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Mystische Bilder

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Notturno, 1991, 54x103 cm, Mischtechnik

Lieber Herr Sprenger

Vielen Dank für Ihren ermutigenden Brief. Ich denke, wir werden über persönliche Angelegenheiten mündlich miteinander sprechen können. Ich möchte meine Staatsarbeit so bald wie möglich fertig stellen und komme sofort zur Sache. Sehr rätselhaft und geheimnisvoll erscheinen mir Ihre "mystischen Bilder". Ich nenne sie so, obwohl ich mir nicht sicher bin, mit dem Wort "mystisch" den richtigen Begriff gewählt zu haben. Diese Bilder haben alle die Gemeinsamkeit, dass sie Szenen enthalten, die unreal und urtümlich wirken. Sie sind wie mit dem "inneren Auge" gesehen und enthalten Erinnerungen, die im Unterbewusstsein der Menschen seit Millionen von Jahren gespeichert sein müssen. Ein oberflächlicher Beobachter würde solche Bilder wahrscheinlich als "surreal" bezeichnen, aber diese Bilder haben keine Tendenz, auf alogische, absurde Strukturen unserer Wirklichkeit aufmerksam zu machen.

Sie sind auch nicht geprägt von einer konstruktiven Raffinesse, mit der Maler wie Dali oder Magritte ihre Bilder gestaltet haben, sondern sie enthalten Spuren des elementaren Lebens selbst, sind Botschaften aus den Tiefenschichten der Natur und der in ihr wirkenden Energie.

Zu diesen Bildern gehören meiner Meinung nach folgende: "Notturno", „Heidekate", "Der unheimliche Gondoliere", "Der Wassermann und das Mädchen", "Der Fluss des Lebens", "Das Erbe von Adam und Eva".

Sie teilen uns wesentliche Strukturen eines elementaren, naturbestimmten Daseins mit. Ich kann solche Strukturen nur ahnungsvoll erfassen und bruchstückhaft in Worte kleiden. Aber ein Bild wie "Notturno" scheint mir viel von der Einheit der Menschen mit dem Kosmos zu erzählen, wie sie frühere Völker, die Sumerer, die Ägypter, die Mayas empfunden haben. Die Verbindung der Erde mit dem Universum haben diese Völker in der Anlage ihrer Städte und der Form ihrer Heiligtümer zum Ausdruck gebracht. Besonders stark haben sie diese Verbindung empfunden, wenn sie die Sterne und die Sonne beobachtet haben. Sehr wahrscheinlich haben sie schon die Wirkung des Mondes auf Ebbe und Flut und der Sonne auf das Wachstum der Pflanzen und die Stimmung der Menschen bemerkt. Daher haben sie beide Himmelskörper nicht selten als Götter verehrt und auch die Zeitmessung mit ihren Phasen verbunden.

Das Bild "Notturno" scheint solche Zusammenhänge zu veranschaulichen. Die Szene ist nächtlich. Der Mond erscheint personifiziert durch einen Frauenkopf, der die obere Bildmitte beherrscht. Unter diesem Kopf versammelt sich eine bunte Menschenmenge, deren Mitglieder wahrscheinlich zwei Sippen angehören. Ihre Vorstände, zwei in lange, altertümliche Gewänder gekleidete Männer, verhandeln im Angesicht des Mondes friedlich miteinander.

Die Feierlichkeit der Umstände legt die Vermutung nahe, dass sie über elementare Lebensinteressen (wie die wechselseitige Verheiratung von Kindern oder die Abgrenzung von wirtschaftlichen Interessensphären) miteinander reden.

Einen Hinweis auf die Tragweite ihrer weitreichenden Handelsvereinbarungen gibt auch das Meer oder der See, an dessen Ufer die Versammlung stattfindet und in dessen nachtdunklen Wellen sich die Silhouetten der Personen spiegeln. Das Bild erscheint mir wie eine Botschaft aus versunkenen Zeiten, als das Leben noch auf die wesentlichen Dinge beschränkt war und eng mit der Sippe oder dem Stamm, zu dem man gehörte, verbunden war. Die Menschen wurden von der Vorstellung beherrscht, dass alle Lebensvorgänge im ständigen Zusammenhang mit dem Leben der Natur und dem kosmischen Geschehen stünden. Zwar stehen sie im Wesentlichen immer noch in diesen Zusammenhängen, aber damals war es den Menschen noch bewusst und wurde von ihnen als der Wille einer göttlichen Macht respektiert.


Heidekate, 1989, 103x54 cm, Mischtechnik


Auch das Bild "Heidekate" gehört zu dieser Serie. Das Bild verblüfft durch die Zusammenstellung scheinbar nicht zusammengehöriger Bildgegenstände. Die auffälligen Bildgegenstände sind der magisch leuchtende Kopf einer ägyptischen Sphinx, der wie ein Himmelskörper in der linken oberen Bildecke hängt, die verkleinerte Silhouette des Kölner Doms, die schwarz aus der dunklen Hügelkette im Hintergrund herausragt, und eine im rechten Mittelgrund stehende bescheidene Heidekate. Obwohl auch der magische Kopf der Sphinx durch einen schmalen Halsstreifen mit der Hügelkette verbunden ist und die Fundamente des Kölner Domes in dem Hügel zu liegen scheinen, wirken beide Bildzeichen unpassend und fremdartig in ihrer Umgebung. Dagegen scheint die Heidekate harmonisch eingebettet zu sein in die Umgebung von bunten Wiesen, gelben Feldern und grünbelaubten Bäumen. Scheinen die über die Erde hinausweisenden Bildzeichen (Sphinx und Dom) beängstigend und fremd, indem sie von der Erde wegstreben und übermenschliche wie überirdische Ziele und Kräfte repräsentieren, so scheint die Heidekate einen Ort der Stabilität, der Geborgenheit und maßvoller Menschlichkeit zu versinnbildlichen. Auch sie weist mit der Spitze ihres Daches in den Himmel, der hier als ein Symbol für jenseitige Wirklichkeiten gelten kann.

Aber hierdurch soll eher eine Verbindung zu ihnen gemeint sein als eine Gleichsetzung mit ihnen oder eine totale Hingabe an sie, wie es mit dem Kopf der Sphinx oder mit der Silhouette des Doms gemeint sein könnte. So könnte in dem Bild ein versteckter Hinweis darauf enthalten sein, dass wir nur in einer harmonischen, partnerschaftlichen Beziehung zur Natur unser Glück und unsere Heimat finden können und dass eine Verabsolutierung unserer Bestrebungen zum Verlust unserer Menschlichkeit, unserer Verwurzelung in unserer Heimaterde und unseres harmonischen Zusammenlebens mit Natur und Welt führen muss.



Der unheimliche Gondoliere, 1989, 103x54 cm, Mischtechnik


Als nächstes mystisches Bild möchte ich das Bild "Der unheimliche Gondoliere" betrachten. Wir fühlen uns beim Anblick des Bildes in ein Venedig der malerischen Fantasie versetzt. Zentrales Bildmotiv ist dementsprechend auch eine riesige Gondel mit einem überdimensionalen Gondoliere, die in einer diagonalen Position die Bildmitte des Gemäldes beherrscht. Die Gondel überquert einen Kanal, der an der linken Seite von mehreren Patrizierhäusern und auf der rechten Seite von einer Baumallee am Rande einer Straße begrenzt wird. Die Straße stößt auf die Fassade eines flachen Palastes. Der Kanal füllt fast die ganze Breite des unteren Bildrandes aus, wird dann etwas schmaler und mündet in der Ferne ins Meer. In Fortsetzung der diagonalen Linie, die die Gondel bis in den Vordergrund der rechten Bildseite bezeichnet, lehnt ein schwarzes Motorrad an der Fassade des erwähnten Palastes. Anscheinend werden die Passagiere des Gondoliere ihre Fahrt auf diesem Motorrad fortsetzen. Betrachtet man die große Gondel etwas genauer, so sieht man, dass sie mit Wasser gefüllt ist und dass auf dieser Wasserfläche eine kleinere Gondel schwimmt, in der sich "reale" Passagiere und ein "realer" Gondoliere befinden. Ihr Bewegungsraum ist also sehr gering und in Wirklichkeit können sie gar nicht frei ihre Fahrtrichtung wählen, sondern müssen sich mit dem Kurs abfinden, den der Gondoliere der großen Gondel festlegt. Im Gegensatz zu den erkennbaren Gestalten in der kleinen Gondel wirkt der Gondoliere der großen Gondel undeutlich, schemenhaft, aber in seinen Abmessungen riesig und in der Beschränkung der Farbe auf Grau- und Schwarztöne sehr ernst und unheimlich.

Die Passagiere der kleinen Gondel, vor allem der Gondoliere, scheinen ihn gar nicht zu bemerken und sich in dem Glauben zu wiegen, ihre Lebensreise, ihr Schicksal selber zu bestimmen. Die Fahrt des großen Gondoliere geht aber in Richtung des Motorrades. Dadurch wird dieses Motorrad in den Rang eines symbolischen Zeichens gehoben, das die eigentliche Bestimmung des Lebens der Passagiere in der kleinen Gondel andeutet. Diese Bestimmung scheint, da das Motorrad ein Bild für sexuelle Potenz, für Abenteuer, für die Erfahrung von Weite, Natur und Freiheit, aber auch für Tod und Vergänglichkeit ist, darin zu bestehen, dass es neben den großen Lebensbereichen, die durch übermächtige Gewalten dominiert werden, doch einen kleinen Bereich der menschlichen Freiheit gibt, den der Mensch aber nur mit Risiko und Einsatz seines Lebens ausloten und erfahren kann.



Männlich-Weiblich, 2010/11, 107x157, Acryl

L. Cranach , Adam und Eva, 1526 Das Erbe von Adam und Eva, 1991,


Sehr rätselhaft finde ich das Bild "Das Erbe von Adam und Eva". Man ist zu diesem Thema ein bestimmtes Muster der Darstellung gewohnt. Meistens (wie z. B. bei Lukas Cranach) stehen Adam und Eva nackt rechts und links neben einem Apfelbaum (dem Baum der Erkenntnis). Von dem Baum ringelt sich eine Schlange herunter und zischelt Eva, die fast immer einen Apfel in der Hand hat, die verführerischen Worte ins Ohr: "Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf, ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse." Manchmal reicht Eva auch den angebissenen Apfel dem etwas dösigen und zögernden Adam zum beschleunigten Verzehr.

Mit diesen Motiven wird die biblische Erzählung von Adam und Eva herkömmlich illustriert und das Erwachsenwerden der Menschheit (die Bewusstwerdung ihrer individuellen Freiheit und individuellen Existenzform) als Verlust der Unschuld interpretiert. Vor allem der Schlange und Eva wird die Hauptschuld an diesem Sichlösen aus der totalen Vorherbestimmung des menschlichen Lebens durch die natürlichen Triebe und die göttliche Daseinsordnung gegeben.

Diese Interpretation ist einseitig und nur darauf konzentriert, die Fähigkeit zum Schuldigwerden, zum Verstoß gegen Naturgesetze oder göttliche Gebote, herauszustellen und die Entwicklung des Menschen zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit zu beklagen. Allerdings ist diese Tendenz verständlich, wenn man bedenkt, dass die Verfasser des Alten Testaments zum größten Teil Priester gewesen sind, die die Gefahr bekämpfen wollten, dass die Menschen ihre individuelle Freiheit dazu benutzen würden, sich über die Regeln, die ein intaktes Leben und die Erhaltung einer intakten Natur garantieren, hinwegzusetzen. (Eine Sorge, die, wenn man die nachfolgende Geschichte betrachtet, nicht unbegründet war! Dennoch wären ohne die Emanzipation des Menschen von höheren Mächten viele kulturelle Entwicklungen nicht möglich gewesen.)

In Ihrem Bild fehlen die Darstellungen des Baumes und der Schlange. Sie behalten die Nacktheit und eine gewisse Jugendlichkeit der Figuren von Adam und Eva bei und stellen sie hellrosa leuchtend auf eine grüne Wiese vor einen dämmerblauen Hintergrund. Ein Teil dieses Hintergrundes, der an die Wiese grenzt und von gedämpften Lichtreflexen bedeckt ist, scheint ein Gewässer zu sein, das sich in der Ferne verliert und bruchlos in einen dunklen Himmel übergeht. Interessant finde ich, dass anstelle des Baumes und der Schlange zwei grünlich leuchtende, grauhaarige Köpfe aus dem Dunkelblau des Himmels auftauchen. Es sind dies die Köpfe einer alten Frau und eines alten Mannes.

Der Kopf der alten Frau erscheint zwischen den Köpfen von Adam und Eva und ist Adam, der die rechte Hälfte des Bildes einnimmt, zugewandt. In Hüfthöhe Adams ist noch ihre grünliche Hand zu sehen, die Adam einen roten Beutel hinhält. Der Beutel weckt Assoziationen an ein Schmucktäschchen, das mit Wertsachen wie Geld, Gold, Perlen gefüllt sein könnte. Offensichtlich soll damit das Vermächtnis gemeint sein, das die "Mutter" Adams, denn so kann man die Erscheinung der alten Frau deuten, ihm macht. Von dem alten Mann, den man analog zu der alten Frau als "Vater" Adams deuten kann und der in Kopfhöhe Adams in seine Richtung guckt, ist noch ein überdimensionaler grüner Zeigefinger zu sehen, der mahnend in die Höhe zeigt. Anscheinend soll die mahnende Geste des Vaters auf ein geistiges Vermächtnis hinweisen. Er könnte ihn darauf aufmerksam machen, dass er das Beispiel und die Lehren der Väter beachten soll. Vielleicht will der "Vater" aber auch darauf hinweisen, dass Adam die Gesetze, die den Lauf der Welt und den Gang des Lebens regeln, respektieren soll, dass er ein gerechter Mann werden soll.

Adam selbst hält mit dem rechten - zum Herzen abgewinkelten - Arm und in der rechten Hand eine männliche Puppe, von der nur der Oberkörper und der Kopf zu sehen sind. Mit der linken Hand hält Adam ein offenes Holzmodell. Zwischen den Beinen von Adam wird eine schwarze Katze sichtbar, die eine vor ihr liegende Gans getötet hat. Ihr Blut färbt den umgebenden Rasen rot.

Verehrter Meister! Was sollen diese Symbole bedeuten? Soll die männliche Puppe, die übrigens entfernte Ähnlichkeit mit einer Abbildung auf einem älteren deutschen Geldschein hat, bedeuten, dass die Sorge für das Geld dem Mann am nächsten am Herzen liegen soll? Oder soll die männliche Puppe dafür stehen, dass ein Mann in erster Linie für männlichen Nachwuchs zu sorgen habe? Oder soll, da diese Puppe mit einem barettähnlichen Hut und einer seriösen, dunkelbraunen Jacke bekleidet ist, der Mann nach Amt und Würden in der Gesellschaft streben und wichtige Posten bekleiden und entsprechende Roben tragen? Oder sollen die Männer sich gegenseitig hochhalten und Solidarität miteinander üben - vielleicht sogar gegenüber dem weiblichen Geschlecht? Oder soll ein Mann die überlieferten Auffassungen von Männlichkeit stets in seinem Herzen bewahren und sich in allen Lebenslagen nur nach ihnen richten? Alle diese Deutungsmöglichkeiten bieten sich an.

Mich stört, dass der Mann überhaupt keinen Kontakt mit der an seiner Seite stehenden Eva sucht. Eva tut es übrigens auch nicht. Ihr linker Arm ist nicht zu sehen. Sehen Sie die Menschen so isoliert, vereinsamt, beziehungs- und kommunikationslos?

Seltsam finde ich auch, dass Sie Adam ein totes Holzmodell in die linke Hand gedrückt haben statt einer lebendigen Pflanze oder Kreatur. Soll der Mann bis auf den Zeugungsakt nichts mit dem Umgang und der Pflege von Leben zu tun haben? Soll er sich nur auf die Sache konzentrieren? Soll er nur arbeiten? Soll er sich nur mit der Konstruktion von Häusern, Maschinen und Geräten beschäftigen? Soll er technische Erfindungen machen ohne Rücksicht auf das Leben der Natur? Soll er Industrien aus dem Boden stampfen ohne zu fragen, wie sie sich auf das kreatürliche, das menschliche Leben auswirken? Ein schrecklicher Gedanke!

Aber der Schrecken soll ja - nach dieser Darstellung - mit dem Mann verbunden sein! Sonst wäre das blutige Tötungsgeschehen, das sich zu seinen Füßen abgespielt hat, nicht mit ihm als Schutzherrn verbunden worden. Mir graust vor solch einem alttestamentlichen Denken: "Auge um Auge, Zahn um Zahn", "es gibt eine Zeit zu töten". Sind Sie ein Anhänger des Alten Testaments, in dem es so mannigfache Rechtfertigungen für die Beschädigung und Vernichtung von Leben gibt? Oder sehen Sie die Tötung von Menschen durch Menschen genauso kritisch wie ich und wollen mit Ihrer Darstellung Kritik an solchen Aufgabenzuweisungen üben? D.h., verstehen Sie den Satz "Du sollst nicht töten" ebenso absolut wie ich, dass kein Mensch unter keinen Umständen das Recht hat, einen anderen Menschen zu töten? (Das Phänomen der Tötungshemmung unter gleichartigen Tieren bestätigt im Übrigen meine Einstellung.)

Ich glaube fast, dass Ihr Bild von Adam kritisch gemeint ist, denn nur so kann ich die Erscheinung seiner "Eltern" auf dem Bild verstehen, die den jungen Mann mit dem "falschen Vermächtnis" ihrer verkehrten Lebenseinstellung ausstaffiert haben, mit der falschen Hochschätzung materieller Werte durch die Mutter, mit einer falschen Auffassung von Männlichkeit durch den Vater. So bleibt das einzig Erfreuliche an Adam neben seiner offensichtlichen Unerfahrenheit und Jugend nur sein Geschlecht, das Sie ja auch ganz schön gemalt haben.

Die Eva, die Sie dem Adam zugesellt haben, füllt die linke Hälfte des Bildes mit ihrer sportlichen und attraktiven Figur aus. Der nicht sichtbare linke Arm scheint nach hinten zu greifen und die unsichtbare Gestalt der "Mutter" Adams mit in ihr Leben einzubegreifen.

Der rechte Arm hängt nach unten und die rechte Hand könnte eine gedachte Stütze für die Tier- und Menschengesellschaft sein, die ihren Bauch und ihre Scham bedeckt. Diese Gesellschaft besteht aus vier Lebewesen: einem kleinen schwarzgrauen Pferd, einem weißen Hasen, einer rotgewandeten Mädchenfrau, einem grüngekleideten jungen Mann. Zu Füßen von Eva ruht friedlich ein Reh oder eine Hirschkuh. Etwas entfernter, aber noch sichtbar der Eva zugeordnet, ahnt man die Figur einer heilen weißen Gans.

Und wiederum muss ich den großen Meister fragen: "Was bedeuten diese Bildzeichen, die der Eva zugeordnet sind?" Soll die Eva, die Frau, wie Sie sie sehen, Trägerin des Lebens sein? Soll sie Mitglied bei "Greenpeace" werden und für Frieden zwischen Mensch und Natur sorgen? Soll sie das umgreifende Prinzip des Daseins repräsentieren, das durch seinen solidarischen Kontakt zu Natur und Übernatur, zu Mensch und Tier zum großen Bindeglied zwischen unterschiedlichen Lebewesen und Seinsbereichen wird? Die Frau als große Versöhnerin und Friedensstifterin in dieser zerrissenen, zerstrittenen, zerfallenden Welt? Nicht mehr die Kompetenz des Mannes, des Heilandes als letzte Hoffnung der Menschheit auf Rettung vor dem Untergang durch Industrialisierung, Gewalt und falsche Orientierung, sondern die fürsorgliche Liebe und die stärkere Naturverbundenheit, die stärkere Religiosität der Frau!?

Ich kann nur sagen: "Danke für das Vertrauen!" Die herrschende Männergesellschaft hat den Karren der Geschichte in den Sumpf gefahren und die weiblichen Talente Jahrtausende lang verkümmern lassen! Und jetzt, da den Herren der Schöpfung die Jauche bis zum Halse steht, sollen wir Frauen diesen Augiasstall ausmisten und den Karren wieder flott machen! Das, verehrter Meister, wollen Sie mit dem Bild doch sagen!?

Um ehrlich zu sein: Ich fühle mich als Frau schon geschmeichelt, wenn ein Vertreter der herrschenden Klasse uns erniedrigte Wesen so aufwertet. Auch schließe ich daraus, dass Sie Frauen mögen und nichts für das überlieferte Frauenbild der patriarchalischen Gesellschaft übrig haben, demzufolge das Weib zu dem schwächeren Geschlecht gehöre, zur Sünde neige und den tugendhaften Mann verführe und verderbe. Ich begrüße Sie deswegen als einen der seltenen Männer, die das weibliche Geschlecht nicht nur wegen seiner größeren Oberweite schätzen. Aber ich muss zugleich im Namen meiner Geschlechtsgenossinnen die Zumutung zurückweisen, uns Frauen nun die Sanierung der Erde aufzuhalsen.

Die Arbeit sollten wir uns fairerweise teilen. Das hat übrigens auch mit einer realistischen Einschätzung der Lage zu tun. Denn Jahrtausende lang habt ihr Männer uns Frauen zur Anpassung an eure Lebensart gezwungen. Die Folge ist, dass heutzutage die Frauen den Männern selbst im Äußerlichen sehr ähnlich geworden sind. Echte Frauen mit genuin weiblichem Wesen sind Mangelware geworden. Wenn die sanfteren weiblichen Wesensmerkmale heute so gefragt sind, so werden auch sehr viele, nein alle Männer gebraucht, die solche Eigenschaften pflegen. D.h., ihr Männer müsst euch ändern und dieses Mal euch in großem Umfang uns Frauen anpassen. Auch von euch wird jetzt verlangt, dass ihr nicht nur für das Funktionieren von Apparaten und Systemen Verantwortung übernehmt, sondern auch für die Intaktheit von Leben. Auch von euch wird von jetzt ab Behutsamkeit, Fürsorge, Treue, Selbstlosigkeit, Aufopferung für die Familie, Gewaltlosigkeit, Freundlichkeit, Schönheit, harmonische Verbindungen zu aller Welt, dienende Unterordnung unter die Notwendigkeit von Sachlösungen, Geduld, Leidensfähigkeit, Versöhnlichkeit, Friedlichkeit, Großzügigkeit und die eifrige Erfüllung eurer ehelichen Pflichten verlangt. Euer Bestreben muss also sein, ein neuer Mann zu werden. Euer Männlichkeitsideal sollte von jetzt ab der "Pferdeflüsterer", der sanfte, auf Harmonie bedachte Mann sein. Und dann werden wir Frauen uns auch bemühen ein neues Frauenideal anzustreben. Ein Frauenideal, das nicht mehr seine Verwirklichung durch Egoismus, Arbeit und Karriere, durch Vergnügen und Profitstreben sucht, sondern das das Glück der Familie und der Gesellschaft zum Inhalt hat.

Herzlicher Gruß!

Ihre Cordula Brelow

Der Maler als Seher

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