Читать книгу Der Maler als Seher - Jan Pelzer - Страница 7
Erotische Bilder
ОглавлениеFluss des Lebens, 1996, 103x54, Acryl
Das Bild “Fluss des Lebens“ gibt meiner Meinung nach eine Gesamtansicht ihrer Anschauungen über „Liebe“ wieder. Das Bild ist durch eine waagerechte Linie in zwei Teile geteilt. Der untere Teil soll den "Fluss" selber darstellen, in dem es von angedeuteten Spermien und Phalli nur so wimmelt. Der obere Teil stellt das menschliche "Leben" dar, das sich aus diesem Fluss entwickelt. Hier scheinen vor allem gewisse "Ahnfrauen" eine besondere Rolle zu spielen. Ihre oberen Hälften sind an den beiden Bildrändern und in der Mitte des Bildes an markanten Stellen postiert. Ihre unteren Hälften tauchen sie unverdrossen in den phallischen Spermienstrom, obwohl sich neben der mittleren und rechten "Ahnfrau" schon gewaltige Menschenansammlungen drängen, die anscheinend das Ergebnis ihrer unermüdlichen biologischen Produktion sind. Die Ahnfrau am linken Bildrand scheint es nicht so sehr auf Quantität abgesehen zu haben, sondern mehr auf Qualität. Denn neben ihr befinden sich nur zwei gravitätische und kostbar gekleidete Personen, von denen eine nach Alter und Gewichtigkeit ihr Mann sein könnte. Der Flussgott, von dem all die sprudelnden Samen stammen können, die zu den wimmelnden Geschlechterfolgen, die sich im oberen Bildbereich drängen, beigetragen haben, streckt seinen Kopf unterhalb der mittleren Ahnfrau verschmitzt aus dem Wasser und verbindet so die zwei Bildbereiche miteinander. Hinter den sich breitmachenden menschlichen Sippen tauchen aus dem nachtblauen Himmel am oberen Bildrand die weißlichen und bläulichen Schemen von Symbolfiguren für Nationen(?) (ich erkenne den deutschen Michel) oder Verstorbene(?) auf, die das sich unter ihnen abspielende Treiben betrachten. Rechts neben der weißgekleideten mittleren Ahnfrau erscheint ein Zitat des Gottesbildes von Michelangelos Darstellung aus der Sixtinischen Kapelle. Die umfassende, umhüllende, umgreifende Gestalt Gottes wird durch das Geschiebe der Menschenmassen um ihn herum aber ziemlich geknautscht und eingekeilt, so dass man den Eindruck hat, dass der gestoßene, verstoßene (?) Gott sich im nächsten Augenblick aus dem Staube macht. Deine Einstellung zu Proliferation und Sexualität scheint dieser Darstellung zufolge sehr distanziert und ironisch zu sein. Die fünf Frauen jedenfalls, die sich vor der rechten Ahnfrau in aufsteigender Linie zur Mitte hin knäueln (und wohl eine Geschlechterfolge darstellen sollen), haben alle das gleiche rotfarbige Gewand an, wobei die einzelnen Körper nicht als solche in Erscheinung treten. Zudem tragen alle fünf Frauen denselben roten, häubchenartigen und hahnenkammähnlichen Kopfputz. Die Gesichter haben keine individuelle Ausprägung, manche haben nur einen Mund. Kurz: Du scheinst damit sagen zu wollen, dass da fünf identische, dämliche und arrogante Hühner auf der Stange sitzen, die ansonsten keine andere Bedeutung haben als ihrer gebärwütigen Bestimmung zu folgen, aber die zwanghafte Unterwerfung unter diesen allgemeinen Trieb wichtigtuerisch als ein besonderes persönliches Verdienst hochjubeln. Sie sind wirklich ein komischer Freier! Man muss sich als Frau ja in seiner stärksten Kraft und magischen Zaubermacht an ihnen gescheitert fühlen. Man kann Sie mit tausend erotischen Zauberschlingen und verführerischen Fesseln nicht an sich binden. Wie soll bei einer solchen Konstellation ihnen eine Frau ihr Leben anvertrauen, ihr Schicksal an ihres ketten? Es sei denn - sie sei eine ebenso unabhängige, selbständige und freie Persönlichkeit wie Sie! Das findet man aber selten. Nun, das ist auch nur die eine Seite ihrer Einstellung zu Sexualität und der Beziehung zum anderen Geschlecht. Der Frau, die sich nur als Mutter oder Gebärerin versteht, wie der Frau am rechten Bildrand, ordnen Sie folgerichtig keinen Mann zu. Ihre verbindliche Einstellung zur Familie scheint dagegen auf der linken Bildseite dargestellt zu sein. Hier wirken alle Figuren der Gruppe gleich groß und individuell ausdifferenziert. Offenbar kann jede dieser Personen auch allein ihr Leben meistern und es mit Inhalten füllen. Das Band, das diese Gruppe verbindet, ist das Vertrauen in die freie Zuneigung und Verantwortung des anderen. Hier, bei diesen Personen, kann man auch davon ausgehen, dass sie ihre gegenseitige Wertschätzung auf bewusstem, gegenseitigem Verstehen und Toleranz aufbauen und nicht so sehr durch die unbewusste Macht von magischen Kräften der erotischen oder sexuellen Attraktivität aneinander gekettet sind. Dennoch werden auch hier die prägenden Kräfte natürlicher Lebensmächte nicht verleugnet, denn das Gewand der mittleren Figur (also der Nachwuchsperson) der Dreiergruppe setzt sich je zur Hälfte aus den Farben des mütterlichen und väterlichen Gewandes zusammen. In der Mitte zeigt sich allerdings blauweiß auch eine eigene Farbe. Somit scheint ihre Wertschätzung der Familie mehr auf ihrer Eignung für die Entwicklung und Praktizierung von Persönlichkeitswerten zu beruhen, aber ihr Respekt innerhalb dieses Rahmens gilt gleichermaßen auch den natürlichen Kräften und Trieben, die bei ihrem Zustandekommen und ihren Ergebnissen beteiligt sind. Dies scheint ja auch die Aussage des mittleren Teiles ihres Bildes zu sein, wo eine wahrscheinlich aus dem "Fluss des Lebens" herausgekommene Gruppe von Menschen gleichsam von einem göttlichen Vater symbolisch umfangen wird und damit die natürliche Struktur des Lebens und seine Weitergabe als etwas Göttliches und Heiliges gekennzeichnet wird. Diese natürliche Struktur schließt übrigens die Bejahung der erwähnten persönlichen Art von Liebe nicht aus. Das zeigen mehrere Gesten persönlicher Zuwendung von Menschen innerhalb der von der göttlichen Gestalt umfassten Gruppe.
Salome, 1989, 54x103, Mischtechnik
Das Bild "Salome" stellt eine Frau, eine Tänzerin, zwischen zwei Männern dar. Die Frau scheint nackt zu sein bis auf einen dunkelvioletten Umhang über den Schultern, der aber geöffnet ist (ein losgerissenes Band fällt zwischen die Brüste) und durch die Bewegung des Tanzes auf den Rücken gerutscht ist. Die Männer stehen auf beiden Seiten hinter ihr. Der linke, ältere Mann (vielleicht Herodes) hat sein Hemd geöffnet, so dass seine nackte Haut zum Vorschein kommt. Der rechte Mann (vielleicht Johannes) ist jung und bekleidet, beachtet aber die Tänzerin, deren linke Hand sich in einer streichelnden Geste seiner linken Wange nähert, nicht. Anscheinend deutet der Maler das biblische Geschehen (demzufolge die Tänzerin Salome das abgeschlagene Haupt von Johannes dem Täufer von Herodes verlangt und bekommt) so, dass der Wunsch von Salome ihre Rache an Johannes dafür ist, dass er ihre Liebe verschmäht hat. (Allerdings wird diese blutig-romantische Deutung des Geschehens von der Wissenschaft nicht geteilt. Sie erklärt das Verhalten der Salome, die die Tochter der Herodias, der 2. Frau von Herodes Antipas war, als eine politisch motivierte Tat, weil Johannes gegen die Verbindung zu Herodias war und somit Haupt einer innenpolitischen Opposition .)
Pan spielt Flöte und bezaubert die Damen der Jagdgesellschaft, 1990, 103x54
Sehr sonderbar finde ich das Bild "Pan spielt Flöte und bezaubert die Damen der Jagdgesellschaft". Das Bild versetzt uns in eine Art nordische Schären- oder Fjordlandschaft. Die Mitte des Bildes nimmt ein Gewässer ein, ein See oder Fjord. Dahinter erheben sich nach einem grünen Vorland schroffe, hohe, schneebedeckte Berge in einen eisblauen Himmel. Im Vordergrund breitet sich von Büschen gesäumtes Grünland aus. Am rechten Bildrand erhebt sich ein bis über den oberen Bildrand hinauswachsender mythischer Baum, dessen Laub in herbstlichem Farbspiel gelb, grün und ockerfarben leuchtet. Zum linken unteren Winkel des Bildes fließt ein Bach oder Seitenarm aus dem See. Auf der Wiese im Vordergrund tummeln sich nackte Frauen und grüngekleidete Männer. Die Frauen sind offenbar in Bewegung. Sie streben fast alle nach rechts, wo ein Flöte spielender grüner Mann im Schatten des farbenprächtigen Baumes hockt. Dem Titel des Bildes folgend wird man diese Figur als den Flöte spielenden Pan identifizieren dürfen. Die Macht seines Spiels wird durch eine vor ihm stehende rothaarige Person symbolisiert, die im wörtlichen Sinne des Ausdrucks den Kopf verliert. Jetzt erklärt sich auch die Bewegungsrichtung der nackten Frauen. Sie wollen zu dem musizierenden Pan. Ihre männlichen Begleiter bemühen sich dagegen, sie daran zu hindern. Zwei an dem linken Seitenarm des Sees, hinter Büschen sitzende weibliche Gestalten mit brauner Haut sind dagegen von dem ganzen Geschehen unberührt und blicken abgewandt in Richtung Wasser. Ihre braune Haut könnte auf einen stärkeren Kontakt zur Natur hindeuten, während die helle Haut der anderen Frauen auf ihre Herkunft aus der Stadt hinweist, sie vielleicht auch als Angehörige der Oberschicht kennzeichnet. Daraus wäre dann auch ihre Fasziniertheit von dem verführerisch die Flöte blasenden Naturwesen Pan zu erklären. Zwar haben auch ihre männlichen Begleiter die gebräunte Hautfarbe der von Pan unberührten Gestalten, aber anscheinend fehlt ihnen der Charme, die animalische Sinnlichkeit, der musikalische Zauber des Pan, um sie für die Frauen erotisch attraktiv zu machen. Das Bild scheint die größere Verführbarkeit, die größere Betörbarkeit von Frauen zu thematisieren, aber auch ihr Hoffen auf eine ganzheitlichere, auch seelische Erfüllung, als es eine rein sexuelle Befriedigung sein könnte.
Das Paar, 1989, 103x54, Lackfarben
In dem Bild "Das Paar" scheinst du den Augenblick eines Orgasmus eingefangen zu haben. Dieser Eindruck ist umso erstaunlicher als du die beteiligten Körperteile nicht zeigst. Auch die sekundären Geschlechtsteile bleiben unsichtbar. Man sieht zwar die nackten Oberkörper einer Frau und eines Mannes, aber die erotischen oder sexuellen Aktionen und Körperglieder bleiben ausgespart. Alle Informationen, die man über das sich abspielende Geschehen bekommt, laufen über den Ausdruck des Paares und der sie umgebenden Naturszene. Das Paar scheint umgeben von rot blühenden Büschen, die wie vom Sturm aufgewühlte Meereswellen die Liebenden umwogen. Die Baumreihe im oberen Drittel des Bildes scheint vor einem dramatischen blau-gelben Himmel zu tanzen. Die ganze umgebende Natur scheint zu vibrieren und in den erregenden Bewegungsrhythmus des sich liebenden Paares einzufallen. Auch die blonden, aufgelösten Haare der Frau fließen in kleinen, erregten Wellen auf ihre Schultern. Ihre Augen sind geschlossen, ihr Mund ist weit geöffnet. Die Ellenbogen hat sie aufgestützt und die Unterarme aufgerichtet. Ihre geballten Hände berühren sich und symbolisieren so die lustvolle Vereinigung, die sich in einer ganz anderen Körperzone abspielt. Der Mann hat sein Kinn auf ihre linke Schulter gelegt. Er schaut in das beseligte Gesicht der Frau und lächelt. Auch ihm ist die Situation offensichtlich angenehm. Somit werden in diesem Bild eine ungetrübte Einheit von Naturzustand und dem zwischenmenschlichen Geschehen sowie eine von Sympathie und Harmonie beseelte Einswerdung von zwei Menschen zum Ereignis.
Partnerlook, 1989, 54x103, Mischtechnik
Das Bild "Partnerlook" empfinde ich als lustig. Mann und Frau werden hier als Einheit, als ein Lebewesen mit vier Beinen und einem gemeinsamen grünblauen Rock dargestellt. Die Frau umfängt mit ihrem rechten Arm die Taille des Mannes und begegnet - trotz anatomischer Unmöglichkeit - dieser Hand wieder mit der linken Hand. Der Mann streckt seine Ellenbogen nach vorne und nimmt so eine abwehrende Position im Gegensatz zu der umgreifenden, umfassenden, einbeziehenden Art der Frau ein. Die Köpfe der beiden sind umgeben von der rotgelben Corona einer auf- oder untergehenden Sonne, und die Farbe des blonden Haares der Frau und das Gelb der Sonnenfarbe gehen ineinander über. Beide Personen stehen auf einem hellen sonnigen Weg, an den sich dem Hintergrund zu das Grün und Gelbgrün eines Wiesenrandes und eines frühsommerlichen Feldes anschließen. Dahinter bewaldete Hügel und ein dämmerblauer Himmel. Beide Partner etwa gleich groß, selbständig und dennoch auf innige und glückliche Weise miteinander und der Umwelt verbunden.
Dorftanz, 1999, 70x100, Acryl auf Papier
Ein weiteres Bild aus deiner (ich erlaube mir zum du überzugehen)„erotischen Produktion“ hat ein anderes Thema und einen anderen Charakter. Es hat den Titel: "Dorftanz". Im Zentrum der Bildfläche kann man die Körper von einem rustikalen Tanzpaar unterscheiden. Die Frau auf der rechten Seite ist durch ein signalrotes Gewand, das von kräftigen blauen Linien durchzogen ist, gekennzeichnet. Das Gewand des Mannes setzt sich aus blauen, gelben und violetten Farbflächen zusammen. Die Farbkomposition des männlichen Kopfes enthält noch zusätzlich ockerfarbene, grüne und rote Elemente. Die Farben sind ungebrochen, entfalten Leuchtkraft, Vitalität und im Zusammenhang mit dem spontanen und kraftvollen Linienspiel eine temperamentvolle Dynamik. Alle Farben und Formen strahlen bunte Lebensfülle, vitale Sinnlichkeit und ungebrochene Lebensfreude aus. Die Körper der Tanzenden bewegen sich in engem Kontakt, ihre Blickrichtung geht in Richtung Partner, wodurch die Nähe und Unkompliziertheit ihrer Beziehung signalisiert wird. Obwohl man unschwer noch andere Figuren und Anekdoten aus dem Bild entnehmen oder in das Bild hineinsehen kann, will ich mich mit der Wahrnehmung dieses kraftvollen, frischen und fröhlichen Farbakkords begnügen und es anderen interessierten Betrachtern überlassen, durch genaue Betrachtung des Bildes noch weitere, eigene Entdeckungen zu machen. Mich freut es, in deiner neueren Produktion so positive, lebensbejahende und fröhliche Akkorde zu vernehmen. Ich möchte dich ermutigen, noch mehr solcher Farbklänge und -gesänge ertönen zu lassen. Für heute sei herzlich gegrüßt und geküsst von deiner Cordula.