Hasard junior. „Die Natur gibt jedem ihrer Geschöpfe eine Chance.“

„Was man von uns Menschen durchaus nicht immer behaupten kann.“ Der Seewolf drehte auf dem Absatz um und trat vor die Querbalustrade des Achterdecks.

„Mister Carberry!“ rief er zur Kuhl hinunter.

Nahezu die halbe Mannschaft war auf dem Mitteldeck versammelt. Doch der Profos fehlte.

Der Kutscher, seines Zeichens Erster Koch und Feldscher, der seit kurzem in einer Fülle kostbarer Gewürze schwelgte, beugte sich über die Laderaumgräting: „Ed, der Kapitän will dich sehen!“

Poltern und unverständliches Gemurmel drangen von unten herauf. Wenig später tauchte ein dunkelblonder, wirrer Schopf aus der Luke auf, gefolgt von einem häßlichen Narbengesicht und einem gewaltigen Rammkinn.

„Sir?“ fragte Edwin Carberry dröhnend.

„Landgang ist angesagt“, raunte der Kutscher ihm zu. „Hasard erwartet, daß du schneller arbeitest.“

„Das soll er mir selber verklaren!“

Anklagend verdrehte der Kutscher die Augen.

„Hätte ich nur eine Prise Pfeffer hier …“

„Wozu?“

„Ich würde sie dir in den Hintern blasen, Mister Profos. Das muntert auf.“

Edwin Carberry packte blitzschnell zu. Seine schwielige Pranke verfehlte den Kutscher jedoch um Haaresbreite, weil der genau das vorausgeahnt hatte.

Die herrschende Schwüle drückte den Männern aufs Gemüt und ließ manchen überreizt reagieren.

Bevor zwischen dem Profos und dem Koch ein offener Streit ausbrechen konnte, fragte der Seewolf: „Hast du die Geschenke für den Padischah bereit?“

Ein anzügliches Grinsen huschte über Carberrys Narbengesicht. Suchend ließ er den Blick über die versammelte Mannschaft schweifen.

„Old Donegal muß mir noch zur Hand gehen“, sagte er.

Hasard tat den Einwand mit einer lässigen Bewegung ab.

„Erzähl mir nicht, daß dich die Kräfte verlassen, Ed. Eher fallen wohl Weihnachten und Pfingsten zusammen.“

Alles Murmeln und Raunen ringsum verstummte. Die Männer ahnten, daß der Profos irgendeine Anzüglichkeit bereit hatte. Sie kannten ihn, der vor nichts und niemandem Respekt hatte, außer natürlich vor Toten und Särgen, und sie kannten Old O’Flynn, Hasards kauzigen Schwiegervater.

Herausfordernd schob der Profos sein Rammkinn vor.

„He, Old Donegal!“ rief er. „Du mußt Schleifchen binden!“

Das schlagartig losbrechende Gelächter erschütterte die Planken. Einige aus der Crew lachten, daß ihnen die Tränen über die Wangen kullerten.

Nur Old Donegal O’Flynn stand stocksteif da und starrte über den Fluß. Der Profos und die schadenfrohe Bande waren schlichtweg Luft für ihn.

„Alles Banausen“, murmelte er im Selbstgespräch. „Die können es nicht verknusen, wenn einer mehr Gefühl für Schönheit aufbringt.“

Luke Morgan rang nach Atem. Zwischen zwei vergeblichen Versuchen, sein bebendes Zwerchfell zu beruhigen, sagte er ächzend: „Old Donegal wird die Geschenke für den Padischah bestimmt nicht mit Schleifchen verzieren, das tut er nur, wenn er dafür viele Küßchen empfängt.“

„Klitzekleine oder riesengroße?“ japste Piet Straaten.

„Laß mich ausreden!“

„Ist doch ohnehin klar, was du sagen willst, Luke.“ Big Old Shane, der graubärtige Riese, mischte sich ebenfalls ein. „Die Fischvergiftung und sein Scheintod haben Donegal irgendwie – na ja, verdreht. Wenn seine Mary Snugglemouse wüßte, daß er jetzt nicht mehr auf Küßchen der königlichen Lissy aus ist, sondern vom Padischah …“

„Old Donegal braucht eben Abwechslung“, sagte Sam Roskill grinsend.

„Ha-ha-ha!“ Der Alte äffte ihn nach. „Ist vielleicht einer von euch Klugscheißern schon auf den Gedanken verfallen, der Padischah könnte einen Harem voll hübscher, liebreizender weiblicher Wesen haben? Die Gastfreundschaft gebietet es, daß er seinem Lieblingsgast gewisse Vorrechte …“

„Hör auf!“ stöhnte Stenmark.

„Neidisch, wie?“ Old Donegal grinste den Schweden herausfordernd an. Er schenkte überhaupt jedem ein überlegenes Lächeln. „Köpfchen muß man haben, dann ergibt sich alles andere ganz von selbst.“

Das mit dem Schleifchen lag einige Monate zurück. Old Donegal hatte damals ziemlich unbedacht den Wunsch geäußert, wenigstens eine der spanischen Schatzgaleonen als Geschenk für die Königin mit einem in schmale Bahnen geschnittenen Segel zu verzieren.

Die Crew hatte ihm daraufhin ein Schiffsmodell mit aufgebauschter Schleife in die Koje gelegt, dazu einen Zettel mit folgendem Text: Ein Schatzschiff für die Königin. Liebevoll eingepackt von Old Donegal Daniel O’Flynn, einem treuen Untertan. In der Hoffnung auf viele klitzekleine Küßchen.

„Dan!“ rief der Profos, der mittlerweile die Arme seitlich auf dem Lukenrand abstützte. „Wußtest du, daß dein Vater abmustern will, um den Rest seines Lebens in einem Harem zu beschließen?“

„Quatsch.“ Der Alte brauste auf, ehe Dan O’Flynn antworten konnte. „Zwei oder drei Tage sind doch keine Ewigkeit.“

„Für gewisse Dinge schon“, entgegnete der Profos.

„So ist es“, bestätigte Ferris Tucker und zwinkerte dem Profos zu.

„Von was redet ihr?“ fragte Old Donegal. Er stand kurz vor einem Wutausbruch.

„Wir denken“, begann Ferris Tucker. „Ja, wie soll ich mich ausdrücken? Also, die Sache ist so …“

„Ferris und ich, wir meinen, daß deine Mary …“

„Was?“

„Nun, äh …“

„Sie wird an deiner Fistelstimme keinen Gefallen finden“, sagte Tucker.

„Richtig.“ Carberry nickte zustimmend. „Und an der anderen Sache auch nicht.“

„Wieso Fistelstimme?“ fragte Old O’Flynn. „Und was für eine andere Sache?“ Diesmal war er wirklich schwer von Begriff. Er bemerkte nicht mal, daß Nils Larsen, Smoky und Jack Finnegan inzwischen halb über dem Schanzkleid hingen und vor mühsam verhaltenem Lachen Gefahr liefen, das Gleichgewicht zu verlieren.

Ferris Tucker setzte eine Leichenbittermiene auf. Es fiel ihm sichtlich schwer, Haltung zu bewahren.

„Mag sein, daß der Padischah Besucher auch in seinem Harem empfängt“, sagte er. „Aber dann eben nur Eunuchen, und die haben bekanntlich eine Fistelstimme, weil sie …“

Old Donegal fiel ihm ins Wort: „Was soll das heißen, du karierter Holzwurm?“ Er plusterte sich auf wie ein Gockel vor der Balz.

„Nichts“, sagte Ferris Tucker unschuldig.

Wütend stampfte der Alte mit dem Holzbein auf.

„Ihr könnt mich alle – zum Padischah begleiten!“ rief er. „Ein Kerl wie ich braucht keine blöden Schleifchen, um Aufmerksamkeit zu erregen.“

Das stimmte in der Tat. Nur hüteten sich die Arwenacks, das auszusprechen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 658

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