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Den Bauplan entfalten

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In den vergangenen Jahren wurde ich immer wieder damit konfrontiert, dass mein literarisches Können sich auf das Erzählen meines eigenen Weges beschränkt. Die Wahrheit ist: Ich habe nie gelernt, eine andere Geschichte zu erzählen als die meinige. Das habe ich lange Zeit für eine Schwäche gehalten, für etwas, das egozentrisch und unflexibel ist. Heute weiß ich, dass meine Stärke darin liegt, meine Stimme für die Dinge zu erheben, die ich kenne. Damit ein eingegrenztes Feld an Themen zu bedienen, die ich am eigenen Leib erfahren durfte und musste. Erst im Prozess ergibt sich eine Schnittmenge zu anderen Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und daraus etwas beziehen, das sich Kraft und Hoffnung nennt. Ich sauge mir nichts aus den Fingern, ich er- und durchlebe jedes Wort. Es hat sich gezeigt, dass es für mich und andere eine Rolle spielt, laut zu sein, Raum einzufordern und mich nicht irritieren zu lassen von dem Gegenwind, der mir manchmal entgegenblies. Denn die eigenen Karten auf den Tisch zu legen bewirkt nicht nur Zuspruch. Ich habe mich oft in Frage gestellt, und das tue ich immer noch. Fragen sind mir ein wichtiges Werkzeug, um stets sicherzustellen, dass ich noch bei mir bin.

Ich habe immer zu viel gesagt. Was andere als Ehrlichkeit rühmen, war die Nausea meiner Gefühle, das Herausbrechen jeder Empfindung in Buchstabenform. Ich trage mein Herz nicht auf der Zunge, ich schiebe es vor mir her wie einen überfüllten Einkaufswagen. Wie andere ihre Wahrheiten luftdicht verpackt über Jahrzehnte auf ihren Dachböden lagern, ist mir ein Rätsel. Jedes Mal, wenn mein Gegenüber in der Flut meiner Farben verstummt, zögere ich für einen Moment, doch ich weiß, ich werde es wieder tun. Ich schweige nicht, ich mache mich nicht mehr kleiner, als ich bin. Ich bin ein Meer ohne Reue, bin ein Geständnis ohne Furcht. Selbst wenn mein Gesagtes Inseln und Wege verschluckt – ich weiß, ich war nie gut darin, ein Geheimnis zu bleiben. Heute möchte ich im Gegensatz zu einem unko-ordinierten Teilen festgeschrieben sein, eindeutig und klar. Mein Gold schöpfe ich nicht aus der Stille, sondern aus dem Sturm und Donner meiner Worte, die sprudeln, wann immer sie müssen.

Ich möchte mit der Annahme aufräumen, die offensive Selbstdarstellung sei eine narzisstische Störung, die Versinnbildlichung eines egozentrischen Weltbilds oder rühre von einem übersteigerten Selbstbild her. Ganz im Gegenteil erwuchs sie bei mir aus einer Reihe an Unsicherheiten. Ich möchte das Vorurteil beseitigen, dass Menschen, die ihr Privatleben nach außen tragen, nicht mehr privat seien. In den vergangenen Jahren habe ich eine harte Schule durchlaufen, um die Grenzen zwischen dem Schreiben und dem Gelebten zu versetzen, anzupassen und letztlich für mich und mein Leben zu adaptieren.

Ich werde die Einschnitte und Wegmarken meines Lebens nutzen, um zu veranschaulichen, wie Offenheit entstehen kann und welche Wellen sie schlägt. Um zu zeigen, dass das gesamte Leben dem Bild der Wellen sehr nahekommt. Nicht umsonst fühlen wir Menschen uns dem Wasser derart verbunden, es liegt in unserer Natur. Wir bestehen zu einem Großteil aus Wasser, fühlen mit Seen und Flüssen oder dem Meer eine tiefe Verbundenheit. Die Bewegung der Wellen hat etwas Beruhigendes. Was ich beschreibe, mag an manchen Stellen ungemütlich sein, aber gerade dadurch entsteht ein neuer Habitus inmitten einer Gesellschaft, in der es vielen immer noch schwerfällt, offen zu sprechen. Ich bin ein ungeduldiger Mensch. Das macht meine Entscheidungen nicht unüberlegt, es verringert bloß die Distanz zur Umsetzung.

Ich habe in meinem jungen Leben viel Schönes und gleichermaßen Hässliches erfahren. Ich übersetze diese Erlebnisse in eine Sprache, von der ich mich nicht mehr befreien möchte. Was sich dank ihr abzeichnet, ist eine Route durch die Beschaffenheit meiner Innenräume: mein Weg zur Offenheit. Was ich anhand biografischer Einschnitte und Erlebnisse beschreibe, sind Eckpunkte und Möglichkeiten, die sich uns allen darbieten können. Nicht Jede*r wird sich damit identifizieren können oder gar davon profitieren, ich habe das Rad nicht neu erfunden. Die folgenden Seiten sind lediglich ein Beispiel dafür, wie es auch funktionieren kann: sich einzufinden in eine oftmals nicht vollends nachvollziehbare Ordnung, genannt Leben. Ich lade dazu ein, mich kennenzulernen. Dort, wo die Hautoberfläche ganz dünn zusammenläuft und nicht reißt. Genau dort, wo ein kühler Windstoß oder eine Berührung die Härchen aufstellt und über unsere Nervenbahnen ins limbische System gerät. Dort, wo wir etwas empfinden.

Und genau hier beginnt die Reise, die Seite für Seite auch die Möglichkeit bietet, sich selbst aufzublättern, sich zu begegnen und mit einem Luftzug die Tür zu einer anderen Welt, einer anderen Erfahrung einen Spaltbreit zu öffnen.

Offenheit

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