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Achtzehntes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Bis zu dem Augenblick, wo Elisabeth das große Gesellschaftszimmer von Netherfield betrat und vergeblich Mr. Wickham in einem der vielen anwesenden roten Röcke zu entdecken versuchte, war ihr nie der Gedanke gekommen, er könne sich vielleicht nicht einfinden. Sie hatte besondere Sorgfalt auf ihr Aussehen verwandt und hatte die bestimmte Absicht, die letzten Verschanzungen seines Herzens zu überwinden; sie traute sich schon zu, diese Aufgabe bequem im Laufe des Abends zu lösen. Und nun war er nicht zu entdecken.

Der schreckliche Verdacht erwachte sogleich in ihr, er sei Mr. Darcy zuliebe absichtlich von der Einladung an die Offiziere ausgenommen worden. Dies stimmte nun zwar nicht; aber die unumstößliche Tatsache seiner Abwesenheit wurde von seinem Freund Mr. Denny mitgeteilt und damit erklärt, Wickham sei in dringlicher Angelegenheit nach London gerufen worden und noch nicht wieder zurückgekehrt; er fügte mit einem vielsagenden Lächeln hinzu:

»Die Angelegenheit wäre wohl nicht so dringlich gewesen, hätte er nicht das Zusammentreffen mit einem der anwesenden Herren vermeiden wollen.«

Elisabeth hörte das und gewann dadurch die Überzeugung, dass Darcy für Wickhams Fernbleiben nicht weniger verantwortlich zu machen sei, als wenn ihr erster Verdacht richtig gewesen wäre. Ihre Enttäuschung verschärfte ihre ursprüngliche Abneigung gegen den Schuldigen in einem solchen Maße, dass sie es nicht über sich bringen konnte, auf seine höflichen Fragen, die er ihr bald darauf stellte, wenigstens mit einem Schein der notwendigen Freundlichkeit zu antworten. Aufmerksamkeit und Geduld einem Darcy gegenüber wären ihr wie Verrat an Wickham vorgekommen. Sie war fest entschlossen, keinerlei Unterhaltung mit ihm zu beginnen und wandte sich ziemlich brüsk ab.

Aber schlechte Laune hielt bei Elisabeth nie lange vor; und wenn der Abend ihr auch verdorben worden war, lange ließ sich ihre natürliche Heiterkeit nicht unterdrücken. Nachdem sie ihren Kummer ihrer Freundin Charlotte Lucas, mit der sie seit einer Woche nicht mehr zusammengekommen war, hatte mitteilen können, verflog ihr Ärger.

Die beiden ersten Tänze brachten erneuten Kummer. Mr. Collins war die Steifheit und Ungeschicklichkeit selbst; er war so damit beschäftigt, sich immer wieder bei ihr zu entschuldigen, dass er auf seine Schritte, die sich nur selten dem Takt anpassten, nicht im geringsten achtgab; sie litt Tantalusqualen unter der Beschämung, der sie, eine gute Tänzerin, durch einen solchen Tolpatsch ausgesetzt wurde. Der Augenblick, wo sie von ihm loskam, war ein Augenblick reinsten Glückes.

Den nächsten Tanz hatte sie einem der Offiziere versprochen; sie konnte sich dabei erholen und von Wickham sprechen, der sich, wie sie erfuhr, allgemeiner Beliebtheit erfreute. Danach gesellte sie sich wieder zu Charlotte und unterhielt sich gerade mit ihr, als sie sich plötzlich von Darcy angeredet hörte; eine Bitte um einen der nächsten Tänze kam ihr so überraschend, dass sie, ohne zu überlegen, einwilligte. Er ging sogleich weiter und überließ sie ihrem Zorn über ihren Mangel an Geistesgegenwart. Charlotte versuchte sie zu trösten »Du wirst sehen, er ist bestimmt sehr nett.«

»Gott behüte! Das wäre erst ein Unglück! Jemanden nett zu finden, den zu verabscheuen man fest entschlossen ist! Wünsche mir bloß das nicht!«

Der Tanz begann. Elisabeth hätte sich nicht träumen lassen, dass die einfache Tatsache, Mr. Darcy als Tänzer zu haben, ihr ein solches Ansehen verschaffen werde, wie sie es in den erstaunten und neidischen Blicken ihrer Nachbarinnen lesen konnte. Eine Zeitlang sagten sie beide nichts; und Elisabeth, die hoffte, dass sich daran während des ganzen Tanzes nichts ändern werde, gedachte zunächst nicht, das Schweigen von sich aus zu brechen. Dann kam ihr aber plötzlich der Gedanke, Mr. Darcy würde es vielleicht als eine größere Strafe empfinden, wenn sie ihn zwinge zu sprechen, und so ließ sie irgendeine nichtige Bemerkung über den Tanz fallen. Er antwortete kurz und schwieg wieder. Nach einigen Minuten redete sie ihn von neuem an.

»Jetzt sind Sie an der Reihe, etwas zu sagen, Mr. Darcy. Ich habe über den Ball gesprochen und würde Ihnen daher empfehlen, sich über die Größe des Raumes oder über die vielen Gäste auszulassen.«

»Reden Sie immer nach diesem Schema, wenn Sie tanzen?«

»Bisweilen schon. Etwas muss man doch sagen, finden Sie nicht auch? Es würde merkwürdig aussehen, wollte man eine halbe Stunde lang sich stumm gegenüberstehen; andererseits muss man mit Rücksicht auf gewisse Leute darauf achten, dass die Unterhaltung nicht allzu schwierig wird, damit sie auch etwas von sich aus dazu beisteuern können.«

»Bezieht sich diese Rücksichtnahme jetzt auf Sie, oder denken Sie mehr an meine Bequemlichkeit?«

»Beides trifft zu«, erwiderte Elisabeth schnell. »Wir sind nämlich beide sehr ähnlich veranlagt: wir sind beide ungesellig und schweigsam, das heisst, schweigsam nur, solange wir nicht überzeugt sind, dass unsere Worte alle Anwesenden in Ehrfurcht verstummen lassen und der Nachwelt als geistsprühende Gedankenblitze hinterlassen werden.«

»Diese Beschreibung wird Ihrem Charakter bestimmt nicht gerecht«, antwortete Darcy. »Inwieweit Sie den meinen getroffen haben, kann ich selbst natürlich nicht beurteilen. Sie glauben zweifellos, ein genaues Ebenbild von mir entworfen zu haben.«

»Ich will meine eigenen Fähigkeiten nicht loben.«

Er erwiderte nichts, und sie tanzten eine längere Weile schweigend, bis er sie fragte, ob sie und ihre Schwestern häufiger nach Meryton gingen. Sie bejahte und konnte der Versuchung nicht widerstehen, hinzuzufügen: »Als Sie uns neulich dort trafen, hatten wir gerade eine neue Bekanntschaft gemacht.«

Die Wirkung war verblüffend. Sein Gesicht wurde um noch einen Grad abweisender und hochmütiger, aber er sprach kein Wort, und auch Elisabeth wagte nichts mehr zu sagen, wenn sie sich auch innerlich wegen ihrer Feigheit schalt. Schließlich sagte Darcy kühl: »Mr. Wickham ist mit einem so vorteilhaften Auftreten gesegnet, dass er sich überall schnell Freunde erwirbt. Ob er die gleiche Geschicklichkeit beweist, wenn es gilt, sich die Freunde zu bewahren, ist sehr viel weniger gewiss.«

»Er hat ja leider das Unglück gehabt, Ihrer Freundschaft verlustig zu gehen«, entgegnete Elisabeth mit Nachdruck, »und das in einer Weise, unter der er sein ganzes Leben lang wird leiden müssen.«

Darcy erwiderte hierauf nichts und schien keine Lust zu haben, das Thema weiter zu verfolgen.

Elisabeth ließ sich aber nicht davon abbringen, den angefangenen Faden weiterzuspinnen.

»Ich erinnere mich, dass Sie einmal sagten, Sie seien unversöhnlich, wenn erst einmal Ihr Unwille erregt worden sei. Sie sind in solchen Fällen natürlich immer ganz sicher, dass Sie Grund zu dem Unwillen gehabt haben?«

»Selbstverständlich!« antwortete er mit fester Stimme.

»Sie lassen sich nie durch ein Vorurteil beeinflussen?«

»Ich hoffe doch nicht!«

»Leute, die eine einmal gefasste Meinung nicht wieder ändern können, sollten besonders bemüht sein, niemanden ungerecht zu verurteilen.«

»Wollen Sie mir nicht sagen, was Sie mit allen Ihren Fragen bezwecken?«

»Nichts anderes, als Ihren Charakter zu ergründen«, sagte sie mit einem Versuch, ihre Heiterkeit wiederzugewinnen. »Ich möchte zu gern dahinterkommen, was es mit Ihnen auf sich hat.«

»Und welchen Erfolg haben Sie zu verzeichnen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich fürchte, gar keinen. Man hört so viel Verschiedenes über Sie, dass ich jetzt überhaupt nicht weiß, was ich denken soll.«

»Das glaube ich Ihnen gern«, meinte er ernsthaft, »dass die Gerüchte über mich sehr weit voneinander abweichen. Und ich möchte Sie bitten, Miss Bennet, den Versuch, ein Bild von meinem Charakter zu entwerfen, auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben; denn ich fürchte, das Ergebnis würde gegenwärtig keinem von uns beiden eine Freude machen.«

»Aber wenn ich mir jetzt nicht ein Bild von Ihnen mache, werde ich vielleicht nie wieder eine Gelegenheit dazu bekommen.«

»Nun, ich will natürlich kein Spielverderber sein«, erwiderte er kühl.

Danach sprachen sie nicht mehr, und der Tanz ging im Schweigen zu Ende. Als sie sich getrennt hatten, blieb bei beiden ein Gefühl des Unbefriedigtseins zurück, wenn es auch verschiedenen Ursprungs war; denn Darcy verspürte eine Zuneigung zu ihr, die stark genug war, um bald ihre Verzeihung zu gewinnen, während sein Zorn sich gegen jemand anders richtete.

Elisabeth stand nicht lange für sich allein; Miss Bingley eilte auf sie zu und redete sie mit einer Miene höflich verdeckten Unwillens an: »Was höre ich, Miss Elisabeth, Sie sind ganz begeistert von George Wickham? Ihre Schwester hat mit mir über ihn gesprochen und mich tausenderlei gefragt. Dabei fiel mir auf, dass der junge Mann trotz aller Mitteilsamkeit vergessen hat, Ihnen zu berichten, dass sein Vater Verwalter bei dem alten Mr. Darcy war. Aber lassen Sie sich von mir als Ihrer guten Freundin den Rat geben, nicht zu blind allen seinen Behauptungen zu vertrauen. Dass Mr. Darcy ihn schlecht behandelt haben soll, ist zum Beispiel vollständig unwahr; Mr. Darcy ist im Gegenteil immer von einer ungewöhnlichen Langmut und Freundlichkeit gewesen, obwohl Wickham es ihm nie anders als mit der übelsten Undankbarkeit gelohnt hat. Ich kenne die näheren Einzelheiten nicht, aber ich weiß genau, dass Mr. Darcy in keiner Weise Schuld an der Entfremdung trägt, dass er den Namen Wickham in seiner Gegenwart nicht ausgesprochen haben möchte und dass mein Bruder, der ihn von der Einladung an die Offiziere anstandshalber nicht glaubte ausschließen zu können, heilfroh war, als er hörte, dass Mr. Wickham es vorzog, fern zu bleiben. Dass er es überhaupt wagte, hierher aufs Land zu kommen, ist der Gipfel der Unverschämtheit, und ich staune, dass sogar seine Unverfrorenheit sich nicht davor gescheut hat. Es schmerzt mich tief, meine liebe Elisabeth, Ihnen die Illusionen von Ihrem neuen Verehrer so grausam rauben zu müssen. Aber wenn man seine Herkunft bedenkt, dann wundert einen nichts mehr.«

»Seine Herkunft scheint in Ihren Augen sein größtes Verbrechen zu sein«, entgegnete Elisabeth aufgebracht, »denn die schlimmste Anschuldigung, die Sie vorbringen konnten, war die, dass er der Sohn von Mr. Darcys Verwalter ist — und diesen großen Fehler hat er mir sogleich selbst eingestanden!«

»Ach, ich muss Sie um Verzeihung bitten«, sagte Caroline und wandte sich mit einem spöttischen Lächeln zum Gehen. »Entschuldigen Sie meine Naseweisheit; sie war gut gemeint.«

»Eingebildete Pute!« dachte Elisabeth bei sich. »Du irrst dich aber gewaltig, wenn du meinst, mich mit solchen Lächerlichkeiten beeinflussen zu können. Das einzige, was mir daraus immer klarer wird, ist, wie dumm du bist und wie boshaft dein Darcy.«

Danach ging sie auf die Suche nach ihrer älteren Schwester, die Bingley über dasselbe Thema ausgefragt hatte. Sie traf Jane in einer Heiterkeit und Zufriedenheit, die keinen Zweifel über den guten Verlauf ihres Abends lassen konnten.

Elisabeth konnte sich unschwer in die Stimmung ihrer Schwester versetzen, und augenblicklich verschwanden ihre Unruhe um Wickham, ihr Ärger über seine Feinde vor der Freude, Jane so glücklich zu sehen.

»Jetzt musst du mir berichten«, sagte sie mit einem Gesicht, das nicht weniger heiter und zufrieden aussah als das ihrer Schwester, »was du über Wickham in Erfahrung bringen konntest. Aber vielleicht hast du dich zu gut unterhalten, um noch an einen dritten zu denken.«

»Nein«, antwortete Jane, »ich habe wohl an ihn gedacht. Aber viel kann ich dir nicht erzählen. Mr. Bingley kannte weder die ganze Vergangenheit von Wickham, noch wusste er, weswegen die Freunde sich verfeindeten. Aber er ist bereit, seine Hand für die Rechtlichkeit, den Anstand und die Wahrheitsliebe seines Freundes ins Feuer zu legen, und er zweifelt nicht einen Augenblick daran, dass Mr. Wickham nicht die Hälfte von all dem verdient hat, was er von Mr. Darcy an Freundlichkeit erfahren hat. Es tut mir sehr leid, aber sowohl nach Mr. Bingleys Darstellung wie nach der seiner Schwester scheint Mr. Wickham keineswegs eine sehr wünschenswerte Bekanntschaft zu sein. Ich fürchte, er hat sich sehr unklug betragen und Mr. Darcys Freundschaft mit Recht verloren.«

»Mr. Bingley kennt Mr. Wickham nicht selbst?«

»Nein, vor dem Morgen in Meryton hatte er ihn nie gesehen.«

»Dann ist sein Bericht also nur eine Wiedergabe dessen, was Mr. Darcy ihm erzählt hat. Das genügt mir. Sagte er noch etwas über diese Geschichte mit der Pfarre?«

»Er konnte sich nicht genau an die näheren Umstände erinnern, obgleich Mr. Darcy sie ihm mehr als einmal erklärt hat; aber er glaubte, dass das Testament sie nur unter einer gewissen Bedingung Wickham zusicherte.«

»Mr. Bingleys Aufrichtigkeit steht natürlich ganz außer Zweifel«, sagte Elisabeth, »aber du musst schon entschuldigen, dass ich mich nicht überzeugen lasse von dem, was er glaubt und meint. Dass Mr. Bingley so tatkräftig für seinen Freund eintritt, ist gewiss sehr schön; aber da er bloß Bruchstücke der Geschichte kennt und diese nur durch Mr. Darcy, ziehe ich es vor, meine Meinung über die beiden Herren nicht zu ändern.«

Sie ging dann auf ein anderes Thema über, das beiden mehr Freude machte und über das sie auch nur einer Meinung waren. Elisabeth vernahm mit herzlicher Anteilnahme, wie glücklich und hoffnungsfroh der Verlauf des Abends Jane gestimmt hatte, und sie tat alles, was sie konnte, um die Zuversicht der Schwester zu stärken. Als Bingley auf sie zutrat, wollte Elisabeth wieder ihre Freundin Charlotte aufsuchen. Da tauchte plötzlich Mr. Collins auf und teilte ihr freudig erregt mit, er habe eben durch einen ungewöhnlich glücklichen Zufall eine wichtige Entdeckung gemacht.

»Nämlich, ein naher Verwandter meiner verehrten Brotherrin befindet sich in diesem Augenblick mit mir unter einem Dach. Ich fing zufällig ein paar Worte im Vorbeigehen auf, die eben dieser Herr an die junge Dame richtete, die das Amt der Hausfrau versieht, und hörte dabei zu meinem Erstaunen, wie er von Miss de Bourgh als von seiner Cousine sprach. Wie seltsam ist doch dieses Zusammentreffen! Wer hätte je gedacht, dass ich auf diesem Fest einen Neffen von Lady Catherine treffen würde. Es erfüllt mich mit tiefster Befriedigung, dass mir diese Entdeckung noch rechtzeitig gelungen ist, so dass ich in der Lage bin, dem Herrn meine Reverenz zu machen, was ich unverzüglich tun werde; ich glaube und hoffe, er wird es mir verzeihen, dass ich es nicht schon eher getan habe. Die Tatsache meiner völligen Unkenntnis dieser verwandtschaftlichen Beziehung muss meine Lässigkeit entschuldigen.«

»Sie werden Mr. Darcy nicht anreden!«

»Aber selbstverständlich. Ich werde ihn bitten, Nachsicht mit meiner Versäumnis zu haben. Er ist höchstwahrscheinlich wirklich ein Neffe von Lady Catherine. Ich bin in der glücklichen Lage, ihm auf das Bestimmteste versichern zu können, dass Lady Catherine sich vor vierzehn Tagen äußerst wohl befunden hat.«

Elisabeth ließ nichts unversucht, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen: sie versuchte, ihm klar zu machen, dass Mr. Darcy seine unerwünschte Vorstellung viel eher als eine unverschämte Aufdringlichkeit ansehen würde denn als eine Artigkeit gegenüber seiner Tante; dass es höchst überflüssig sei, dass sie sich beide kennenlernten, und dass es überdies Mr. Darcy zustehe, den ersten Schritt zu tun, wenn es ihm so beliebe.

Mr. Collins hörte mit höflicher, aber fest entschlossener Miene zu, und als sie nichts mehr zu sagen wusste, erwiderte er:

»Meine liebe Elisabeth, Sie wissen, dass ich mich auf keines Menschen Worte lieber verließe als auf die Ihren, solange sie sich auf die Beurteilung von Dingen beziehen, die in Ihrem Erfahrungskreis liegen; aber erlauben Sie mir, Sie darauf hinzuweisen, dass notwendigerweise für die Geistlichkeit andere Formen des gesellschaftlichen Umganges richtunggebend sind als die, die Sie wohl eben meinten. Denn, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten wollen, das schwarze Gewand des Seelenhirten steht in keiner Weise dem Purpurmantel des Königs an Würde nach — vorausgesetzt, dass es stets mit einer gebührenden Bescheidenheit des Herzens getragen wird. Sie werden es mir daher nicht verübeln, wenn ich in diesem Fall der Stimme meiner inneren Überzeugung folge, die mich meine Pflicht zu tun heisst, wie ich es Ihnen soeben auseinandersetzte. Verzeihen Sie, dass ich davon absehe, Ihrem Rat Folge zu leisten, wie ich es sonst und in Zukunft zu tun immer bemüht sein werde, aber ich glaube, durch meine Erziehung und mein unermüdliches Studium besser in der Lage zu sein, in dieser Situation eine Entscheidung zu treffen, als eine junge Dame wie Sie.«

Und damit verbeugte er sich vor ihr und schritt würdevoll auf Darcy zu. Elisabeth beobachtete gespannt, was erfolgen würde. Darcys Erstaunen, als er sich plötzlich von einem wildfremden jungen Mann angeredet fand, war genau das, was sie erwartet hatte. Ihr Vetter sandte seiner Ansprache eine feierliche Verbeugung als Vorwort voraus, und obwohl sie keine Silbe vernehmen konnte, wusste sie genau, was gesprochen wurde; bisweilen glaubte sie, von den Lippen des Sprechers das eine oder andere Wort lesen zu können, wie ›Entschuldigung‹, ›Behausung‹ und ›Lady Catherine‹. Aber es ärgerte sie doch, dass ihr Vetter sich vor einem solchen Menschen derart bloßstellte. Darcy hörte ihn mit wachsendem und unverhohlenem Staunen an, und als Mr. Collins ihm schließlich Gelegenheit gab, etwas zu erwidern, tat er es mit einer Miene kühlster Höflichkeit. Mr. Collins ließ sich dadurch nicht entmutigen, und im Laufe seiner zweiten Rede verwandelte sich Darcys anfängliches Staunen in abweisende Verachtung; er nahm sich nicht einmal mehr die Mühe zu antworten, sondern wandte sich mit einem unhöflichen Kopfnicken ab und Mr. Collins kam zu Elisabeth zurück.

»Mein Empfang hat mich auf das höchste befriedigt«, sagte er. »Mr. Darcy schien die kleine Aufmerksamkeit sehr zu schätzen. Er antwortete mit größter Zuvorkommenheit und machte mir sogar das Kompliment, dass er Lady Catherines Art zu gut kenne, um nicht zu wissen, dass sie ihre Freundschaft immer dem Richtigen zuwende. Ich muss sagen, ich finde das sehr freundlich gedacht. Ich bin sehr von ihm angetan.«

Nun, da Elisabeths Aufmerksamkeit nicht mehr anderweitig abgelenkt wurde, konnte sie um so mehr auf ihre Schwester und Mr. Bingley achten; und was sie sah, stimmte sie fast ebenso fröhlich wie Jane. Sie schaute sie im Geiste schon als Frau in diesem Hause und so glücklich, wie eben nur eine wirkliche Liebesheirat einen Menschen zu machen vermag; unter solchen Umständen fühlte sie sich sogar bereit, Bingleys beide Schwestern gern zu haben. Sie sah auch die Gedanken ihrer Mutter dieselben Wege gehen, und sie nahm sich vor, ihr nicht zu nahe zu kommen, um nicht so viel davon hören zu müssen. Sie empfand daher den Zufall besonders tückisch, als Mrs. Bennet bei Tisch in ihrer unmittelbaren Nähe Platz nahm. Natürlich sprach ihre Mutter laut und angeregt zu ihrer Freundin Lady Lucas von nichts anderem als von ihrer Hoffnung, Jane in Bälde mit Bingley verheiratet zu sehen.

Das Thema sowohl wie Mrs. Bennets Redefluss schienen unerschöpflich zu sein, während sie die Vorzüge einer solchen Partie einen nach dem anderen aufzählte und besprach. Zunächst dürfe man sich dazu gratulieren, dass er ein so reizender junger Mann sei und dazu noch so reich und dass er nur knapp drei Meilen von Longbourn entfernt wohne; und dann — sei es nicht sehr beruhigend zu wissen, dass seine beiden Schwestern Jane so tief in ihr Herz geschlossen hätten und die Verbindung mit nicht geringerer Freude erwarteten als sie, Mrs. Bennet, selbst? Weiterhin verspreche doch eine so vorteilhafte Heirat viel für die Zukunft auch ihrer jüngeren Kinder, indem sie dadurch natürlich leichter Gelegenheit finden würden, gute Partien zu machen. Und schließlich und endlich, wie sehr freue sie sich nicht darauf, ihre ledigen Töchter nun der Ältesten anvertrauen zu können, so dass es ihr selbst erspart bliebe, in ihrem Alter noch so häufig Gesellschaften geben und besuchen zu müssen! Diesen Punkt mit einem Seufzer der Erleichterung als besonders erfreulich hervorzuheben, gehörte bei einem solchen Anlass zum guten Ton; im übrigen gab es wohl keine Frau, ganz gleich welchen Alters, der die Aussicht, ruhig zu Hause bleiben zu dürfen, weniger Freude bereitet hätte als Mrs. Bennet. Sie schloss ihre Hymne mit den besten Wünschen, Lady Lucas möge bald von einem ähnlichen Glück sprechen können, wobei allerdings ihr Gesicht deutlich die siegesfreudige Überzeugung verriet, dass nichts sie mehr in Erstaunen versetzen würde.

Vergeblich versuchte Elisabeth, den Wortstrom ihrer Mutter einzudämmen oder sie doch wenigstens zu veranlassen, ihr Glück in einem weniger hörbaren Flüsterton zu verkünden; denn zu ihrer größten Beschämung bemerkte sie, dass Darcy, der ihnen gegenüber saß, aufmerksam zuhörte.

Ihre Mutter aber schalt sie nur, sie solle doch keinen Unsinn reden.

»Wer ist denn Mr. Darcy, ich bitte dich, dass ich mich vor ihm in acht nehmen sollte? Ich bin der Meinung, dass wir ihm gegenüber in keiner Weise verpflichtet sind, darauf Rücksicht zu nehmen, was er hören will oder nicht.«

»Um Himmels willen, Mutter, sprich doch bitte leiser! Was hast du davon, Mr. Darcy zu beleidigen? Seinem Freund wirst du dadurch nicht besser gefallen!«

Aber sie konnte sagen, was sie wollte, nichts wirkte. Ihre Mutter gab ihren Ansichten und Hoffnungen weiter in der hörbarsten Weise Ausdruck. Elisabeth kam vor Scham und Ärger aus dem Erröten nicht heraus. Sie konnte es nicht lassen, hin und wieder zu Darcy hinüberzuschielen, obgleich ihr jeder ihrer Blicke bestätigte, was sie fürchtete; er sah zwar nicht immer zu ihrer Mutter hin, aber er schien mit größter Aufmerksamkeit auf ihre Worte zu lauschen. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich allmählich von ärgerlicher Verachtung zu gefasster Ruhe.

Zu guter Letzt jedoch fand selbst Mrs. Bennet nichts mehr zu sagen; und Lady Lucas, die schon lange innerlich gegähnt hatte, durfte sich endlich in Ruhe dem kalten Huhn und dem Schinken widmen.

Elisabeth begann wieder aufzuatmen.

Als nach dem Essen die Rede vom Musizieren war, ließ sich Mr. Collins also vernehmen: »Wenn ich die Gottesgabe besäße, singen zu können, würde es mir ein großes Vergnügen sein, den Anwesenden mit einem Liedchen zu dienen. Denn ich betrachte die Musik als eine sehr unschuldige Unterhaltung und in keiner Weise mit dem Beruf eines Geistlichen unvereinbar. Damit will ich jedoch nicht gesagt haben, dass wir zu viel unserer Zeit mit Musik hinbringen sollten; denn es gibt noch mancherlei anderes, das getan sein will. Ein Seelsorger ist Vater seiner Gemeinde und hat als solcher vielerlei Verpflichtungen. Zunächst muss er einmal dafür Sorge tragen, dass die Kirchenabgaben ihm selbst zum Wohl und seinem Patron nicht zum Ärger gereichen. Sodann hat er seine Predigten selbst auszuarbeiten. Und die Zeit, die ihm darüber hinaus noch bleibt, ist nicht allzu reichlich bemessen, wenn er seinen sonstigen Pflichten in der Gemeinde nachgehen und seinem Heim die notwendigen Verbesserungen angedeihen lassen will; denn es gibt keine Entschuldigung für ihn, wenn er sich nicht so wohnlich und gemütlich wie möglich einzurichten versteht. Auch erachte ich es für keine geringe Aufgabe, gegen jedermann ein liebenswürdiges und aufmerksames Betragen an den Tag zu legen, zumal denen gegenüber, denen er seine Stellung verdankt. Ich würde nicht viel von einem Menschen halten, der eine Gelegenheit versäumt, seine Hochachtung irgendeinem Mitglied der Familie seines Gönners zu erweisen.«

Und mit einer Verbeugung gegen Darcy hin verstummte er endlich. Er war überall im Zimmer gut verständlich gewesen. Viele starrten ihn erstaunt an, viele lächelten; aber niemand schien sich besser unterhalten zu haben als Mr. Bennet, während seine Frau Mr. Collins ob seiner verständigen Worte lobte und Lady Lucas laut flüsternd mitteilte, das sei ein ungewöhnlich kluger, netter junger Mensch.

Elisabeth kam zu der Auffassung, dass ihre ganze Familie sich verschworen haben musste, sich im Laufe des Abends so nachdrücklich wie möglich bloßzustellen. Ein Glück nur, Bingley schien wenig davon bemerkt zu haben. Dass aber seine beiden Schwestern und Mr. Darcy Gelegenheit hatten, über die Bennets zu lachen, war mehr als schlimm; Elisabeth wusste nur nicht, was sie mehr ärgerte, die schweigende Verachtung Darcys oder das unverschämte Lächeln der beiden Damen.

Der Rest des Abends brachte kaum noch Erfreuliches. Mr. Collins, der ihr nicht von der Seite wich, fiel ihr auf die Nerven; und wenn es ihm auch nicht gelang, einen weiteren Tanz von ihr zu erhalten, so hinderte er sie doch, von jemand anderem gebeten zu werden. Es nützte nichts, dass sie ihn immer wieder ersuchte, eine der anderen Damen aufzufordern, mit denen sie ihn bekanntmachen wollte. Er versicherte ihr, dass ihm am Tanzen überhaupt nicht viel gelegen sei, sondern nur daran, ihr Gefallen zu gewinnen, und dass er daher vorhabe, sie nicht einen Augenblick allein zu lassen. Dagegen ließ sich leider schwerlich etwas sagen oder tun. Ihre einzige Erholung verschaffte ihr Charlotte Lucas, die sie wiederholt aufsuchte und gutmütig einen Teil von Mr. Collins’ Unterhaltung auf sich nahm.

Wenigstens hatte Elisabeth nichts weiter von Mr. Darcy zu befürchten; obwohl er sich häufig in ihrer Nähe aufhielt, versuchte er doch nie, sie anzureden. Sie schrieb dies ihrem Gespräch über Wickham zu und freute sich darüber.

Die Longbourn-Familie brach als letzte auf. Durch ein geschicktes Manöver hatte Mrs. Bennet es nämlich verstanden, die Vorfahrt ihres Wagens um eine gute Viertelstunde zu verzögern, nachdem sich die ganze übrige Gesellschaft schon verabschiedet hatte; die feinfühligeren Mitglieder der Familie fanden so reichlich Musse, feststellen zu können, wie herzlich einige von den Netherfields sie aus dem Hause wünschten. Mrs. Hurst und ihre Schwester Caroline öffneten den Mund lediglich, um zu gähnen und sich für todmüde zu erklären. Sie erwiesen sich gegenüber jedem Versuch Mrs. Bennets, irgendwelches Gespräch anzuknüpfen, als unzugänglich, und das gelangweilte Schweigen, das sich infolgedessen über die Anwesenden breitete, fand eine eintönige Unterbrechung nur durch eine längere Rede Mr. Collins’, in der er Mr. Bingley und seinen Schwestern seine Bewunderung zollte für das gelungene Fest und die Aufmerksamkeit, die sie in so liebenswürdiger Weise ihren Gästen erwiesen hätten. Darcy sagte gar nichts. Mr. Bennet schwieg ebenfalls, genoss aber die Szene innerlich mit großem Behagen. Mr. Bingley und Jane standen ein wenig abseits und unterhielten sich leise miteinander. Elisabeth wetteiferte mit Darcy und ihrem Vater im Schweigen. Und sogar die sonst unermüdliche Lydia war zu abgespannt, um mehr als ein vernehmliches Gähnen zur Unterhaltung beizusteuern.

Als es dann endlich so weit war, dass man aufbrechen konnte, gab Mrs. Bennet ihrer Hoffnung beredten Ausdruck, alle Netherfielder auch einmal bei sich in Longbourn als Gäste begrüßen zu dürfen. Sie wandte sich dabei besonders an Bingley und versicherte ihm, sie würden sich alle schrecklich freuen, wenn er einmal an einem ganz zwanglosen Essen im Kreise der Familie teilnehmen wolle; er sei zu jeder Zeit willkommen, einer besonderen Einladung bedürfe es dazu nicht. Bingley dankte ihr erfreut und versprach, bei erster Gelegenheit sie beim Wort zu nehmen, sobald er von London wieder zurückgekehrt sei, wohin er am folgenden Tage auf kurze Zeit fahren müsse.

Mrs. Bennet war hochbefriedigt und verließ das Haus mit der festen Überzeugung, dass es jetzt nur eine Frage der Vorbereitungsdauer für die Ausstattung, für eine neue Kalesche und die Brautkleider sei, ob ihre älteste Tochter schon in drei oder erst in vier Monaten auf Netherfield ihren Einzug halten würde. Dass sie eine weitere Tochter an Mr. Collins verheiraten werde, stand für sie gleichfalls fest, was ihr eine zwar nicht ebenso große, aber doch immerhin eine erhebliche Befriedigung verschaffte. Elisabeth war ihr von allen ihren Kindern am wenigsten lieb; und obwohl Mr. Collins sich natürlich nicht im entferntesten mit Mr. Bingley messen konnte, erschien er ihr für diese Tochter als Partie und Ehegatte gut genug.

Stolz und Vorurteil & Emma

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