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Das Übel an sich

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Wenn der Tag schon so beginnt …

Manchmal möchte man sich ja wirklich verkriechen, dieses Dasein einfach wegwischen und aufhören, zu existieren. Was die Leute immer denken, wenn es um die sogenannten „Sozialschmarotzer“ geht, ist eigentlich nicht auszuhalten. Ob die wohl wissen, wie das ist? Wohl eher weniger, wie man sieht.

Als ich heute Morgen aufgestanden bin, war schon der Wurm drin. Mein Sohn hat Ferien, weshalb es nicht nötig ist, sich wie sonst üblicherweise noch vor sieben Uhr aus dem Bett zu schälen. Dass ich aber so verschlafen habe und es inzwischen kurz vor 9 ist, erschreckt mich dann doch. Hoch mit dir, aber flott jetzt. Taumelnd und noch durcheinander verschwinde ich im Badezimmer und hoffe, unter dem Strahl heißen Wassers, wieder wach zu werden. Mist aber auch, dabei muss ich doch noch so viel regeln!

Schnell den Wasserkocher angeschmissen, erstmal Kaffee kochen. Provisorisch den alten Filtertütenhalter der Kaffeemaschine auf ein Litermaß postiert (weil er sonst nirgendwo drauf passt) und die Thermoskanne rausholen. Da geht es ja schon los. Die alte Maschine habe ich vor mehr als 10 Jahren geschenkt bekommen von jemandem, der sich eine neue gekauft hat und diese nicht wegschmeißen wollte. Dankbar habe ich sie angenommen und nun hat sie ihren Dienst eingestellt. Eine Neue kaufen? Geht nicht, wovon denn bitte schön?

Egal, wir sind ja nicht auf den Kopf gefallen und finden schon eine Lösung! Funktioniert ja auch, sieht nur etwas komisch aus, aber es gibt weitaus Schlimmeres. Zum Beispiel ist wesentlich schlimmer, dass am Fahrrad meines Sohnes das Licht kaputt ist. In der dunklen Jahreszeit wirklich unverantwortlich. Dankbar, dass gerade noch Ferien sind und ich ein paar Tage Zeit zum Jonglieren habe, dachte ich zumindest, denke ich widerwillig daran, welcher Weg mir gleich bevorsteht. Gestern Abend nämlich war mein Kind trotzdem mit seinem Rad unterwegs und ich habe bibbernd zuhause gesessen und gebetet, dass er heile wiederkommt. Den Termin, den er hatte, habe ich völlig vergessen und mich in Sicherheit gewähnt – war wohl nichts! Wie gefährlich das ist und wie wenig Autofahrer einen unbeleuchteten Radfahrer erkennen können, weiß ich aus eigener Erfahrung. Auch, dass ich mich selbst immer sehr darüber geärgert, oft sogar erschrocken habe, wenn da so ein Mensch in der Dunkelheit, ungeschützt und nur schwer zu erkennen, meine Motorhaube kreuzt und ich ein Stoßgebet zum Himmel schickte, den Wagen abzubremsen, sofort und auf der Stelle!

Mir wird schlecht bei dem Gedanken, dass ich nun in der umgedrehten Position bin. Das Gespräch noch im Ohr, das mir signalisierte „du bist echt unverantwortlich – schäm dich“! Vor Erleichterung war ich nämlich zur Tür geeilt, nachdem ich den Schlüssel im Schloss sich drehen hörte.

„Mensch, jetzt musstest du ja doch ohne Licht fahren!“

„Mama, du weißt schon, wenn die Polizei mich erwischt, kostet das 40,00 Euro Strafe und drei Punkte in Flensburg. Die kriege aber nicht ich, sondern du!“

Ja, geknickt drehe ich mich um und verkrieche mich in meinem Zimmer. So war das doch gar nicht gemeint – ich dachte doch, ich hätte noch ein paar Tage Zeit. Morgen also sofort zur Bank fahren und Geld holen, muss doch noch was da sein, oder nicht?

Irgendwas in mir klingt dumpf nach, bei diesem Gedanken. War es nicht die letzten Male schon so gewesen, dass ich eine Einkaufsliste, gefüllt mit „must have“ - Sachen (darunter auch eine Leuchte fürs Rad), im Geiste mit mir führte und dann der entsetzte Blick auf den Kontostand mich dazu zwang, unverrichteter Dinge wieder kehrtmachen zu müssen? Viel deutlicher jedoch in meinem Hirn eingebrannt war, dass ich mich nicht noch einmal diesem Disaster von vor Kurzem ausgeliefert sehen wollte. Als ich dastand und schon von Zuhause aus die Zustimmung meiner Filiale eingeholt hatte, dass ich noch 20,00 Euro abholen darf, was schon erniedrigend genug ist, wenn man wegen einer so geringen Summe betteln muss. Dummerweise ist das in der hiesigen Zweigstelle nicht so ganz angekommen, da sich die entsprechende Email nicht finden ließ. Der Raum zum Geldabheben ist offen, die Kundenbetreuer gucken einem fast über die Schulter und so etwas wie eine Diskretionslinie macht überhaupt keinen Sinn, wenn die Klangwellen ein außerordentlich breites Volumen annehmen können. Was jeden gesangsfreudigen Chor zu wahren Jubelstürmen veranlasst habe würde, ließ mich entgegen dieser Frohstimmung genau das Gegenteil fühlen. Irritiert hatte der Mitarbeiter die Nachricht gesucht, aber nicht finden können und zum Telefon gegriffen. Dumm nur, dass wirklich jeder mithören kann hier und ärgerlich, dass es auch jeder tut!

„Ja, hallo. Ich wollte nur fragen, darf Frau Marks noch 20,00 Euro haben? Ja – alles klar, bis dann!“ Entsetzt stehe ich da, das passiert doch jetzt nicht grade wirklich! Was wäre ich froh gewesen, wenn er wenigstens ein bisschen die Stimme gesenkt hätte oder in einem Nebenraum verschwunden wäre. Doch gerade weil er das nicht getan hat, hatte es den Touch von etwas Respektlosem unsereinem gegenüber. Mangelnder Takt vielleicht? Er legt auf, grinst mich blöde an und sagt so etwas von „kein Problem“. „Kein Problem?!“, denke ich und möchte am Liebsten spontan einer Unsichtbarkeit anheimfallen. Eben dieses Grinsen setzt dem Ganzen dann doch noch die Krone auf.

Letztendlich aber bin ich es gewohnt, solche Situationen, die, Menschen wie mich, entwürdigen. Klar ist offensichtlich, dass es einem schon echt mies geht, wenn man wegen 20,00 Euro eine Erlaubnis einholen muss. Aber verdienen denn nur die Achtung, die sich die Hunderter lose in die Taschen stopfen können?

Dran gewöhnen kann ich mich an solche Umgangsformen überhaupt nicht. Das an meiner Stirn festgetackerte Schild, das mich in die unterste Kategorie von Mensch manifestiert, nervt mich. Ich möchte es abreißen, aber bis dahin ist der Weg noch lang, leider!

Vor meinem geistigen Auge zieht noch vorbei, wie ich mich bei meinen Lesungen öffentlich präsentiert habe und wie man mir dort begegnet, mit Respekt. Schräg eigentlich, wie wenig eine so entblößende Lage wie die eben durchlebte damit vereinbar ist. Ob dieser Mensch mich vielleicht anders behandelt haben würde, wenn er wüsste, dass er hier jemanden vor sich stehen hat, dem ein winziges bisschen Achtung nicht schaden würde, womöglich sogar zustand? Sinnlos, darüber nachzudenken, ganz ehrlich! Augen zu und durch mit dem Wissen, dass die so hart erkämpften 20,00 Euro nicht mal ansatzweise das abdecken, was ich eigentlich bräuchte!

Bevor ich das Risiko einer solchen Situation noch mal auf mich nehme, halte ich lieber die Klappe und werde jegliches „Betteln“ unterlassen. Dann haben eben tausend Abbuchungen und was auch immer das Konto geschröpft … knurrenden Magens schnell davonschleichen und schon mal den Inhalt des überschaubar gefüllten Kühlschrankes sondieren. Etwas muss sich daraus noch machen lassen, muss ganz einfach!

Schon innerlich mit Widerwillen aufgeladen ob dieser Erinnerung, fasse ich mir heute Morgen dann ein Herz und rappel mich auf, der Weg zur Bank unausweichlich. Eilig habe ich es nicht und radele gelassen vor mich hin. So wirklich will ich es gar nicht wissen, stelle ich fest, denn irgendetwas in mir sagt unmissverständlich, dass mein zur Verfügung stehendes Geld bereits futsch ist. Um nicht fassungslos nach dem endlos scheinenden Rattern des Kontoauszugsdruckers dazustehen, lege ich mir eine Strategie zurecht. Ermahne mich, dann einfach ganz gelassen tuend durch die Ausgangstür zu treten und mich so zu geben, als hätte ich auch nichts anderes erwartet. Da sich in unmittelbarer Nähe mehrere Einkaufscenter befinden, nehme ich mir vor, wenigstens schon mal Informationen einzuholen über so eine Leuchte zur Selbstmontage.

Der Moment ist da und wie erwartet, schmeißt dieses Gerät unaufhörlich eine Seite nach der anderen raus. Bei dem, was der alles druckt, kann unmöglich noch Geld da sein. Und so ist es auch! Die Niedergeschlagenheit schlucke ich runter und wende mich dem Automaten zu, der mir noch 25,00 Euro anbieten kann. Ob es noch weitere Abbuchungen geben wird, bis die nächste Zahlung in ein paar Tagen eingeht, am Ende der Woche um genau zu sein und heute ist Dienstag, kann ich nicht mehr sagen, muss mir auch egal sein, in diesem Augenblick. Ein Toastbrot und zwei Liter Milch, eine Packung Schinkenwurst muss ich haben … heute und nicht erst am Freitag. Raten, die von fiesen Schulden herrühren, muss ich zwingend überweisen, egal wie. Dann ist es eben so – jetzt!

Wenig später schleiche ich durch die Regale des Supermarktes auf der Suche nach Lichtern. Mein Bauch rumort und fordert von mir, die Kundentoilette aufzusuchen. Umgehend! Der entnervte Blick folgt der Beschilderung und ich gehorche. Mein Kopf will meinen Körper zur Ruhe zwingen und wenige Minuten später stehe ich wieder vor dem Zubehör für Fahrräder. Die nächste Klatsche folgt, mir fehlen nämlich genau 6,00 Euro, um diese verdammte Lampe kaufen zu können. Unbeteiligt verlasse ich das Geschäft und gehe zum gegenüberliegenden Baumarkt. Hier finde ich aber erst gar nicht, wonach ich suche, weil ich viel zu aufgewühlt bin und mich das Bollern im unteren Bauchbereich zwingt, das Weite zu suchen und heimatliche Gefilde anzusteuern – sofort!

Dass ich ein Jonglierspiel vor mir habe, hoffen und bangen muss, nein – ein flehentliches Gebet zum Himmel schicken sollte, dass wenigstens zum Wochenende der so dringend benötigte Betrag verfügbar sein möge, ohne bettelnd am Kundenschalter stehen zu müssen, gefällt mir überhaupt nicht. Wieder in meiner Wohnung angekommen, die ich erst vor knapp vier Monaten bezogen habe, bin ich froh, mich vor meinen Rechner hocken zu können … meine Nase, fern ab der Realität, die mir grade schwer im Nacken sitzt, in Manuskripten versenken kann.

Wie genau bin ich letztlich in diese bescheuerte Lage gekommen – mal Revue passieren lassen … und im Grunde überhaupt keine Lust drauf, weil es mir so vorkommt, als wäre es eine nicht enden wollende Aneinanderreihung meines irdischen Scheiterns, gepflastert von etlichen Versuchen, meine Lage zu verbessern … die aber leider nur ein Zeugnis meines allumfassenden Versagens sind.

Dennoch schaue ich mal … was Schuld daran ist, dass es so ist, wie es ist!

Jasmina und die Sache mit Hartz IV

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