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Elftes Kapitel
ОглавлениеAls die Damen sich nach dem Essen zurückzogen, ging Elisabeth zu ihrer Schwester hinauf, half ihr, sich warm anzuziehen, und geleitete sie ins Wohnzimmer hinab, wo ihre beiden Freundinnen sie unter lebhaften Beteuerungen ihrer großen Freude empfingen. Elisabeth hatte die beiden noch niemals so nett und freundlich gesehen. Sie hatten alle möglichen Einzelheiten von ihren Londoner Geselligkeiten zu berichten, erzählten allerhand Anekdoten voll Humor und machten sich in bester Laune über ihre Bekannten lustig.
Aber kaum traten die Herren ein, als Jane nicht mehr weiter im Mittelpunkt stand. Caroline hatte nur noch Augen für Darcy, und sie sprach schon mit ihm, bevor er die Anwesenden noch begrüsst hatte. Er seinerseits wandte sich sogleich an Jane mit einem höflichen Glückwunsch; Mr. Hurst verstieg sich ebenfalls zu einer leichten Verbeugung in ihrer Richtung und murmelte etwas von »sehr erfreut sein«; aber wirkliche Herzlichkeit und Wärme sprachen nur aus Bingleys Begrüßung. Er war ganz Freude und Aufmerksamkeit.
Die erste halbe Stunde verbrachte er damit, das Feuer zu schüren und Scheite aufzulegen, damit der Zimmerwechsel sich nicht nachteilig für Jane auswirken sollte. Auf seine Bitte hin setzte sie sich auf die andere Seite des Kamins, weiter fort von der Tür. Dann ließ er sich an ihrer Seite nieder und sprach kaum ein Wort mit den anderen. Elisabeth beobachtete das alles bei ihrer Handarbeit mit größter Genugtuung.
Als das Teegeschirr weggeräumt war, erinnerte Mr. Hurst seine Schwägerin an den Kartentisch; aber umsonst. Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass Darcy keine Lust zum Kartenspielen habe, und sie gab deshalb Mr. Hurst zu verstehen, dass überhaupt niemand spielen wolle. Da das allgemeine Schweigen ihr recht zu geben schien, blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich auf einem der Sofas auszustrecken und die Zeit zu verschlafen. Darcy las; Caroline tat desgleichen. Und Mrs. Hurst, die sich hauptsächlich damit beschäftigte, mit ihren Ringen und Armbändern zu spielen, beteiligte sich hin und wieder an dem Gespräch ihres Bruders mit Jane.
Carolines Aufmerksamkeit galt weniger ihrer eigenen Lektüre als derjenigen Darcys; wenn sie ihn nicht gerade etwas zu fragen hatte, versuchte sie, bei ihm mitzulesen. Zu einem richtigen Gespräch konnte sie ihn jedoch nicht verführen; er antwortete zwar, las jedoch weiter. Ganz erschöpft von dem Bestreben, irgendein Vergnügen an ihrem Buch zu finden, das sie nur aus dem Grund gewählt hatte, weil es der zweite Band von Darcys Buch war, gähnte sie tief auf und sagte: »Wie angenehm, den Abend so zu verbringen! Es geht doch nichts über ein gutes Buch; alles andere wird zu schnell langweilig! Wenn ich erst meinen eigenen Haushalt habe, muss ich unbedingt eine gute Bibliothek mein eigen nennen.«
Niemand antwortete. Sie gähnte wieder, schob ihr Buch beiseite und sah sich nach einem neuen Zeitvertreib um. Da hörte sie, wie ihr Bruder im Gespräch das Wort »Ball« erwähnte; sogleich wandte sie sich ihm zu: »Ach ja, Charles, da du gerade davon sprichst: hast du wirklich vor, einen Ball auf Netherfield zu geben? Ich rate dir, zuvor die Anwesenden um ihre Meinung zu befragen; ich müsste mich sehr täuschen, wenn unter uns nicht wenigstens einer ist, für den ein Ball eher eine Strafe als ein Vergnügen wäre.«
»Falls du Darcy meinen solltest«, sagte ihr Bruder, »der kann zu Bett gehen, wenn er Lust hat, bevor das Fest anfängt; der Ball findet statt, daran ist gar nicht mehr zu rütteln. Sobald alles vorbereitet ist, werden die Einladungen verschickt.«
»Mir würden Bälle unendlich viel mehr Vergnügen bereiten«, antwortete Caroline, »wenn man sie endlich einmal ein wenig anders aufziehen wollte. Diese üblichen Allerwelts-Veranstaltungen sind geradezu unerträglich stumpfsinnig. Es wäre doch viel richtiger, sich einmal vernünftig zu unterhalten, statt nur immer zu tanzen.«
»Richtiger ja, meine liebe Caroline, aber deshalb doch kein Ball. Ein Ball ist nun einmal zum Tanzen da.«
Darauf erwiderte Caroline nichts; aber kurz darauf erhob sie sich und begann, im Zimmer umherzuschreiten. Sie hatte eine schlanke Figur, und sie hielt sich gut beim Gehen; aber Darcy blieb unerbittlich in sein Buch vertieft. Schier in Verzweiflung beschloss sie, einen letzten Versuch zu machen; sie wandte sich zu Elisabeth und meinte: »Ich kann Ihnen nur empfehlen, meinem Beispiel zu folgen; es ist äußerst wohltuend, sich ein wenig zu bewegen, nachdem man so lange stillgesessen hat.«
Elisabeth wunderte sich zwar etwas über diese Aufforderung, ging aber darauf ein. Und Caroline erreichte den eigentlichen Zweck ihrer Freundlichkeit: Darcy schaute auf, und unwillkürlich schloss er sein Buch. Sofort erging auch an ihn die Einladung zu einem Spaziergang durchs Zimmer, die er aber mit der Begründung ablehnte, er könne sich nur zwei Absichten denken, die sie veranlassten, im Zimmer auf-und abzugehen, und beide Absichten würden durch seine Beteiligung durchkreuzt werden. Was er nur damit meine? Sie gäbe ihr Leben dafür, wenn sie es erfahren dürfe, versetzte Caroline, und sie fragte Elisabeth, ob sie es wohl raten könne?
»Nein, ich habe nicht die geringste Ahnung«, war die Antwort. »Aber Sie können sich darauf verlassen, dass er nichts Gutes meint; wir können seine Absicht am ehesten durchkreuzen, indem wir ihn nicht weiter fragen.«
Miss Bingley hätte es aber nicht über sich gebracht, Darcy so zu enttäuschen, und bestand deshalb auf einer Erklärung.
»Ich hatte gar nicht vor, mit meiner Erklärung hinter dem Berg zu halten«, sagte er, sobald sie ihn zu Wort kommen ließ. »Entweder Sie haben sich diese Art, den Abend zu verbringen, ausgesucht, weil Sie als Freundinnen persönliche Dinge zu besprechen wünschen; oder weil Sie wissen, dass Ihre Figuren beim Gehen am besten zur Geltung kommen. Im ersten Fall wäre ich Ihnen ganz und gar im Wege; im zweiten kann ich Sie hier vom Feuer aus viel besser sehen und bewundern.«
»Also, das ist wirklich scheußlich von Ihnen!« rief Caroline aus. »Wie können Sie nur so etwas von uns behaupten! Wie wollen wir ihn jetzt bestrafen?«
»Nichts einfacher als das, wenn Sie es wirklich wollen«, sagte Elisabeth. »Sie sind doch soviel zusammen, und Sie müssen doch wissen, wie man ihn am besten ärgern kann.«
»Aber nein, ich weiß es durchaus nicht. Das hat mich unsere Freundschaft noch nicht gelehrt. Wie sollte man auch eine so gleichmäßige Laune, einen so schlagfertigen Geist necken können! Nein, darin ist er uns wohl überlegen. Und lachen — wir wollen uns lieber nicht lächerlich machen, indem wir ohne Grund lachen. Darcy hätte dann wohl alle Ursache, uns wirklich für töricht zu halten.«
»Über Mr. Darcy soll man nicht lachen können?« rief Elisabeth. »Dann wäre er fürwahr ein seltener Mensch, und ich hoffe, er bleibt so selten, denn ich wüsste mit solchen Bekannten nicht viel anzufangen. Dazu lache ich viel zu gern!«
»Miss Bingley«, sagte Darcy, »hat mich einer Eigenschaft gerühmt, die unmenschlich wäre. Der beste und weiseste Mensch oder vielmehr die beste und weiseste Handlung kann ins Lächerliche verdreht werden, wenn man unbedingt über alles im Leben lachen muss.«
»Allerdings«, erwiderte Elisabeth, »solche Menschen gibt es auch, und ich hoffe sehr, nicht zu ihnen zu gehören. Was weise und gut ist, berührt mich durchaus nicht als komisch. Aber jede Torheit und jeder Unsinn, Launen und kleine Eitelkeiten, das alles amüsiert mich sehr, muss ich gestehen, und darüber lache ich, wo es mir begegnet. Und gerade das alles, nehme ich an, sind Eigenschaften, die Ihnen fehlen.«
»Ganz so vollkommen kann nicht einmal ich sein. Aber ich bin mein Leben lang bestrebt gewesen, alle Schwächen zu vermeiden, die einen der Lächerlichkeit preisgeben können.«
»Eitelkeit und Stolz, zum Beispiel.«
»Ja, Eitelkeit ist eine Schwäche. Aber Stolz — bei einem überlegenen Geist wird Stolz sich immer in Grenzen halten.«
Elisabeth wandte sich ab, um ein Lächeln zu verbergen.
»Damit dürfte Ihre Prüfung Mr. Darcys zu Ende sein«, sagte Caroline. »Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen, wenn ich fragen darf?«
»Es ist mir vollständig klar geworden, dass Mr. Darcy fehlerfrei ist. Er gibt es ja selbst ganz offen zu.«
»Sie irren«, sagte Darcy, »ein solcher Anspruch liegt mir ganz fern. Ich habe Fehler genug, aber nicht den, so hoffe ich wenigstens, ohne Einsicht und Verstand zu sein. Für meine Gutmütigkeit möchte ich allerdings nicht die Hand ins Feuer legen. Ich bin sicherlich zu wenig nachsichtig oder doch nicht nachsichtig genug, um nach jedermanns Geschmack zu sein. Ich kann Dummheit und Niedertracht anderer Leute nicht so leicht übersehen, wie ich es vielleicht sollte, und auch ein schlechtes Betragen mir gegenüber nicht. Und schließlich, glaube ich, muss ich mich selbst als empfindlich und nachtragend bezeichnen; ist meine gute Meinung von jemandem dahin, dann gleich für immer.«
»Gut, das ist wirklich ein Fehler!« meinte Elisabeth. »Nachtragend zu sein, ist zweifellos eine hässliche Eigenschaft. Aber Sie haben sich Ihren Fehler gut ausgesucht; über so etwas kann man sich nicht lustig machen. Von mir haben Sie also nichts mehr zu fürchten.«
»Meiner Ansicht nach hat jeder Charakter einen Geburtsfehler, irgendeinen schlechten Trieb, der sich durch keine noch so gute Erziehung ausmerzen lässt.«
»Und Ihr Geburtsfehler ist der, an jedem Menschen zu viel auszusetzen.«
»Und der Ihre ist«, erwiderte er lächelnd, »absichtlich alles misszuverstehen.«
»Ach, machen wir doch ein wenig Musik«, rief Caroline ungeduldig aus, gelangweilt von einem Gespräch, an dem sie keinen Anteil nehmen konnte. »Louisa, du hast doch nichts dagegen, dass ich deinen Mann in seinem Schläfchen ein wenig störe?«
Ihre Schwester hatte nicht das Geringste dagegen, und das Klavier wurde wieder aufgemacht. Darcy war eigentlich froh darüber, wenn er es sich recht überlegte; er spürte die Gefahr, die darin lag, wenn er sich zu viel mit Elisabeth beschäftigte.