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Niveauwechsel auf eigene Faust

Vor dem Übertritt in die Oberstufe ins Schulhaus Breite in Allschwil war ich ins Niveau E eingeteilt worden, dem mittleren der drei. Von den Noten her hätte ich eigentlich ins Niveau P, das beste, eingeteilt werden müssen. Doch die Lehrerin wie auch der Schulpsychologe fürchteten, mich sonst zu überfordern – mich, den «Kleinen», den Sensiblen, den zu wenig reifen und für sie wohl auch nicht leicht zu handhabenden Schüler. Denen wollte ich es zeigen! Ich lernte, musste mich nicht mal allzu sehr anstrengen, und haute immer gute Noten heraus.

Einen großen Einfluss hatte gewiss auch meine Oberstufenlehrerin auf mich. In den vergangenen zweieinhalb Jahren war ich mit der damaligen Lehrperson auf Feindesfuß gewesen, hier an der Oberstufe durfte ich spüren, dass auch eine Lehrerin nett sein kann. Welch wunderbare Erfahrung! Frau Koller glaubte an mich, genauso wie meine Eltern, sie hatte Freude an mir und ließ mich dies auch sichtlich spüren. Das tat mir bis in die Seele hinein gut.

Mein Ziel war nicht das Niveau E, das mittlere, sondern P, das beste. Und nach einem Semester hatte ich meine Noten da, wo ich hinwollte. An einem Freitagabend, kurz vor Semesterschluss, klopfte ich daher an die Tür der Schulleitung, legte ihnen meine Noten vor und verkündete: «Ich bleibe nicht länger im Niveau E. Ich habe jetzt bewiesen, dass ich es kann, und würde gerne ins Niveau P wechseln.» Der Rektor zeigte sich sehr erstaunt über mein mutiges Auftreten, war aber sehr erfreut, wusste er doch über meine Geschichte in der Vergangenheit genau Bescheid.

Noch in derselben Stunde telefonierte er mit meinen Eltern, um sie zu informieren: «Ab Montag besucht Jason das andere Niveau, aber auf einer anderen Stufe.» Und weil ich durch den Niveauwechsel auch ein Jahr wiederholen musste, war ich auf einmal einer der Ältesten, fühlte mich stärker als die anderen und entwickelte mich zu einem selbstbewussten Jungen. Was für ein neues Lebensgefühl! Selbstbewusstsein – bisher ein Fremdwort für mich. Auf einmal war ich nicht mehr der Außenseiter und hatte tolle Freundinnen und Freunde. Teilweise wussten meine neuen Kollegen über meine Vergangenheit Bescheid, doch das war überhaupt nicht relevant. Noch heute erzählt man sich anscheinend im Dorf: «Weißt du, das ist der Junge, welcher in der Primar aus der Schule abgehauen und nicht wiedergekommen ist.» Toll, wenn man den Menschen dadurch in Erinnerung bleibt. Aber ist es nicht so, dass viele Menschen sich viel mehr mit Negativem umgeben als mit Positivem?

Jedenfalls überquerte ich noch Jahre später ungerne den Pausenplatz des früheren Schulhauses. Schlimme, beängstigende Gefühle kamen jedes Mal in mir hoch. Ich spürte noch lange nach, wie ich mich damals als kleiner Wurm gefühlt hatte. Manchmal spielte sich ein innerlicher Film ab und ich wünschte mir so sehr, ich könnte den Film nur einmal für einen kurzen Moment in die Zeit von damals zurückdrehen und mir zureden: «Du bist so viel wert. Du bist gut.» Ich würde dem früheren Ich gerne Mut zusprechen. Was geschehen ist, ist geschehen. Aber es ist nicht vorbei. Es ist in uns und prägt uns für die Zeit danach. Es kann den Menschen brechen oder weiterbringen. Mich hatte die Zeit sehr geprägt – und weitergebracht. Und irgendwann werde ich dieses Trauma verarbeitet haben. Irgendwann.

Jahre später begegnete ich der damaligen Primarlehrerin in der Straßenbahn. Es war kurz nach meinem großen Sieg bei «Die grössten Schweizer Talente». Sie streckte mir die Hand hin und ich spürte dieselbe Antipathie wie Jahre zuvor: Sie mag mich nicht. «Ich weiß schon, was du machst», sagte sie kühl, «ich habe dich im Fernsehen gesehen.» Da kam keine Gratulation, keine Anerkennung, kein Lob oder etwas im Sinne von: «Schön, dass du deinen Weg gemacht hast.» Ich weiß nicht, warum ich das von ihr erwartet hätte. Vielleicht, weil sie meine Primarschulzeit so ruiniert hatte. Aber ich war in dem Moment stolz und ich fühlte eine Genugtuung, wie ich sie nie zuvor verspürt habe.

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