Читать книгу Pony Jamie - Einfach heldenhaft! (1). Tagebuch von der Pferdekoppel - Jana Hoch - Страница 7
ОглавлениеKapitel 1
Ich bin ein Dressurpferd! Ein großes, unfassbar talentiertes Dressurpferd, genau wie mein Papa und mein Opa vor mir. Wenn ich über die Wiese schwebe, blicken alle anderen Ponys zu mir herüber, die Menschen am Zaun applaudieren und ich kann das große Viereck schon direkt vor meinem inneren Auge sehen. Ein riesiger Reitplatz, nur für mich! Ich würde hereintraben, geradewegs auf die Mittellinie zu, und die Richter würde vor Begeisterung nichts mehr auf ihren Stühlen halten. Sie würden aufspringen, die Hände in die Luft reißen und mir zujubeln. Ganz sicher!
»Meine Damen und Herren, ich präsentiere Ihnen den Gewinner: Jamie vom Haflingergestüt zur hohen Eiche!«
Oh ja, ich kann mir das alles richtig gut vorstellen. Den Siegesduft in den Nüstern, werfe ich meine Beine noch weiter nach vorne hinaus. Der Wind lässt meinen blonden Schopf zu allen Seiten fliegen und dann … passiert es plötzlich! In einem der Büsche neben mir raschelt es. Keine Sekunde später schießen zwei Meisen heraus, direkt vor meiner Nase!
Whooooa! Ich bremse scharf, um den Zusammenstoß zu verhindern. Meine Hufe schlittern über die Erde und ich merke gerade noch, wie mein Hinterteil wegrutscht. Dann falle ich der Länge nach auf den Boden. Einen Moment liege ich verdattert da und habe Mühe, meine Beine zu ordnen. Sheela hebt den Kopf aus dem Gras und wiehert amüsiert. War ja klar, dass meine große Schwester sich jetzt wieder über mich lustig machen muss. Schnell wälze ich mich auf die Seite und tue so, als ob das alles geplant war. Eine neue Lektion, die ich mir selbst ausgedacht habe. Ich meine, wer kann sich schon im Trab auf den Boden werfen und direkt wälzen? Richtig, niemand. Nur ich! Und deswegen rolle ich mich auch noch einmal ausgiebig hin und her, damit es glaubhafter wirkt. Dann springe ich auf und trabe zum Zaun. Nichts passiert!
Na schön, um die Wahrheit zu sagen: Bisher hebt niemand den Kopf, wenn ich meine Pirouetten drehe. Weder Ari noch Rocky noch irgendjemand sonst aus unserer Haflingerherde. Und die Menschen stehen auch nicht am Zaun und applaudieren. Das hat nur Hannes, der Stallmeister, einmal getan, als ich mich heimlich in die Futterkammer geschlichen habe, um eine Mohrrübe zu klauen. Da hat er ganz wild in die Hände geklatscht, mit den Armen gefuchtelt und »Schhhht, schhhht« gemacht. Ich bin dann rückwärts wieder aus der Tür geschossen, aber im letzten Moment habe ich mir noch schnell eine Mohrrübe geschnappt. Hehe. Wenn man weiß, was man will, kann man es auch bekommen. Die Mohrrübe war quasi der erste Schritt und am Ende steht dann die Olympiade. Mindestens! Immerhin hat mein Papa, Sternentraum, schon einmal die Dressurmeisterschaft gewonnen. Ich kenne ihn zwar nicht persönlich, aber Hannes hat das erzählt. Jedes Mal, wenn er von ihm spricht, werde ich ganz still und lausche gespannt.
Gerade als ich vor dem Zaun bremse, kommt Hannes wie aufs Stichwort über den Hof geschlendert. Mit einem Besen in der Hand läuft er an der Sattelkammer vorbei, lässt sich auf die Bank vor dem Stall fallen und zaubert ein Sandwich hervor.
Ich wiehere ihm zu. Er blickt auf und ein Lächeln zieht sich über sein Gesicht. Genau das wollte ich sehen! Menschen sind total berechenbar und wenn man sich ein bisschen mit ihnen beschäftigt, kann man sie genau das tun lassen, was man möchte.
Wiehert man zum Beispiel, freuen sie sich und wenn man Glück hat, kommen sie dann rüber und stecken einem etwas Leckeres zu. So einfach funktioniert das. Und ich bin echt ein Profi auf dem Gebiet! Quasi ein Menschenflüsterer.
Hannes steht auf und steuert in meine Richtung. Ich tripple auf der Stelle und schlecke mir mit der Zunge über die Lippen. Was er wohl dieses Mal dabeihat? Hoffentlich getrocknete Hagebutten! Obwohl, das Sandwich würde ich im Zweifel auch nehmen. Ich habe noch nie eins probiert und Hannes behauptet, dass ich davon Bauchschmerzen bekommen würde. Aber mal ehrlich, ich glaube, er sagt es nur, damit er das Sandwich für sich alleine hat.
»Na, Jamie!«, begrüßt er mich. »Hast du auf mich gewartet?«
Hundert Punkte. Das Wasser läuft mir mittlerweile im Maul zusammen und ich recke den Kopf noch weiter über den Zaun in seine Richtung. Hannes kramt in seiner Jackentasche. Das sieht gut aus.
»Hannes!«, ruft da auf einmal jemand. Die Stimme kenne ich. Das ist Steffen. Er ist so etwas wie der Herdenchef der Menschen hier auf dem Hof. Jedenfalls machen alle, was er sagt. Hannes dreht sich um und ich hebe den Kopf. Der Chef schließt gerade die Tür zu seinem Haus auf und läuft dann zu uns herüber. Ob er auch etwas Leckeres mitbringt? Hmmm, eher nicht. Er hat fast nie etwas für uns dabei und wenn man ihn vorsichtig anstupst, erntet man nur einen strengen Blick. Er findet das ungezogen, hat er mal zu Hannes gesagt. Aber ich verstehe überhaupt nicht, warum. Man wird ja wohl noch fragen dürfen!
Zu meiner Bestürzung zieht Hannes seine Hand blitzschnell aus der Jackentasche und schließt den Reißverschluss.
Das gibt’s doch nicht! Ich habe die Hagebutten fast schon auf meiner Zunge geschmeckt, und jetzt das? Missmutig beiße ich in den Zaun und stampfe auf den Boden. Zwecklos. Hannes beachtet mich nicht mehr.
»Gut, dass ich dich treffe«, sagt der Chef und bleibt vor Hannes stehen. »Ich wollte mit dir noch mal über die Jungpferde reden. Wir müssen entscheiden, wen wir verkaufen und wen wir für das Turnierteam ausbilden.«
Das Turnierteam! Sofort schmeiße ich mich in Pose, schwelle die Brust und runde den Hals. Seit ich ein Fohlen bin, träume ich davon. Jährlich werden nur ganz wenige Pferde dafür ausgewählt. Manchmal sogar gar keins. Denn ins Turnierteam kommen nur die Besten der Besten.
Ich wiehere leise, um ihn auf mich aufmerksam zu machen, aber der Chef schenkt mir keine Aufmerksamkeit. Stattdessen mustert er unsere Herde. »Wir machen Verkaufsanzeigen für Napoleon, Schneeflocke, auf jeden Fall Amira und …« Jetzt dreht er sich doch in meine Richtung. »… Jamie auch.«
Was? Moment mal! Mein Bauch fühlt sich plötzlich so schwer an wie eine prall gefüllte Futtertonne. Auch Hannes schaut unglücklich und wirft mir einen kurzen Blick zu.
»Das ist echt schade mit Jamie. Der hätte so viel Potenzial.«
Genau! Ich habe Potenzial. Für das TURNIERTEAM.
Der Chef zuckt mit den Schultern. »Ja, aber was sollen wir machen? Er ist zu groß geworden. Und damit kann er nicht mehr im Ponyteam starten.«
Zu groß? Wie zu groß? Wie kann man denn zu groß werden? Und überhaupt, woher will er das wissen?
Oh, Mist! Eine Erinnerung blitzt auf. Da war diese Frau, die die Pferdewaage mitgebracht hat. Natürlich habe ich mich ganz brav draufgestellt, immerhin hat der Chef zugesehen. Und dann hat die Frau gesagt, dass mein Gewicht super ist und ich sogar über 1,50 Meter groß bin. Sie hat so nett gelächelt, dass ich dachte, das wäre fantastisch. Aber jetzt? Hilfe suchend blicke ich zu Hannes. Doch der lässt nur die Schultern hängen.
»Der Kleine wird mir fehlen«, sagt er traurig und streichelt mir über den Hals.
Der Chef lacht. »Ach, Hannes, dir fällt es immer schwer, dich von den Ponys zu trennen. Aber wir können sie eben nicht alle behalten.«
Hannes nickt. »Ja, das stimmt. Ich werde die Anzeigen fertig machen und noch heute Abend online stellen.«
Der Chef klopft ihm auf die Schulter und dann gehen die beiden zurück zum Stall. Und ich stehe da, vollkommen erstarrt. Ohne Hagebutten. Ohne Sandwich. Dafür mit Bauchschmerzen. Ich soll tatsächlich verkauft werden!
Liebes Tagebuch,
heute ist etwas ganz, ganz Magisches passiert. Also, natürlich nicht so magisch wie in Harry Potter. Ich kann nicht fliegen oder so. (Wobei, das wäre auch nicht schlecht. Aber nicht so toll wie das, was heute passiert ist.) Mama und Papa haben JJJJJJJJJJJAAAAAAAAAAA gesagt. Ich hab keine Ahnung, wie es genau dazu gekommen ist. Möglicherweise hat Tante Anna ihre Hände mit im Spiel gehabt oder Frau Sonnemann oder vielleicht haben sie auch einfach aufgegeben, weil ich ihnen seit einem Jahr in den Ohren liege, aber ICH DARF MICH NACH EINEM EIGENEN PONY UMSCHAUEN. Ist das toll oder ist das toll??????!!!!!!
Mein eigenes Pony. Natürlich haben Mama und Papa jede Menge Bedingungen daran geknüpft, immerhin sind sie noch Mama und Papa.
Punkt 1: Das Pony darf nicht gefährlich sein. Und nicht zu wild. Und nicht zu jung. Von wegen, ich wäre ja erst elf und es könne so viel passieren. Aber das haben die beiden auch schon gesagt, als ich mit sechs Jahren das Reiten angefangen habe. Das liegt einfach daran, dass sie ein bisschen Angst vor Pferden haben. Auf der anderen Seite ist es auch ein echter Vorteil. In Sachen Pferd vertrauen sie Frau Sonnemann. Und die ist auf meiner Seite!!!!
Punkt 2: Ich darf in der Schule nicht schlechter werden. Hmmm, schon schwieriger. Aber Vokabeln kann ich auch im Reitstall lernen, hab ich immerhin die vergangenen Jahre auch nicht anders gemacht. Also, check!
Punkt 3: Ich muss weiter im Haushalt mithelfen. Hey, bitte, ich würde sogar das Dach neu decken, wenn ich dafür ein Pony bekäme!!!!!!!!
Punkt 4 (Den hat Paps noch schnell hinterhergeschoben, als ich ihm und Mama schon jubelnd um den Hals gefallen bin – und er hat dabei von einem Ohr zum anderen gegrinst): Ich muss in Zukunft alles essen, was Papa mir vorsetzt. WAS? Das ist soooooo fies! Nur weil Papa so ein fanatischer Hobbykoch ist und wir als Versuchskaninchen für seine Curry-Schokokuchen und Asia-Cannelloni herhalten müssen???? Aber egal. ICH TUE ALLES FÜR EIN PONY.
So, ich muss Schluss machen. Werde Mama noch das Tablet abschwatzen, um die neuesten Verkaufsanzeigen anzuschauen. Frau Sonnemann sagt, dass manche Pferde für ihre Menschen bestimmt sind. Wenn das so ist, dann sieht man das auf den ersten Blick. Und genau das wird bei mir auch passieren.