Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 653 - Jan J. Moreno - Страница 7
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ОглавлениеSie wußten nicht, ob es sich bei den beiden mageren Ziegen, die sie tagtäglich in einiger Entfernung sahen, jeweils um dieselben Tiere handelte, oder ob womöglich eine ganze Herde die Insel bevölkerte. Gegen diese Annahme sprach allerdings, daß die Ziegen nicht gut im Futter standen.
Vielleicht waren sie von Seeleuten auf dem Eiland ausgesetzt worden, damit sie sich vermehrten und den Mannschaften künftig hier ankernder Schiffe als Proviant dienten. Dann hätten die Unbekannten aber auch für besseres und vor allem für mehr Futter sorgen sollen.
Die paar Maispflanzen, die am Fuß eines Hanges wuchsen, die Farne und das andere Gestrüpp reichten kaum aus, um eine Herde von Ziegen zu ernähren. Außerdem standen von dem Mais inzwischen fast nur noch Stengel. Über dem Feuer geröstet und in Seewasser getunkt, hatten die gelben Körner die Mahlzeiten der vergangenen Tage abwechslungsreicher gestaltet.
„Ziegenkäse“, schnaubte Hasard, während Philip und er in die Felsen aufstiegen. „Was hat Granddad eigentlich vor? Will er Ackerbau und Viehzucht betreiben?“
„Das ist kein schlechter Gedanke“, sagte Philip. „Der vulkanische Boden speichert die Wärme, so daß wir mühelos zwei oder gar drei Ernten im Jahr erzielen …“ Er unterbrach sich jäh und sah zu, daß er Distanz gewann, denn sein Bruder schien von dem Vorschlag ganz und gar nicht begeistert zu sein.
„Du hast sie wohl nicht mehr alle!“ rief Hasard. „Ich bete, daß bald ein Schiff aufkreuzt, und du …“
„Die Ziegen! Dort oben!“
Da waren die beiden mageren Tiere wieder. Keine hundert Yard entfernt, grasten sie friedlich zwischen Sträuchern und Geröll. Noch hatten die offensichtlich scheuen Ziegen die beiden Menschen nicht bemerkt, aber sobald das der Fall war, würden sie, wie bisher, im unübersichtlichen Gelände verschwinden.
„Der Wind steht günstig“, sagte Philip. „Wenn wir Glück haben, erreichen wir die Biester, bevor sie uns wittern.“
„Wir sollten uns während der nächsten zehn Tage nicht waschen“, sagte Hasard.
„Wieso?“
„Weil wir dann wieder wie die Ziegenböcke stinken. Oder hast du einen besseren Vorschlag?“
Philip hob das kurze Tauende, das ihn beinahe einen halben Tag lang beschäftigt hatte. Er hatte die Kardeele aufgedreht und in ihre Enden halb faustgroße, glattgeschliffene Steine eingespleißt. Bis das Gebilde so geworden war, wie es jetzt aussah, hatte er sich etliche spöttische Bemerkungen anhören müssen. Hasard zweifelte noch immer an der Wirksamkeit des Wurfgeschosses, zumindest was eine Entfernung von mehr als zehn Schritten betraf.
Die Zwillinge kletterten weiter, bemüht, jedes verräterische Geräusch zu vermeiden. Die Sonne brannte heiß vom wolkenlosen Himmel und heizte das Gestein auf. Das Meer verwandelte sie in eine schier endlose Fläche, deren grelles Glitzern in den Augen schmerzte.
Bis auf etwa fünfzig Yard näherten sich Hasard und Philip den Ziegen, dann stieß eins der Tiere ein kurzes Meckern aus. Im nächsten Moment verschwanden beide zwischen dem Geröll.
„Mist“, stöhnte Hasard. „Ich wußte gleich, daß das nichts wird. Granddad soll sich die Flausen aus dem Kopf schlagen, von wegen Käse und so.“
„Willst du schon aufgeben, Bruderherz? Was, glaubst du, wird Old Donegal dazu sagen?“
Wortlos stieg Hasard weiter nach oben. An manchen Stellen waren Philip und er zum Klettern gezwungen, aber das Lavagestein bot guten Halt.
Sie erreichten ein kleines Hochplateau. In den Mulden wuchsen Gras und Blumen, sofern die Ziegen nicht schon alles abgefressen hatten. Daß die Tiere regelmäßig hier erschienen, bewiesen die vielen Spuren und die getrockneten Exkremente.
„Wir sollten Schlingen auslegen“, schlug Hasard vor. „In einigen Tagen essen wir dann womöglich doch Käse.“
„Es geht einfacher“, widersprach Philip. Er hob sein aufgedrehtes Tau mit den daran befestigten Steinen. „Heute haben wir das erhoffte Jagdglück, du wirst sehen.“
Die Ziegen waren in südliche Richtung verschwunden. Nach wie vor hatten die Zwillinge den Wind gegen sich. Sie überquerten das Plateau und gerieten erneut in schwierigeres Gelände. Obwohl sie die Ziegen mehrmals ziemlich nahe vor sich sahen, konnte Philip keinen gezielten Wurf anbringen.
„Ich warte, bis ich sicher bin, daß ich die Vorderbeine einem der Tiere treffe“, sagte er. „Die Kardeele werden sich wie Fesseln um die Läufe schlingen.“
„Vielleicht sollten wir uns trennen“, schlug Hasard vor. „Ich könnte dir die Ziegen zutreiben.“
„Das ist keine schlechte Idee.“ Philip nickte zustimmend. „Versuchen wir es zumindest.“
Hasard schlug einen Bogen nach Osten. Schnell verschwand er aus Philips Gesichtskreis und tauchte nur hin und wieder zwischen Felsen und Sträuchern auf.
Es dauerte nicht lange, da stieß er einen überraschten Ausruf aus. Offenbar war es ihm egal, ob die Ziegen endgültig ihr Heil in der Flucht suchten. Das bedeutete, daß er etwas entdeckt hatte, was ihm weitaus wichtiger erschien als Old Donegals vierbeinige, meckernde Käselieferanten.
„Was ist los?“ fragte Philip.
„Sieh es dir selbst an“, erwiderte Hasard.
Philip ließ sich das nicht zweimal sagen, zumal sich sein Bruder eines geradezu beschwörenden Tonfalls bediente. Er hastete los, seine selbstgefertigte Waffe noch wurfbereit in der Rechten, doch die Ziegen sah er nicht mehr.
Was immer er vorzufinden erwartet hatte, er wurde enttäuscht, als er zu seinem Bruder aufschloß. Hasard deutete zu einer kraterförmigen Senke, die sich nach Südosten erstreckte. Wie wenig sie bislang über ihre Insel wußten, wurde ihnen jetzt klar. Wären sie den Ziegen nicht nachgelaufen, sie hätten den Talkessel, der schützend von schroffen Felsen umgeben war, kaum entdeckt.
Philip folgte der Linie, die Hasards ausgestreckter Arm wies, mit den Augen.
„Das sind Feigenkakteen“, murmelte er. „Ihre Früchte können wir essen.“
„Das meine ich nicht“, sagte Hasard. „Ein Stück weiter rechts – der knorrige Baum!“
Ein abgestorbener Drachenbaum ragte in der Senke auf, nicht sonderlich groß, aber dennoch bizarr anzusehen. Vogelnester hingen in seinen verschlungenen Ästen. Die Ausscheidungen der Tiere bildeten den Nährboden für schmarotzende Schlingpflanzen, die den Baum fest in ihrem Würgegriff hatten.
„Und?“ fragte Philip.
„Verstehst du noch immer nicht?“
„Was soll ich verstehen?“
„Der Drachenbaum ist der markanteste Punkt weit und breit. An solchen Stellen pflegen Piraten ihre Schätze zu vergraben.“
„Nicht überall, wo ein einsamer Baum steht, liegen auch Gold, Silber und Perlen. Außerdem habe ich die Nase von der Schatzsuche voll.“
„Das dachte ich auch.“ Hasard grinste breit und herausfordernd.
Daß sie auf der unbekannten Insel festsaßen, nachdem sie dem Tod nur knapp entronnen waren, hatten sie zwar einer alten Schatzkarte zu verdanken, doch das tat der Abenteuerlust eines Killigrew, der außerdem O’Flynnsches Blut in den Adern hatte, keinen Abbruch. Sie hatten den höllischen Sandsturm und die lange Zeit in dem kleinen Boot überlebt, sie würden auch über kurz oder lang das Eiland wieder verlassen. Wenn das zusammen mit einer Schatzkiste geschah, um so besser.
Hasard Killigrew junior hatte in der Tat Grund zu seiner Annahme. Aus einem von Menschenhand aufgeworfenen flachen Hügel inmitten der sonst gleichmäßigen Ebene ragte ein hölzerner Stiel.
„Eine Schaufel“, sagte Philip ungläubig. Der Gedanke, doch nicht allein auf der Insel zu sein, drängte sich auf. Mußten sie damit rechnen, jeden Moment wildem Piratenpack gegenüberzustehen?
Hasard schien die Überlegungen seines Bruders zu erraten.
„Falls ein Schiff vor Anker liegt, hätten wir es bemerkt“, sagte er. „Die Kerle, die hier gegraben haben, sind längst über alle Berge.“
„Vielleicht gehörten sie zu dem Wrack …“
Die Insel, soviel hatten die Zwillinge inzwischen herausgefunden, hatte eine Ausdehnung von knapp sechs mal acht Meilen. Sie ragte im Durchschnitt bis zu vierhundert Yard über den Meeresspiegel auf, stieg aber im Osten, im Bereich des erloschenen Vulkankegels bis auf mehr als das Doppelte an.
Es gab zwei oder drei Punkte, von denen aus das gesamte Gelände gut zu überblicken war. Ein Schiff, das in einer der vielen Buchten ankerte, konnte nicht unbemerkt bleiben.
Hasard erreichte vor seinem Bruder die tief im Boden steckende Schaufel. Der Stiel, abgesehen davon, daß die Sonne ihn merklich ausgebleicht hatte, wies keine Besonderheiten auf. Mitunter markierten Schiffsbesatzungen ihre Werkzeuge, doch das war hier nicht der Fall.
Hasard packte kurzerhand zu und begann zu graben. Das Erdreich war locker und von faustgroßen Lavabrocken durchsetzt. Er arbeitete mit dem Eifer eines Schatzgräbers. Daß der Wind das Meckern der Ziegen herantrug, spornte ihn nur noch weiter an. Old Donegal würde die Tiere und den erhofften Käse bestimmt vergessen, wenn seine Enkel wenigstens mit einer kleinen Truhe voll Gold zurückkehrten.
Philip wurde vom Eifer seines Bruders angesteckt. Sie schaufelten abwechselnd.
Das Loch war beinahe einen Yard tief, als Hasard einen verblichenen Fetzen Stoff zum Vorschein brachte. Ein weiteres, größeres Stück folgte.
Knirschend grub sich die Schaufel durch einen plötzlichen Widerstand. Hasard wußte sofort, daß es sich nicht um Steine handelte. Die Lippen trotzig aufeinandergepreßt, förderte er bleiche Knochen zutage. Sein Bruder blickte ihn überrascht an.
„Das sind die Überreste eines Menschen“, sagte Hasard. „Hier wurde jemand begraben. Vielleicht einer der Seeleute vom Wrack.“
„Manche Piraten werfen einen Toten über ihre Schätze. Zur Abschreckung.“
„Ich grabe trotzdem nicht weiter.“ Hasard warf einen bedauernden Blick in das Loch, in dem weitere Knochen zu erkennen waren. „Falls der Tote zur ehemaligen Mannschaft des Wracks gehört hat, sollten wir woanders Hinweise finden.“
„Wie lange, schätzt du, liegt das Wrack in der Schlucht?“
Hasard zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Ein Jahr. Wahrscheinlich sogar länger.“
Philip mußte sich eingestehen, daß er plötzlich ein verdammt mulmiges Gefühl hatte. Vielleicht lebte wirklich noch jemand auf der Insel. Daß derjenige sich bislang nicht zu erkennen gegeben hatte, konnte aber nur bedeuten, daß er unlautere Ziele verfolgte. Dennoch tat Philip etwas, was sich aus der Situation heraus eigentlich verbot. Er legte die Hände trichterförmig vor den Mund und begann zu rufen.
Sein langgezogenes „Hallo!“ verwehte mit dem Wind. Von zwei oder drei Seiten erklang ein schwaches Echo.
„Wir sind Freunde!“
„…reunde – eunde!“ hallte es von den Felsen wider.
Danach herrschte erneut Stille, nur vom Wispern und Raunen des Windes unterbrochen. Die Zwillinge lauschten eine Weile. Als Philip wieder die Hände hob, hielt Hasard ihn zurück.
„Laß es gut sein“, sagte er. „Auf die Art kriegen wir nicht raus, ob wir allein sind. Das schaffen wir nur, wenn wir die Insel Stück für Stück absuchen.“
„Weißt du, wie lange wir dazu brauchen?“
„Wir haben Zeit, oder?“ Hasard versuchte ein Lächeln, das über ihre triste Lage hinwegtäuschen sollte. Es mißlang ihm gründlich.
Vergeblich suchten sie in der Senke nach weiteren Spuren. Das Grab des unbekannten Seemanns war, mit Ausnahme der Ziegen, deren Meckern wieder heranwehte, das einzige, was auf die mögliche Anwesenheit von Menschen auf der Insel hindeutete.
Hasard hatte die Schaufel geschultert und stapfte voraus, ihren eigenen Spuren folgend. Die Schatten wurden kürzer, die Sonne näherte sich dem Zenit, und zwischen den Felsen breitete sich eine drückende Schwüle aus.
Hasard bemerkte den metallischen Reflex nur zufällig, weil er mit sehnsüchtigem Blick einem Schwarm aufsteigender Seeschwalben folgte.
Zu seiner Linken wirkten die Felsen so schroff und unwirtlich, als wären sie erst vor kurzem aus brodelnder Lava erstarrt. Viele Schründe und düster gähnende Höhlen durchzogen das Gestein. Licht und Schatten taten das ihre, um menschliche Augen zu narren und sie Bewegung sehen zu lassen, wo in Wirklichkeit keine war. Der Wall des erloschenen Kraters schien von unheimlichem Leben erfüllt. Ein stetes Knistern und Knacken lag in der Luft, hin und wieder lösten sich Steine und kullerten die Hänge hinunter.
Hasard fuhr sich mit der Hand über die Augen. Der Reflex im Eingang einer kleinen Höhle, gerade hundertfünfzig Yard entfernt, blieb. Auch Philip wurde jetzt darauf aufmerksam.
„Da sitzt einer!“ flüsterte er.
Sie wichen von ihrem Pfad ab und huschten unter Ausnutzung jeder Deckungsmöglichkeit weiter. Der metallische Reflex vervielfältigte sich und blendete vorübergehend.
„Das ist ein Spanier“, sagte Hasard erschrocken.
Sein Bruder bedachte ihn mit einem zweifelnden Blick. Aber schon Augenblicke später änderte er seine Meinung. Die Sonnenstrahlen fielen inzwischen ein klein wenig steiler ein und ließen tatsächlich die Umrisse eines Brustpanzers erkennen, wie er von spanischen Seesoldaten getragen wurde.
„Verdammt!“ entfuhr es Philipp. „Das hat uns zu unserem Pech noch gefehlt.“
Der Brustpanzer lehnte allerdings nur an der Wand. Weit und breit war kein Don zu sehen.
Nachdem sie eine Weile scharf beobachtet hatten, sagte Philip: „Da lebt niemand mehr.“
„Und wenn es eine Falle ist? Du kennst die Olivenfresser so gut wie ich.“
Philip nickte knapp. Denkbar war alles. Trotzdem konnten sie nicht mehr zurück, selbst wenn sich herausstellte, daß sie einer Übermacht gegenüberstanden. Aber daran glaubte Philip ebensowenig wie sein Zwillingsbruder.
Von beiden Seiten näherten sie sich der Höhle. Hasard hielt die Schaufel so, daß er jederzeit mit ihr zuschlagen konnte, und Philip war bereit, das Tauende mit den eingespleißten Steinen mit aller Kraft zu schleudern.
Aber letztlich erwies sich alle Vorsicht als unnötig. Niemand war da, der ihnen hätte gefährlich werden können. Sie ließen ihre provisorischen Waffen sinken und grinsten sich an.
Unmittelbar neben dem Höhleneingang lehnte tatsächlich ein spanischer Brustpanzer – ein verbeultes Ding, das noch einige blanke Stellen aufwies.
Philip deutete in die Höhle, die sich in Düsternis verlor. Nach dem gleißenden Sonnenschein draußen gewöhnten sich ihre Augen nur langsam an das Halbdunkel.
Gut zwanzig Schritt weit erstreckte sich die Höhlung noch in den Fels. Dort, am äußersten Ende, wartete der Spanier auf die Zwillinge.
Er wartete schon ziemlich lange.
Ratten und anderes Getier flohen pfeifend vor den sich nähernden Schritten. Leere Augenhöhlen starrten den beiden jungen Seewölfen entgegen, das bleiche Grinsen eines Totenschädels empfing sie.
Viel war nicht von dem Spanier übrig. Die Ratten hatten das Skelett auseinandergerissen und die Knochen, ebenso wie die modernden Kleidungsfetzen, ringsum verstreut. Lediglich den halbkugelförmigen Helm mit dem wulstig geschwungenen Rand hatten sie nicht von den Schädelknochen lösen können. Auch an der Muskete, die neben dem Toten lag, hatten sich ihre spitzen Nagezähne vergeblich versucht.
Hasard musterte die Reste des Skeletts.
„Wie mag er gestorben sein?“ fragte er. „Verhungert oder verdurstet ist er keinesfalls.“
„Der Kerl hat sich erschossen“, behauptete Philip. Er bückte sich nach dem Totenschädel, dessen Stirn ein mächtiges Loch aufwies, als hätte jemand mit dem Hammer zugeschlagen. Die Ratten waren dafür bestimmt nicht verantwortlich, zumal die Rückseite des Schädels ein noch größeres Loch aufwies. „Die Muskete ist leer, jede Wette darauf.“
Philip hatte recht, die langläufige Steinschloßwaffe wies noch Rückstände verbrannten Pulvers auf. Niemand hatte sie nach dem letzten Schuß gereinigt.
Leider fanden die Zwillinge weder Kugeln noch Pulver. Hasard nahm die Muskete dennoch an sich – man konnte nie wissen, zu was selbst eine ungeladene Waffe eines Tages gut sein konnte. Bislang hatten sie außer ihren Messern ohnehin nur zwei Pistolen und fast keine Munition – Pulverflaschen und Kugelbeutel waren während der Sturmfahrt über Bord gegangen.
Hasard nahm den Helm und setzte ihn sich auf den Kopf. Die Hurratüte paßte wie angegossen. Das mulmige Gefühl, das ihn prompt beschlich, ignorierte er.
„Jetzt noch den Brustpanzer“, sagte Philip. „Dann ist der Don perfekt.“
Hasard widersprach nicht. Was konnten sie auf der Insel schon anderes tun, als die Zeit totzuschlagen? Nun, da sie ihre Bedenken, vielleicht doch nicht allein zu sein, getrost wieder über Bord werfen konnten, schwand auch die innere Anspannung.
„Es wird Zeit, daß wir dem Wrack einen Besuch abstatten“, sagte Philip. „Möglich, daß das Logbuch noch existiert.“
Seit sie die gestrandete Karavelle entdeckt hatten, spielten sie mit dem Gedanken, das Schiff aufzusuchen. Aber sie hatten weder ein Segel noch Riemen. Also mußten sie versuchen, aus Treibholz brauchbare Riemenblätter herzustellen. Nur war eben bislang vieles andere wichtiger gewesen.
Während Philip ihm den Brustpanzer umschnallte, sagte Hasard: „Angenommen, einige Dons konnten sich auf die Insel retten. Wieder angenommen, sie starben entweder an Verletzungen oder an einer Krankheit, dann hat der letzte Überlebende sie begraben und seinem Leben schließlich selbst ein gewaltsames Ende gesetzt. Wer weiß, womöglich hat er die Einsamkeit nicht ertragen. Es gibt viele Möglichkeiten.“
„Fertig!“ sagte Philip. „Du solltest dich sehen können, Bruderherz. Old Donegal wird die Augen aufreißen und sich nicht mehr einkriegen, wenn du so aufkreuzt.“
„Gönnen wir ihm den Schreck!“
Noch ahnten die Zwillinge nicht, wie sehr sie sich irrten. Die Ziegen waren ihnen im Moment nicht mehr wichtig. Es würde weder einen Sonntagskäse noch einen Sonntagsbraten geben, aber vielleicht begnügte sich der Admiral ja auch mit den üblichen Kokosnüssen, mit Mais und Muscheln.
Ein schmaler, gewundener Pfad führte über den Kraterrand. Beiderseits aufragende Felsen versperrten sogar die Sicht aufs Meer.
Hasard, der unter Helm und Brustpanzer zu schwitzen begann, ging vorweg. Philip folgte ihm mit einigen Schritten Abstand.
Keiner von beiden war auf den Angriff aus dem Hinterhalt vorbereitet. Hasard brachte nicht mal mehr abwehrend die Arme hoch, als jäh ein Knüppel auf ihn niedersauste. Der mörderische Hieb traf seinen Schädel und trieb ihm den Helm über die Augen. Für die Dauer eines Augenblicks glaubte er, im Innern einer heftig dröhnenden Glocke zu stehen, dann schwanden seine Sinne, und er tauchte hinab in die Schwärze einer vollkommenen Ohnmacht.
Philip lag in dem Moment schon bäuchlings hinter einem dickblättrigen Strauch und zermarterte sich den Kopf, wie den spanischen Kerlen beizukommen sei. Wahrscheinlich waren sie ebenfalls nur zu zweit, sonst hätten sie nicht nötig gehabt, in Deckung zu bleiben.
Er schleuderte eine Handvoll kleiner Steine über den Pfad weg auf die andere Seite. Aber keine Reaktion erfolgte, kein Schuß fiel. Das bestärkte ihn in seiner Annahme.
„Gebt euch geschlagen!“ rief er auf spanisch. „Dann schonen wir euer Leben!“
Eine deftige, undeutliche Verwünschung war die Antwort: „Schert euch zum Teufel, ihr Scheißkerle!“
Auf allen vieren kroch Philip über den rauhen Boden. Noch einmal warf er mehrere Steine, um die Dons von sich abzulenken. Falls sie auf diesen uralten Trick hereinfielen, boten sie ihm Gelegenheit, sich eine bessere Position zu verschaffen.
Schwer atmend lag er schließlich auf einer nach Norden überhängenden Felsplatte. Unter ihm lauerten die Spanier, sie hatten ihn nicht bemerkt.
Nicht mehr als drei Yard betrug der Höhenunterschied. Philip wirbelte den Tampen mit den eingespleißten Steinen durch die Luft und ließ ihn los. Rund zwanzig Schritt entfernt krachte die Waffe gegen den Fels. Gleichzeitig schwang sich Philip über den abgewandten Rand der Platte nach unten.
Er schaffte es nicht ganz. Ein schmerzhafter Schlag gegen seine Schienbeine ließ ihn aufschreien, er verlor den Halt, stürzte und wälzte sich instinktiv herum. Seine Chance, die Gegner zu überrumpeln, war vertan.
„Du plattfüßige Makrele.“
Die Worte explodierten in seinem Schädel.
„Was fällt dir grätenlosem Hering ein, deinen Großvater derart zum Narren zu halten?“
Mühsam stemmte sich Philip hoch und wandte sich zu Old Donegal Daniel O’Flynn um, der unmittelbar vor dem Fels stand und seinen Knüppel noch immer schlagbereit hielt.
„Wo sind die Spanier?“ stieß er gepreßt hervor.
„Spanier?“ Old Donegal äffte seinen Tonfall nach. „Ich habe euch für verlauste Dons gehalten. Verrate mir einer, warum Hasard mit Hurratüte, Harnisch und Muskete herumlatscht? Nicht mal sein Vater hätte ihn in der Verkleidung erkannt.“
„Wir sind eben nicht die ersten auf der Insel“, sagte Philip.
„Und hoffentlich werden wir nicht die letzten sein.“ Old Donegal kümmerte sich endlich um den Bewußtlosen, der mit dem Gesicht nach unten zwischen den Felsen lag, wie der Schlag ihn gefällt hatte. Um ihm den Helm vom Kopf zu ziehen, bedurfte es einiger Anstrengung.
„Das ist tatsächlich Hasard.“
„Was dachtest du, Sir? Sein Geist?“
Mit sanften Schlägen auf die Wangen versuchte der Alte, Hasard wachzukriegen. Als das nichts fruchtete, schlug er fester zu.
Endlich öffnete Hasard die Augen. Sein Blick fiel geradewegs auf das verwitterte Gesicht des Alten, der hinter seinem verfilzten Bartgestrüpp ein mitleidiges Lächeln versuchte.
„Willkommen an Deck, Junge“, sagte er dumpf.
Hasard war noch nicht wieder ganz klar, wie sonst hätte er fragen können, ob er sich im Himmel oder in der Hölle befände.
„Dir geht es schon wieder zu gut“, schnaubte Old Donegal.
Philip sagte schnell, um weiteres Unheil zu verhindern: „Wo Granddad ist, kann nur der Himmel sein.“
Old O’Flynn schaute ihn merkwürdig schräg von der Seite her an, zog es jedoch vor, großmütig zu schweigen. Die beiden Junioren waren sichtlich verwirrt. Die Erkenntnis, daß schon vor ihnen Spanier die Insel betreten hatten, schien ihnen zu Kopf gestiegen zu sein.