Читать книгу "Milch oder Tee zum Frühstück?" "Ein Glas Wein bitte." - Jan Putzas - Страница 9
Оглавление1. Weisheiten eines Prachtkerls
Während eines Moskauaufenthaltes erörterte ich eines Tages, ich glaube, es war in der Metro sitzend, mit meiner Frau und meiner Schwester, was unser Junior, der selbstverständlich ebenfalls anwesend war, mit seinen damaligen drei Lenzen, in letzter Zeit bereits für verbale Granaten heraus gehauen hatte. Dieser stellte natürlich seine Lauscher auf maximales Lautstärkeaufnahmevermögen, damit er bloß nichts verpasste, und hörte interessiert zu.
Da war diese Geschichte, als er uns einmal freudestrahlend verkündete, dass er Pocknock mit Salz lieber mochte, als süßes Pocknock. Also Pocknock gleich Popcorn.
Oder als er einmal aufgeregt und wild mit den Armen herumfuchtelnd bei uns durch den Garten flitzte und ständig: »Legoschwanz, Legoschwanz!«, rief. Das ging einige Tage so. Den Begriff hatten meine Frau und ich noch nie gehört und uns war auch nicht bekannt, dass der besagte Hersteller dieser Plastiksteckbausteine etwas Ähnliches im Programm hatte. Nach längerem Nachforschen, intensiver Recherche und Studium seiner Performance kamen wir dann irgendwann darauf, was Junior meinte. Nämlich nicht den »Legoschwanz«, sondern das Luke-Skywalker-mäßige »Laserschwert«.
Ein Jahr später antwortete er an einem Sonntagmorgen auf meine Frage, ob er denn Milch oder Tee zum Frühstück trinken wolle, mit: »Ein Glas Wein bitte, Papa!«, und ich habe echt keine Ahnung, wie er darauf kam.
Juniors Lieblingsplüschtier ist übrigens ein kleiner Stoffigel. Von ihm genannt: »Der Igie.«
Wegen dieses Igies musste ich öfter schon so manche zusätzliche Autofahrt in Kauf nehmen, weil er irgendwo vergessen wurde und seine abendliche Nichtgesellschaft jedes Mal eine Tragödie bei uns auslöste. »Ich kann ohne Den Igie nicht einschlafen«, hieß es da aus tränenüberströmten Augen oder: »Ich werde Den Igie niemals nie wiedersehen.«
Was macht man da als liebende Eltern? Natürlich rief man dort an, wo man zuletzt war, und hoffte, dass Der Igie dort irgendwo herumsaß. Das tat er dann zum Glück immer, also setzte ich mich in mein Auto und holte ihn ab.
Eines Tages brachte ich Junior, wie jeden Morgen, kurz nach halb acht in die Kita. Er saß wie immer auf meinen Schultern, damit er einen besseren Rundumblick hatte, und rief plötzlich aufgeregt: »Papa, da vorn liegt ein Igie auf der Straße.«
Dieser war natürlich im Zustand eines überfahrenen Pizza-Kartons samt Inhalt, was Junior zu intensiver und investigativer Fragestellung veranlasste.
»Papa, hat der Igie nicht nach links und rechts geguckt, bevor er über die Straße gelaufen ist?«
Ich: »Nein, hat er wahrscheinlich nicht, der arme Igie.«
Junior: »Ach Papa, sei nicht traurig. Da kommt bestimmt nachher einer mit einer Pumpe und bläst den Igie wieder auf.«
24 Stunden später ein ähnliches Szenario. Junior saß auf meinen Schultern und suchte aufmerksam die Straße ab.
»Papa, der Igie ist nicht mehr da«, rief er freudestrahlend nach einer Weile. »Ich hatte gestern recht.«
Wir liefen zehn Meter weiter und dann kam die große Enttäuschung.
»Oh nein, jetzt liegt er da vorn. Papa, ich glaube, der ist tot!«
Szenenwechsel: In Moskau auf dem schneeweißen Wintermarkt des Roten Platzes begegneten wir einem Schwarzen Weihnachtsmann. Einem in ein blutrotes Kostüm gesteckten afrikanischen Väterchen Frost. Zu diesem hatte Junior zum Glück nichts in seiner unnachahmlich kindlichen Direktheit gesagt. Den hatte er einfach nur mit offenem Mund und ausgestrecktem Zeigefinger angestarrt. Wahrscheinlich aufgrund der märchenhaften und wie aus einem seiner Zeichentrickfilme stammenden Kontraste.
Apropos Väterchen Frost oder Väterchen Bifrost: Ich finde es super, dass in den ganzen Avengers-Filmen und den dazugehörigen 5000 Ablegern plus minus Superhelden jedweder Couleur und Gesinnung mitspielen. Thor, Black Panther, Iron Man, Loki, Hulk, Spiderman, Hawkeye, Falcon, die sexy Black Widow natürlich und wie sie alle heißen. Auf jeden Fall für alle etwas dabei. Auch, dass im Marvel Universum die Schwarzen Wissenschaftler den Weißen überlegen sind, geht für mich irgendwie in Ordnung. In meinen Augen die gerechte Antwort auf viele Jahrhunderte der Unterdrückung und Ausbeutung. Obwohl spätestens an dieser Stelle so mancher »Professor-Doktor-Rassentheoretiker« ein nervöses Zucken in den Augen bekommt.
Aber ich weiß nicht, irgendwie ist der Black Panther trotzdem ein Zeichen der Apartheid. Bloß eben anders herum. Da ist ein afrikanischer Superheld namens Black Panther und in dem Film spielen auch fast nur Schwarze mit. Black Panther ruft: »Wakanda über alles!«, dann geht das Schlachten los und es scheint für alle in Ordnung zu sein. Nicht auszudenken, der Typ würde White Wolf heißen, »Der Norden über alles!« brüllen und anschließend die halbe Welt niederbrennen. So einen Film würde es vermutlich niemals geben. Auch, dass die Walküre in Thor von der »Person of Color« Tessa Thompson gespielt wird, ist für einige vielleicht nicht ganz verständlich, aber akzeptabel, weil sie heiß ist. Aber dass der nordische Heimdall in Asgard ein Typ sein soll, dessen Vorfahren aus Sierra Leone und Ghana stammen, riecht dann doch ein bisschen nach universell globalem Gemeinschaftsgefühl oder gewerkschaftlicher Quotenbesetzung in Hollywood. Auch wenn Idris Elba als Heimdall ziemlich cool aussieht, aber das ist für mich in etwa so ähnlich, wie wenn Götz George zu Lebzeiten Nelson Mandela verkörpert hätte.
Was auch lustig war, Junior rief irgendwann mal beim Mittagessen: »Krokodil esse ich gerne«, und meinte Broccoli damit. Oder einmal haben wir Vater und Kind mit vertauschten Rollen gespielt und er fragte mich beim Abendessen: »Kind, du trinkst Bier?«
Ich nickte. Darauf er: »Na ja, bist ja schon ein großes Kind.«
Oder vor dem Flug nach Moskau, als Junior in Leipzig durch den halben Airport rief: »Papa?«
Ich: »Ja, was ist denn?«
Junior freudestrahlend und immer noch lautstark: »Ich habe gerade einen großen Popel aufgefressen.«
Na Glückwunsch, dachte ich mir und musste grinsen.
Einfach herrlich, der kleine Gauner. Oder ein anderes Mal, als er in einem seiner Bilderbücher einen Taucher erblickte. Er wusste nicht, was das war und sagte zu meiner Frau: »Mama, guck, ein Wasserastronaut.«
Den Begriff Taucher kannte er nicht, dafür aber Astronaut. Da weiß man doch gleich, wo die Richtung später mal hingeht mit dem Junior. Also zumindest hofft man es.
Eines fällt mir noch ein. Als ich auf einem der Moskauer Wintermärkte einen ordentlichen Glühwein und dazu ein Al-Capone-Zigarillo genossen hatte, fragte Junior, als ich ihn später auf dem Arm hatte, weil er nicht laufen wollte und ich ihm einen Kuss gab: »Papa, hast du ein Räuchermännchen vom Weihnachtsmann aufgefuttert?«
Zum Glück habe ich mir diese Sprüche vom Junior alle aufgeschrieben und es fehlen bestimmt trotzdem noch welche, die ich einfach vergessen habe. Aber ich denke, es kommen im Laufe der Jahre auch noch viele hinzu.
Die Anekdote muss ich Ihnen jetzt auch noch erzählen. Aber die letzte, sonst finde ich hier kein Ende, weil mir bestimmt danach noch eine einfällt, je länger ich darüber nachdenke.
Jedenfalls habe ich Junior vor einigen Wochen gefragt, wer denn seine Freundin im Kindergarten sei?
Antwort: »Papa, am liebsten küsse ich Hedi, aber Stella dreht ihren Kopf nicht weg.«
Also für uns Erwachsene sollte dies wohl übersetzt bedeuten: »Stella kann ich jederzeit knutschen, wie es mir gefällt und Hedi nur, wenn sie Bock hat.«
Der Hammer allerdings war, als ich ihn einige Tage später früh in den Kindergarten brachte. Er sah Stella, sie sah ihn, die beiden fielen sich in die Arme und küssten sich fünfmal hintereinander. Dann schob Junior sie von sich weg, musterte sie von oben bis unten und sagte: »Stella, sag mal, wie läufst du denn heute rum?«
Na klar, dachte ich bei mir und musste lachen. Erstmal rannehmen und dann rummeckern. Na, so was hat und hört man doch als Frau vermutlich gerne.
Okay, eine hab ich noch. Aber jetzt wirklich die allerletzte Geschichte. Junior kam eines sonntagabends ohne Hose und Unterhose zu meiner Frau und mir geflitzt und rief entsetzt, während er auf seinen Penis deutete: »Guckt mal, mein Pullermann sieht aus wie ein Elefantenrüssel!«
Es gäbe sehr viel Schlimmeres auf dieser Welt, und wenn er ein großer Junge ist, wird er sich darüber freuen, trösteten wir ihn schmunzelnd, und brachten ihn anschließend ins Bett.