Читать книгу "Milch oder Tee zum Frühstück?" "Ein Glas Wein bitte." - Jan Putzas - Страница 10
Оглавление2. Künstler, Stümper und Lattenroste
Ist es Ihnen schon mal so ergangen, dass Sie in einer Kunstausstellung die Werke eines Malers betrachtet haben und dabei dachten, das einzige im Raum, was einen Funken Ästhetik versprüht, ist das Werbeplakat der Exposition eines anderen Künstlers? So ähnlich erging es mir, als ich das erste Mal ein Bild von Jackson Pollock und danach zufälligerweise eines von Konstantin Wassiljew sah.
Auf der einen Seite Konstantin Wassiljew, in dessen Museum inklusive Ausstellung ich in Moskau schon einmal gewesen war. Ein ermordeter russischer Maler, dessen Kunst eine brachiale mystische Kraft besitzt, die mich sofort in ihren Bann zog. Und auf der anderen Seite die Schmierereien jenes, in meinen Augen völlig überschätzten Pollocks, die mir vergleichsweise in den Sinn kamen. Selbst mein Junior mit seinen knapp vier Lenzen verfügte, nach meinem Verständnis, über ein größeres Talent, als dieser betrunkene Kretin. Ich vermute, sogar ein Otto Dix fräße im Grab aus Fremdscham einen Pinsel, wenn er dies mit angesehen hätte. Und sind wir ehrlich, dessen Bilder sind schon gewöhnungsbedürftig, um es gelinde auszudrücken. Aber kein Vergleich zu Jackson Pollock, der offenbar über nichts weiter verfügte, als ein erstklassiges Renommee und an dem das Beste seine Initialen waren. Da kratze ich doch lieber meine ganze Kohle zusammen, und kaufe ein Bild meiner Bekannten Heike oder eine handgetöpferte Brockenhexe ihrer Schwester Silke.
Aber was rege ich mich auf? Auf YouTube existiert ein Video über die sogenannte Maltechnik des Jackson Pollock. Also ich sehe das so, der hat einen Pinsel in einen Farbeimer gehalten, anschließend damit herumgewedelt und eine Leinwand vollgespritzt. Das war’s. Ende der Geschichte. Heutzutage liefern sie dich für weit weniger ein. Ja ja, ich weiß. Sie werden jetzt vielleicht sagen: »Bei der modernen Kunst geht es nicht um die Ausführung, sondern um die Idee, die dahinter steckt.«
Aber Sie werden mir trotzdem beipflichten: »Man kann sich auch alles schönreden!«
Ich hoffe, mein kleiner Sohn wird mit mir eines Tages konform sein und mir niemals Vorhaltungen machen, die sich anhören wie: »Papa, das ist Kunst, verdammt nochmal! Du hast den Geschmack eines alten Esels!«
Und selbst wenn, ich werde ihn trotzdem immer lieben.
Mir kommt mein eigener Vater in den Sinn. Der mir, als ich ein Kind war, versuchte, plausibel zu erklären, dass meine Tante schwerkrank sei und deshalb am Tisch ständig furzen müsse. Ich wollte dies meinem Vater mit aller Macht glauben, weil ich ihm vertraute, aber ein komischer Nachgeschmack blieb dennoch.
Wo ich schon mal dabei bin, mich aufzuregen: Es war im Februar 2018. Azog der Schänder und meine Wenigkeit waren auf dem Weg in die örtliche Bibliothek einer Stadt, deren Name mir gerade entfallen ist. Hier fand an jenem Abend eine Buchlesung mit mir statt. Den Kontakt zu dem Bibliotheksleiter, einem Mann namens Eike Schattenfrost, hatte meine Verlegerin hergestellt.
Schattenfrost und ich korrespondierten einige Wochen zuvor per Mail und einigten uns darauf, dass ich die Eintrittsgelder behalten könne, wenn ich mich selbst um die Abwicklung kümmern würde. Dies bedeutete de facto: Abendkasse besetzen, Ticketpreise kassieren und so weiter. Dies hielt ich für kein Problem, denn ich hatte ja meinen Wingman Azog den Schänder dabei. Und an dem würde sich eh keiner vorbei trauen, ohne zu bezahlen. Dachte ich zumindest.
Das Publikum am besagten Abend kam dann kleckerweise und Azog musste fast die Hälfte der rund 30 anwesenden Gäste umsonst vorbeilassen. Die hatten tatsächlich einen goldenen Bibliotheksausweis. Fragen Sie mich jetzt nicht, wer sich so einen Quatsch ausdenkt. Auf jeden Fall hatten die so ein Ding. Und dieser »Goldmember - Fuck You! - Pass«, wie es Azog damals formulierte, beinhaltete, dass die Besitzer kostenfrei in solche Veranstaltungen wie die meinige hineindurften. Tja und »ce petit détail« hatte der liebe Herr Schattenfrost wohl zufälligerweise bei den Honorarverhandlungen vergessen zu erwähnen. Ich weiß noch, dass Azog nach der Veranstaltung, als wir unsere Ausrüstung ins Auto luden, geflucht hatte, wie es sich für einen richtigen Ork gehörte. Es war erschreckend, in welcher Geschwindigkeit man einen menschlichen Nachnamen kreativ verhohnepiepeln konnte. Da wurde ruckzuck aus Schattenfrost Lattenhorst und später Lattenrost. Zwischendurch gab es noch eine Rattenwurst. Sie ahnen es vielleicht, Azog mochte Eike nicht besonders. Und schon gar nicht, nach dieser »Goldmember-Kacke«, wie er es ausdrückte.
Ich dagegen fand den Schattenfrost ganz amüsant. Für jemanden, der nicht wie ich selbst eine ordentliche Regimeerziehung erhalten hatte und höchstwahrscheinlich in einem Waldorfkindergarten groß geworden war, verfügte er durchaus über komödiantisches Talent. Wenn auch unfreiwillig. Fragte der mich, wieso ich meinen Assistenten – hier war natürlich Azog gemeint, den ich auf Veranstaltungen hin und wieder und in Anlehnung an Sir Conan Doyle »Doktor Watson« rief, »Wurzel« nennen würde?
»Nicht Wurzel, sondern Watson«, sagte ich.
»Watson?«, fragte Schattenfrost und hatte offenkundig keine Ahnung, wer das sein sollte.
»Doktor Watson«, sagte ich langsam und überdeutlich und nicht ganz sicher, ob Schattenfrost mich vielleicht verarschen wollte. »Den Assistenten von Sherlock Holmes.«
»Ah, der. Alles klar, jetzt weiß ich Bescheid.« Der Oberbibliothekar klopfte sich gegen die Stirn und hatte selbstverständlich immer noch keinen blassen Schimmer, wen ich da meinte.
»Na klar«, knurrte Azog leise und ich war mir nicht sicher, ob Schattenfrost es nicht trotzdem hören konnte. »Du weißt Bescheid. Gerade du!«
Die Buchlesung selbst war ziemlich anstrengend, das Publikum steif und meiner Art von Humor nicht aufgeschlossen. Erschwerend kam hinzu, dass ich erkältet war und Schattenfrost mich im Vorfeld gebeten hatte, eine komplette Stunde durchzulesen und auf meine Pause nach der Hälfte der Veranstaltung zu verzichten. Er hätte nämlich vor, im Anschluss eine Diskussionsrunde mit dem Publikum zu veranstalten. Oder er wollte nur so schnell wie möglich nach Hause. Das konnte auch sein.
Aber durchaus erheiternd war Folgendes: Als ein etwas ungepflegter, unaufgeräumter älterer Herr die Bibliothek betrat, wurde Schattenfrost auf einmal ganz aufgeregt und sagte entschuldigend: »Ja, das tut mir leid. Da muss ich um Verzeihung bitten, aber Obdachlose finden auch immer wieder den Weg hierher. Es ist schön warm im Gebäude und wir können die auch nicht so einfach gewaltsam entfernen. Also bitte haben Sie Verständnis, wenn der sich mit hinsetzt und Ihnen zuhört.«
Ich hatte da im Prinzip nichts dagegen, aber Azog, nach wie vor stinksauer, rief: »Hä?«
Ich hatte die Befürchtung, dass sich Schattenfrost jeden Moment ein paar nur bedingt nette Worte von ihm einfangen würde.
»Also an mir kommt der nicht vorbei, wenn er nicht fünf Euro Eintritt auf den Tisch legt!«, machte Azog klar. Danach zeigte er auf eine entfernte Ecke der riesigen Bibliothek. »Wenn der sowieso nur schlafen will, kann er sich solange auf die Bank da hinten in der Kinderbuchabteilung legen. Da ist um diese Zeit eh keiner mehr.«
Wie sich kurze Zeit später herausstellte, war der alte Mann überhaupt kein Penner, sondern ein seit vielen Jahren in Deutschland lebender Tadschike. Etwas unaufgeräumt und abgerissen wirkte er nur deswegen, weil er auf den letzten Drücker hergekommen war. Und zwar mit einem Fahrrad. Also nicht aus Tadschikistan, sondern vom anderen Ende der Stadt. Dies erzählte er uns alles, während er einen Zehn-Euro-Geldschein auf den Tisch legte und unter anderem sagte: »Stimmt so.«
Ich sah grinsend zu Schattenfrost hinüber und konnte deutlich sehen, wie diesem die Schamesröte ins Gesicht stieg. Er blickte verstohlen in meine Richtung, hob entschuldigend beide Hände und zuckte mit den Schultern.
Nach der Veranstaltung hatte ich noch eine Diskussion mit dem Tadschiken über eine vermeintliche Falschmeldung meines Vortrages. Es ging um irgendeinen See, der wohl angeblich nicht dort wäre, wo ich behauptet hätte. Der sei ganz woanders.
»Wann waren Sie denn das letzte Mal in Tadschikistan?«, fragte ich.
»1978«, sagte der Mann.
»Das ist 40 Jahre her«, wandte ich ein.
»Ja«, sagte er.
»Äh, ich war vor zirka einem Jahr dort«, antwortete ich.
»Ah gut«, meinte er und ich hoffte, er würde raffen, worauf ich hinauswollte.
»Na, wer hat denn da jetzt nun recht?«, fragte ich und lachte dabei.
»Ganz klar er!«, mischte sich Azog der Schänder ein. »Du hast bestimmt nur irgendein Foto von irgendeinem See aus dem Internet heruntergeladen.«
»Und du bald keinen Job mehr, wenn du so weiter machst«, entgegnete ich, was Azog mit Schnarchgeräuschen quittierte.
»Ist egal«, sagte der Tadschike, »Lange her. Vielleicht täusche ich mich.«
»Oder ich«, räumte ich ein. Anschließend reichten wir uns die Hand und verabschiedeten uns. Schattenfrost kam auch nochmal zu uns und bedankte sich für die außergewöhnliche Vorstellung, wie er es formulierte und ich mir sicher war, mein Auftritt hatte ihm nicht gefallen. Im Gegenzug fanden wir den größten Teil des Publikums lahm. Oder wie es Azog klischeehaft formulierte: »Die hatten einen Stock im Arsch!«
Schattenfrost meinte als Verabschiedung zu uns: »Fahren Sie vorsichtig.«
Ich: »Danke, werden wir.«
Schattenfrost: »Ich sage dies ganz bewusst. Fahren Sie vorsichtig.«
Ich zog eine Augenbraue hoch und sagte extra lang gezogen: »Okaaay…werden wir.«
Schattenfrost: »Na ja, Sie rasen doch bestimmt gern.«
Ich: »Alles klar. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, worauf Sie hinauswollen.«
Schattenfrost: »Sie fahren doch sicher einen tiefergelegten Dreier BMW.«
Ich, der ich zu jenem Zeitpunkt noch keinen BMW, sondern einen rostigen Opel Corsa mit immensen drei Zylindern und brachialen 50 Pferdestärken mein Eigen nannte, entgegnete: »Wollen Sie damit sagen, dass jede Schachtwacke aus dem Südharz ein rasender Prolet ist?«
Schattenfrost hob beschwichtigend die Hände. »Nein, nein, auf keinen Fall.«
»Das ist schön«, sagte ich, »Denn andernfalls würde dies im Umkehrschluss bedeuten, dass ich jeden westdeutschen Bibliothekar für fehl am Platz halten würde, weil er Sir Arthur Conan Doyle und Sherlock Holmes nicht kennt.«
Nach einer kurzen Weile der Stille, in der sich alle nur abwechselnd anstarrten, machte Azog plötzlich: »Hahaha!«, und fing an, übertrieben zu lachen.
Schattenfrost und ich taten es ihm gleich und lachten ebenfalls, und zwar laut, gestellt und keinesfalls herzlich. Ich glaube, wir waren uns damals in jenem Moment und ohne es auszusprechen darüber einig, dass er nie wieder eine Buchlesung mit mir veranstalten wird, ich ihn allerdings im Gegenzug berühmt machen werde.
Später, auf der Rückfahrt im Auto, sagte Azog zu mir: »Schattenfrost hat keine Ahnung, wie dicht er an einer Tracht Prügel von mir vorbeigeschrammt ist.«
»Also, ich fand ihn amüsant«, sagte ich, »den Lattenrost.«
Azog der Schänder, aka Watson, aka Wurzel und ich grinsten anschließend und stießen eine Faust zusammen. Dann fuhren wir in meinem Opel Corsa zu McDonalds, mein Honorar verfressen.
Wenn ich es recht bedenke, muss ich fairerweise zugeben, dass ich einige Monate später wieder eine Lesung in derselben Stadt hatte, die weitaus besser lief. Allerdings war der Veranstalter ein anderer und das Publikum lockerer aufgelegt. Na ja, bis auf einige. Fragte mich ein Zuhörer, wie es dazu kam, dass ich eine Buchlesung in Tadschikistan abgehalten habe.
Ich: »Auf Einladung eines deutschen Kulturattachés.«
Ein anderer Gast von hinten rechts fragte provokant: »Echt? Wie hieß der denn?«
Ich: »Kennst du sowieso nicht! Für die anderen im Saal, der Mann hieß Armand von Utzrath.«
Danach passierte Folgendes: Der Typ von hinten rechts ballte sein Gesicht zur Faust und erhob sich von seinem Platz. Azog, aka Wurzel, aka neuerdings Ghettonatter erhob sich ebenfalls von seinem Stuhl und fixierte den Typ. Dieser setzte sich natürlich wieder hin und bekam von der Dame neben sich etwas ins Ohr geflüstert. Vermutlich, dass er besser sein Maul halten sollte. Was dieser vernünftigerweise dann auch tat. Die Veranstaltung lief wie geplant weiter.
Und jedes Mal wenn mich heute einer fragt, warum ich den schwergewichtigen Schläger Azog den Schänder früher bei meinen Buchlesungen dabei hatte, denn den Beamer konnte ich doch auch alleine bedienen, erzähle ich den Leuten diese Geschichte. Es gibt eben Städte und Veranstaltungsorte, da wird es gefährlich.
Azog war zwar damals der Meinung, ich sollte auf unverschämte Zwischenrufe nicht eingehen, aber ich sah das etwas anders. Ich unterhielt mich immer gerne mit meinem Publikum.
Hinterher kam Thorsten der Veranstalter mit unserer hart verdienten Kohle anmarschiert und sagte grinsend: »Es muss gut gewesen sein. Es sind alle sitzen geblieben.«
Eigentlich wollte ich Auftritte in dieser Stadt nach der ersten Veranstaltung nie wieder machen. Dann sind es doch zwei Lesungen geworden und weil Thorsten sagte: »Wenn du was Neues geschrieben hast, rufst du mich an. Dann organisiere ich wieder eine Lesung für dich.«, wird es höchstwahrscheinlich auch noch eine dritte geben.