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Rückblick
ОглавлениеDie gesetzliche Krankenversicherung bestand Ende der 1960er Jahre aus über 1.800 einzelnen Krankenkassen. Die Mitgliederzahl einer Krankenkasse betrug zwischen einigen Hundert und einigen Millionen Menschen. Der größte Anteil an den Krankenkassen war der der Betriebskrankenkassen. Die höchsten Mitgliederzahlen lagen seinerzeit bei den Ersatzkassen.
Die Krankenkassen wurden früher von der Vertreterversammlung, dem Vorstand und dem Geschäftsführer verwaltet. Ab 1996 wurde aus Vertreterversammlung und Vorstand der Verwaltungsrat. Aus dem Geschäftsführer wurde der Vorstand. Die Selbstverwaltungsorgane der einzelnen Krankenkassen beschlossen die Satzung der Krankenkasse, und als Teil der Satzung den Beitragssatz. Der Beitragssatz musste so geplant werden, dass aufgrund des aufgestellten Haushaltsplanes eine Kostendeckung zustande kam. Außerdem war jede Krankenkasse verpflichtet, eine Rücklage zu bilden, um auch dann ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können, wenn die Ausgaben unplanmäßig angestiegen waren.
Weitere Bestandteile der Satzung sind die Leistungen, die von den Krankenkassen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben selbst gestaltet werden können.
Die Aufsichtsbehörden müssen die Satzung und damit den Beitragssatz genehmigen.
Aufgrund dieser Bestimmungen gab es zwischen den Krankenkassen zum Teil erhebliche Unterschiede in der Höhe der Beitragssätze. Das lag an unterschiedlichen Krankheitsrisiken der Mitglieder, an zum Teil großen Unterschieden der Einkommen und an den Verwaltungskosten der einzelnen Krankenkassen. Die Betriebskrankenkassen (BKK) hatten den Vorteil, dass die Trägerunternehmen, für die die BKK errichtet war, die Sachkosten der Verwaltung sowie die Personalkosten der BKK trugen.
Die Beiträge zur Krankenversicherung werden schon immer nach der Höhe der Einkünfte berechnet. Wenn also eine Krankenkasse nur für Angestellte mit technischen Berufen errichtet war, so konnte man davon ausgehen, dass dort auch hohe Beitragseinnahmen erzielt wurden. Ebenso verhielt es sich bei den Betriebskrankenkassen. War eine BKK für die Beschäftigten eines Unternehmens der Chemischen Industrie oder der Metallindustrie zuständig, wurden die Beiträge von durchschnittlich höheren Einkünften berechnet, als dies bei beispielsweise bei einer BKK der Fall war, die für ein Unternehmen des Einzelhandels errichtet wurde.
Ab 1996 wurde das gesamte System der gesetzlichen Krankenversicherung entscheidend geändert. Die Zuständigkeit der Krankenkassen wurde erweitert.
Galt bisher, dass nur Angestellte in den Angestellten-Ersatzkassen Mitglied werden konnten, so war dies vorbei. Fortan konnten auch Arbeiter in die Ersatzkassen wechseln. Arbeiter in Unternehmen mit einer BKK mussten bis 1996 in der BKK des Unternehmens versichert werden. Jetzt konnten sie sich die Krankenkasse aussuchen. Die Betriebskrankenkassen konnten sich „öffnen“. Das bedeutete, dass auch nicht dem Unternehmen angehörende Personen in die BKK wechseln konnten.
Das wirbelte die Risiken der Krankenkassen erheblich durcheinander. Vorbei war die Zeit der Krankenkassen mit „Eliteversicherten“.
Nun hatten die Beitragssätze eine große Bedeutung für viele Menschen. Bei Unterschieden von mehreren hundert Mark im Jahr war es schon verlockend, eine andere Krankenkasse zu wählen. Der mit dieser Änderung einhergehende neue Wettbewerb endete letztlich für einige Krankenkassen mit der Schließung. Kluge Krankenkassenverantwortliche schlossen sich mit einer oder mehreren Krankenkassen rechtzeitig zusammen. Die Zeit der Fusionen begann.
Zunächst begannen bei den bisherigen „Pflichtkrankenkassen“ die Überlegungen, wie sie für jetzige und zukünftige Mitglieder interessant werden könnten. Viele Krankenkassen hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt doch kaum um Mitglieder bemühen müssen, da diese per Gesetz zugewiesen wurden. Jetzt wurde bei den Betriebskrankenkassen überlegt, ob es sinnvoll sei, sich für Mitglieder zu öffnen, die nicht aus dem Trägerunternehmen kamen. Die „Öffnung“ einer BKK bedeutete, dass fortan auch die Verwaltungskosten von der BKK alleine zu tragen waren.
Wenn man sich öffnete, musste man sich auch darum bemühen, bekannt zu werden. Das war bei der großen Anzahl an Krankenkassen gar nicht so einfach. Also wurde das Marketing eingeführt oder verbessert.
Was ist Marketing, wie macht man Marketing? Viele Krankenkassen waren mit diesem Thema überfordert. Also holte man sich von „Fachleuten“ Rat. Guter Rat ist teuer. Das zeigt sich immer wieder. Auch hier.
Jede Krankenkasse beschäftigt viele gute und sehr gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese haben sicher auch gute Marketingideen. Schließlich haben sie ihren Beruf erlernt. Außerdem haben sie von ihren Versicherten immer wieder gehört, welche Wünsche diese haben, welche Themen interessant sind oder was erklärt werden muss. Vorausgesetzt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren in der Lage, den Versicherten überhaupt zuzuhören.
Echte Marketing-Experten haben auch richtig viel Ahnung. Nicht unbedingt von Krankenkassen. Aber das konnte zunächst nur den stören, der es besser wusste. Sicher wussten es auch einige Krankenkassenfachleute besser. Aber was zählt schon der Prophet im eigenen Lande. Fremde Dienstleistungsunternehmen wurden mit ins Boot genommen, um den Krankenkassen ein neues oder besseres Image zu verpassen. Die Aufgabe des Marketings war, die Krankenkasse in der Bevölkerung bekannt zu machen.
So wurden die verschiedensten Instrumente eingesetzt, um Mitglieder zu werben oder zu halten.
Mitgliederzeitschriften gibt es schon immer. Aber nicht bei allen Krankenkassen oder nicht für alle Mitglieder. Was sollten diese Zeitschriften erreichen? Zunächst einmal Information für die Mitglieder. Welche Information ist wichtig? Richtig: Information zur Gesundheit oder über die Krankenkasse sowie Gesetzes- oder Satzungsänderungen. Da man jedoch davon ausging, dass das nicht genügte, kamen dann Bücherempfehlungen, Preisrätsel, Reiseangebote und Kochrezepte hinzu. Man hätte auch den Umfang der Zeitschrift verringern können.
Es folgten viele Auftritte der Krankenkassen in der Öffentlichkeit. Kaum ein Autohaus stellte am Wochenende seine neuen fahrbaren Untersätze aus, ohne dass zusätzlich Krankenkassen ihren Service und ihre Leistungen ebenfalls an einem Aktionsstand darboten. So hatte die Bevölkerung außer der Plastiktüte mit Autoprospekten eine zweite Plastiktüte mit Werbematerial der Krankenkasse nach Hause zu schleppen. Bei dieser Gelegenheit wurden Blutdruckmessungen, Blutzuckerbestimmungen oder Herz-/ Kreislauftests durchgeführt. Der Wert solcher Aktivitäten hielt sich in Grenzen. Kinder wurden geschminkt, Erwachsene fotografiert und viele sinnfreie Aktivitäten mehr gab es an solchen Aktionstagen. Geld für Marketing schien keine große Rolle zu spielen.
Nach und nach überlegte man dann, wie sich das Marketing, wenigstens teilweise, refinanzieren lässt. Man brachte in der Mitgliederzeitschrift Werbung unter. Letztlich blieb auch noch ein wenig Platz für die echte Information übrig. Jedenfalls erreichten die Zeitschriften schnell das Format der Werbeprospekte von Möbelhäusern, Discountern usw. Fazit war, dass viele Menschen diese Hefte aus dem Briefkasten direkt in den Papiermüll entsorgten.
Give-aways, also Geschenke, waren seinerzeit der große Renner. Kugelschreiber waren bereits nicht mehr reizvoll, da man diese ohnehin schon überall nachgeworfen bekam. Da gibt es doch noch wirksamere Gegenstände. Bleistiftanspitzer, Seife, Lineal, Mini-Taschenrechner, Zettelklötze mit 1000 Blatt, Selbstklebezettel in jeder Größe, Schreibblocks, Handtücher, Mini-Schraubendreher-Sätze, Reisezahnbürsten mit Zahncreme - eine für morgens, eine für abends. Diese Aufzählung ist sicher nicht komplett.
Werben um Mitglieder ist ja eine legale Sache. Nur - wo bleibt das Mitglied bei diesem Geschehen? Es reicht nicht aus, das Thema „Service“ hoch zu hängen, der Service muss auch erbracht werden.
Es gab Zeiten, da warteten die Mitglieder bei ihrer neu gewählten Krankenkasse Monate auf die Krankenversichertenkarte. Telefonisch kam man erst gar nicht zu einem kompetenten Ansprechpartner durch. Somit war der Service schon zu Beginn der Mitgliedschaft in Frage gestellt.
Ich habe schon vor 15 Jahren den Satz geprägt, dass die Versicherten einer Krankenkasse auch versorgt wären, wenn es diese Krankenkasse nicht gäbe – die Krankenkasse aber ohne ihre Versicherten nicht existieren würde und die Beschäftigten keinen Job hätten. Leider haben das nicht alle begriffen. Viele glaubten, sie seien der Nabel der Welt. Das betraf und betrifft nicht nur den „kleinen“ Sachbearbeiter, sondern ganz besonders auch viele Chefs.
Ich sage hier ausdrücklich viele. Denn nicht alle Beschäftigten der Krankenkassen sahen ihre Tätigkeit als „Job“. Zum Glück gab und gibt es heute noch Krankenkassenpersonal, dem die Nöte der Mitglieder am Herzen liegen. Diese Menschen haben begriffen, dass es nicht wichtig ist, rund um die Uhr per Handy, E-Mail oder Fax erreichbar zu sein. Viel wichtiger ist es, sich mit dem Einzelnen sachlich, fachlich und menschlich zu beschäftigen.
Man warb mit der ständigen Rufbereitschaft für die Versicherten. Diensthandys wurden angeschafft. Aus dieser Zeit habe ich Aussagen von Mitarbeitern einiger Krankenkassen. Die Rufbereitschaft wurde tatsächlich genutzt. Manchmal sogar klingelte es nachts um 23 Uhr, weil eine Thekendiskussion über ein Krankenkassenthema nicht zufriedenstellend abgeschlossen wurde. Dann fiel einem der Diskutierenden ein, dass er seine Krankenkasse ständig erreichen kann. So konnte er tatsächlich eine Klärung herbeiführen.
So ein Angebot ist natürlich kompletter Unfug. Kein Mensch muss nachts Sozialversicherungsfragen klären. Das Gleiche gilt für Wochenenden und Feiertage.
Ich habe selbst mit Kollegen den Heiligabend- und Silvesternotdienst in den Geschäftsräumen der Krankenkasse versehen. Dieser war für die Menschen gedacht, die ansonsten aufgrund ihrer Arbeitszeit nicht persönlich die Krankenkasse aufsuchen konnten.
Wer kam? Heiligabend besuchten uns dreizehn männliche Rentner. Einem muss das so gut gefallen haben, dass er zwei Stunden später noch einmal kam. Vielleicht mussten diese Herren nur die Zeit überbrücken, die Ihre Ehefrauen für die Vorbereitung des Weihnachtsbraten benötigten. Oder, schlimmer, sie haben sich davor gedrückt, den Christbaum zu schmücken.
Nach so einem Einsatz wurde mir der Schwachsinn einer solchen Regelung richtig bewusst. Kein Mensch braucht die Krankenkasse an solchen Tagen wirklich notwendig. Auch nicht dann, wenn sich drei Sonn- oder Feiertage anschließen.
Es braucht auch Niemand eine Niederlassung einer deutschen Krankenkasse auf Mallorca oder den Seychellen.