Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 616 - Jan J. Moreno - Страница 7
2.
ОглавлениеDie leeren Fässer geschultert, marschierten die Mannen in Zweierreihen durch den Wald. Im Schatten der weit ausladenden Baumkronen ließ sich die Hitze leichter ertragen als am Strand, wo die Steine wie ein Backofen Wärme abstrahlten.
Der Wildreichtum der Neuen Welt verblüffte. Häufig flohen Rehe und kleinere Tiere vor den Eindringlingen.
Big Old Shane, der als erster die Quelle ausgekundschaftet hatte, führte den Trupp an. Ihm folgte einer der Musketenschützen, ein eher schmächtiger Bursche namens Huggley, der mit der Waffe jedoch umzugehen verstand wie kaum ein zweiter. Die Mannen von den beiden Galeonen folgten dichtauf und hinter ihnen Robert Dunsay und Meredith Field, die beiden Pilger.
Dunsays Frau war beim Untergang der „Discoverer“ ertrunken, er selbst und sein Sohn Benjamin, dessen vierzehnter Geburtstag sie einige Tage zuvor gefeiert hatten, hatten sich bis zuletzt an einer Planke festgeklammert und waren von der „Pilgrim“ aufgefischt worden.
Dunsay ließ seinen Sohn seither nicht aus den Augen, deshalb hatte sich Benjamin den Wasserträgern angeschlossen. Den Schluß bildeten Jeff Bowie, der stämmige, grauäugige Mann mit der Hakenprothese, und Abraham Brown, der zweite Musketenschütze.
Obwohl bislang niemand einen Eingeborenen gesehen hatte, hielt Hasard Vorsicht für angebracht. Immerhin hatte die junge englische Siedlung in Virginia eine bewegte Vergangenheit. Es hatte Zeiten gegeben, da war den Pilgern nicht nur auf See ein hoher Blutzoll abverlangt worden.
In Sir Walter Raleighs Begleitung war 1585 John White zur Insel Roanoke gelangt, dem England eine Vielzahl selbstgefertigter Zeichnungen des Indianerlebens verdankte. Nach dem Scheitern der ersten Kolonie unternahm er 1587 eine weitere Expedition, mußte aber, um Nachschub zu beschaffen, wieder in die alte Heimat segeln. Als er über zwei Jahre später wieder auf Roanoke an Land ging, waren sämtliche Kolonisten, unter ihnen seine Tochter und Enkelin, spurlos verschwunden.
Kaum ein Wort fiel. Dafür suchten um so mehr forschende Blicke den Wald ab. Doch der Trupp erreichte die Quelle, ohne von Indianern behelligt worden zu sein.
Am Fuß einer sanft gewellten Hügelkette, die sich nach Westen hin fortsetzte und in sumpfiges Gebiet führte, entsprang das klare Naß. Es sammelte sich in einem seichten Tümpel, bevor es als munter plätscherndes Bächlein abfloß.
Nacheinander wurden die Fässer eingetaucht und mit Pfropfen verschlossen. In der Zwischenzeit sicherte die Hälfte der Mannen nach allen Seiten. Sie legten nur eine kurze Pause ein, um sich zu erfrischen und zu trinken.
In der Nähe erklang der durchdringende Schrei eines Adlers. Niemand achtete darauf.
Erst als sich der Ruf aus dem Unterholz heraus wiederholte, wurde Big Old Shane aufmerksam. Doch seine Warnung erfolgte zu spät.
Das Sirren von Bogensehnen erfüllte die Luft. Vier oder fünf Pfeile trafen ihr Ziel und rissen Lücken in die Reihe der Wasserträger. Shane sah die Männer stürzen. Daß er selbst nicht getroffen wurde, verdankte er lediglich dem Umstand, daß er in dem Moment das Faß von der Schulter wuchtete, in dem ein Pfeil sonst seine Brust durchbohrt hätte. Einen besseren Schild konnte er sich gar nicht wünschen.
Musketenschüsse krachten.
Eine Verwünschung auf den Lippen, schleuderte Big Old Shane das auslaufende Faß von sich. Breitbeinig stand er da, ein Riese mit mächtigem grauen Bartgestrüpp, und riß die Pistole aus dem Gürtel.
„Kommt schon!“ brüllte er. „Versteckt euch nicht hinter den Bäumen!“
Kampfschreie ausstoßend, hetzte ein Indianer auf ihn zu. Shane drückte ab, als der Angreifer keine drei Yards mehr entfernt war. Der Schwefelkies des Schnappschlosses wirkte zuverlässig wie immer. Mitten im Lauf von einer unsichtbaren Faust gestoppt, riß der Wilde die Arme hoch und wirbelte um die eigene Achse.
Big Old Shane fand keine Zeit, die Pistole nachzuladen. Neben ihm wurde Huggley getroffen, der gerade Zündpulver in die Pfanne seiner Muskete schüttete. Die Hände um den Schaft des Pfeiles verkrampft, brach er vornüber zusammen.
Die Indianer suchten den Kampf Mann gegen Mann. Ihre Tomahawks und Kriegskeulen waren nicht minder tödliche Waffen als Entersäbel und Dolche.
Shane schätzte die Zahl der Angreifer auf zehn, von seinen Mannen standen höchstens noch acht auf den Beinen. Mehr konnte er nicht erkennen, weil er schon wieder attackiert wurde.
Shane verließ sich auf seine bloßen Fäuste. Geschickt wich er dem gegen ihn geführten Steinbeil mit der messerscharf geschliffenen Kante aus, bis er das Handgelenk des Angreifers zu fassen kriegte. Der Indianer versuchte, dem Riesen zu widerstehen, sein Gesicht verzerrte sich, an den Schläfen schwollen die Adern.
Als Shane unvermittelt losließ, wurde die Rothaut vom eigenen Schwung vorwärtsgetragen. Krachend landeten die Fäuste des Schmieds im Nacken des fast barhäuptigen Wilden, und ein zweiter Hieb ließ ihn endgültig wegsacken.
Flüchtig musterte Big Old Shane die gerade drei Finger breite Haarpracht, die sich sichelförmig über den Schädel zog. Der Rest war glatt abrasiert.
Er hob Huggleys Muskete und die noch glimmende Lunte auf, die er mit geübtem Griff in den Hahn klemmte und justierte. Beim Niederdrücken mußte der Funke in die Zündpfanne fallen.
Sein Schuß ging fehl, doch er packte die Waffe kurzerhand am Lauf und schlug dem nächsten Indianer den schweren Schaft um die Ohren, daß dieser glauben mußte, Himmel und Hölle hätten sich aufgetan, um ihn zu verschlingen.
Big Old Shane kämpfte, als hätte er es mit einer Horde von Spaniern zu tun, bis er urplötzlich allein stand und der Wald die Eingeborenen verschluckte.
Huggley und Brown waren tot, ebenso Field und fünf von den Seeleuten. Robert Dunsay atmete noch. Bis auf eine Platzwunde an der Stirn und einen Pfeil im linken Oberarm schien er glimpflich davongekommen zu sein. Shane brach den Pfeilschaft ab, mehr konnte er nicht tun. Der Kutscher würde die Spitze herausschneiden müssen.
Benjamin, Jeff Bowie und noch zwei Mannen von der „Pilgrim“ waren verschwunden. Die anderen vier begannen sich allmählich wieder zu regen. Shane drückte ihnen Waffen in die Hände.
„Laden und die Lunten sichern!“ befahl er. „Wir müssen gewappnet sein, falls die Angreifer zurückkehren.“
Das Knacken eines trockenen Astes ließ ihn herumwirbeln. Die Pistole in seiner Rechten ruckte hoch.
Jeff Bowie sah den Mann neben sich fallen und stürmte sofort vor. Angriff war schon immer die beste Verteidigung gewesen, wenn der Gegner glaubte, leichtes Spiel zu haben. Bowie haßte jede Art von Hinterhalt.
Gefechte auf See mußten schon deshalb offen geführt werden, weil es an Verstecken mangelte. Wenn die Kanonen sprachen, entschied nicht nur die Stärke der Bewaffnung, sondern auch Geschicklichkeit und Können der Mannschaft.
Wie aus dem Boden gewachsen, stand jäh ein Indianer vor ihm, ein schlanker, muskulöser Bursche, der ihn um eine halbe Haupteslänge überragte. Bis auf den Lendenschurz war er nackt, doch seine Haut wies eine vielfältige, grelle Bemalung auf. Das Gesicht wurde durch aschgraue Farbe zur dämonischen Fratze entstellt.
Seine Kriegskeule zuckte auf Jeff Bowie zu, aber die abwehrend vorgereckte Unterarmprothese fing den Hieb ab, und der eiserne Haken verfing sich in dem Geflecht, das die Waffe zusammenhielt.
Für die Dauer eines Augenblicks starrten beide einander an. Dann ließ der Indianer seine Waffe fahren und griff mit bloßen Händen zu. Ineinander verkrallt, stürzten sie zu Boden.
Jeff flog auf den Rücken. Das Gewicht des Angreifers preßte ihm die Luft aus den Lungen. Der Wilde hatte sein Haar gepackt und zerrte ihm den Kopf nach hinten. Die andere Hand tastete nach seiner Kehle.
Nicht viel anders fühlte man sich, wenn ein Schiff unter vollen Segeln auf Grund lief. Überdeutlich vernahm Jeff das Rauschen des Blutes hinter seinen Schläfen wie das Tosen der Brandung an schroffen Klippen. Gischt hüllte ihn ein. Doch das war wohl der Schweiß, der ihm aus allen Poren brach.
Verzweifelt schlug er um sich, und irgendwie schaffte er es, die Hand an seiner Kehle mit dem Haken der Prothese wegzuziehen. Der Indianer war viel zu überrascht, um dem folgenden Hieb auszuweichen. Bowie rammte ihm das Eisen zwischen die Rippen und riß gleichzeitig den Entersäbel aus der Scheide.
Der Wilde sprang auf und floh. Jeff setzte ihm nach. Aber der andere war gewandter, und mit einemmal schien ihn der Wald verschluckt zu haben.
Zwanzig, dreißig Yards entfernt erklang ein erstickter Hilferuf. Die Stimme eines Kindes.
Jeff Bowie wechselte die Richtung. Doch bis er die Stelle erreichte, war Benjamin Dunsay bereits verschwunden. Der weiche Boden war aufgewühlt. Anscheinend hatte sich der Junge verzweifelt gegen die Indianer zur Wehr gesetzt.
Jeff Bowie folgte der Spur, die von der Quelle wegführte. Hinter ihm wurde noch immer gekämpft, aber darauf achtete er nicht mehr.
Nach knapp hundert Yards stieß er wieder auf die Wilden. Gerade noch rechtzeitig, bevor sie ihn bemerkten, fand er Deckung hinter einer Kiefer. Gegen fünf Rothäute zugleich hatte er keine Chance. Selbst wenn zwei von ihnen wie Greise wirkten und er einen der anderen mit der Pistole niederstreckte.
Die Alten trugen keine Bemalung, aber die Federn im schmalen Haarschopf wiesen sie als Anführer oder gar Häuptlinge aus. Sie zogen zwei eigenartige Gestelle – aus Leder und Fellen zusammengebundene Tragen, die sie über den Boden schleiften. Auf jeder ruhte ein Indianer, und einer war fast noch ein Kind.
Jeff Bowie erkannte, daß beide tot waren.
Die Wilden entführten Benjamin Dunsay. Sobald sie ihn in ihr Dorf brachten, wo immer dieses sein mochte, würde er die Zivilisation nie, wiedersehen.
Jeff durfte nicht einfach tatenlos abwarten. Wenn er einen der Häuptlinge niederschoß, konnte er die entstehende Verwirrung vielleicht nutzen, um Benjamin zu befreien.
Noch war die Entfernung nicht zu groß. Jeff legte die Pistole am Stamm an, um jedes Zittern auszugleichen.
Daß er seine Umgebung sträflich vernachlässigte, wurde ihm erst klar, als er von hinten umgerissen wurde. Der Schuß entlud sich ungezielt.
Bowie verspürte einen heftigen, stechenden Schmerz im Hinterkopf. Ein ganzes Pulverfaß schien in seinem Schädel zu explodieren. Dann versank die Welt um ihn her in Finsternis.
Wie lange er bewußtlos gelegen hatte, vermochte er später nicht zu sagen. Als er langsam die Besinnung zurückerlangte, fühlte er sich jedenfalls, als wäre er gekielholt worden. Jede einzelne Faser seines Körpers schmerzte.
Eine prächtige Beule zierte seinen Hinterkopf. Jeff ertastete Blut, das noch nicht geronnen war. Aber er lebte, und das war unter den gegebenen Umständen schon eine ganze Menge.
Mühsam stemmte er sich hoch. Ihm wurde erneut schwarz vor Augen, und der Baum, an dem er sich festhalten wollte, schien zu einem lebenden, sich windenden Geschöpf zu werden. Es bedurfte schon etlicher tiefer Atemzüge, ihn das Gleichgewicht wiederfinden zu lassen. Aber dann stand er halbwegs sicher auf den Beinen und kehrte zu den Gefährten zurück. Bevor er etwas sagen konnte, wirbelte Big Old Shane herum.
Jeff Bowie blickte geradewegs in die Pistolenmündung.
„He …“ Er schluckte schwer. „Ich bin keine Rothaut, Mister Shane.“
„Das sehe ich“, erwiderte der Schmied, ohne die Waffe zu senken. Gleich darauf herrschte er Bowie an: „Sag bloß, du bist abgehauen, während wir den Kopf hingehalten haben.“
Jeff fuhr sich lediglich mit der Hand in den Nacken und hielt Shane die blutverschmierten Finger unter die Nase.
„Tut mir leid“, gestand der Schmied zerknirscht. „Ich habe es nicht so gemeint.“
Jeff Bowie nickte verbissen. Die Arwenacks waren eine verschworene Gemeinschaft, in der jeder sich auf den anderen verlassen konnte. Gerade deshalb tat Shanes unbedachte Äußerung weh.
„Die Indianer haben Benjamin“, stieß er hervor. „Ich wollte dem Jungen helfen, aber …“
Er verdrehte die Augen und fiel in sich zusammen wie ein nasser Sack. Diesmal trat er für längere Zeit weg. Auf diese Weise entging ihm, daß Big Old Shane sich rührend um ihn sorgte und einer der verschwundenen Mannen zurückkehrte. Mit Quellwasser wusch der Schmied die Platzwunde. Anschließend verband er sie, so gut es ging. Jeff Bowie hatte danach allerdings verblüffende Ähnlichkeit mit einem arabischen Wüstenscheich.
Er brauchte lange, um in die Welt der Lebenden zurückzufinden. Ein Stapfen und Rollen wie bei schwerer Dünung war das erste, was er wieder wahrnahm. Unbewußt versuchte er, die Bewegung auszugleichen, doch seine Muskeln gehorchten ihm nicht.
Von irgendwoher vernahm er eine befehlende Stimme: „Alle Mann an Deck!“
Die Schwäche hinderte ihn daran, aufzuspringen und zur Kuhl aufzuentern. Er brachte nicht einmal die Klüsen auf.
„Klarschiff zum Gefecht!“ dröhnte es lauter als zuvor in seinen Ohren. „Zeigt den verdammten Dons, wer wir sind!“
„Aye, aye, Sir“, drang es halb im Tran und kaum verständlich über Jeffs Lippen.
Es blieb bei dem Bekenntnis.
„Bowie, du Lahmarsch!“ brüllte die Stimme. „Ich werde dich in die Wanten jagen, bis dir Hören und Sehen vergeht. Und dann darfst du das Deck schrubben …“
Jeff Bowie erkannte die Stimme. Im allgemeinen war er eher zurückhaltend, aber daß sich Big Old Shane anmaßte, so mit ihm umzuspringen, das schlug dem Faß den Boden aus.
„Du bist wohl vom wilden Affen gebissen …“ Jeff richtete sich so abrupt auf, daß er ums Haar den Halt verloren hätte und außenbords gegangen wäre.
Shanes hallendes Gelächter brachte ihn vollends zur Besinnung.
Er hockte auf einer provisorischen Trage aus ineinandergesteckten Ästen. Shane und einer von der „Pilgrim“ trugen ihn. Daher also das Empfinden starken Seegangs.
„Willkommen an Bord.“ Der Schmied versuchte ein Grinsen, was ihm aber gründlich mißlang.
„Laß mich runter“, fauchte Jeff. „Ich kann gut allein gehen.“
„Maul halten!“ erwiderte Big Old Shane.
Bald darauf erreichten sie den Strand – eine geschlagene Truppe, die von den Pilgern förmlich erdrückt wurde. Jeder wollte als erster erfahren, was geschehen war.