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Schritt 1: Entspann Dich – Es ist alles halb so wild
ОглавлениеFür mich gibt es Wichtigeres im Leben als die Schule.
Mark Twain, amerikanischer Schriftsteller
Worum es nicht geht
Während meines Studiums habe ich vielen Schülern Nachhilfe gegeben. Und wie es Nachhilfe halt so an sich hat, sind nicht diejenigen Schüler vorbeigekommen, die gute Noten schreiben. Es waren natürlich eher diejenigen, die Probleme hatten. Zu Beginn der Nachhilfe reichten die Noten dabei von einer knappen Drei bis zur glatten Sechs. Die älteren Schüler habe ich am Anfang gerne gefragt, was sie sich von der Nachhilfe erwarten. Die Antworten waren im Wesentlichen drei:
- „Ich will in der nächsten Arbeit eine Drei / Vier / keine Fünf schreiben“,
- „Ich will im nächsten Zeugnis eine bessere Note haben“,
- „Keine Ahnung. Meine Eltern wollen, dass ich hierher komme.“
So verständlich diese Antworten sind, könnten sie kaum weniger zielführend sein. Warum? In der Regel kommt jemand, der regelmäßig gute Noten schreibt, aber mal eine Fünf hingelegt hat – am besten noch an einem Tag, an dem er krank war – nicht gleich in die Nachhilfe. Warum auch? Er beherrscht doch den Stoff. Man setzt sich auch wegen eines kleinen Schnupfens nicht freiwillig in das Wartezimmer eines Arztes. Diesen Schritt geht erst, wer über längere Zeit Schwierigkeiten hat. Und da liegt das Problem. Mal ehrlich, wie kann jemand, der über mindestens ein halbes Jahr – häufiger schon mehrere Jahre – mittelmäßige bis schlechte Noten in einem Fach geschrieben hat, erwarten, innerhalb von vielleicht vier Wochen in die Bundesliga aufzusteigen? Das funktioniert nicht.
Was am Anfang stehen sollte
Mit den neuen Nachhilfeschülern habe ich in der ersten Stunde kaum Unterricht gemacht. Im Gegenteil, Ziel war es am Anfang, dem Häufchen Elend zwei Dinge klarzumachen:
Erstens, die Note der nächsten Klassenarbeit interessiert mich – Entschuldigung – einen Dreck. Dafür ist es im Zweifelsfall eh schon zu spät. Man kann nicht innerhalb von vier Wochen aufholen, was in zwei bis drei Jahren schief gelaufen ist. Wenn überhaupt, interessiert die Note im nächsten Zeugnis. Aber selbst wenn im nächsten Zeugnis noch eine Fünf steht: Na und? Im Ernst, es interessiert wirklich niemanden; von hysterischen Eltern, dem in Panik versetzten Schüler und seinen mahnenden Lehrern mal abgesehen. Angenommen, Du bist fünfzehn Jahre alt und im Zeugnis der neunten Klasse steht eine Fünf in Mathe. Jetzt versuche Dir mal vorzustellen, Du bist neunzehn Jahre und stehst kurz vor dem Abitur, hast die Ausbildung fast abgeschlossen oder gerade ein Studium angefangen. Zugegeben, sich vier Jahre in der Zukunft vorzustellen, ist für einen Teenager sicher schwierig, schließlich sind vier Jahre ca. ein Viertel seines bisherigen Lebens. Trotzdem lohnt sich die Übung. Falls es Dir schwerfällt, versuche Dich vier Jahre zurückzuerinnern und denke daran, was in diesen vier Jahren alles passiert ist. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass in den nächsten vier Jahren weniger passieren wird. In dem Moment fällt Dir vielleicht Dein Zeugnis aus der neunten Klasse in die Hand und Du siehst die Fünf. Wie wirst Du wohl darüber denken? Deine Gedanken werden möglicherweise folgende sein: „Ach ja, damals. Was habe ich mir Sorgen darüber gemacht, dass ich Mathe nie verstehen werde. Der Lehrer (Eltern, Oma, Opa oder sonst wer) hat gesagt, ich müsste mehr lernen. Ansonsten wird nichts aus mir. Naja, hat ja doch geklappt.“ Woher ich das weiß? Ich hab’s vielfach gesehen. Und ich habe es selber erlebt.
In der zwölften Klasse stand eine Klausur in Erdkunde an. Das Thema war in etwa „Wirtschaftliche Entwicklung Afrikas“. Ich weiß die Aufgabe nicht mehr genau. Es ging irgendwie darum, die wirtschaftliche Situation einiger afrikanischer Länder zu beschreiben und zu vergleichen. Dafür hatte der Lehrer uns einiges Material und einige Zahlen gegeben. Unter anderem führte er auch das Bruttoinlandsprodukt an. Das ist eine Größe, die vereinfachend gesagt beschreibt, wie viele Güter in einem Land in einem Jahr produziert werden. Um ehrlich zu sein, hat mich das Thema damals ziemlich gelangweilt. Also habe ich in der Klausur darüber diskutiert, ob das Bruttoinlandsprodukt überhaupt eine geeignete Größe ist, um die Wirtschaft bzw. allgemeiner das Wohlergehen eines Landes zu berücksichtigen. Die Klausur bekam ich dann mit einer Fünf minus zurück. Nach den damaligen Regeln der Notenbildung hätte ich rein rechnerisch im Zeugnis bestenfalls eine Drei minus bekommen können (bei einer Eins plus im Mündlichen, die ich mit Sicherheit nicht hatte). Am Ende bekam ich eine glatte Drei – der Lehrer hatte im Gegensatz zu mir die Vorschrift zur Notenberechnung offensichtlich nicht gelesen. Dann meinte besagter Lehrer noch, dass er von mir sehr enttäuscht sei. Tja, ein Lehrer, den ich nicht sonderlich mochte, war von mir enttäuscht. Die Welt kann gemein sein.
Das zweite, das ich meinen Schülern klar gemacht habe, war, dass sie sicher nicht dümmer sind als andere. Und, ja, das schließt den (Nachhilfe-) Lehrer mit ein. Was ist der Unterschied zwischen dem siebzehn Jahre alten Schüler und dem einige Jahre älteren Lehrer? Letzterer hat den Kram schon ein paar hundert Mal häufiger gemacht und folglich eine Menge mehr Übung. Außerdem kennt er ein paar Tricks, die einem das Leben vereinfachen. Das ist alles.
Und egal wie schlecht Du Dich fühlst, es gibt mit Sicherheit immer jemanden, der noch schlechter ist und es trotzdem geschafft hat.
Meine mit Abstand schlechteste Nachhilfeschülerin war ein Mädchen, das Anfang der zwölften Klasse zu mir kam. Und obwohl ich grundsätzlich jedem Schüler alles zutraue, hatte ich hier doch massive Zweifel, ob sich alles zum Guten wenden würde. In gewissem Sinne war der Fall schon fast klassisch. Die junge Dame hatte die Realschule abgeschlossen und war danach auf ein Fachgymnasium gewechselt. Durch die elfte Klasse hatte sie sich irgendwie durchgewurschtelt. Das Problem kam, als sie ihre Leistungskurse wählen sollte. Wirklich gut war sie in keinem Fach. Aber – welch ein Glück – auf der Realschule war sie ja gut in Mathe. Leider hatte sie in der elften Klasse in Mathe nicht wirklich etwas verstanden. Es kam, wie es kommen musste. Die erste Klausur in der zwölften Klasse war eine glatte Sechs. Und das völlig zu Recht. Da war nichts. Gar nichts. Und zu allem Überfluss hatte sie auch noch einen Lehrer, der für seinen Unterricht nicht die Bücher für die Schule, sondern die für die Universität benutzt hat. Aber aufgeben wollte sie nicht. Also hat sie sich hingesetzt und an ihrem Problem gearbeitet. Das Ergebnis? Am Ende hatte sie eine Eins und hat die beste Abiturklausur ihres Kurses geschrieben. Respekt! Was war der Grund dafür? War sie besonders schlau? Nö. Hatte sie etwa ein Talent für Mathe? Sicher nicht. Sie hat lediglich zwei Dinge getan: Erstens, sie hat konzentriert gearbeitet und zweitens, sie hat mir geglaubt, dass es besser ist, entspannt an die Dinge heranzugehen. Interessant war übrigens ihre Antwort auf meine Frage, was sie sich von der Nachhilfe denn erwarte: „Ich will Finanzbeamtin werden. Das kann ich vergessen, wenn ich im Abizeugnis eine schlechte Note in Mathe habe.“ Mal abgesehen davon, dass ich bis heute davon überzeugt bin, dass nur eine noch unbekannte Krankheit dafür verantwortlich sein kann, dass eine Siebzehnjährige ausgerechnet Finanzbeamtin werden will, hat ihr das Ziel erst im Zeugnis eineinhalb Jahre später eine gute Note haben zu wollen, sicher die nötige Ruhe verliehen.
Nimm’s leicht
Wenn Du die Dinge leicht nimmst, werden sie meist tatsächlich leicht. Das gilt auch für die Klassenarbeiten selbst. Wenn Du merkst, dass gerade gar nichts geht, hilft es überhaupt nicht, sich krampfhaft auf die Aufgabe zu konzentrieren. Mache das Gegenteil: Entspann Dich, mach die Schultern locker, presse die Zähne nicht aufeinander und schaue kurz einen Augenblick aus dem Fenster. Sieh Dir danach wieder die Aufgabe an. Wenn es immer noch nicht geht, machst Du halt mit der nächsten Aufgabe weiter. Solltest Du bereits bei der letzten Aufgabe angekommen sein, umso besser. Der Großteil ist doch schon geschafft.
Um es kurz zusammenzufassen: Wenn Du das nächste Mal wieder das Gefühl hast, dass gar nichts geht, dass Du zu blöd bist, dass die Welt untergeht oder was auch immer, stelle Dir kurz folgende Fragen: Ist jemand verletzt? Ist jemand in Lebensgefahr? Nein. Gut, dann besteht ja kein Grund zur Panik.