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2.

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Unter Führung des jungen Doglee verließen Hasard, der Erste Offizier Ben Brighton, Dan O’Flynn und Old Donegal die Schebecke. Der Alte hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, an Bord zurückbleiben zu müssen, und Hasard war gegen die Vielzahl „logischer“ Argumente nicht gefeit gewesen.

„Treib’s nicht zu wild, Donegal!“ riefen die Kerle von Deck aus hinterher.

„Bring uns ein paar Ladys mit! Es muß ja nicht gleich der ganze Harem sein.“

Mac Pellew, der wie üblich auch jetzt griesgrämig dreinblickte, schoß mit seiner Bemerkung den Vogel ab. Er sagte schlicht und einfach: „Vergiß uns nicht, Mister O’Flynn.“

Das Gelächter folgte Hasard und seinen Begleitern, bis sie zwischen den Magazinen des Kaufmanns Rahid die Schebecke aus den Augen verloren. Old Donegal tat, als ginge ihn das alles herzlich wenig an.

„Die Männer sind eben so“, sagte er zu Dan, seinem Sohn. „Aber sie haben das Herz am rechten Fleck.“ Irgendwie klang das sogar entschuldigend.

Der Regen hatte die Stadt verändert. Dichte Nebelschwaden trieben durch die Straßen und engen Gassen und legten sich beklemmend auf das sonst bunte und lärmende Treiben.

Hie und da brach die Sonne durch, ihre gleißenden Strahlen ließen den aufsteigenden Dampf sichtbar werden. Manche Wege und Plätze standen noch unter Wasser, an anderen Stellen hatten sich Schlamm und Geröll angehäuft. Trockenen Fußes hindurchzugelangen, war unmöglich.

Doglee führte die Arwenacks tiefer in das Gewirr der Häuser und Hütten. Den Palast und den Hindu-Tempel verloren sie bald aus den Augen, doch der schlanke Turm des Minaretts tauchte immer wieder vor ihnen auf und half bei der Orientierung.

Das Leben in Surat nahm seinen gewohnten Gang. Das Rufen der Händler, die ihre Waren feilboten, das laute Werben der Gaukler und Geschichtenerzähler um die Gunst des Publikums, Hundegebell, Kindergeschrei – all das wurde zeitweise noch von einer schrillen, kreischenden, quietschenden und quakenden Musik übertönt, die den Engländern nicht immer als Wohlgenuß erschien.

Die Luft war erfüllt von dem süßlichen Aroma feuchten Erdreichs, von Essensgerüchen und dem Qualm brennender Herdfeuer ebenso wie von der sich vermengenden Vielfalt exotischer Gewürze, die die Arwenacks zum Teil nicht mal dem Namen nach kannten.

Wortreich verscheuchte Doglee einige Bettlerjungen, die nur wenig jünger als er selbst waren und den Arwenacks wie Kletten folgten.

„Aufpassen!“ raunte er dem Seewolf zu. „Die stehlen sogar ihrer Mutter die Töpfe vom Feuer. Wissen, daß wir Geschenke dabeihaben.“

Hasard schwieg dazu. Er hatte eher den Eindruck, daß Doglee die Nähe seiner früheren Gefährten peinlich war. Offenbar fürchtete er, die Ingles könnten seine Dienste künftig ablehnen.

Tatsächlich schritt der Junge schneller aus. Er hielt auch nicht inne, als die Arwenacks einem Fakir forschende Blicke zuwarfen. Der Mann, eine würdevolle Erscheinung mit mächtigem Turban und wallendem weißen Bart, kauerte inmitten einer Vielzahl geflochtener Körbe. Von zweien waren die Deckel abgenommen. Kobras züngelten daraus hervor und schienen sich zum Rhythmus seines schrillen Flötenspiels zu wiegen.

„Ich denke, den Schlangen wurden die Giftzähne gezogen“, sagte Ben Brighton. „Die taugen nur noch als Kinderschreck.“

„O nein“, antwortete Doglee im Vorbeieilen. „Biß von Kobras sein tödlich. Aber beißen nicht, solange Flöte erklingt.“

„Bist du sicher, Junge?“

„Ich zeige euch. Später.“

Darauf konnte nun jeder verzichten. Sie eilten weiter, so schnell es die schwere Truhe mit den Geschenken für den Padischah erlaubte, die Ben Brighton und Dan O’Flynn schleppten.

Schon die Truhe an sich war eine kleine Kostbarkeit. Sie bestand aus geschnitztem schwarzem Holz und wies auf ihren Seiten Seefahrtsmotive aus vier Himmelsrichtungen auf, den Deckel zierte das Abbild einer Galeone unter vollen Segeln. Beschlagen war sie mit versilberten Eisenbändern, das Silber wurde zum Deckel hin durch Gold abgelöst.

Die Truhe stammte ebenso wie ihr Inhalt aus den Schätzen des spanischen Geleitzugs, den die Seewölfe in einem der größten Raids ihres Lebens nach London geführt hatten. Die Spanier nahmen den Indianern in der Neuen Welt ihre Schätze ab, die Korsaren plünderten die Spanier aus, und letztlich erhielten Herrscher ferner Länder einen verschwindend geringen Teil davon als Antrittsgeschenk der englischen Krone – das war der Lauf der Welt.

Die geschundenen Eingeborenen Amerikas blieben dabei auf der Strecke. Doch die Arwenacks hatten auf ihre Fahnen geschrieben, gerade den Geknechteten und Ausgebeuteten zu helfen, und sie hatten oft genug bewiesen, daß sie dazu in der Lage waren.

Endlich erreichten sie die Palastmauer mit ihren kunstvoll und reich ornamentierten Türmen. Die Bilder und Fresken stellten Ereignisse aus der indischen Mythologie dar, wobei Elefanten und mehrgliedrige Geschöpfe die Szenerie beherrschten.

So selbstverständlich, als habe er in seinem jungen Leben nie etwas anderes getan, steuerte Doglee auf das zweiflügelige Tor und die davor postierten Wachen zu.

„Sag ihnen, daß der Padischah uns erwartet“, raunte Hasard dem Jungen zu.

Doglee wechselte einige Worte mit den uniformierten Muselmanen, die neben ihren breiten Säbeln und in den bunten Tuchgürteln steckenden Elfenbeindolchen auch Feuerwaffen trugen. Mit Kennerblick stellten die Arwenacks fest, daß Pistolen und Musketen Steinschlösser hatten.

In einer fließenden Bewegung berührte Doglee mit den Fingerspitzen der rechten Hand hintereinander Stirn, Lippen und Brustkorb und verbeugte sich. Anschließend wandte er sich zu den Engländern um.

„Wachen sagen, erhabener, großehrwürdiger Padischah gewähren Ingles Zutritt, wenn Geschenke bringen.“

„Feine Sitten“, murmelte Dan. „Bisher glaubte ich immer, Geschenke würden freiwillig gegeben.“

„Du mußt das von der praktischen Seite sehen“, erwiderte Old Donegal. „Wir wissen nun wenigstens, woran wir sind. Der Padischah ist so geldgierig wie alle Herrscher.“

Hasard deutete auf die Truhe – eine Geste, die ihm sofort Tür und Tor öffnete.

Hinter der äußeren Palastmauer erstreckte sich ein weitläufiger Garten unbeschreiblicher Schönheit. Wege aus weißem Kies schlängelten sich zwischen Bäumen und üppig blühenden Büschen hindurch, an Rinnsalen und kleinen Teichen vorbei, bis hin zu einem ausgedehnten Bauwerk aus vielfarbigen Ziegeln.

Eine Wache führte die Arwenacks. Abgesehen davon, daß der dunkelhäutige Mann stumm wie ein Fisch zu sein schien, hatte er zudem alle Zeit der Welt. Seine Art, sich zu bewegen, war nicht mehr als ein gemächliches Schlendern.

„Der schläft im Stehen ein“, schimpfte Old Donegal.

Zwanzig Schritte vor einer breiten, zu einem Gebäudeportal führenden Treppe verharrte der Wächter endgültig. Die Arme vor der Brust gekreuzt, wandte er sich zu den Arwenacks um. Doglee beachtete er mit keinem Blick.

„Hier warten!“ sagte er auf arabisch, was endgültig bewies, daß er zum moslemischen Teil der Bevölkerung gehörte. Nur wenig schneller als zuvor stieg er die Treppe hinauf und verschwand in dem Gebäude.

„Wie lange wird uns der Padischah warten lassen?“ fragte Ben Brighton.

„Weiß nicht.“ Doglee zuckte mit den Schultern. „Den vierten Teil einer Stunde vielleicht. Der Padischah hat euch Ingles schon genug hin … hingelegt. Ist das richtiges Wort?“

„Du meinst hingehalten“, sagte Dan O’Flynn.

Der Junge wiederholte den Begriff. Ein Aufleuchten huschte über sein Gesicht.

„Ich lerne gut Portugiesisch von dir – und dir dafür zeige, wie Mann Kobra fängt und läßt tanzen zu Flötenmusik.“

Als Dan abwehrend die Arme hob, wandte sich Doglee an Old Donegal.

„Du Turban aufsetzen und anderes Gewand tragen, dann aussehen wie richtiger Fakir. Ich dir besorge schöne große Kobra.“

Old O’Flynn sperrte Mund und Augen auf und schluckte erst mal.

„Hasard ist unser Kapitän“, sagte er. „Wenn jemandem die Ehre gebührt, dann ihm.“

Doglees Blick sprühte vor Freude, endlich den Richtigen gefunden zu haben, als er sich Hasard zuwandte. „Ist mir Ehre, großem Ingles-Kapitän große Freude zu bereiten. Du willst Kobra, nicht wahr?“

„Und ob“, sagte Old Donegal übereifrig.

Ben Brighton musterte den Seewolf von der Seite. Er lächelte amüsiert. Immerhin kannte er Hasard gut genug, um zu wissen, daß er den Jungen nicht vor den Kopf stoßen würde, zumal Doglees Begeisterung deutlich zu spüren war.

„Später, Junge“, sagte Hasard ausweichend. „Wenn wir uns mit dem Padischah über das Handelsabkommen geeinigt haben.“

Oben auf der Treppe erschienen zwei bewaffnete Wächter. Sie postierten sich neben den steinernen Figuren zu beiden Seiten des Aufgangs, ließen die Arwenacks aber unbeachtet.

Die Viertelstunde, von der Doglee gesprochen hatte, verstrich ereignislos.

Ben Brighton und Dan O’Flynn setzten endlich die schwere Truhe mit den Geschenken auf dem Kies ab.

Old Donegal deutete auf die nur aus Dach und Säulen bestehenden kleinen Häuschen, die in gleichen Abständen entlang des Weges errichtet waren. In ihrem Inneren, von einer wahren Blumenpracht umgeben, standen marmorne Sitzbänke.

„Wenn unsere Geduld schon unnütz auf die Probe gestellt wird“, sagte er, „sollten wir uns wenigstens ausruhen. Ich für meinen Teil halte lieber ein kleines Nickerchen, als daß ich mir die Beine in den Bauch stehe.“ Sprach’s, drehte auf dem Absatz um und schickte sich an, mitten durch eine gepflegte Grünanlage hindurchzustapfen.

„Nein!“ rief Doglee entsetzt. „Nicht dahin!“

„Warum denn nicht?“ maulte Old Donegal, ohne sich aufhalten zu lassen. „Eine Bank ist zum Sitzen da. Und genau das werde ich jetzt tun, ich werde darauf warten, daß dieser schlafmützige Bursche, der hier das Sagen hat, endlich erleuchtet wird. Er denkt wahrscheinlich nur an seinen Harem und …“

„Donegal“, sagte Hasard, „bleib stehen!“ Er wußte zwar nicht, was Doglees hilflos verzweifelter Blick bedeutete, aber er ahnte, daß Old O’Flynn drauf und dran war, eins der ungeschriebenen Gesetze dieses Landes zu übertreten.

„Regt euch doch nicht auf“, sagte Old Donegal dickköpfig. „Niemand sitzt bisher da.“

„Eine Kobra!“ Händeringend stieß Doglee den Warnruf aus.

Das half. Old O’Flynn prallte entsetzt zurück. Seine Augen weiteten sich in jähem Entsetzen.

Dan zerrte die Pistole aus dem Gürtel. Aber auch er konnte nirgends eine Schlange entdecken.

„Verdammt, wo ist das Biest?“ Old Donegals schwielige Hände schossen vor, packten den Jungen und schüttelten ihn. „Wenn du mich angelogen hast, Bürschchen, dann Gnade dir Gott.“

Er war wirklich erzürnt. Doglee versuchte vergeblich, etwas zu sagen, er brachte nicht mehr als einige abgehackte, gurgelnde Laute hervor, ein Gemisch aus seiner Muttersprache und Portugiesisch.

„Gebt Ruhe, verdammt!“ Der Seewolf sagte das so scharf, daß Old Donegal unwillkürlich losließ.

„Danke, Senhor.“ Tief verbeugte sich Doglee vor Hasard. Sein Versuch, ihm die Hand zu küssen, scheiterte, weil Hasard blitzschnell den Arm zurückzog.

Der Seewolf deutete auf den kleinen Pavillon, die Bank und die Blumen.

„Was ist damit?“ fragte er.

„Bänke nicht für Sterbliche“, antwortete Doglee. „Vorbehalten für Götter und für Padischah. Wer Ehrfurcht fehlen läßt, wird Kopf kürzer.“

„Quatsch“, sagte Old Donegal. „Wo sollen wir uns setzen, wenn wir müde sind?“

„Knien nieder auf Weg“, erklärte Doglee. „So, Senhor.“ Er demonstrierte die Haltung, die er meinte, woraufhin der Alte abwinkte und feststellte, er bleibe lieber stehen.

Eine Stunde später schlug Old Donegal andere Töne an. Die Sonne stand mittlerweile hoch im Vormittag und brannte sengend heiß nieder. Kein Baum spendete Schatten auf dem Weg.

„Der Padischah hat uns vergessen“, behauptete Old O’Flynn. „Jede Wette darauf.“

„Der Padischah in seiner großen Güte vergißt niemals“, widersprach Doglee.

„Was treibt er dann, he?“ Als Old Donegal sah, daß er von dem Jungen keine Antwort erhalten würde, blaffte er zu den beiden Wachen hinauf: „Alles, was eine Art hat, das ist keine Art, Gäste so lange warten zu lassen.“ Ohne es zu merken, bediente er sich der englischen Sprache. Kein Wunder, daß die Gesichter der Inder unbewegt blieben. „Bietet uns wenigstens was zu trinken an, ein kräftiger Schluck Rum wäre das mindeste, oder ein Humpen voll Bier …“

„Dad“, sagte Dan, „das sind Moslems.“

„Na und?“

„Der Genuß berauschender Getränke ist ihnen verboten.“

„Von Bier kriegt man keinen Rausch. Außerdem ist mir das scheißegal, ich fühle mich langsam wie ein Seestern auf dem Trockenen.“

„Es ist sinnlos, daß wir darüber streiten, Dad.“

Old Donegal kratzte sich ausgiebig am Hinterkopf. Seine Miene hellte sich währenddessen zusehends auf.

„Aber für Heilzwecke ist Alkohol erlaubt?“ fragte er hoffnungsvoll.

„Das weißt du doch so gut wie ich.“

„Ich wollte es nur noch mal hören.“ Old Donegal ließ sich auf die Knie sinken. „Ich bin krank!“ rief er den Wachen zu. „Die Sonne dörrt mich aus, ich vertrockne …“

„… und werde zur Mumie“, sagte Dan spöttisch.

„Laß die Schotten dicht oder schieß in den Wind!“ zischte Old Donegal. „Mit meiner Methode habe ich wenigstens Erfolg.“

Tatsächlich verließen die beiden Wachen erstmals ihren Platz. Sie stiegen aber nicht die Treppe hinunter, sondern wandten sich dem Portal zu.

„Du hast sie vergrault, Dad.“

„Unsinn. Sie haben endlich begriffen, was wir brauchen. Dieser andere englische Kapitän, der bis zum Padischah vorgedrungen ist, hat sich genau der richtigen Methode bedient. Frechheit siegt, das gilt auch für uns. Warum gehen wir nicht einfach die Stufen hinauf? Irgend jemand wird sich dann schon um uns kümmern.“

Sie brauchten sich nicht zu streiten, denn in dem Moment verließ ein bärtiger junger Mann den Palast. Die Wachen folgten ihm, und hinter ihnen erschienen weitere Bewaffnete, insgesamt zehn grimmig dreinblickende Burschen.

„Ist das der Padischah?“ fragte Ben Brighton, obwohl er eigentlich nicht an diese Möglichkeit glaubte.

Der Bärtige trug nur einfache Stiefel, eine weite Hose und darüber ein Hemd. Sein Schädel war kahlgeschoren und wirkte wie poliert.

Auf der untersten Treppenstufe blieb er stehen. Eindringlich musterte er die Engländer der Reihe nach. Erst dann hielt er es für angebracht, sein Schweigen zu brechen.

„Mein Herr, der Padischah, läßt den Ingles seine Grüße überbringen. Bedauerlicherweise erfordern die Umstände seine Anwesenheit andernorts.“

„Das heißt, der Padischah wird uns nicht empfangen.“ Hasard spürte Ärger in sich aufsteigen. Er begann sich ernsthaft zu fragen, ob er die falsche Methode anwandte. Vielleicht war es in der Tat besser, die Ellenbogen zu benutzen.

„Der Padischah, Allah verleihe ihm die Unsterblichkeit, bedauert zutiefst, den Kapitän des großen Schiffes vertrösten zu müssen. Aber morgen ist auch noch ein Tag, und morgen wird alles seinen vorgezeichneten Weg gehen.“ Der Mann verbeugte sich knapp. Sein Blick ruhte jetzt auf der Truhe aus Ebenholz. „Ich bin ermächtigt, die Geschenke für den Padischah entgegenzunehmen.“ Er klatschte kurz in die Hände. Daraufhin eilten zwei der Wachen herbei und schleppten die Truhe weg.

Hasard sah ein, daß es wenig Sinn hatte, dagegen zu protestieren.

Nicht so Old Donegal.

„Keine Unterredung mit dem Padischah, keine Geschenke“, sagte er verärgert. „Wir haben den weiten Weg nach Surat nicht zurückgelegt, um hier wie Bittsteller behandelt zu werden. Als Abgesandte der Englischen Krone verlangen wir, unverzüglich mit dem Padischah zu reden.“

„Ich sagte bereits …“

„Ihr Geschwätz interessiert uns einen Dreck. Sorgen Sie dafür, daß die Truhe zurückgebracht wird, oder führen Sie uns zu Ihrem Herrn! Beides dürfte wohl kein Problem sein.“

„Aufregung schadet der Seele“, sagte der Inder so ruhig wie zuvor. Er lächelte sogar. „Ich habe mir berichten lassen, daß Ihre Reise von England viele Wochen währt – wie wichtig ist da ein Tag mehr oder weniger?“

„Daß Sie uns hinhalten, das verdanken wir doch diesen anderen Engländern, nicht wahr? Was haben die dem Padischah erzählt? Ach, laß mich!“ Old Donegal schüttelte Dan ab, der beruhigend auf ihn einreden wollte. „Ich verwette mein gesundes Bein dafür, daß die Kerle üble Halsabschneider sind. Lumpenpack, jawohl, dafür habe ich einen Riecher.“

„Gehen Sie, bitte! Morgen wird der Padischah mit Ihnen reden.“

„Und die Geschenke?“ fragte Hasard. „Wir werden morgen mit leeren Händen erscheinen.“

„Seien Sie unbesorgt …“

„… sagte der Hai zum Hering, und dann biß er zu.“ Herausfordernd verschränkte Old Donegal die Arme. „Ihre Art, Freunde zu gewinnen, dürfte einmalig sein.“

Der Inder lächelte noch immer. Er deutete den Weg entlang zur Palastmauer. „Surat bietet Fremden viel Zerstreuung. Und was ist schon ein Tag? Nicht mehr als ein Wassertropfen im Ozean.“

Auch Hasard blieb nur ein Zähneknirschen, aber er durfte die Inder nicht gegen sich aufbringen. Der Padischah verfügte eindeutig über die bessere Position. Wenn es ihm gefiel, konnte er die Anwesenheit der Schebecke ignorieren.

„Wir ziehen uns zurück!“ bestimmte der Seewolf.

Doglee murmelte: „Alles andere wäre falsch, Senhor Kapitän.“

„Der alte Mann mit dem hölzernen Bein bleibt hier“, sagte der Inder in dem Moment. Seine Wachen hielten Old Donegal fest. Der alte Zausel war momentan viel zu überrascht, um an Widerstand zu denken.

Hasards Rechte glitt an den Griff seiner Pistole, doch durfte er den Radschloßdrehling nicht ziehen. Die sechsschüssige Waffe würde zwar ausreichen, die Inder das Fürchten zu lehren, nur würde es dann nie eine Handelsvereinbarung geben.

„Gehen Sie“, wiederholte der Bärtige eindringlich. „Der Padischah mag es nicht, wenn er oder einer seiner Diener bedroht wird.“

Ben Brighton und Dan blickten den Seewolf an. Hasard nickte knapp, sein Gesicht blieb ausdruckslos.

„He!“ brüllte Old Donegal hinter ihnen her. „Ihr könnt mich hier nicht zurücklassen!“

Nur Dan wandte sich noch einmal um.

„Wir können nicht, Dad, aber wir müssen. Es ist ohnehin nur für einen Tag.“

„Weißt du, was die mit mir anstellen?“

„Deine Wünsche gehen in Erfüllung, Dad. Denk an den Harem! Außerdem kannst du dich auf mich verlassen: Ich werde Mary kein Sterbenswort davon erzählen.“

Die Ausdrücke, die Old Donegal jetzt benutzte, hätten die Inder erröten lassen. Zum Glück verstanden sie sein Englisch nicht.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 658

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