Читать книгу Sonnenfeuer - J.D. David - Страница 16
Kapitel 10
ОглавлениеDie Sonne senkte sich bereits über Kargat, als die kleine Truppe aus Reitern die ersten Palisaden und Barrieren erreichten, die das große Räuberlager umgaben. Aus der Ferne waren diese unscheinbar gewesen, meist hatte man Büsche oder Bäume wahrgenommen. Aber als sie sich Dornat näherten, bemerkte Taskor die verborgenen aber wohl effektiven Verteidigungsringe. Überall waren kleine Fallen und andere Verteidigungsanlagen aufgebaut. Falls eine Reihe überwunden war, konnten sich die Verteidiger zur nächsten zurückziehen. Genauso wurden die weitauslaufenden Ruinen der einst mächtigen Feste genutzt und in das Konzept integriert. Im Falle eines Angriffs würde es dem Nachtrudel nicht schwer fallen, die Ruinen zu verteidigen. Ein Angreifer müsste mit großen Verlusten rechnen. Doch gerade aufgrund dieser Anlagen war es Taskor schleierhaft, wie sie all die Jahre das Hauptlager der Räuber hatten übersehen können. Der Blick des Königs war in andere Richtungen gegangen. Nun, da diese nicht mehr der Hauptfeind waren, fand sich Taskor im Lager des Nachtrudels wieder. Was für eine Ironie des Schicksals.
„Sagt, königliche Majestät, was haltet Ihr von unserer kleinen Festung?“, hörte Taskor Rufus‘ Stimme und schaute zu dem Anführer, der die Königin angesprochen hatte. Gerade wollte er sich zwischen ihn und Hega schieben, als diese antwortete.
„Es ist sehr beeindruckend, Rufus. Obwohl ihr gegen meinen Mann und die Krone Kargats in den Kampf gezogen seid, bin ich ergriffen, was ihr aus den alten Ruinen des Königreiches gemacht habt. Es erfordert Mut sich dem Fluch Dornats zu stellen, und hier zu übernachten. Und es erfordert Geschick, Können, und militärischen Verstand, eine solche Anlage anzulegen. Zumindest erkenne ich deren Wert, wenn ich den Blick meines Generals richtig deute. Nicht wahr, Taskor?“, erwiderte die Königin mit einem aufrichtigen Lächeln. Taskor war kurz verwirrt von der Freundlichkeit Hegas, erkannte darin aber einen klugen Schachzug. Es gab kaum etwas zu verlieren. Grobheit und Arroganz würde sie kaum weiterbringen. Und da das Kaiserreich der eigentliche Feind war, gab es keinen Grund, auch noch diese Räuber zu verärgern.
„Ich kann nicht sagen, dass ich gerne in Fesseln in euer Lager einreite. Aber ich bin froh, dass ich nicht versuche, es mit erhobenem Schwert zu betreten.“, antwortete Taskor diplomatisch, als sie gerade den letzten Ring der Mauern erreichten.
Die Feste von Dornat lag auf einem erhöhten Plateau, dessen vordere, flache Seite sie gerade hochgeritten waren. Im Rücken der Burg erhob sich der mächtige Kal Dor. Obwohl der Berg an sich nicht so hoch war wie andere Gebirge, erschien er dadurch mächtig, dass er scheinbar einsam in weiten Ebenen stand. So war seine Spitze schon aus großer Entfernung zu sehen. Die Festung war einst direkt an den Berg gebaut worden, doch wie der große Teil waren auch die Türme, die am Berg gestanden waren, zu Ruinen von geschwärztem Stein verfallen. Man sagte, dass die alten Könige Kargats einst den Berg untergraben hätten, um ein riesiges System aus Gängen und Hallen anzulegen. Doch mit der Zerstörung der Festung waren auch die Eingänge zu diesen Stollen verschlossen worden, wenn es sie überhaupt gab.
„Glaub mir Taskor: Du bist nun genau auf der richtigen Seite. Außerdem trägst du doch gar keine Fesseln, schließlich seid ihr unsere Gäste.“, sagte Rufus mit einem falschen Lächeln, als sie nach oben in den Hof einbogen, der einst das Zentrum der Burg gebildet hatte. Die Größe des Innenhofes war beeindruckend. Doch Taskors Aufmerksamkeit richtete sich viel mehr auf das, was sich im Innenhof befand. Dieser war gefüllt von Zelten, provisorischen Hütten, Feuerstellen, Handwerkertischen und sogar einem kleinen Trainingsplatz. Es wirkte wie ein kleines Heerlager. Der General hatte nie realisiert, wie viele Männer dem Nachtrudel angehören mochten. Dafür hatte seine Aufmerksamkeit zu sehr auf den äußeren Feinden Kargats gelegen. Aber sein Eindruck bestätigte sich immer mehr: Es war keine wilde Räuberbande, der sie hier entgegenstanden. Die Truppe schien von Männern mit militärischer Erfahrung, wie Rufus, geführt zu werden.
„Als Gäste wünschen wir mit deinem Anführer zu sprechen, Rufus.", antwortete dann die Königin vor ihm, nun in etwas schärferem Ton.
„Wie königliche Majestät wünschen“, antwortete der Angesprochene mit einer angedeuteten Verbeugung und zeigte dann auf das Gebäude, das wohl einst die Haupthalle gewesen war. Obwohl auch hier die Wände zum Teil eingestürzt und verbrannt waren, erinnerte diese noch am ehesten an ein intaktes Gebäude. Aus verschiedenen Materialien war das Dach provisorisch wieder aufgebaut und die eingestürzte Westwand teilweise neu errichtet worden.
„Nach euch!“, sagte Rufus, als sie aus den Sätteln gestiegen waren, und deutete auf den offenen Eingang, dem eine Tür fehlte. Taskor erkannte, wie ihre weiteren Begleiter unsicher schauten: Florenzo, Sinja und Gilmar wirkten noch verlorener, als er selber. Obwohl die drei doch am ehesten zu dieser Räuberbande passten. Andererseits hatten sich die drei, und insbesondere der gefallene Eggbert, als verlässlich erwiesen.
„Dann wollen wir mal“, sagte Taskor und deutete der Gruppe, ihm zu folgen.
Das Innere der Halle war nur spärlich von einigen Fackeln beleuchtet. Sonya musste sich kurz orientieren, bevor sie die Gestalten am Ende des Raumes sah. Obwohl die Prinzessin nur die Umrisse sehen konnte, machte sie drei Männer aus, die an einem Tisch saßen.
„Hauptmann, wir haben wahrlich hohe Gäste in der Wildnis angetroffen.“, rief Rufus zur Begrüßung. Die Männer erhoben sich von ihren Plätzen und traten in das Licht der Fackeln. Sonya musterte diese. An der linken Seite stand ein kleiner Mann, vielleicht sogar nur ein Junge, der kurze, schwarze Haare hatten, die wild zu allen Seiten wegstanden, und am Gürtel eine kleine Axt trug. Der Mann auf der rechten Seite schien deutlich älter. Wie bei Rufus war sein Haar bereits von grauen Strähnen durchzogen. Trotz des schlechten Lichtes erkannte Sonya, dass sein linkes Auge vollständig bleich und somit wohl blind war. Doch beide Gestalten wurden von der Statur des Hauptmanns vollkommen überragt. Dieser war bestimmt über zwei Schritte groß und hatte mächtige Schultern und Oberarme. Sein ebenfalls ergrautes Haar war kurz, soldatisch geschnitten, der Bart zu kurzen Stoppeln geschoren. Der Blick hatte etwas Herrschaftliches und dennoch Kaltes. Doch am auffälligsten war seine linke Hand. Oder eben das Fehlen jener, denn wo die Hand sein sollte, endete der Arm stattdessen in einem eisernen Haken, der den sowieso schon beeindruckenden Mann wahrlich furchteinflößend machte.
„Hauptmann“, sprach Rufus ihn dann weiter an und machte eine Verbeugung mit einem schelmischen Lächeln, die offenbar mehr Ironie denn echter Respekt war. „Darf ich vorstellen: Königin Hega von Kargat, ihre Tochter Prinzessin Sonya von Kargat und der legendäre Schwarze General, Taskor Graufels. Naja, und ein paar mehr, die wir nicht vor der Halle hatten stehen lassen wollen.“, fügte er mit einem Grinsen hinzu.
Der Hauptmann machte keine Anstalten, Sonya oder Hega Respekt zu erweisen. Die Prinzessin spürte, wie sich Benno erneut halb vor sie stellte. Immerhin Mut baute der Junge langsam auf, wenn man den Mann ansah, der dort auf sie hinabschaute. Doch es war Taskor, der das Wort ergriff.
„Nun kennst du unsere Namen. Wie dürfen wir denn den Hauptmann des Nachtrudels ansprechen?“, sagte er und blickte fest zu dem Hünen. Dieser blieb erst regungslos, lächelte dann aber.
„Dann will ich meine Gäste in Dornat begrüßen. Willkommen in den verfluchten Hallen, die ihr Adeligen so gerne meidet. Ein Glück für uns, fürwahr. Nun, was kann ich für meine Gäste tun, bevor ich euch der Gnade des Kaiserreiches überlasse?“ Die Stimme des Mannes war trotz seines Alters stark und tief und hallte durch den Raum.
„Ein Name, für den Anfang.“, erwiderte Taskor kalt.
„Berlan.“, antwortete der Hauptmann ohne Zögern. Taskor stockte, bevor er antwortete. Er musterte den Hauptmann näher, bevor sich dann seine Augen weiteten.
„Berlan? Berlan von Fendron aus Valorien?“, sagte er fragend.
„Der war ich einst. Nun bin ich Berlan, Hauptmann des Nachtrudels und Beschützer des Volkes von Kargat.“
„Beschützer des Volkes? Das ist wohl ein schlechter Scherz.“, antwortete Taskor, der nun deutlich aufgebracht wirkte. Doch bevor er weitere Worte sprechen konnte, bewegte sich Sonya nach vorne und legte dem General die Hand auf den Unterarm. „Danke, General Taskor.“, sagte sie und ging dann weiter auf Berlan zu.
„Sonya!“, sagte noch Hega, die auch deutlich überrascht schien, um die Prinzessin zurück zu halten, doch Sonya ließ sich nicht beirren. Sie ging auf Berlan zu, bis sie nur noch zwei Schritte von ihm entfernt war und knickste dann vor dem Hünen leicht.
„Mein Herr von Fendron. Im Namen meiner Mutter, der Königin von Kargat und des Volkes von Kargat bitte ich um Euren Schutz in den Mauern Dornats. Lange hörte ich von den Taten Eurer Männer. Während große Teile unseres Landes in euch nur Räuber und Vagabunden sahen, habe ich immer öfter vernommen, dass es nur die Reichen und Mächtigen waren, die eure Opfer wurden. Und das selten Gewalt gebraucht wurde, wenn es nicht notwendig war. Wenn ihr euch in der Tat als Beschützer unseres Volkes seht, dann bitte ich Euch darum, uns hier in Dornat aufzunehmen. Doch ich bitte Euch um mehr: Dieses Land ist noch nicht verloren. Es brennt unter dem Banner der Sonne, doch so lange es Männer und Frauen gibt, die an Kargat glauben, besteht unser Land. Helft uns, diesen Krieg zu führen, auf dass unser Volk nicht unter dem Joch des Kaisers leiden muss. Wenn wir obsiegen, soll die Herrschaft des Adels nicht mehr die Gleiche sein, wie vorher. Auf dass sich Banden wie das Nachtrudel nicht bilden müssen.“
Die sanfte Stimme der Prinzessin schwang durch die Halle und zog absolute Stille nach sich. Von den Worten Sonyas waren wohl sowohl die anwesenden Räuber, als auch Taskor, Hega und ihre Begleiter sowohl überrascht, wie auch beeindruckt. Doch es war die Königin, die als nächstes reagierte und nach vorne ging, um sich neben ihre Tochter zu stellen. Vielleicht war es eine Nachwirkung der Worte Sonyas, vielleicht auch das sichere Auftreten Hegas, aber als sie sich vor Berlan stellte, neigte dieser den Kopf und verbeugte sich vor ihr.
„Berlan. Wir kennen uns nicht. Dennoch erkenne ich einen Mann der Ehre in dir, trotz deiner Taten gegen meinen Mann und das Reich. Doch wie du schon sagtest: der Feind ist nun ein anderer. Ich schließe mich den Worten meiner Tochter an. Wenn du und deine Männer uns zur Seite stehen, sollen alle eure Verbrechen vergessen sein. Denn es gilt Kargat zu befreien, egal wie gering unsere Hoffnung auch sein mag.“
Berlan schaute auf und wollte anscheinend etwas antworten, als auch Taskor an die Seite der beiden Frauen trat.
„Wenn du der Kopf hinter dieser Anlage bist, dann gilt dir meine Hochachtung. Gegen jemand, der seine Männer so führt, will ich nicht gerne kämpfen. An dessen Seite sehe ich aber noch Hoffnung für Kargat.“
Berlan richtete sich auf und streckte seinen Rücken durch. Sein Blick wanderte über die drei, blieb aber schließlich bei Hega stehen.
„Königliche Majestät, ich habe mit voller Überzeugung gegen Euch und Euren Mann gekämpft, da das Volk unter der Gier und der Macht des Adels gelitten hat. Und um Fehler aus meinem vorherigen Leben wieder gut zu machen. Doch ich werde mir Eure Worte zu Herzen nehmen. Ich muss darüber nachdenken.“, antwortete er. Dann wandte er sich an den Jungen neben ihn.
„Sivert, bitte führe unsere Gäste in die alte Schmiede. Dort sollte man ein gutes Lager für sie einrichten können. Rufus, darum wirst du dich kümmern.“, befahl Berlan. Der Junge nickte nur und quittierte die Anweisung mit einem kurzen „Ja, Vater!“ Dann wandte sich der Hauptmann an den alten Mann neben ihn.
„Felbart. Lass die Männer wissen, dass diese Leute meine Gäste sind, und nicht unsere Gefangenen. Sie sollen entsprechend behandeln werden.“ Der Räuber nickte wortlos, bevor sich Berlan wieder an Hega wandte.
„Königliche Majestät, Ihr werdet hier Schutz und Unterschlupf finden. Gebt mir eine Nacht, dann werden wir wieder sprechen.“
Hega nickte mit einem Lächeln. „Ich danke dir, Berlan, für die Gastfreundschaft.“
Berlan schaute auf seine rechte Hand hinunter. Es hatte die gesamte Nacht geregnet, und so lag Dornat in Schlamm und Wasser unter ihm, die Feuer waren erloschen. Trotz des aufkeimenden Frühlings war es ein kühler Morgen, und er hatte sich seinen Fellumhang umgelegt, bevor er auf die alte Mauer gestiegen war. Oft hatte er hier oben gestanden, auf das Lager geschaut, das er geschaffen hatte, und an all seine Taten gedacht. Gute wie Schlechte.
Er meinte das Blut an seiner Hand kleben zu sehen. Zu viel Blut, das er vergossen hatte, aus Hass, Neid und Eitelkeit. Leid, das er über seine Heimat gebracht hatte. Valorien und Fendron. Dennoch hatten diese falschen Taten ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war. Die Taten, und Elsa. Wie oft hatte er hier schon gestanden und überlegt, was sie nun über ihn denken würde. Ob sie ihn von irgendwo her beobachtete. Ihre gemeinsame Zeit war zu kurz gewesen, und dennoch hatte sie ihn für immer geprägt.
Er schaute auf und blickte zum Horizont nach Norden. Fern der weiten Ebenen vor Dornat, über dem Horizont hinaus lag Valorien. Mit jedem Jahr hatte er weniger an die alte Heimat denken müssen, und dennoch verließ ihn das Gefühl auch nicht, eines Tages doch zurück zu kehren. Gleichzeitig dachte er an den Abschied aus dem Reich seines Vaters. Der König hatte es als Gnade verstanden ihm das Leben zu schenken. Doch für ihn war es die größte Strafe gewesen, die er sich vorstellen konnte. Verbannt, alleine, ohne Macht, ohne Männer, zurückgelassen. Ohne Ziel und Richtung. So war er durch das benachbarte Kargat geirrt, hatte sich durchgeschlagen, irgendwie. Erst als er Elsa getroffen hatte, hatte sich alles geändert. Sie hatte ihn geändert. Er dachte, er hätte Frieden gefunden. Mit ihr und Sivert. Es schien so unwirklich, bei all dem, was er erlebt hatte. Wer er war. Dennoch war dieses bisschen Frieden und einfaches Leben vielleicht ein gnädiges Ende. Doch das Schicksal hatte andere Pläne.
Wenn der Herr seiner neuen Heimat nicht noch mehr Steuern hätte pressen wollen, würde er wohl nicht hier stehen. Doch er tat es, und Menschen starben. Elsa starb. Erst hatte Berlan gedacht, dass ihn Rache trieb. Rache und Hass, wie einst, in Fendron. Doch an der Seite seiner neuen Kameraden erkannte er, dass es sich nicht lohnte, für Rache zu kämpfen. Es lohnte sich aber für jene zu kämpfen, die sich nicht wehren konnten. Obwohl es Genugtuung war, dem Mörder seiner Frau die Klinge in den Leib zu rammen, erschien es noch sinnvoller, all das Gold wieder unter dem Volk zu verteilen. Es schien das Richtige. Es schien, als hätte Elsa es so gewollt. Damals hatte er nicht absehen können, dass er dereinst an dieser Stelle stehen würde.
Jahr um Jahr wurde ihre Bande größer. Der König wurde aufmerksam auf sie, die Reichen und Mächtigen begannen sie zu fürchten und mit der Präzision und Führungskraft eines Heerführers baute er die Truppe auf, die sich nun das Nachtrudel nannte. Dornat war die Idee von Felbart, seines ersten Gefährten, gewesen. Es hatte sich als Glücksgriff erwiesen, nachdem Berlan die Ängste und den Aberglauben seiner Männer bekämpft hatte. Und nun war die Königin von Kargat innerhalb seiner Mauern und bat ihn, nicht mehr gegen die Krone Kargats zu kämpfen, sondern für sie?
„Hauptmann.“, hörte er die Stimme von Rufus. Berlan drehte sich um und erkannte Hega und Taskor, die sich auch mit Umhängen vor der Kälte schützten. Ohne seine schwarze Rüstung wirkte der General fast wie ein einfacher alter Mann. Nur in seinen Augen erkannte man das Feuer des Kampfes. Auch die Königin wirkte weniger majestätisch. Beide waren in einer verzweifelten Lage. Doch diese Verzweiflung hatte er auch einst gefühlt. Der Grund waren die Diener jener Krone gewesen. Diener, wie General Taskor.
„Danke Rufus. Du kannst uns alleine lassen.“, antwortete Berlan bestimmt und der Mann wandte sich mit einem Nicken ab.
„Berlan, hast du über meine Worte nachgedacht?“, fragte die Königin direkt hinaus, als sie sich mit Taskor zusammen neben Berlan auf die Mauer stellte.
„Ja, das habe ich, königliche Majestät.“, sagte er und wandte seinen Blick wieder über das weite Land, das zu ihren Füßen lag. „In den letzten Jahren hatte Kargat einen großen Feind: Euren Mann, den König und seine Marionetten, die über das Land herrschten. Unnötige Kriege, Eitelkeit, Raffgier und Brutalität forderten den Zoll von Eurem Volk. Nun stellt Ihr Euch vor mich und fordert, genau dieses Volk zu schützen? Ich tat das all die letzten Jahre, während Ihr in Härengar gespeist und gefeiert habt. Die Männer des Kaiserreiches behaupten von sich, dass das Feuer der Sonne Läuterung sei und Frieden bringt. Vielleicht haben sie Recht. Vielleicht war es Zeit, dieses Land wie eine Wunde auszubrennen. Also, wieso sollte ich Euch helfen, königliche Majestät?“
Hega erkannte, wie der Zorn in Taskor hochstieg. Auch sie stimmte nicht allen Worten Berlans zu. Dennoch musste sie auch Wahrheit darin erkennen. Mit fortschreitendem Alter hatte König Magnus den Blick für sein Land verloren. Lokale Machthaber hatten sich genommen, was sie wollten. Vielleicht war auch die schwere Niederlage gegen das Kaiserreich dem geschuldet, dass viele Soldaten nicht mehr wussten, für was sie eigentlich kämpften. Anders als Berlans Männer. Bevor der General etwas erwidern konnte, legte sie ihm die Hand auf die Schulter.
„Danke für deine Ehrlichkeit, Berlan.“, sagte die Königin. „Die Taten der Herrschenden sind nicht zu entschuldigen. Und meinen Mann trifft als König diese Schuld. Doch nun ist er tot. Ebenso wie seine Söhne, deren Kinder und auch meine Kinder. Nur Sonya und ich verbleiben aus der königlichen Familie. Wie ich gestern sagte, biete ich dir an, Teil der Befreiung Kargats zu werden. Wenn dir dieses Land am Herzen liegt, und seine Bewohner, kannst du es nicht dem Kaiserreich überlassen. Du hast dessen Taten nicht gesehen. Du warst nicht in Härengar, als es in Flammen aufging.“, sprach sie eindringlich.
Berlan blickte weiter auf das Land hinaus, schweigend. So ergriff Taskor das Wort.
„Berlan, ich weiß, was du in Valorien getan hast. Du hast dich gegen eine Ungerechtigkeit aufgelehnt.“
Plötzlich fuhr der Hüne herum und blickte grimmig zu Taskor. „Nein, ich habe Verbrechen begangen. Ich habe mich blenden lassen, mich als Instrument benutzen lassen, und Leid über meine Heimat gebracht. Ich habe gemordet.“, sagte er kalt. Dann wandte er den Blick zu Hega.
„Nein, königliche Majestät, ich glaube nicht, dass Kargat es unter dem Kaiserreich besser gehen wird. Ich weiß, dass wenn sein Blick auf Dornat fällt, wir werden fliehen müssen. Oder kämpfen. Aber ich weiß nicht, ob noch mehr Kampf, noch mehr Blutvergießen Eurem Volk helfen kann.“
Hega schaute zu Boden. Es lag viel Wahrheit in den Worten Berlans. Mehr Krieg würde mehr Tote bedeuten. Aber was war die Alternative. Was würde mit dem Reich passieren, wenn der Kaiser über Kargat herrschte? Wie weit würden die Flammen schlagen?
„Wir können keinen offenen Feldkrieg führen.“, sagte Taskor und unterbrach so die Gedanken Hegas. Es war eine einfache Feststellung, aber sie war absolut richtig. Selbst wenn Berlan seine Männer sammeln würde, sie aus allen Dörfern und Städten Rekruten werben konnten und die versprengten Reste des Heeres sammelten, war die Übermacht des Kaisers erdrückend.
Berlan nickte. „Nun gut.“, sagte er dann recht unvermittelt. „Ihr seid weiterhin gerne meine Gäste. Meine Männer werden nicht aufhören, das Volk Kargats zu schützen. Und wenn uns nun nicht mehr die Soldaten des Königs, sondern des Kaisers entgegenstehen, werden wir unseren Kampf nicht aufgeben.“
Dann blickte er zu Taskor. „General Taskor. Ich habe viele mutige Männer unter mir. Doch es fehlt mir an fähigen Anführern. Männer wie Rufus Failgrad sind ein Segen für mich. Männer, die erkannt haben, dass ihre Fähigkeiten hier sinnvoll verwendet werden können.“ Männer wie Taskor. Berlan sprach den Satz nicht aus, aber die Andeutung war klar. Der General blickte zu Hega.
Die Königin lächelte. „Ich glaube nicht, dass unsere Ziele unterschiedlich sind, Berlan. Taskor, du hast mir versprochen, mir und meiner Tochter zu dienen. Uns zu schützen. Ich bitte dich nun, Berlan zu helfen, unser Volk zu schützen. Wirst du das tun?“
Man merkte, dass der General zögerte. Doch auch er musste erkennen, dass Berlan ihre vielleicht einzige Chance war, das Kaiserreich zu vertreiben. Vielleicht nicht zu besiegen. Aber wer herrschte schon gerne über ein Land, dessen Volk sich nicht bändigen ließ. Er wusste, dass das Nachtrudel durchaus einen respektablen Ruf in der einfachen Bevölkerung hatte. Das hatte den Kampf gegen es so schwer gemacht. Vielleicht war es eine Bestimmung des Schicksals gewesen, die sie hierher geführt hatten.
„Wenn dies Euer Befehl ist, Majestät.“, antworte er mit einer leichten Verneigung und wandte sich dann an Berlan. „Berlan, ich danke für die Gastfreundschaft und verlasse mich auf dein Wort als Ehrenmann, dass du Kargat schützen wirst.“
Berlan nickte. Ja, das würde er tun. Für Sivert. Und für Elsa.