Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 616 - Jan J. Moreno - Страница 6

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Der Schatten des Indianers verschmolz fast mit dem sturmzerzausten Buschwerk. Er beobachtete.

Gerade einen Pfeilschuß entfernt briet Wildbret über mehreren Feuern. Der Seewind trug den verlockenden Geruch heran, ebenso wie das Lärmen der Männer, Frauen und Kinder, die über das große Wasser gefahren waren. Nicht weit draußen ankerten ihre Schiffe auf der sonnenüberfluteten See.

Eine Mischung aus Neugierde und Ablehnung bewegte den Indianer. Er hatte die seltsamen Stöcke der bleichhäutigen Fremden gesehen, die Blitz und Donner verschleuderten und die Tiere des Waldes töteten.

Zwölf Sommer lag es zurück, da waren die ersten Weißen erschienen. Weit im Süden, wo der Fluß ins Meer mündet, hatten sie ihre Hütten errichtet. Sie waren wie Termiten, die alles zerstörten, wenn man sie gewähren ließ.

Der Indianer faßte seinen Bogen fester. Ein Pfeil lag auf der Sehne, doch er würde ihn nicht benutzen.

Noch nicht.

Er hatte genug gesehen. So lautlos und geschmeidig, wie er erschienen war, verschwand er zwischen den knorrigen Kiefern.

„Ich pfeife auf Killigrews Anordnungen. Mir hat er überhaupt nichts zu sagen.“

Frank Davenport unterstrich seine Worte mit einer eindeutigen Geste, die keinerlei Zweifel daran offenließ, was Philip Hasard Killigrew ihn konnte.

Alec Morris lachte glucksend.

„Der Seewolf stirbt nicht im Bett“, prophezeite er. „Eines Tages wird ihm jemand eine fünf Inches lange Klinge zwischen die Rippen stoßen.“

„Zwischen die Schulterblätter, wolltest du wohl sagen“, berichtigte Sir William Godfrey, der älteste der drei adligen Abenteurer.

„Warum eigentlich nicht?“ Alec Morris’ hervorstechendste Charaktereigenschaft war seine Hinterhältigkeit – überheblich waren alle drei. Und was ihm an Körperkraft fehlte, glich er mit seinem Schandmaul wieder aus.

Nun war die Reihe an Godfrey, ein heiseres Lachen anzustimmen. „Behaupte bloß, du willst das tun.“

Jeder von ihnen hatte Grund, Killigrew in die tiefste Hölle zu wünschen. Aber sie hatten auch schmerzhaft erfahren müssen, daß sie gegen schwielige Seemannsfäuste nichts zu vermelden hatten.

„Reden wir über angenehmere Dinge“, schlug Morris vor.

„Gold …“ Frank Davenport grinste übers ganze Gesicht. Bei den horrenden Schulden, die er in England hinterlassen hatte, war es kein Wunder, daß ihm nur die Suche nach dem gelben Metall im Kopf herumspukte.

„… und Frauen“, fügte Morris hinzu. „Indianerfrauen, um genau zu sein. Ich habe gehört, sogar ihre Nachttöpfe seien aus Gold.“

Frank Davenports Augen begannen gierig zu glitzern.

Die Hähne der Pistolen gespannt, drangen sie tiefer in den Wald vor. Viele der uralten Kiefern waren so riesig, daß sie deren Stamm nur gemeinsam hätten umfassen können. Gefahr konnte überall lauern.

Um jeden Ärger aus dem Weg zu gehen, hatte Killigrew verboten, den Uferstreifen zu verlassen. Lediglich Jagdtrupps waren bisher weiter vorgedrungen.

Drückende Schwüle lastete über dem Land. Ein umgestürzter Baumstamm auf einer kleinen, sonnenüberfluteten Lichtung lud Davenport zum Ausruhen ein. Ächzend zog er ein spitzenbesetztes Tuch aus seinem Ärmel hervor und tupfte sich sorgsam den Schweiß von der Stirn.

„Es scheint mühsamer zu sein, dem Gold hinterherzulaufen, als es im Spiel zu gewinnen.“ Er seufzte ergeben.

„Ein bißchen was muß jeder für sein Glück tun“, erwiderte Sir William Godfrey. „Und sei es, nach einem verlausten Indianerdorf zu suchen.“

„Ich denke, wir brauchen nicht mehr weit zu gehen“, platzte Morris heraus. „Seht!“

Keine zehn Yards entfernt, wie aus dem Nichts heraus erschienen, stand ein Indianer, ein halbes Kind noch. Er schien über das Zusammentreffen nicht minder erstaunt als die drei Halunken.

„Laß die Pistole unten!“ zischte Godfrey.

Davenports hastige Bewegung hatte den Indianerjungen veranlaßt, den Bogen zu spannen. Mit unbewegter Miene starrte er die Fremden an.

„Seht ihr, was er um den Hals trägt?“ raunte Morris.

„Natürlich“, gab Davenport ebenso leise zurück. „Ich wußte es doch gleich.“

„Wir – Freunde“, sagte Sir Godfrey zu dem Jungen und unterstrich seine Behauptung mit einer entsprechenden Geste. Trotzdem wurde er nicht verstanden.

„Freunde“, wiederholte er betont langsam und versuchte es anschließend auf französisch und spanisch.

„Der Bursche kapiert nicht“, sagte Davenport. „Aber irgendwie müssen wir an seinen Schmuck rankommen.“

Godfrey trat einen vorsichtigen Schritt auf den Indianer zu. Er nestelte seinen Kugelbeutel vom Gürtel und wog ihn abschätzend in der Hand.

„Für dich“, sagte er. „Ein Geschenk.“

Der Junge erwiderte etwas in einer seltsam klingenden Sprache.

„Wenigstens bist du nicht taub“, sagte Godfrey. „Hier, fang!“

Er warf den Kugelbeutel. Der Indianer reagierte blitzschnell. Ohne die drei aus den Augen zu lassen oder gar den Pfeil von der Sehne zu nehmen, öffnete er den Beutel. Natürlich wußte er mit den runden Bleikugeln wenig anzufangen. Hastig steckte er eine zwischen die Zähne und kaute eine Weile darauf herum. Angewidert spie er dann aus.

William Godfrey lächelte, denn Lächeln schafft Vertrauen. Mit beiden Händen hob er seine Pistole.

„Das hier, siehst du, großes Geschenk. Bummbumm und Feind tot.“

Der Indianer verzog keine Miene. Allerdings hing sein Blick jetzt mehr an dem Feuerrohr als an den Fremden. Und die drei wiederum taxierten begehrlich seinen kunstvoll gearbeiteten, aus Goldplättchen bestehenden Halsschmuck.

„Paß auf“, sagte Godfrey. „Ich zeig’s dir.“

Er ging auf den nächsten Baum zu und legte auf einen dürren Ast an. Dann drückte er ab. Eingehüllt in Pulverdampf, splitterte der Ast.

Der Indianerjunge ließ einen Laut der Überraschung vernehmen. Als Godfrey ihm die Pistole hinhielt, griff er blitzschnell zu.

„Bist zu verrückt?“ stieß Davenport hervor. „Was soll das?“

„Tauschgeschäft.“ Godfrey grinste. „Was glaubst du, was der Schmuck wert ist?“

„Und wenn uns die Wilden auf den Pelz rücken?“

„Ohne Pulver?“

Sie lachten spöttisch. Vor allem weil der Indianerjunge angewidert das Gesicht verzog, als er die Laufmündung unter die Nase hielt. Trotzdem hatte er den Sinn des Mordwerkzeugs begriffen, denn er legte auf die Fremden an und sagte: „Bumm!“

„Nimm ihm den Schmuck ab“, drängte Davenport ungeduldig. „Auf was wartest du?“

Unbeholfen verdeutlichte Godfrey dem Indianerjungen, daß er die Pistole behalten könne, daß er aber seinerseits etwas dafür hergeben müsse. In einer Geste, die überall verstanden wurde, breitete der Wilde die Arme aus.

„Dein Schmuck.“ Alec Morris deutete auf die Kette.

Der Indianer stieß eine Reihe von Lauten aus, die wie eine Beschimpfung klangen. Zugleich versteifte er sich, seine Haltung wurde abweisend.

„Zier dich nicht, du Bastard.“ Morris warf sich auf den Jungen und versuchte, ihm die Kette abzureißen.

Im nächsten Moment stürzte er rücklings ins Moos. Zwei kräftige Fäuste schlossen sich um seine Kehle. Er fand keine Gelegenheit, sich zur Wehr zu setzen, denn der Indianer kniete auf seinem Brustkorb.

Ein Schuß fiel.

Morris schnappte ächzend nach Luft und stand wieder auf. Aus allernächster Nähe hatte Davenport die Kugel abgefeuert und dem Wilden nicht den Hauch einer Chance gelassen. Den fünfundzwanzigjährigen Schnösel Alec Morris störte ein solcher Mord keineswegs. Mit dem Fuß drehte er den Toten auf den Rücken und bückte sich, um dessen Schmuck an sich zu nehmen.

Ein heftiger Stoß in die Seite hinderte ihn jedoch daran. Frank Davenport funkelte ihn zornig an.

„Ich habe dir den Kerl vom Hals geschafft, also steht mir das Gold zu.“

„Wir teilen“, entschied Godfrey. „Das ist gerecht.“

Weder Morris noch Davenport hielten es für nötig, ihm zu antworten. Letzterer kniete bereits neben dem Indianerjungen und zerrte ihm die Kette über den Kopf.

Sie war in der Tat ein Meisterwerk. Eine Vielzahl kleiner, dünn ausgewalzter Plättchen waren miteinander verbunden, und jedes trug eingravierte Symbole.

„Heidnisches Zeug“, erklärte Sir Godfrey geringschätzig. Wie seine Kumpane wüßte auch er die vielfältigen Zeichen nicht zu deuten.

Lediglich die stilisierte Sonne, halb so groß wie eine Handfläche, und der darunter befindliche Adlerkopf waren eindeutig.

„Davon kriegen wir noch mehr“, Davenport und ließ die Kette unter seinem Wams verschwinden.

„Was fangen wir mit dem da an?“ Godfrey deutete auf den toten Indianerjungen.

„Liegenlassen“, sagte Morris. „Oder hast du neuerdings Skrupel?“

Der grauhaarige Abenteurer mit der Säufernase, der in seinen Kreisen stets als Spinner gegolten hatte, ließ sich nicht provozieren. „Wenn andere Indianer den Jungen finden, kann es Ärger geben.“

„Willst du ihn mit bloßen Händen verscharren?“

„Ins Unterholz und Moos und Rindenstücke drüber.“

Alec Morris zögerte nur kurz. „Wenn du meinst“, stimmte er dann zu.

Als Davenport sich nach dem Toten bückte, hatte er das Gefühl, daß irgend etwas seine linke Schulter streifte. Fast gleichzeitig erklang hinter ihm dumpfes, trockenes Knacken. Sich umwendend, sah er den gefiederten Pfeil, der in borkiger Rinde steckte. Instinktiv warf er sich zur Seite und entging um Haaresbreite einem zweiten Pfeil.

Godfrey und Morris lagen bereits der Länge nach im Moos. Während Godfrey hastig und mit zitternden Fingern die Pistole nachzuladen versuchte, visierte Morris bäuchlings und mit ausgestreckten Armen. Er drückte ab, als eine flüchtige Bewegung im Buschwerk erkennbar wurde.

Ein erstickter Aufschrei bewies den Treffer. Ein Indianer torkelte aus der Deckung hervor und stürzte sich mit Todesverachtung auf die drei Kerle. In der Linken schwang er eine Art Keule, einen an einem Griffstück befestigten kantigen Stein, sein rechter Arm hing schwer nach unten, Morris’ Kugel steckte vermutlich im Schulterknochen.

Frank Davenport unterlief den kraftlos wirkenden Angriff und stieß mit dem Dolch zu. Der Indianer brach lautlos zusammen.

Morris und Sir Godfrey hatten inzwischen ihre Pistolen nachgeladen und sicherten nach allen Seiten. Doch kein neuer Angriff erfolgte. Langsam dämmerte ihnen, in welcher Gefahr sie sich tatsächlich befanden. Die Wilden waren wie Schemen, die man erst sah und hörte, wenn es vielleicht schon zu spät war. Gegen sie nahmen sich englische Wegelagerer und Schnapphähne wie Stümper aus.

Auch dieser Indianer trug Schmuck, wenngleich seine Kette überwiegend aus bunten Steinen und Fellstreifen bestand und nur wenig Gold enthalten war. Davenport durchtrennte sie mit dem Dolch und warf jedem seiner Begleiter eine Hälfte zu.

„Das ist erst der Anfang“, sagte er. „Wenn wir eines Tages nach England zurückkehren, sind wir reiche Leute.“

„Oder so tot, wie die da, falls wir sie nicht bald verschwinden lassen.“ Sir Godfrey zeigte auf die beiden Eingeborenen.

Kurz darauf lagen die Toten im nächsten Gebüsch und unter einem Berg aus Moos und Rindenstücken verborgen. Wenn kein aasfressendes Tier sie ausscharrte, würden sie für immer verschwunden bleiben.

Erst jetzt fand Frank Davenport Zeit, seine leicht blutende Schulterwunde zu versorgen. Der Pfeil hatte das Fleisch lediglich geritzt. Er stopfte ein zusammengeknülltes Tüchlein unters Hemd, mehr gab es nicht zu tun.

Vorsichtiger als zuvor kehrten die drei zum Strand zurück.

„Wir liegen ungefähr sechzig Seemeilen nördlich von Roanoke.“ Dan O’Flynn, der Navigator der Arwenacks, tippte mit dem Finger auf eine Karte, die den Küstenverlauf mehr ahnen ließ, als sie ihn tatsächlich wiedergab. „Außerdem steht der Wind schlecht. Wir werden also mindestens einen Tag brauchen, um in den Albemarlesund einzulaufen.“

„Und wenn schon.“ Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, zuckte mit den Schultern. „Auf einige Stunden mehr oder weniger kommt es gewiß nicht mehr an.“

„Du bist froh, wenn du die Siedler wohlbehalten ausschiffen kannst“, vermutete Dan.

„Nach allem, was vorgefallen ist, ja.“

Ruckartig hob Hasard den Kopf und lauschte. Eine leichte Brise wehte auflandig, dennoch war ihm, als hätte er aus dem Landesinneren einen Schuß gehört. Aber die Jagdtrupps, die erneut für frisches Fleisch gesorgt hatten, waren längst zurück. Und Spanier? So weit nördlich ankerten keine Dons.

Hasards Aufmerksamkeit blieb geweckt. Mehr als zweihundert Männer, Frauen und Kinder lagerten im Moment auf dem steinigen Strand. Fast hätten sie sich darum geprügelt, wer als erster die qualvoll gewordene Enge an Bord der Schiffe verlassen durfte.

Einige hatten gleich hier siedeln und den Wald roden wollen, um nur ja nicht auf die „Pilgrim“ oder die „Explorer“ zurückzumüssen. Hasard hatte seine Plage damit gehabt, ihnen den Unsinn auszureden, denn allein auf sich gestellt, konnten sie niemals in der Wildnis überleben.

Inzwischen sah alles wieder ganz anders aus. Selbst Kranke waren wie durch Zauberei genesen, kaum daß sie erneut Landluft atmeten, festen Boden unter den Füßen spürten und ein saftiges Stück Fleisch zwischen den Zähnen hatten.

Die Mannschaften nutzten die Liegezeit vor der Küste, um ihre Schiffe auszubessern. Die „Pilgrim“ hatte wieder geleckt, aber Werg und Pech waren hinreichend vorhanden.

„Wann setzen wir Segel?“ fragte Dan.

Hasard warf einen prüfenden Blick zur Sonne, die langsam über den Mittag hinauswanderte.

„Morgen“, sagte er, „sobald es hell wird.“

Genügend Proviant befand sich an Bord. Der Wald war reich an Beeren und Pilzen, sogar eine kleine Süßwasserquelle lag gerade eine halbe Stunde entfernt. Lediglich ein Teil der Wasserfässer mußte neu aufgefüllt werden. Hasard schätzte, daß darüber der Abend hereinbrechen würde. Er war im Begriff gewesen, einen Arbeitstrupp zusammenzustellen, als Dan O’Flynn mit der Karte erschienen war.

„Ich werde also Gelegenheit haben, die Küstenlinie zu vervollständigen“, bemerkte Old Donegals Sohn zufrieden.

Hasard nickte. „Hast du geglaubt, ich ließe bei Nacht Anker lichten?“

Er drehte sich um und ging zu der soeben auflaufenden Jolle hinüber, die weitere Fässer von den Galeonen brachte.

„Ich denke, das genügt“, sagte er. „Wenn fünfzehn Mann den Weg zweimal gehen, sind wir ausreichend versorgt. An Bord haben wir auch noch.“

Natürlich war es eine Plackerei, die vollen Wasserfässer auf der Schulter durch den Wald zu schleppen. Deshalb wählte Hasard kräftige Kerle aus – insgesamt elf von den Mannschaften der beiden Galeonen, zwei Pilger und außerdem Big Old Shane, den Schmied der Arwenacks, und Jeff Bowie. Fast alle trugen Pistolen und Säbel im Gürtel. Zudem sollten zwei Musketenschützen den Trupp begleiten.

„He!“ maulte Jeff Bowie plötzlich und deutete mit seiner Hakenprothese zum Wald. „Wo kommen die Burschen her?“

Hasard hatte die drei Adligen schon vermißt und angenommen, daß sie sich wieder einmal über seine Anordnungen hinweggesetzt hätten. Wenn tatsächlich vorhin geschossen worden war, konnten nur sie das gewesen sein. Er ging ihnen entgegen.

Natürlich mußten sie ihn sehen. Aber sie taten nicht danach. Offensichtlich wollten sie zu einer der Jollen und zur Schebecke pullen. Die Fäuste in die Hüfte gestemmt, vertrat Hasard ihnen den Weg.

„Sir William“, sagte er betont scharf, „darf ich fragen, wo Sie gewesen sind?“

Der Angeredete zog indigniert die Brauen hoch. Er schwitzte. Allem Anschein nach war ihm nicht gerade wohl in seiner Haut.

„Das geht Sie nichts an“, erwiderte Alec Morris an seiner Stelle.

„Genau da befinden Sie sich im Irrtum, Gentlemen.“ Hasard stand wie ein Fels in der Brandung. Falls der junge Schnösel glaubt, daß er sich zu einer Unbesonnenheit hinreißen ließ, hatte er sich gewaltig getäuscht.

„Aus Sicherheitsgründen habe ich verboten, das Lager zu verlassen“, fuhr der Seewolf fort. „Das gilt auch für jeden von Ihnen. Ich bin für Ihr Wohlbefinden verantwortlich – wenn es sein muß, lasse ich Sie in Eisen legen.“

„Das würden Sie nicht wagen“, brauste Morris auf.

Der harte Zug, der sich um Hasards Mundwinkel abzeichnete, und der unnachgiebige Blick seiner eisblauen Augen verunsicherten ihn dennoch. Ein Säckchen Gold für den, der Killigrew über die Klinge springen läßt, schoß es ihm jäh durch den Sinn. Aber soviel Reichtum besaßen sie zusammen nicht.

„Wir können sehr gut auf uns aufpassen“, erklärte Frank Davenport trotzig.

Der Seewolf packte so überraschend zu, daß dem Abenteurer sogar der Schmerzensschrei in der Kehle stecken blieb. Und das, obwohl Hasards Finger sich fest um seine linke Schulter schlossen.

„Woher stammt die Wunde?“

Davenport schluckte schwer. Bis er die Antwort bereit hatte, klang sie längst nicht mehr glaubwürdig.

„Ich habe mich an einem verdammten Ast gerissen.“

„Und das Blut an Ihrer rechten Hand?“

„… ist mein eigenes.“

„Das am Ärmel auch?“ Hasard mußte sich zusammennehmen, um nicht zuzuschlagen. Was ihre Überheblichkeit betraf, konnte den drei „Durchlauchten“ in der Tat niemand das Wasser reichen.

Alec Morris entschloß sich spontan dazu, Davenport seinem Schicksal zu überlassen und seinerseits so zu tun, als gäbe es den Seewolf nicht. Er ließ den hochgewachsenen, breitschultrigen Mann einfach stehen und stolzierte weiter auf die Jolle zu. Natürlich war er überzeugt davon, daß vieler Augen auf ihm ruhten. Um so mehr traf es ihn, als er unsanft am Kragen zurückgehalten wurde.

„Wer hat geschossen?“ fragte Hasard drohend. „Und auf was?“

Morris schluckte eine heftige Erwiderung gerade noch hinunter. Er hätte sich damit einen Bärendienst erwiesen.

„Da war ein Dachs“, sagte er nur.

Seine Kumpane nickten eifrig.

Der Seewolf sah ein, daß er nicht mehr erfahren würde. Zudem begann er sich zu fragen, warum er sich immer wieder genötigt sah, den drei Halunken den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sobald sie im Albemarlesund anlandeten, konnte ihm ihr weiteres Schicksal herzlich gleichgültig sein.

Erstaunlich war, wie schnell sie zur Schebecke hinüberpullten.

Und noch erstaunlicher, daß sie sehr bald wieder abenterten.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 616

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